TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/21 98/20/0399

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Veröffentlicht am 21.01.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1 impl;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des J P in Graz, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Juli 1998, Zl. 200.671/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Liberia. Er reiste am 11. September 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. September 1996 Asyl.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen angefochtenen Bescheid wurde sein Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen.

Die belangte Behörde setzte sich mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründen nicht auseinander. Sie vertrat die Auffassung, aufgrund der seit der Flucht des Beschwerdeführers aus Liberia dort eingetretenen geänderten Verhältnisse liege jedenfalls keine aktuelle Gefahr (mehr) vor, weshalb sich der Beschwerdeführer "pro futuro auf wohlbegründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung (nicht) berufen kann".

Aufgrund der im Heimatland seit der Antragstellung "gänzlich geänderten politischen Verhältnisse" sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 7. Juli 1998

"die aktuelle Entwicklung der Lage in Liberia - und diese aufgrund eines dem Unabhängigen Bundesasylsenat vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Note vom 25. Mai 1998 übermittelten, und von der Österreichischen Botschaft Abidjan erstellten - Länderbericht vom April 1998 zur Kenntnis gebracht (worden) bzw. wurde dem Antragsteller Gelegenheit geboten, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens zum Beweisergebnis schriftlich Stellung zu nehmen".

Mit Schreiben vom 22. Juli 1998 habe der Beschwerdeführer mitgeteilt,

"daß die von der Behörde nunmehr dargestellten Sachverhalte zum Teil richtig seien; unrichtig sei, daß die Wahlen vom Juli 1997 ohne Gewaltakte oder Einschüchterungen stattgefunden hätten. Tatsächlich sei der Präsident ein Individuum, welches fürs Gröbste verantwortlich sei. Tatsächlich lägen im Heimatstaat des Antragstellers lediglich die Absichten über die zukünftige Gestaltung vor. Gegenwärtig gäbe es noch keine gefestigten Strukturen, weshalb die von der Behörde dargestellten Sachverhalte keine Prognose gestatten würden".

Als Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere basierend auf einem vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Note vom 25. Mai 1998 dem unabhängigen Bundesasylsenat übersandten, von der Österreichischen Botschaft Abidjan erstellten Länderbericht vom April 1998, werde nachstehender Sachverhalt festgestellt:

"Aufgrund des geschlossenen Abkommens von Abuja im August 1996 sowie aufgrund der entschlossenen Haltung der von der afrikanischen Staatengemeinschaft eingesetzten internationalen Friedenstruppe ECOMOG konnten die vormals zum Zeitpunkt der Ausreise des Antragstellers in Liberia herrschenden Bürgerkriegshandlungen beendet werden. Insbesondere die Bildung sogenannter sicherer Zonen durch die ECOMOG bildet die Basis für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Land sowie für die Möglichkeit der Rückkehr von Flüchtlingen. Seit diesem Zeitpunkt findet eine sukzessive Entwaffnung der vormaligen Bürgerkriegsparteien seitens der internationalen Friedenstruppe statt. Am 19. Juli 1997 wurden in Liberia erfolgreich demokratische Wahlen abgehalten und standen diese Wahlen unter der Beobachtung der Vereinten Nationen. Die abgehaltenen Wahlen fanden geordnet und ohne Gewaltakte oder Einschüchterungen statt.

Die Übergangsregierungen und natürlich auch die neue Regierung unter Präsident Taylor haben alles daran gesetzt, von legistischer Seite her einen Mindeststandard an Menschen- und Bürgerrechten wieder in Kraft zu setzen bzw. zu schaffen. Die neue Regierung hat im November 1997 überdies eine Kommission für Menschenrechte eingerichtet. Mittlerweile vermögen verschiedene Menschenrechtsgruppen im Land frei zu arbeiten. Gemäß internationalen Medienberichten sowie gemäß der Einschätzung internationaler Beobachter befindet sich Liberia daher auf dem Weg zur Demokratisierung und Wiederherstellung der staatlichen Institutionen. Aufgrund der unter Mithilfe von ECOMOG bewirkten Verbesserung der allgemeinen Sicherheitssituation sind bis dato etwa 100.000 Personen (intern Vertriebene und Flüchtlinge) in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Die Repatriierung von in die Nachbarstaaten geflohenen Liberianern erfolgt überdies unter Hilfe von UNHCR. Die liberianischen Behörden arbeiten mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen bei der Unterstützung von Flüchtlingen - insbesondere aus Sierra Leone - zusammen.

Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß es dem Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Liberia jedenfalls möglich ist, sich unter den Schutz bzw. in den Schutz- bzw. Einflußbereich der Regierung oder der, mit der Regierung kooperierenden ECOMOG-Friedenstruppen zu begeben und er daher nicht zu befürchten hat, von seiten Angehöriger einer der vormals agierenden Rebellenarmeen behelligt zu werden."

Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine ihn "pro futuro betreffende konkrete Gefährdungssituation bzw. eine ebensolche zu befürchtende Verfolgungshandlung unmittelbar seine Person betreffend aufzuzeigen. Die begründete Furcht vor einer derartigen Verfolgungshandlung stellt aber ein wesentliches Merkmal des Flüchtlingsbegriffs dar.

Die vom Berufungswerber in der Stellungnahme vom 22.7.1998 aufgestellten Behauptungen stellen sich als bloße, unsubstantiiert gebliebene Vermutungen seinerseits dar, welche das dem Antragsteller zu Gehör gebrachte Beweisergebnis - basierend auf Fakten, welche durch eine österreichische Behörde erhoben wurde - nicht zu erschüttern vermochten."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

In der fristgerecht erstatteten Gegenschrift beantragt die belangte Behörde, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn die belangte Behörde darauf abstellte, daß aufgrund der seit der Flucht des Beschwerdeführers in Liberia geänderten politischen Verhältnisse für diesen - ungeachtet des Zutreffens seiner (damaligen) Fluchtgründe - keine aktuelle Verfolgungsgefahr (mehr) bestünde, hat sie im Ergebnis Art. 1 C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) angewandt. Diese Bestimmung besagt, daß eine Person, auf die die Bestimmung des Art. A Z 2 zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt

"wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt."

Der belangten Behörde ist grundsätzlich beizupflichten, daß grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen können, daß der Anlaß für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne dieser Bestimmung mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1998, Zl. 96/20/0925, vgl. weiters:

Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz 135).

Der Beschwerdeführer verweist für seinen Fall im Ergebnis zu Recht darauf, daß sich die belangte Behörde nicht damit auseinandergesetzt hat, ob die von ihr festgestellten geänderten politischen Verhältnisse vor dem Hintergrund seiner konkreten Fluchtgeschichte derart wesentliche Umstände darstellen, daß er im Falle der Rückkehr nach Liberia keine Furcht vor Verfolgung (mehr) haben müßte. Der Beschwerdeführer hatte vorgebracht, er sei im Jahr 1994 von der "Taylor Group" zwangsrekrutiert worden. Er sei gegen seinen Willen in ein Ausbildungscamp für diese Bürgerkriegspartei gebracht und anschließend "an die Front" gebracht worden. "Als die Feinde" auf sie geschossen hätten, habe er "in den Busch" entkommen können. Er habe bei dieser Gruppe bis zu seiner Flucht aus Liberia mitmachen müssen.

Bei Zutreffen seiner Fluchtgründe käme somit den bereits im Verwaltungsverfahren von ihm vorgebrachten Umständen auch vor dem Hintergrund der geänderten politischen Verhältnisse Relevanz zu, weil danach gerade die politische Gruppe in seinem Heimatstaat die Regierung stellt, vor der der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung von dort geflüchtet wäre. In der Beschwerde wird zutreffend aufgezeigt, daß dem von der belangten Behörde eingeholten Bericht der Österreichischen Botschaft Abidjan nicht konkret entnommen werden kann, wie sich die Situation von zurückkehrenden Personen darstellt, die sich während des Bürgerkrieges der Zwangsrekrutierung durch die ehemaligen Bürgerkriegsparteien, insbesondere - im hier vorliegenden Fall - der für den nunmehrigen Präsidenten Charles Taylor in den Kämpfen verwickelt gewesenen Gruppe entzogen hatten.

Die belangte Behörde hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob aus dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behaupteten Umstand einer "Desertion" von der ihm im Wege der Zwangsrekrutierung auferlegten Pflicht zur Kriegsführung eine seine politische Gesinnung treffende (nunmehr gegebene) asylrelevante Verfolgung resultiert, die angesichts der von der "Taylor Group" gestellten nunmehrigen Regierung auch nach den geänderten politischen Verhältnissen weiterwirken kann. Insbesondere wurden keine Ermittlungen dahingehend durchgeführt, ob und welche Sanktionen von (nunmehr) staatlicher Seite für ein derartigen Verhalten bestehen. Anders als bei jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, findet eine Zwangsrekrutierung durch eine die Staatsgewalt nicht (mehr oder noch nicht) tragende Bürgerkriegspartei ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist bei einer "Desertion" aus der Zwangsrekrutierung durch eine solche Gruppe auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen heranzuziehen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0077). Demnach ist im konkreten Fall das Beschwerdevorbringen, dem Beschwerdeführer drohe ungeachtet der geänderten politischen Verhältnisse in Liberia aufgrund seiner spezifischen Fluchtgründe (wegen einer ihm nunmehr von staatlicher Seite für sein damaliges Verhalten angelasteten oppositionellen Gesinnung) weiterhin Verfolgung, relevant. Ob die von der belangten Behörde festgestellten politischen Veränderungen nach Abschluß des Waffenstillstandsabkommens im August 1996 und der am 19. Juli 1997 abgehaltenen Wahl bereits ein derart gefestigtes Maß an Stabilität erlangt und im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte zu einem solchen Maß an Rechtsstaatlichkeit geführt haben, daß der Beschwerdeführer aufgrund dieses Umstandes für sich allein eine asylrelevante Verletzung seiner Rechte nicht (mehr) zu befürchten hätte, kann dahingestellt bleiben.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Jänner 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200399.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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