TE Vwgh Erkenntnis 1999/2/18 98/20/0423

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Veröffentlicht am 18.02.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des FJ in M, geboren am 23. März 1979, vertreten durch Dr. Silvia Franek, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Am Fischertor 5/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. August 1998, Zl. 203.917/0-XI/35/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des vorliegenden Falles wird auf das Erkenntnis vom 7. Mai 1998, Zl. 98/20/0032, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Oktober 1997, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Asylantrages abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Mit Schreiben vom 30. Juli 1998 hielt die nunmehr zuständige belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, die Verhältnisse in seinem Heimatstaat Liberia hätten sich seit seiner Flucht (im September 1994) in näher beschriebener Weise geändert.

In seiner Stellungnahme hiezu brachte der Beschwerdeführer vor, Charles Taylor - von dessen Soldaten er verfolgt werde, weil er sich der Zwangsrekrutierung durch sie entzogen habe - sei nun in Liberia an der Macht, nachdem er aus den Präsidentenwahlen im Juli 1997 als Sieger hervorgegangen sei. Im Falle einer Rückkehr nach Liberia müsse der Beschwerdeführer daher noch immer mit Verfolgung, ja sogar mit dem Tod rechnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (in der Folge: AsylG), nicht Folge.

Diese Entscheidung stützte die belangte Behörde im wesentlichen darauf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aus näher dargestellten Gründen nicht glaubwürdig sei. Darüber hinaus führte die belangte Behörde (sinngemäß wiedergegeben) aber auch aus, der Beschwerdeführer habe selbst dann, wenn man seinen Angaben Glauben schenken wollte, keine aufrechte Verfolgungsgefahr darzulegen vermocht. Hiezu sei einerseits darzulegen, dass eine nunmehrige Weigerung, "für Charles Taylor" zu kämpfen, im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse nach den für die Verweigerung eines Militärdienstes geltenden Maßstäben zu beurteilen sei, wonach die Gefahr, einen Militärdienst ableisten zu müssen, grundsätzlich nicht asylrelevant sei. Andererseits stehe der aufrecht erhaltenen Behauptung des Beschwerdeführers, wegen der seinerzeitigen Flucht vor der Zwangsrekrutierung mit Verfolgungshandlungen rechnen zu müssen, der Umstand entgegen, dass nicht erkennbar sei, "inwieweit" die Identität des Beschwerdeführers und die Tatsache, dass er sich 1994 der Rekrutierung durch die Soldaten des Charles Taylor entzogen habe, den liberianischen Behörden bekannt sein solle. Diesbezügliche Behauptungen habe der Beschwerdeführer nicht aufgestellt. Von einer mündlichen Verhandlung habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG i.V.m. § 67d AVG Abstand genommen werden können, weil "der Sachverhalt zur Beurteilung ausreichend geklärt" erscheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: Flkonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F Flkonv genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt.

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 Flkonv (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1994) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im vorliegenden Fall wendet sich die Beschwerde gegen einzelne der Argumente, mit denen die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verneinte, und gegen die Annahme, die Verhältnisse in Liberia hätten sich insgesamt so gebessert, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr mehr drohen könne. Geltend gemacht wird unter anderem, der "entscheidungsrelevante Sachverhalt" sei nicht "hinreichend geklärt".

Diese Ausführungen führen die Beschwerde zum Erfolg, weil die belangte Behörde - gegenüber den Feststellungen der Behörde erster Instanz - in Bezug auf den Verlauf des vom Beschwerdeführer behaupteten Zwangsrekrutierungsversuches im September 1994 eine Umwürdigung der Beweise vorgenommen hat, ohne eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer durchzuführen, und die Eventualbegründungen der belangten Behörde den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen vermögen:

Im Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer Verhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und ausgeführt, die auch im vorliegenden Fall gewählte Begründung für ein solches Vorgehen treffe zu, wenn der Sachverhalt "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" und in der Berufung "kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet" werde. "Jedenfalls" im letztgenannten Fall sei es der belangten Behörde verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof fügte hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. zur Rechtswidrigkeit des Absehens von einer Verhandlung in einem derartigen Fall auch das Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339).

Diese Erwägungen treffen jedenfalls auch zu, wenn die belangte Behörde - wie im vorliegenden Fall - nicht einem erst im Berufungsverfahren erstatteten, sondern schon dem ursprünglichen, nach wie vor aufrechten Vorbringen des Asylwerbers zu entscheidungswesentlichen Elementen des Sachverhalts in ausdrücklichem Gegensatz zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung keinen Glauben schenken will.

Dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde in einzelnen Punkten auch nicht als schlüssig erscheint, ist danach nicht mehr entscheidend. Aus verfahrensökonomischen Gründen ist jedoch anzumerken, dass die Ansicht, es sei unglaubwürdig, dass eine durch einen Streifschuß verletzte Person sie verfolgenden, nicht verletzten Personen entkommen könne, im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar begründet ist und auch die sachverhaltsmäßige Grundlage dafür fehlt, aus der Bezeichnung eines nach seinen Angaben drei bis fünf Fahrstunden von der Grenze entfernten Ortes als "nicht weit weg von der Grenze" ein Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abzuleiten. Ob die - für die Beurteilung der behaupteten Fluchtgründe nur am Rande maßgebliche - Darstellung des Beschwerdeführers, Soldaten des Charles Tayor seien bis zu dem von ihm genannten, in Sierra Leone gelegenen Ort vorgedrungen, weshalb er auch dort nicht habe bleiben können, glaubwürdig ist, wäre vielmehr an Hand von Feststellungen darüber zu beurteilen, wie weit der vom Beschwerdeführer genannte Ort von der Grenze tatsächlich entfernt ist, ob andere größere Orte dazwischen liegen und ob derartige Vorfälle während des fraglichen Zeitraumes sonst beobachtet wurden.

Was die Eventualbegründungen der belangten Behörde anlangt, so vermögen die in der Beschwerde bekämpften Feststellungen über die Besserung der allgemeinen Lage in Liberia die Entscheidung der belangten Behörde schon mit Rücksicht darauf nicht zu begründen, dass es gerade die Soldaten des nunmehrigen Staatspräsidenten gewesen sein sollen, deren Rache der Beschwerdeführer - wegen seiner Flucht vor der Zwangsrekrutierung durch sie - gefürchtet haben will. Hiezu und zu den Erfordernissen einer auf die (nachhaltige) Änderung der Umstände im Heimatland des Asylwerbers gestützten Bescheidbegründung ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0399 (ebenfalls Liberia betreffend), zu verweisen.

Insoweit der Beschwerdeführer seine Furcht vor Verfolgung auf die Befürchtung stützt, wegen des von ihm behaupteten Vorfalls vom September 1994 noch immer mit Verfolgungshandlungen rechnen zu müssen, läßt sich dem - wie die belangte Behörde wohl auch erkannt hat - mit dem Hinweis auf die asylrechtliche Beurteilung der allfälligen Nichtbefolgung einer (nunmehr legalen) Einberufung zum Wehrdienst in der liberianischen Armee nicht begegnen. Der belangten Behörde ist aber auch nicht zu folgen, wenn sie ihre Entscheidung darauf stützt, der Beschwerdeführer habe nichts vorgebracht, woraus sich erkennen ließe, "inwieweit" seine Identität im Zusammenhang mit der behaupteten Entziehung (gemeint: bei dem Vorfall im September 1994 erkannt worden und daher nunmehr) "den liberianischen Behörden - selbst wenn sie den Berufungswerber verfolgen wollten - bekannt sein" solle. Die Behauptung, wegen des Verhaltens bei diesem Vorfall von den Soldaten des Charles Taylor verfolgt worden zu sein und im Falle der Rückkehr mit Verfolgung, ja sogar mit dem Tode rechnen zu müssen, schließt denknotwendig auch die Behauptung in sich, dieses Verhalten sei den Verfolgern des Beschwerdeführers als ein von ihm (und nicht von einem unerkannt gebliebenen Jugendlichen) gesetztes Verhalten bekannt geworden. Wenn die belangte Behörde hieran zweifelte, so hätte sie den Beschwerdeführer - etwa im Rahmen der im Gesetz vorgesehenen Verhandlung - hiezu befragen und sich mit den Ergebnissen dieser Befragung beweiswürdigend auseinandersetzen müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Februar 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200423.X00

Im RIS seit

23.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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