TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W141 2245726-1

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Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1

Spruch


W141 2245726-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard Höllerer als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Oberösterreich vom 06.08.2021, OB XXXX , betreffend Abweisung Antrages auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Kostenersatz für psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß § 1 Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:
1.         Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin hat am 23.07.2021 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde genannt) einen Antrag auf Hilfeleistungen in Form der Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung gestellt und ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei Opfer einer sexuellen Belästigung geworden.
2.         Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.08.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Kostenersatz für psychotherapeutische Krankenbehandlungen gemäß
§ 1 Abs. 1 VOG abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde dazu im Wesentlichen aus, dass § Abs. 1 VOG vorsehe, dass österreichische Staatsbürger Anspruch auf Hilfeleistungen hätten, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten hätten und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen seien oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert sei.

Der Täter sei vom Bezirksgericht XXXX mit rechtskräftigem Urteil vom 06.05.2021 wegen sexueller Belästigung gemäß § 218 Abs. 1 Z 2 StGB verurteilt worden. Die Strafdrohung des
§ 218 StGB betrage bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe oder bis zu 360 Tagessätze Geldstrafe. Daher liege die Voraussetzung der Tathandlung, welche mit mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe bedroht werde, nicht vor.
3. Dagegen erhob die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin am 17.08.2021 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei Opfer einer Straftat geworden und stehe daher in psychiatrischer Behandlung. Es könne nicht sein, dass sie dafür keine Entschädigung vom Staat erhalte.
4. Am 25.08.2021 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und wurde am XXXX geboren.

Die Beschwerdeführerin wurde am 09.11.2020 in XXXX Opfer einer sexuellen Belästigung.

Der Täter wurde im Strafverfahren des Bezirksgerichtes XXXX mit rechtskräftigem Urteil vom 06.05.2021, Zl. XXXX , gemäß § 218 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt.

Die beschwerdegegenständlich anzuwendenden Strafnormen des § 218 Abs. 1 Z 2 und
Abs. 2 StGB sind mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht.

Der Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung ist am 23.07.2021 bei der belangten Behörde eingelangt.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur österreichischen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin sowie zu ihrem Geburtsdatum gründen sich auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Verurteilung des Täters sowie zur anzuwendenden Strafnorm gründen sich auf das Schreiben des Bezirksgerichtes XXXX vom 25.05.2021 zur Zahl XXXX .

Die Feststellungen zur Strafdrohung der anzuwendenden Strafnormen ergeben sich aus
§ 218 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 StGB.

Der Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde den 23.07.2021 auf.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben Anspruch auf Hilfe österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

Gemäß § 218 Abs. 1 Z 2 StGB ist, wer eine Person durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, belästigt, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Gemäß § 218 Abs. 2 StGB ist ebenso zu bestrafen, wer öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, eine geschlechtliche Handlung vornimmt.

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und wurde im Inland, und zwar in XXXX , Opfer einer sexuellen Belästigung gemäß § 218 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 StGB. Da
§ 218 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 StGB mit einem Strafrahmen bis zu sechs Monaten bedroht ist, ist die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 VOG, nämlich das Vorliegen einer zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung, nicht erfüllt.

Die grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem VOG sind sohin nicht erfüllt.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall wird das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt erschien, weil der Sachverhalt durch die belangte Behörde nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt wurde und den Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere jenen im Bescheid, in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen getreten wurde. Der Sachverhalt – wie er im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde – war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht vorgebracht. Zudem liegt eine Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität vor (vgl. zum Erfordernis einer schlüssigen Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid und zur Verhandlungspflicht bei Neuerungen VwGH 11.11.1998, 98/01/0308, und 21.01.1999, 98/20/0339; zur Bekämpfung der Beweiswürdigung in der Berufung VwGH 25.03.1999, 98/20/0577, und 22.04.1999, 98/20/0389; zum Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung VwGH 18.02.1999, 98/20/0423; zu Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens VwGH 25.03.1999, 98/20/0475; siehe auch VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; zuletzt etwa VfGH 18.6.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist). Das Bundesverwaltungsgericht hat vorliegend daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen (vgl. EGMR 20.6.2013, Appl. Nr. 24510/06, Abdulgadirov/AZE, Rz. 34 ff). Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art 6. Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Anspruchsvoraussetzungen Kostenersatz sexuelle Belästigung Strafhöhe VerbrechensopferG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2245726.1.00

Im RIS seit

04.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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