TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 W242 2223354-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W242 2223354-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Kasachstan alias Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2021, zu Recht:

A)       I.       Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III., IV, VII. und IX. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II.         Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a erster Satz iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird.
III.         Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kasachstan gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 unzulässig ist.
IV.         Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt, als unbegründet abgewiesen.
V.         Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B)              Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Kasachstans, reiste unter Verwendung einer falschen Identität und einer falschen Staatsangehörigkeit unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 04.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am XXXX 2015 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Beiziehung eines Dolmetschers für Russisch die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er russischer Staatsangehöriger sei. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass er in Russland aufgrund seiner Zugehörigkeit zur islamischen Religionsgemeinschaft verfolgt werde, seine Frau, die sich in Österreich aufhalte, schwanger sei und er bei ihr leben wolle.

Mit Schreiben vom XXXX 2018 teilte der Magistrat der Stadt Wien dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass gegen den Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz rechtskräftig eine Verwaltungsstrafe verhängt worden sei.

Am XXXX 2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen. Er gab dabei zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er Ende 2009 den Islam angenommen habe und sich seither an die Sunna (Gewohnheitsrecht) halte, wodurch er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Seit 2009 oder 2010 seien aus diesem Grund Leute zu ihm nach Hause gekommen, um ihn mitzunehmen und zu überprüfen. 2013 sei er mehrere Tage ohne Haftbefehl oder Beweismittel festgehalten worden. Kurz vor seiner Ausreise hätten sie erfahren, dass er eine Frau, die in Europa lebe, geheiratet habe. Nach der Hochzeit seien sie zu ihm gekommen, hätten ihm die Dokumente abgenommen und ihm gesagt, dass er die Republik nicht verlassen dürfe, sie ihn aufspüren würden, wenn er sich dem widersetze und ein Strafverfahren eingeleitet werde. Manchmal hätten sie in sozialen Netzwerken Accounts eröffnet und auf diesen falsche Nachrichten publiziert. Wenn er zum Training gefahren sei, seien sie ihm gefolgt und hätten ihm damit gedroht, ihn einzusperren. Ende November 2013 hätten sie seinen Nachbarn, der ihm den Islam nähergebracht habe, aufgesucht und erschossen. Sie hätten eine Liste mit Namen von Polizisten hinterlassen und behauptet, dass der Nachbar diese umbringen wolle. Anschließend habe ihn sein Bruder nach Belgorod gebracht. Nach seiner Abreise hätten sie seinen Bruder belästigt, weshalb seine Mutter im Mai 2017 nach Kasachstan ausgereist sei.

Am XXXX 2018 übermittelte das Bundesministerium für Inneres dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass aufgrund eines Hinweises, wonach sich in Österreich ein Staatsangehöriger Kasachstans aufhalte, gegen den der Verdacht bestehe, dass er ab 2013 aktiv bei der Terrororganisation Islamischer Staat gekämpft habe, Ermittlungen durchgeführt worden seien, die ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer, der angegeben habe, russischer Staatsangehöriger zu sein, mit dem zur Fahndung ausgeschriebenen kasachischen Staatsangehörigen übereinstimme.

Mit Schreiben vom XXXX 2018 teilte ein Landesgericht dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sich der Beschwerdeführer seit XXXX 2018 in Untersuchungshaft befinde.

Am XXXX 2019 erfolgte in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers. Dabei führte er aus, dass es sich bei den Originalen der vorgelegten Kopien eines russischen Führerscheins und einer russischen Geburtsurkunde um Fälschungen handle. Er habe bis 2013 in Kasachstan gelebt und sei immer wieder vom Geheimdienst überprüft worden, sodass er befürchtet habe, dass nach seiner Abreise eine Fahndung nach ihm eingeleitet werde, weshalb er falsche Daten angegeben habe. Seinen kasachischen Reisepass habe er vernichtet. Er sei nach Österreich geflüchtet, weil seine Frau und seine Tochter hier leben würden. Im Falle einer Abschiebung könne er kein ordentliches Gerichtsverfahren erwarten. Interpol fahnde nach ihm, weil er beschuldigt werde, ein Terrorist zu sein. Er habe in Kasachstan oder anderen Staaten aber keine terroristischen Handlungen gesetzt. Im Jahr 2013 habe sich der Krieg in Syrien immer weiterentwickelt und das Komitee der Staatssicherheit habe ein halbes Jahr zuvor begonnen, ihn vorzuladen. Es sei häufig vorgekommen, dass Leute mit solchen Vorladungen nie wieder rausgekommen seien. Er habe sehr viele dieser Vorladungen erhalten und drei- bis viermal seinen Aufenthaltsort geändert, ebenso habe er seine Telefonnummer geändert. Sie hätten ihn aber immer wieder gefunden und ihm Fragen zu seiner Religion gestellt, weshalb er sich schließlich einen Pass besorgt habe und ausgereist sei.

Am selben Tag wurde dem Beschwerdeführer eine mit XXXX 2019 Verfahrensanordnung übergeben, mit der ihm mitgeteilt wurde, dass er wegen Verhängung der Untersuchungshaft sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe.

Am XXXX 2019 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Abschlussbericht des Bundesministeriums für Inneres ein, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer mehrere terroristische Straftaten verwirklicht habe, sich zusätzliche Straftaten im Zusammenhang mit dem absichtlich begangenen Identitätsschwindel ergeben hätten und im Zuge der Ermittlungen bekannt geworden sei, dass sich der Beschwerdeführer als Mittäter an Bestellbetrügereien beteiligt habe sowie der Verdacht der Körperverletzung an seiner Frau bestehe.

Mit Schreiben vom XXXX 2019 verständigte die Staatsanwaltschaft das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der gegen den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation (§ 278a StGB), des Verbrechens der terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs. 2 StGB), des Verbrechens des Versuchs terroristischer Straftaten (§§ 15, 278c Abs. 1 Z 1 StGB) und des Verbrechens der Ausbildung für terroristische Zwecke (§ 278e Abs. 2 StGB) erhobenen Anklage.

Am XXXX 2019 übermittelte das Landesgericht XXXX dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das am XXXX 2019 gegen den Beschwerdeführer ergangene Urteil, aus dem hervorgeht, dass er wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation (§ 278a StGB), der Verbrechen der terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs. 2 StGB) und der Verbrechen des Versuchs terroristischer Straftaten (§§ 15, 278c Abs. 1 Z 1 iVm § 75 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.08.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kasachstan zulässig sei (Spruchpunkt V.), dem Beschwerdeführer wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.), gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.). Schließlich stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab XXXX 2018 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung, des Verbrechens der kriminellen Organisation und der Verbrechen der terroristischen Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich dadurch der Beteiligung an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht und damit einen Asylausschlussgrund verwirklicht. Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann, der mehrere Sprachen spreche und angab, Berufserfahrung als Bauarbeiter zu haben, weshalb ihm zugemutete werden könne, in Kasachstan ein ausreichendes Einkommen zu sichern und nicht in eine ausweglose Lage zu geraten. Zusätzlich könne der Beschwerdeführer auf Unterstützung seiner in Kasachstan lebenden Verwandten zählen. Die Todesstrafe könne nicht verhängt werden. Im Falle der Rückkehr liege daher keine Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK vor. Der Beschwerdeführer habe zwar seine Ehefrau und Tochter im Bundesgebiet und einen A1-Deutschkurs besucht, sei jedoch illegal eingereist und nie einer Beschäftigung nachgegangen. Zudem sei er rechtskräftig verurteilt worden, befinde sich derzeit in einer Haftanstalt und scheine im Schengener Informationssystem als gewaltbereit und bewaffnet auf, weshalb davon auszugehen sei, dass von ihm nach wie vor eine Gefahr für die Gemeinschaft ausgehe und er eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit darstelle. Trotz des Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich überwiege daher das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und an der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers.

Mit Schreiben vom XXXX 2019 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass in Kasachstan keine Garantien für ein faires Verfahren bestünden und Korruption weit verbreitet sei. Straflosigkeit für Folter und Misshandlungen in der Haft bleibe bestehen und es komme zu Menschenrechtsverletzungen wie insbesondere der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Misshandlungen durch Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen. Außerdem werde die Aufhebung des Moratoriums für die Todesstrafe diskutiert und sei eine Aussetzung der Todesstrafe für Terroristen mehrfach angekündigt worden. Daraus sei abzuleiten, dass eine Verletzung von Art. 2 oder 3 nicht ausgeschlossen werden könne. Zudem sei die Entscheidung des Auslieferungsgerichts zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom XXXX 2021 gab das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Gelegenheit, binnen zwei Wochen die Einvernahme von Zeugen unter Angabe einer ladungsfähigen Adresse und des genau bezeichneten Beweisthemas zu beantragen sowie die als Beweismittel beabsichtigten Urkunden und Dokumente vorzulegen wobei darauf hingewiesen wurde, dass fremdsprachigen Dokumenten eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen ist.

Am 26.02.2021 fand in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch, der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seiner Identität und Herkunft und den persönlichen Lebensumständen, seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befragt wurde.

Am XXXX 2021 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.03.2021 zum Doppelbestrafungsverbot in Kasachstan.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist am XXXX in XXXX geboren, wo er bis zumindest 2013 lebte. Seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Kasachstan, gehört der Volksgruppe der Inguschen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Russisch. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Der Beschwerdeführer besuchte in Kasachstan neun Jahre die Schule und arbeitete gelegentlich auf Baustellen sowie als Security.

In XXXX in Kasachstan leben die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers, zu denen seine Ehefrau regelmäßig Kontakt hat.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet eingereist und stellte am 04.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer verwendete im Zuge seiner Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX 2018 eine falsche Identität, gab vor, russischer Staatsangehöriger zu sein und legte einen gefälschten russischen Führerschein sowie eine gefälschte russische Geburtsurkunde vor, um der in Kasachstan eingeleiteten Fahndung nach ihm zu entgehen.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. XXXX , vom XXXX 2019, wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB, des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und der Verbrechen der terroristischen Straftaten nach §§ 15, 278c Abs. 1 Z 1 iVm § 75 StGB, wobei es diesbezüglich beim Versuch blieb, zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer zwischen August 2013 und November 2015 an der Terrorvereinigung „Emirat Kaukasus“, einer tschetschenisch-separatistischen radikalislamisch-sunnitischen Gruppierung sowie an der Terrororganisation „IS-Islamic-State“ (in der Folge: „IS“) beteiligte.

Dazu reiste der Beschwerdeführer ab August 2013 in die Stadt XXXX nach Syrien in ein Ausbildungscamp für angehende Kämpfer gegen das syrische Regime und ließ sich dort in körperlicher Fitness, Kampftechnik, Taktik, Nahkampftechnik, Waffenhandhabung und islamischer Religion unterrichten. Zwischen September 2013 und Jänner 2014 schloss sich der Beschwerdeführer in der nordwestlich von XXXX gelegenen Stadt XXXX nach seiner Ausbildung der Gruppe „Jaish al-Muhajireen wal-Ansar“ (in der Folge: „JAMWA“) an, die den syrischen Flügel des „Emirat Kaukasus“ bildete und im syrischen Bürgerkrieg zunächst die Terrororganisation „Islamischer Staat in Syrien und Irak“ (ISIS) unterstützte und nahm bis Jänner 2014 aktiv an Kampfhandlungen gegen die syrische Armee teil. Zwischen Jänner 2015 und März 2015 reiste der Beschwerdeführer erneut nach Syrien, um „JAMWA“ zu verstärken und nahm bis Ende März 2015 rund um die Stadt XXXX aktiv an Kampfhandlungen gegen die syrische Armee teil. Am XXXX 2015 stellte der Beschwerdeführer auf seinem sozialen Profil von „ XXXX “ mit dem Namen „ XXXX “ mindestens vier unbekannten Personen glorifizierende Fotos seiner Erlebnisse und Kampfhandlungen in Syrien sowie der Terrororganisationen „IS“ und „Emirat Kaukasus“ bereit, um diese als Gleichgesinnte für die genannten Terrororganisationen zu gewinnen und deren Gedankengut zu verbreiten.

Durch diese Handlungen hat sich der Beschwerdeführer zumindest zwischen August 2013 und November 2015 in Syrien und allenfalls anderen Orten an der international agierenden terroristischen Vereinigung „IS“ als Mitglied in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikalislamischen Gottesstaat zu errichten und deren terroristische Straftaten zur Erreichung dieses Ziels förderte, wobei die genannte Vereinigung, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet, die durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaues, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.

Schließlich verteidigte der Beschwerdeführer als Mitglied der „JAMWA“ im Oktober/November 2013 in der Nähe von XXXX einen Frontstützpunkt gegen syrische Regierungstruppen und schoss in einem Häuserkamp mit seinem Sturmgewehr in Richtung der verschanzten Soldaten. Diese Taten waren geeignet, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens und eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens in Syrien, zumindest in der Provinz XXXX , herbeizuführen. Zudem handelte der Beschwerdeführer dabei mit dem Vorsatz, die nicht den Zielen der terroristischen Vereinigung „IS“ folgende, regierungstreue Zivilbevölkerung Syriens und die syrische Regierung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen des syrischen Staates in der Provinz XXXX , nämlich zumindest Polizeidienststellen, zur Unterlassung der Ausübung der Exekutivgewalt zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen (Grund-)Strukturen des syrischen Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören.

Bei der Strafzumessung wertete das Gericht als mildernd in erheblichem Umfang das umfassende Geständnis, weil der Beschwerdeführer vor allem die begangenen terroristischen Straftaten eingestand, von denen die Strafverfolgungsbehörden keine Kenntnis hatten, den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb und den bisher ordentlichen Lebenswandel. Als erschwerend berücksichtigte das Gericht das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen.

Der Beschwerdeführer vertritt nach wie vor eine radikalislamische Ideologie und zeigt hinsichtlich seiner Straftaten keine Reue.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit XXXX 2018 durchgehend in Haft, wobei das Landesgericht XXXX die Untersuchungshaft am XXXX 2018 verhängte und sich der Beschwerdeführer seit seiner Verurteilung am XXXX 2019 in Strafhaft befindet. Das errechnete Strafende fällt auf den XXXX 2030. Eine bedingte Entlassung ist frühestens ab XXXX 2024 möglich.

Die Ehefrau und die Tochter des Beschwerdeführers leben in Österreich und sind russische Staatangehörige, denen der Status der Asylberechtigten zukommt. Der Beschwerdeführer erhält ab und zu Besuch von seiner Ehefrau und Tochter im Gefängnis und telefoniert regelmäßig mit seiner Frau.

Der Beschwerdeführer hat geringfügige Deutschkenntnisse und ging während seines Aufenthaltes in Österreich weder einer beruflichen, noch einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach.

Zu den Fluchtgründen und zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer ist in Kasachstan nicht der Gefahr ausgesetzt, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe mit der Anwendung von physischer und oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Kasachstan der Gefahr ausgesetzt, wegen seines Aufenthaltes in Syrien, seiner Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und der aktiven Teilnahme an Kampfhandlungen in Syrien erneut strafrechtlich verfolgt und verurteilt zu werden.

Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Kasachstan auch der Gefahr der Folter sowie der unmenschlichen und erniedrigenden Strafe oder Behandlung ausgesetzt.

Zur maßgeblichen Situation in Kasachstan:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 03.03.2021, sowie der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Doppelbestrafungsverbot in Kasachstan vom 23.03.2021, wiedergegeben:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

1.       COVID-19

Aktuell ist die Pandemie in Kasachstan unter Kontrolle. Gemäß einer Information der Nachrichtenagentur Kazinform befindet sich mit Stand 20.2.2021 und in Bezug auf das in Kasachstan bestehende Covid-Ampelsystem keine einzige Region Kasachstans mehr in der „roten“ Zone (KI 20.2.2021; vgl. WKO 18.2.2021).

Es besteht eine umfassende Pflicht, im öffentlichen Raum einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Abstand zu halten. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen ohne Mund-Nasen-Schutz nicht genutzt werden. In Geschäften und im öffentlichen Raum gelten besondere Hygienemaßnahmen (AA 17.2.2021; vgl. WKO 18.2.2021, BMEIA 11.2.2021). Verboten sind die Durchführung von Massen-, Familien- und Gedenkveranstaltungen, Konferenzen usw. (WKO 18.2.2021).

In Kasachstan besteht keine Covid-Impfpflicht. Risikogruppen werden kostenlos geimpft werden (KI o.D.). Derzeit werden in der Hauptstadt Kasachstans Impfungen mit dem russischen Impfstoff Sputnik-V durchgeführt. Dreitausend Freiwillige wurden ab 25.12.2020 mit dem kasachischen Impfstoff QazCovid-In geimpft (Phase 3 der klinischen Studien). Dieser Impfstoff wurde befristet auf neun Monate registriert (KI 19.2.2021).

Die Einreise nach Kasachstan wird nur bei Vorlage eines negativen PCR-Tests gestattet, welcher zum Zeitpunkt des Grenzübertritts nicht älter als 72 Stunden sein darf. Direkt nach der Ankunft in Kasachstan werden Temperaturmessungen vorgenommen. Bei erhöhter Temperatur müssen Reisende sich bis zu zwei Tage in einem Quarantänekrankenhaus aufhalten. Dort erfolgt ein erneuter PCR-Test. Bei negativem Ergebnis darf das Quarantänekrankenhaus verlassen werden, bei positivem Testergebnis werden Reisende in ein Krankenhaus für ansteckende Krankheiten gebracht und müssen sich so lange dort aufhalten, bis das Virus nicht mehr nachgewiesen werden kann. Jeder Reisende muss zusätzlich bei Einreise einen Fragebogen ausfüllen. Reisende müssen ihren Aufenthaltsort in Kasachstan sowie ihre Kontaktdaten angeben (AA 17.2.2021).

Der internationale Flugverkehr findet regelmäßig statt. Inlandsflüge verkehren zwischen den meisten großen Städten des Landes. Auch Busse und Bahnen verkehren regelmäßig (AA 17.2.2021; vgl. WKO 18.2.2021).

[…]

2.       Politische Lage

Kasachstan ist eine Präsidialrepublik mit starker Stellung des Präsidenten (GIZ 11.2020a; vgl. AA 26.2.2020a, AA 26.2.2020b). Die Verfassung aus dem Jahr 1995 orientiert sich an der französischen Verfassung und räumt dem Präsidenten weitgehende Befugnisse ein. Der Präsident hat das Vorschlagsrecht für den Premier- und weitere Minister und ernennt und entlässt die Regierung sowie die Hakims (Gouverneure) der Gebiete des Landes (GIZ 11.2020a). Der Präsident ernennt und entlässt den Generalstaatsanwalt und Richter (USDOS 11.3.2020; vgl. BTI 2020). Die Richter des Obersten Gerichtshofes werden vom Präsidenten vorgeschlagen (FH 6.3.2020). Der Präsident hat das Recht, das Parlament aufzulösen, und ist Oberbefehlshaber der Armee. Für Verfassungsänderungen ist die Zustimmung des Präsidenten erforderlich. Die Regierung ist dem Präsidenten gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig gegenüber dem Parlament. Der Präsident wird vom Volk direkt gewählt für eine Amtszeit von fünf Jahren. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2017 erfolgte eine Kompetenzverlagerung vom Präsidenten zu Parlament und Regierung (GIZ 11.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Dadurch erhielt das Parlament unter anderem mehr Einfluss bei der Auswahl des Premierministers und der Kabinettsmitglieder. Außerdem wurden die Möglichkeiten des Präsidenten eingeschränkt, durch Dekrete zu regieren (FH 4.3.2020).

Am 9.6.2019 fanden vorgezogene Präsidentenwahlen statt. Die Wahlbeteiligung betrug ca. 77,5%. Die Anzahl der Wahlberechtigten betrug ca. 12 Millionen. Insgesamt traten 7 Kandidaten zur Wahl an. Tokaew von der Partei Nur Otan (Vaterlandspartei) erhielt 70,96% der Stimmen, gefolgt von Amirschan Kosanow mit 16,23% der Stimmen und der bisher einzigen weiblichen Kandidatin Danija Espaewa mit 5,05% der Stimmen (GIZ 11.2020a; vgl. OSCE/ODIHR 4.10.2019, ZK 10.6.2019, AA 26.2.2020b, IFES o.D.c, ZA 28.6.2019). Die OSZE kritisierte Unzulänglichkeiten des Wahlgesetzes und stellte in Bezug auf die Präsidentenwahlen am 9.6.2019 signifikante Unregelmäßigkeiten fest (OSCE/ODIHR 4.10.2019; vgl. CACA 18.6.2019). Die Präsidentenwahl 2019 war von Bürgerprotesten begleitet, welche zu zahlreichen Festnahmen führten (GIZ 11.2020a; vgl. OSCE/ODIHR 4.10.2019).

Kasachstan wird autoritär regiert (FH 6.3.2020; vgl. BTI 2020, HSS 19.1.2021). Die Gewaltenteilung bleibt schwach ausgeprägt. Am stärksten ist die Machtfülle bei der Exekutive und hier im Speziellen beim Präsidenten. Das Regime verhindert durch Unterdrückung oppositioneller Strömungen das Entstehen neuer politischer Kräfte (BTI 2020; vgl. GIZ 11.2020a). Politische Parteien müssen beim Justizministerium registriert sein. Derzeit gibt es in Kasachstan sechs registrierte Parteien. Seit mehreren Jahren wurden keine neuen Parteien mehr registriert (HSS 19.1.2021; vgl. ZA 29.1.2021, OSCE/ODIHR 11.1.2021).

Das Parlament besteht aus zwei Kammern: Senat und Maschilis. Der Senat hat 47 Sitze. 15 Senatoren werden direkt vom Präsidenten ernannt, 32 von den Volksvertretungen der Gebiete für sechs Jahre gewählt. Die Maschilis, das Unterhaus des Parlaments, hat 107 Sitze. 98 Abgeordnete werden alle fünf Jahre nach Parteilisten von der Bevölkerung gewählt, neun Sitze von der Volksversammlung Kasachstans, einer speziellen Vertretung der vielen Nationalitäten des Landes, besetzt (GIZ 11.2020a; vgl. AA 26.2.2020b, IFES o.D.b, HSS 19.1.2021).

Am 10.1.2021 fanden in Kasachstan die letzten Parlamentswahlen statt. Es wurden 98 Abgeordnete des Unterhauses gewählt. Nach Angaben der Wahlkommission setzte sich am 10.1.2021 die Regierungspartei Nur Otan mit 71,09% der abgegebenen Stimmen (76 Sitze) gegen die übrigen angetretenen, regierungsfreundlichen Parteien durch. Die Demokratische Partei Ak Schol erhielt 10,95% der abgegebenen Stimmen (12 Sitze), die Volkspartei 9,10% (10 Sitze), die Volksdemokratische Patriotische Partei Auyl 5,29% und die Partei Adal 3,57% der abgegebenen Stimmen. Die Nationale Sozialdemokratische Partei hatte die Wahl boykottiert. In den Monaten vor der Wahl und am Wahltag selbst wurden Dutzende Oppositionelle festgenommen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte mangelnde Transparenz des Wahlprozesses, fehlenden Wettbewerb und Unregelmäßigkeiten beim Auszählen sowie der Auswertung der abgegebenen Stimmen. Auch kritisierte die OSZE, dass folgende Personengruppen nicht wahlberechtigt waren: Personen, welche aufgrund intellektueller und psychosozialer Beeinträchtigungen gerichtlich entmündigt waren, und alle Häftlinge. Die Wahlbeteiligung betrug 63,3% (BAMF 18.1.2021; vgl. OSCE/ODIHR 11.1.2021, ZK 12.1.2021, IFES o.D.a, IWPR 18.1.2021, HSS 19.1.2021, ZA 29.1.2021).

Am 1.3.2020 trat ein erweitertes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kasachstan in Kraft (EEAS o.D.).

[…]

3.       Sicherheitslage

In Kasachstan gibt es vereinzelt terroristische Angriffe, zuletzt im Jahr 2016 auf ein Waffengeschäft in Aktobe und auf eine Polizeistation in Almaty. Die innenpolitische Lage ist derzeit stabil. Vereinzelte Demonstrationen und Festnahmen wie nach den Präsidentenwahlen 2019 oder zuletzt nach den Parlamentswahlen Anfang Jänner 2021 können nicht ausgeschlossen werden (AA 17.2.2021; vgl. GIZ 11.2020a, OSCE/ODIHR 4.10.2019, MR 2020).

Kasachstan verfügt über eine umfassende Anti-Terrorismus-Gesetzgebung. Hauptverantwortlich für den Anti-Terror-Bereich ist das Komitee für Nationale Sicherheit, welches Maßnahmen der staatlichen Agenturen koordiniert. 2017 unterzeichnete der [damalige] Präsident ein Gesetz, welches es der Regierung erlaubt, Kasachen im Falle von Verurteilungen für Terrorismus- und Extremismusverbrechen ihre Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Bisher wandte die Regierung dieses Gesetz in der Praxis nicht an. Laut offiziellen Schätzungen befanden sich 2019 mehr als 90 Kasachen in Syrien, und sechs Frauen waren im Irak inhaftiert (USDOS 24.6.2020).

Zwischen Jänner und Juni 2019 wurden von der Regierung 595 Kasachen aus Syrien nach Kasachstan rückgeführt, darunter 33 männliche Auslandsterrorkämpfer/FTFs [Foreign Terrorist Fighters]. Was den Umgang mit Rückkehrern aus Syrien und Irak anlangt, wird einerseits ein Rehabilitationsprogramm umgesetzt, andererseits finden Verhaftungen und gerichtliche Verfolgungen statt. In manchen Fällen scheinen Terrorismusanklagen mit politischen Oppositionsaktivitäten in Verbindung zu stehen. Ortsansässige Forscher schätzen, dass 90% der Anklagen nach Terrorismus- und Extremismusgesetzen mit keinen begangenen oder geplanten Gewalttaten im Zusammenhang stehen. Mit Stand Juni 2019 verbüßten in etwa 600 Personen eine Haftstrafe wegen Terrorismus und „Extremismus“ (USDOS 24.6.2020).

[…]

4.       Rechtsschutz/Justizwesen

Das Gesetz sieht keine unabhängige Justiz vor. Diese wird in der Praxis von der Exekutive stark eingeschränkt. Überdies dominiert der Staatspräsident generell die Justiz. Der Präsident ernennt und entlässt den Generalstaatsanwalt und Richter. Die Richter des Obersten Gerichtshofes werden auf Vorschlag des Präsidenten vom Oberhaus des Parlaments (Senat) gebilligt (USDOS 11.3.2020; vgl. BTI 2020, FH 6.3.2020).

Alle Angeklagten genießen die Unschuldsvermutung. Für Schwerverbrechen wie Menschenhandel und die Beteiligung Minderjähriger an kriminellen Aktivitäten sind Geschworenenprozesse vorgesehen. Aktivisten kritisieren, dass Geschworene, Experten und Zeugen Druck durch Richter ausgesetzt sind. Bei Nichtumsetzung richterlicher „Empfehlungen“ kann die Geschworenenversammlung leicht aufgelöst werden. Mittellose Angeklagte in Strafsachen haben das Recht auf Beratung und einen von der Regierung zur Verfügung gestellten Anwalt. Laut Beobachtern dominieren Staatsanwälte die Prozesse, Verteidiger spielen eine untergeordnete Rolle. Angeklagte haben das Recht, eine Entscheidung vor einem höheren Gericht anzufechten. Fehlende Rechtsstaatlichkeit bleibt ein Problem, insbesondere in Prozessen mit Bürgeraktivisten, welche gegen die Präsidentenwahl 2019 protestierten. Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen berichteten über zahlreiche Probleme im Justizsystem, darunter fehlenden Zugang zu Gerichtsverfahren, mangelnden Zugang zu staatlichen Beweismitteln, häufige Verfahrensverstöße, Verweigerung von Verteidigungsanträgen und das Versäumnis von Richtern, Vorwürfen gegen die Behörden bezüglich durch Folter erzwungener Geständnisse nachzugehen. Korruption ist in gerichtlichen Verfahren offensichtlich. Obwohl Richter zu den am besten verdienenden Regierungsbediensteten gehören, behaupten Anwälte und Menschenrechtsbeobachter, dass Richter, Staatsanwälte und andere Beamte Bestechungsgelder im Austausch für günstige Entscheidungen in vielen Straf- und Zivilsachen verlangen. Richter wurden wegen Verstößen gegen die gerichtliche Ethik bestraft. Gemäß offiziellen Statistiken wurden im ersten Halbjahr 2019 fünf Richter wegen Korruption verurteilt. Staatsanwälte haben eine quasi-richterliche Funktion und sind befugt, Gerichtsentscheidungen auszusetzen. Obgleich es den Gerichten obliegt, Haftbefehle zu bewilligen oder zu verweigern, werden Haftanträge der Staatsanwaltschaft in der überwiegenden Mehrheit der Fälle bewilligt. Staatsanwälte sind befugt, die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte der Bürger zu beschränken (USDOS 11.3.2020).

[…]

5.       Sicherheitsbehörden

Die Zentralregierung hat die Kontrolle über die Mehrheit des Territoriums Kasachstans. Teilweise werden Gebiete, vor allem in West- und Südkasachstan, von organisierten kriminellen Gruppierungen kontrolliert (BTI 2020). Die Sicherheitskräfte werden effektiv von den zivilen Behörden kontrolliert (USDOS 11.3.2020).

Das kasachische Innenministerium beaufsichtigt die nationale Polizei, welche vor allem für die innere Sicherheit verantwortlich ist. Das Komitee für Nationale Sicherheit spielt eine wichtige Rolle bei der Grenzsicherheit, der inneren Sicherheit, bei Anti-Terror-Maßnahmen und bei der Ermittlung und dem Verbot von illegalen oder nicht registrierten Gruppen, wie z.B. extremistischen, militärischen, politischen, religiösen Gruppierungen und Gewerkschaften. Das Komitee für Nationale Sicherheit legt seine Berichte direkt dem Präsidenten vor (USDOS 11.3.2020).

Das Komitee für Nationale Sicherheit hat die Befugnis, Korruption durch Beamte von Geheimdiensten, des Antikorruptionsbüros und des Militärs zu untersuchen. Korruption unter den Gesetzesvollzugsorganen ist weit verbreitet (USDOS 11.3.2020).

Personen, welche verhaftet, festgehalten oder beschuldigt werden, ein Verbrechen begangen zu haben, haben von Anfang an das Recht auf einen Anwalt. Die Strafprozessordnung verpflichtet die Polizei, Verhaftete über ihre Rechte aufzuklären. Es ist erlaubt, bei Schwerverbrechen, Terrorverbrechen, Drogenhandelsdelikten usw. einen Gefangenen bis zu 72 Stunden vor der Anklage festzuhalten. Gemäß Menschenrechtsbeobachtern nutzen Behörden gelegentlich die Untersuchungshaft, um Geständnisse mittels Folter und Misshandlungen zu erlangen. Willkürliche Verhaftungen und Festnahmen sind gesetzlich verboten, kommen in der Praxis aber vor (USDOS 11.3.2020).

[…]

6.       Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter. Dennoch existieren Berichte, dass Häftlinge von Polizei- und Strafvollzugsbeamten gefoltert und misshandelt wurden (USDOS 11.3.2020).

Die Ombudsperson verzeichnete im Jahr 2018 148 Beschwerden über Folter, Gewalt und andere grausame und erniedrigende Behandlungen und Bestrafungen und äußerte sich besorgt über berichtete steigende Zahlen von Misshandlungen in Haftanstalten (USDOS 11.3.2020). Amnesty International berichtet, dass der Nationale Präventionsmechanismus im Jahr 2018 176 Beschwerden wegen mutmaßlicher Misshandlungen und Folter in Haftanstalten an die Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet hat (AI 16.4.2020). Die Coalition Against Torture, ein Netzwerk von NGOs und Experten, berichtet, zwischen Jänner und Juni 2020 140 Beschwerden wegen Foltervorwürfen erhalten zu haben (HRW 13.1.2021).

Es besteht Straflosigkeit für Folter und Misshandlungen (HRW 13.1.2021). Misshandlungsvorwürfe werden von Behörden nicht ausreichend untersucht (USDOS 11.3.2020).

2014 wurde per Gesetz der Nationale Präventionsmechanismus gegen Folter (NPM) geschaffen. Der NPM ist Teil der Ombudsstelle (Büro des Menschenrechtsbeauftragten) und somit kein von der Regierung unabhängiges Organ. Manche Beobachter meinen, dass es dem NPM an ausreichend qualifiziertem und ausgebildetem Personal mangelt (USDOS 11.3.2020).

[…]

7.       Allgemeine Menschenrechtslage

Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen, Folter, politische Gefangene, mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, Meinungsfreiheitsdefizite, Einschränkungen der Pressefreiheit, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, mangelnde politische Partizipationsmöglichkeiten, Korruption, Menschenhandel sowie das Verbot von unabhängigen Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).

Die Opposition wird von den Behörden unterdrückt und mit Haftstrafen belegt. Tonangebende Medien sind entweder in staatlichen Händen oder im Besitz von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten (FH 4.3.2020).

Trotz Reformierung des Gewerkschaftsgesetzes bestehen weiterhin Einschränkungen für unabhängige Organisationen. Die größte unabhängige Gewerkschaft des Landes, der Kongress Freier Gewerkschafter, bleibt unregistriert. Regierungskritiker und Journalisten werden schikaniert und strafrechtlich verfolgt. Es besteht Straflosigkeit für Folter und Misshandlungen (HRW 13.1.2021).

2014 wurde per Gesetz der Nationale Präventionsmechanismus gegen Folter (NPM) geschaffen. Der NPM ist Teil der Ombudsstelle (Büro des Menschenrechtsbeauftragten) und somit kein von der Regierung unabhängiges Organ. Manche Beobachter meinen, dass es dem NPM an ausreichend qualifiziertem und ausgebildetem Personal mangelt. Die Ombudsperson für Menschenrechte wird vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt. Die Ombudsperson darf zwar Beschwerden gegen Personen untersuchen, nicht aber Beschwerden gegen Entscheidungen des Präsidenten, des Parlaments, des Verfassungsrates, des Generalstaatsanwalts, der Zentralen Wahlkommission, von Gerichten usw. (USDOS 11.3.2020).

[…]

8.       Haftbedingungen

Gemäß offiziellen Angaben befanden sich mit Stand 1.3.2020 insgesamt 29.403 Personen in Kasachstan in Haft. 19,7% davon befanden sich in Untersuchungshaft. 7,1% der Häftlinge waren weiblich. 0,2% der Häftlinge waren minderjährig. Im Jahr 2020 gab es in Kasachstan 82 Haftanstalten. Mit Stand August 2019 waren 62,4% der Haftanstalten belegt (WPB o.D.).

Die Haftbedingungen sind rau und manchmal lebensbedrohlich, die sanitären und hygienischen Bedingungen unbefriedigend. Die Einrichtungen entsprechen nicht den internationalen Gesundheitsstandards. Gesundheitliche Probleme werden in vielen Fällen nicht behandelt oder die Haftbedingungen verschärfen diese noch. Die Verbindung zur Außenwelt ist ebenso eingeschränkt wie der Informationsfluss über Häftlingsrechte. Zur Behebung von infrastrukturellen Problemen in den Gefängnissen wurden von den Behörden zwischen Jänner und September 2019 vier Gefängnisse mit den schlechtesten Bedingungen und 2018 acht Gefängnisse geschlossen (USDOS 11.3.2020).

Die Praxis von Misshandlungen und Folter in Polizeigefängnissen, Untersuchungshaftanstalten und gewöhnlichen Haftanstalten besteht weiterhin (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

[…]

9.       Todesstrafe

Am 25.9.2020 unterzeichnete der ständige Vertreter Kasachstans bei den Vereinten Nationen, Kairat Umarow, das zweite optionale Protokoll des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte mit dem Ziel der Abschaffung der Todesstrafe. Das Strafgesetzbuch sah bisher die Todesstrafe für tödlichen Terrorismus oder besonders schwere Kriegsverbrechen vor. Die letzte Hinrichtung in Kasachstan wurde 2003 vollstreckt, seitdem war die Todesstrafe mit einem Moratorium belegt (ZA 30.9.2020; vgl. RFE/RL 2.1.2021, DW 2.1.2021, DS 2.1.2021). Gemäß einer Mitteilung des Präsidialamts vom 2.1.2021 unterzeichnete der Staatspräsident ein Gesetz, mit welchem die Todesstrafe endgültig abgeschafft wird (OWP 2.1.2021; vgl. DW 2.1.2021, DS 2.1.2021).

[…]

10.       Religionsfreiheit

Laut Schätzungen aus dem Jahr 2019 hat Kasachstan rund 18,9 Millionen Einwohner. Gemäß der Volkszählung aus dem Jahr 2009 sind ca. 70% der kasachischen Bevölkerung Muslime. Die meisten hiervon gehören der sunnitischen Hanafi-Schule an, welche von der Regierung bevorzugt behandelt wird. Christen machen 26% aus. Andere Religionsgemeinschaften (z.B. Juden, Buddhisten) umfassen weniger als 5% der Bevölkerung (USDOS 10.6.2020; vgl. GIZ 11.2020b, USCIRF 4.2020).

Kasachstan ist laut Artikel 1 der Verfassung ein säkularer Staat, Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung der Religionen sind garantiert. Politisch-religiöse Vereinigungen sind verboten (RISK o.D.; vgl. GIZ 11.2020b, MR 2020, USCIRF 4.2020).

Religiöser Extremismus wird von der Regierung breit definiert und dazu verwendet, gegen politische Gegner vorzugehen (USCIRF 4.2020). In manchen Fällen scheinen Terrorismusanklagen mit politischen Oppositionsaktivitäten in Verbindung zu stehen (USDOS 24.6.2020).

Religiöse Gruppen müssen sich per Gesetz beim Justizministerium registrieren lassen (BTI 2020). Aktivitäten nicht-registrierter religiöser Gruppierungen sind verboten (FH 4.3.2020; vgl. USCIRF 4.2020). Das aktuelle Religionsgesetz stammt aus dem Jahr 2011 und entstand, nachdem es im selben Jahr in Kasachstan zu islamistischen Terroranschlägen gekommen war. Durch dieses Gesetz wurden religiöse Gruppen gezwungen, sich erneut registrieren zu lassen. Gesetzlich vorgesehen ist ein so genanntes Expertenreview, was Gründungsunterlagen und religiöse Literatur anbelangt. Die Gesamtzahl an registrierten religiösen Gruppierungen sank nach 2011 infolge des Religionsgesetzes und führte vor allem zu einem zahlenmäßigen Rückgang an registrierten „nicht-traditionellen“ Gruppen. Die Baptisten verweigern die Registrierung ihrer Glaubensgemeinschaft. Die Regierung bürdet den Kirchen aller Konfessionen große Beschränkungen auf. Sie begründet das mit der Bedrohung durch den Terrorismus und schränkt damit die Religionsfreiheit ein (MR 2020; vgl. USCIRF 4.2020, OD o.D.).

Religiöse Gruppen dürfen ihren Glauben nur an staatlich genehmigten Orten praktizieren, ansonsten drohen Geldstrafen. Die Veröffentlichung und Verbreitung religiöser Literatur sind nur eingeschränkt erlaubt (USDOS 10.6.2020).

Der Islam wird von der Führung für das „State- und Nationbuilding“ verwendet. Seit der Unabhängigkeit wurden mit staatlichem Segen neue Moscheen errichtet. Islamische Feiertage werden eingehalten. Kasachstan ist Mitglied der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und hatte dort 2011 sogar den Vorsitz inne. Daneben besteht ein Volksislam, der manches Element der vorislamischen Zeit enthält. Er wird eher kulturell, als streng den religiösen Geboten folgend, gelebt. Im Alltagsleben der Städte spielt der Islam noch kaum eine Rolle, in den traditionelleren Dörfern des Südens ist er stärker verankert, wobei es auch zu Konflikten zwischen den Bestimmungen des säkularen Staates und den religiösen Regeln kommt. Neue, sich unabhängig vom staatlichen Islam entwickelnde Bekenntnisse zum Islam werden allerdings kritisch gesehen (GIZ 11.2020b).

Das Tragen von Hidschabs in Schulen ist verboten, was weiterhin den Widerstand von muslimischen Eltern und Schülern hervorrief (USCIRF 4.2020).

Gemäß dem Christenverfolgungsindex von Open Doors befindet sich Kasachstan auf Rang 41 (Vorjahr: Rang 35). Gemäß diesem Index bedeutet der Rang 41 ein hohes Ausmaß der Verfolgung (OD o.D., OD 2021).

Durch die Emigration von vor allem Russen und Ukrainern ist die Zahl der nominell wie tatsächlich russisch-orthodoxen Gläubigen stark zurückgegangen. Gleiches gilt für Protestanten und Katholiken durch die Aussiedlung von Deutschen und Polen. Das Verhältnis zwischen Islam und christlichen Kirchen ist entspannt. Sogenannte „nichttraditionelle Religionen“ – Scientology, Hare Krishna, Mormonen - hatten und haben Zulauf, was Widerspruch bei den Amtsträgern der traditionellen Glaubensrichtungen hervorruft und den Staat zum Handeln veranlasst hat. Beobachter beklagen den Versuch des Staates, auch religiöse Angelegenheiten traditioneller Glaubensrichtungen zu kontrollieren (GIZ 11.2020b).

Im Jahr 2020 erhielten 112 Personen, drei Wohltätigkeitsorganisationen und ein Unternehmen Verwaltungsstrafen wegen Teilnahme an religiösen Zeremonien, Darbietung religiöser Literatur und Utensilien, Glaubensverbreitung usw. Betroffen waren vor allem Muslime, Baptisten, Zeugen Jehovas und ein Hare-Krishna-Anhänger. Dreimal wurde gerichtlich die Vernichtung beschlagnahmter religiöser Bücher angeordnet. Im Vergleich mit den Jahren 2017 (284), 2018 (171) und 2019 (168) kam es im Jahr 2020 zu einem Rückgang an Verwaltungsverfahren wegen Religionsverstößen (Forum 2.2.2021).

[…]

11.       Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert die innere Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Trotz einiger Einschränkungen respektiert die Regierung im Allgemeinen diese Rechte und kooperiert mit dem Flüchtlingshochkommissariat und anderen humanitären Organisationen, um Binnenflüchtlingen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen, Asylwerbern, Staatenlosen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu gewähren (USDOS 11.3.2020).

[…]

12.       Grundversorgung/Wirtschaft

Sozialversichert im Rahmen der Pflichtversicherung sind Arbeitnehmer bzw. Personen, welche bezahlte Arbeiten ausüben; Unternehmer; Personen, welche privaten beruflichen Tätigkeiten nachgehen; Rückkehrer (Oralmans), welche dauerhaft in Kasachstan leben und einer in Kasachstan einkommensschaffenden Tätigkeit nachgehen (e.gov 25.1.2021).

Die Mindestbemessungskennziffern sind für 2021 mit folgenden Beträgen angesetzt: Mindesteinkommen (MSP) 42.500 KZT [kasachische Tenge] [ca. 84 Euro]; Mindestpension 43.272 KZT [ca. 85 Euro]; staatliche Grundrentenleistung 18.524 KZT [ca. 36 Euro]; Höhe des Existenzminimums zur Berechnung von Grundsozialleistungen 34.302 KZT [ca. 67 Euro]; Monatsbemessungskennziffer (MRP) zur Berechnung von Sozialleistungen, Strafgeldern, Steuern usw. 2.917 KZT (e.gov 30.12.2020).

Die Dauer des Mutterschaftsurlaubs beträgt 126 Kalendertage (70 Kalendertage vor der Geburt und 56 Kalendertage nach der Geburt). Gemäß Gesetz darf der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsurlaub betroffene Personen nicht entlassen. Ein solcher Urlaub kann grundsätzlich vom Vater, der Mutter oder in Notfällen von engsten Verwandten in Anspruch genommen werden (e.gov 5.1.2021).

Sozialleistungen im Falle eines Einkommensausfalls wegen Schwangerschaft, Geburt oder Adoption eines Neugeborenen werden als Einmalbeträge gewährt. Hingegen wird das Kinderbetreuungsgeld monatlich und ab dem ersten Geburtstag des Kindes ausbezahlt. Anlässlich der Geburt eines Kindes wird für das erste bis dritte Kind das 38-fache des MRP-Wertes ausbezahlt (110.846 KZT [ca. 218 Euro] mit Stand 2021) und für das vierte und weitere Kinder das 63-fache des MRP-Wertes. Das monatliche Kinderbetreuungsgeld beträgt für das erste Kind das 5,76-fache des MRP, für das zweite das 6,81-fache des MRP, für das dritte das 7,85-fache des MRP und für jedes weitere Kind das 8,9-fache des MRP (e.gov 5.1.2021).

Im Jahr 2020 betrug der durchschnittliche Bruttomonatslohn in Kasachstan 454 Euro (WIIW o.D.). Der Umfang der Sozialleistungen (Arbeitslosengeld) im Falle eines Arbeitsplatzverlustes wird ermittelt durch Multiplikation des durchschnittlichen Monatseinkommens mit dem Faktor eines Ersatzeinkommens und der Länge der Beschäftigungszeit. Gemäß dem obligatorischen Sozialversicherungssystem erhalten Personen im Falle eines Arbeitsplatzverlustes nach Beitragseinzahlungen abgestuft zwischen einem Monat und sechs Monaten Arbeitslosengeld (e.gov 25.1.2021).

In Kasachstan besteht das innerhalb Zentralasiens am höchsten entwickelte Bankensystem (GIZ 11.2020c).

Kasachstan ist stark abhängig von Rohölexporten. Das Land gehört mit nachgewiesenen Vorkommen in Höhe von 30 Milliarden Barrel zu den zwanzig größten Kohlewasserstoffproduzenten der Welt, und es werden immer wieder neue Vorkommen gemeldet. Die Angaben über die vermuteten wie auch nachgewiesenen Vorkommen schwanken erheblich. Niedrige Ölpreise und strenge Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus haben die kasachische Wirtschaft geschwächt (WKO 10.2020; vgl. JF 26.1.2021, WB 29.1.2021, GIZ 11.2020c). Aufgrund der Covid-Pandemie und eines Ölpreisschocks sank das BIP um ca. 2,6% im Jahr 2020. Die wirtschaftliche Diversifizierung kommt schwerfällig voran (JF 26.1.2021; vgl. WB 29.1.2021, WIIW o.D.). Diversifizierung bleibt weiterhin wichtiges Ziel der staatlicher Wirtschaftspolitik, d.h. man will weg von der starken Orientierung auf den Erdölexport, stattdessen sollen Produktions- wie Exportziffern der verarbeitenden Industrie gesteigert, neue Technologien eingeführt und der Energieverbrauch gesenkt werden (GIZ 11.2020c). Die kasachischen Importe sanken um 780 Millionen USD. Auch die Hauptexportprodukte Kasachstans (vor allem Rohstoffe) verzeichnen starke Rückgänge: Erdöl, Zink, Kupfer, Aluminium und Blei. Zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft hat der Staatspräsident ein 14 Milliarden USD schweres Hilfspaket (9% des BIP) geschnürt und Wirtschaftsreformen eingeleitet (WKO 10.2020; vgl. EBRD o.D.). Die Maßnahmen zielen unter anderem ab auf Unterstützung der Liquidität von Personen, Firmen und des Bankensektors (EBRD o.D.; vgl. WB 8.1.2021). Systemrelevante Schlüsselunternehmen (Bauunternehmen, Transport- und Energieunternehmen, Verarbeitungsunternehmen usw.) werden vom Staat besonders unterstützt. Diese Betriebe erhalten beispielsweise Staatsgarantien, Steueraufschübe und erleichterten Zugang zu Krediten (WKO 18.2.2021; vgl. WB 8.1.2021).

Die Masse der genutzten landwirtschaftlichen Anbauflächen (mehr als 20 Millionen Hektar) befindet sich noch in Staatsbesitz und wird langfristig verpachtet. Vor allem wird – im Norden des Landes – Getreide produziert, im Süden Obst/Früchte und in Bewässerungsfeldbau Baumwolle. Auch die Produktion von Zuckerrüben und Tabak ist von Bedeutung. Der Weinbau an den Vorbergen des Tien-Schan befindet sich noch im (Wieder-)Aufbau (GIZ 11.2020c).

[…]

13.       Medizinische Versorgung

Die Reform des Gesundheitswesens wurde und wird mit vielerlei Programmen vorangetrieben. Ein Überblick zeigt, dass der Gesundheitszustand der Bürger Kasachstans zu wünschen übrig lässt. Nur eine Grundsicherung auf niedrigem Niveau ist kostenfrei, die notwendige Zuzahlung für viele Untersuchungen, plus die häufig geforderten „inoffiziellen“ Zahlungen schließen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, gerade Rentner, von der medizinischen Betreuung aus. Wer viel zahlen kann, wird bestens und auf höchstem Niveau behandelt. Das Versorgungsangebot ist auch sehr ungleichmäßig, wie überall in den Städten besser als auf dem Land, manche Gebiete Kasachstans sind aber auch sehr viel schlechter versorgt als andere. Dies wird sogar in einem mehrjährigen Unterschied beispielsweise der Lebenserwartung der Bevölkerung sichtbar: im Gebiet Nord-Kasachstan betrug sie 2010 66,3 Jahre, in der Stadt Astana 73,2 Jahre. Die Bezahlung des im öffentlichen Sektor beschäftigten medizinischen Personals ist sehr niedrig, was sich auf die Reputation der Gesundheitsberufe und manchmal auch das Engagement auswirkt (GIZ 11.2020b).

Die ärztliche und zahnärztliche Versorgung in Kasachstan entspricht nicht europäischen Verhältnissen. Leichte Erkrankungen können in den größeren Städten des Landes behandelt werden. Inzwischen gibt es vor allem in Almaty und Nur-Sultan vereinzelt kleinere Kliniken mit internationalem Standard (SOS International, IMC, Interteach). Die Ausstattung der Apotheken in Kasachstan entspricht nicht europäischem Standard, jedoch sind in der Regel ausreichend Medikamente zur Behandlung unkomplizierter Krankheiten vorhanden (AA 17.2.2021).

Tuberkulose stellt in Kasachstan ein relevantes Gesundheitsproblem dar. Es werden immer noch über 100 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner pro Jahr erfasst. Die Resistenzrate des Tuberkelerregers gegen die üblichen Tuberkulosemedikamente ist relativ hoch (AA 17.2.2021).

Seit 2016 gibt es eine gesetzliche Krankenversicherung, im Rahmen derer der Staat eine kostenlose medizinische Behandlung in einem festgelegten Umfang garantiert. Gemäß einer Information der kasachischen Stiftung für Sozial-medizinische Versicherung garantiert der Staat eine kostenlose medizinische Versorgung in folgenden Bereichen: Medizinische Versorgung in dringenden Fällen, Notfallversorgung, medizinische Versorgung in Polikliniken, Diagnostik und Behandlung gesellschaftlich bedeutsamer (Tuberkulose, HIV usw.) und chronischer Erkrankungen (Diabetes usw.), stationäre medizinische Versorgung und Versorgung mit Arzneimitteln im Bereich der fachmedizinischen Versorgung. Dienstleistungen, welche nicht als essentiell angesehen werden, wie beispielsweise Zahnbehandlungen und plastische Chirurgie, sind gebührenpflichtig (FSMS o.D.; vgl. WKO 23.10.2020).

[…]

14.       Rückkehr

Die Lage der Zuwanderer ist prekär, sowohl der kasachischen, welche auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen vom Land in die Städte kommen und dort auf Wohnungsprobleme stoßen und nur wenig Geld mit wenig qualifizierten Tätigkeiten verdienen, als auch der Arbeitsmigranten aus den benachbarten zentralasiatischen Republiken, deren Status und soziale Lage nach wie vor problematisch sind (GIZ 11.2020b).

Den so genannten Oralmans (Rückkehrer) kommen in Kasachstan unter anderem folgende Rechte zu: Unterstützung in beruflichen Belangen (berufliche Entwicklung und Umschulungen), Befreiung vom Wehrdienst im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, Quotenplätze für Berufsausbildungen in mittlere und höheren Schulen, Bereitstellung von Schulplätzen für Kinder in Vorschuleinrichtungen und Schulen und anderen Sozialinstitutionen, Anspruch auf Auszahlung von Pensionen und Beihilfen, kostenlose medizinische Versorgung, zoll- und steuerfreies Überqueren der Grenzen, kostenlose Anreise an einen dauerhaften Wohnort mitsamt Transport des Eigentums (einschließlich Viehbestand) und Bereitstellung von Geldmitteln für den Erwerb von Wohnraum (e.gov 3.12.2020a; vgl. e.gov 3.12.2020b).

[…]

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Doppelbestrafungsverbot

Kennt die kasachische Rechtsordnung eine Doppelbestrafung, wenn in einem anderen der europäischen Gerichtsbarkeit unterworfenen Staat (hier: Österreich) bereits eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist?

[…]

Einzelquelle:

Der Vertrauensanwalt der ÖB Nur-Soltan berichtet, dass in Kasachstan ein Doppelbestrafungsverbot in der Rechtsordnung herrscht, welches in der kasachischen Verfassung, im Strafgesetzbuch und im Strafverfahrensgesetz ausdrücklich festgehalten ist. Demgemäß darf niemand für denselben Gesetzesverstoß mehrfach bestraft werden. Bereits begonnene Strafverfahren sind zu beenden, wenn bereits ein abschließendes Gerichtsurteil zum selben Gesetzesverstoß existiert. Bürger Kasachstans, welche eine Straftat außerhalb Kasachstans begingen, dürfen für diese Straftat nur dann in Kasachstan strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie nicht bereits in jenem Land strafrechtlich verfolgt wurde, wo die Straftat begangen wurde.

„Derselbe Gesetzesverstoß“ ist restriktiv zu interpretieren und muss exakt denselben Artikel/Paragrafen/Absatz/Ziffer des Strafgesetzbuches betreffen. Sollten die Gesetzesverstöße zwei unterschiedliche Artikel/Paragrafen/Absätze/Ziffern betreffen, sind diese Gesetzesverstöße separat strafgerichtlich zu verfolgen (ÖB – Österreichische Botschaft Nur-Soltan 18.3.2021: Auskunft des Vertrauensanwaltes, per Email).

[…]

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch:

-        Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, insbesondere in das Protokoll der Erstbefragung am XXXX 2015, der niederschriftlichen Einvernahmen am XXXX 2018 und XXXX 2019 sowie in die Beschwerde vom XXXX 2019;

-        Einsichtnahme in das aktuelle Länderinformationsblatt zu Kasachstan;

-        Einsichtnahme in die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Doppelbestrafungsverbot in Kasachstan vom 23.03.2021;

-        Einvernahme des Beschwerdeführers am 26.02.2021;

-        Einsichtnahme in das Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX , vom XXXX 2019;

-        Einsicht in das Strafregister

-        Einsicht in das Grundversorgungs-Informationssystem.

Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem derzeitigen Familienstand, seiner Schulbildung und Berufserfahrung in Kasachstan sowie seinen Familienangehörigen in Kasachstan stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021. Die Muttersprache des Beschwerdeführers steht aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers sowie der Einvernahmen des Beschwerdeführers unter Beiziehung eines Dolmetschers für Russisch fest.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich ebenfalls aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 26.02.2021 sowie dem Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus denen Gegenteiliges hervorgehen würde.

Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zur Einreise und Asylantragstellung des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt, insbesondere dem Umstand, dass die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Verfahrens gleichblieben.

Die Verwendung einer falschen Identität und Staatsangehörigkeit ergibt sich zunächst aus den Protokollen der Erstbefragung am XXXX 2015 und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX 2018, wo der Beschwerdeführer unter Vorlage von Kopien eines gefälschten Führerscheins und einer gefälschten Geburtsurkunde angab, er heiße XXXX , sei am XXXX geboren und russischer Staatsangehöriger in Zusammenhalt mit den aus den im Verwaltungsakt erliegenden Berichten des Bundesministeriums für Inneres

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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