TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/22 W174 2197434-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2021
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Entscheidungsdatum

22.06.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2197425-1/24E

W174 2197431-1/23E

W174 2197439-1/20E

W174 2197434-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , geboren am XXXX , 2.) des XXXX , geboren am XXXX , 3.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX und 4.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch RAe Dr. Martin DELLASEGA, Dr. Max KAPFERER, Dr. Thomas LECHNER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 15-1091292509-151567834, 2.) Zl. 15-1091292302-151567761, 3.) Zl. 15-1091292705-151567842 und 4.) Zl. 17-1171164107-171168179 nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin reisten nach Österreich ein und stellten am 16.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Wesentlichen an, in der Schneiderei des Zweitbeschwerdeführers sei ein Gast in den Stromkreis gekommen und dabei gestorben, wofür der Zweitbeschwerdeführer verantwortlich gemacht worden sei. Die Dorfältesten in Afghanistan hätten nach Rückkehr der Familie dorthin beschlossen, dass die Drittbeschwerdeführerin deswegen einem Mann aus dem Clan des Getöteten als Ehefrau versprochen werde. Daraufhin seien die Beschwerdeführer wieder in den Iran zurückgekehrt, wo sie einen bedingten Aufenthalt mit der Auflage bekommen hätten, dass der Zweitbeschwerdeführer in den Syrienkrieg ziehe. Da er das nicht getan habe, sei er verhaftet und die Dokumente für ungültig erklärt worden.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer seien Schiiten und Hazara und in Teheran auf die Welt gekommen, wo sie immer gelebt und zwölf Jahre die Schule besucht hätten, der Zweitbeschwerdeführer sei zudem zwei Jahre auf die Universität gegangen. Zuletzt sei die Erstbeschwerdeführerin Hausfrau gewesen und der Zweitbeschwerdeführer habe diverse Hilfstätigkeiten verrichtet.

3. In weiterer Folge wurden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) zwei österreichische Studentenausweise (der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers), eine Teilnahmebestätigung sowie eine Anmeldung zu einem mehrmonatigen Bildungsprojekt des Zweitbeschwerdeführers und ein die Beschwerdeführer betreffendes Konvolut von Unterlagen aus dem Iran vorgelegt.

4. Nach der Geburt der Viertbeschwerdeführerin im Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung am 12.10.2017 für ihre Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren, wobei keine eigenen Fluchtgründe für das Kind angegeben wurden.

5. Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 30.10.2018 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, gesund, afghanische Staatsbürgerin, in Teheran geboren, Hazara und schiitischen Glaubens zu sein.

In Teheran habe sie von 1993 bis 2004 die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Zudem habe sie einen Krankenpflegekurs, IT-Kurse und Englischkurse absolviert. Von 2011 bis 2014 sei sie Volksschullehrerin und Informatikbeauftragte in einer afghanischen Schule in Teheran gewesen.

Ihr Vater sei 1981 von Afghanistan in den Iran gezogen, sechs Jahre später sei sie dort geboren und im Familienverband in einer Mietwohnung in Teheran aufgewachsen. Der Vater sei Gelegenheitsarbeiter und die Mutter Hausfrau gewesen. Im Jahr 2006 habe die Erstbeschwerdeführerin den Zweitbeschwerdeführer in Teheran standesamtlich geheiratet. Die erste Tochter (Drittbeschwerdeführerin) sei in Teheran geboren, die Viertbeschwerdeführerin im Bundesgebiet.

Die Erstbeschwerdeführerin sei nur wegen der Probleme ihres Mannes ausgereist, selbst habe sie keine gehabt und sei auch nie verfolgt worden. Im Falle einer Rückkehr würde sie ihre Tochter (die Drittbeschwerdeführerin) verlieren, was für sie beide den sicheren Tod bedeuten würde. Außerdem würde ihr Mann getötet werden, weil er ein Mitglied dieser Gruppierung „Fatemium“ im Iran gewesen sei.

Sie habe zwar ein kleines Kind, jedoch hier im Bundesgebiet viel Kontakt zu ihren österreichischen Freunden und nehme regelmäßig an Schulveranstaltungen teil. Vor der Geburt ihrer Tochter habe sie mehrere Deutschkurse sowie einen Mathematikkurs besucht. Einer legalen Beschäftigung sei sie nicht nachgegangen, habe jedoch ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet. Sie wolle gerne Soziologie studieren.

Vorgelegt wurden für die Erstbeschwerdeführerin diverse Empfehlungsschreiben und Fotos, die iranische Aufenthaltsbestätigung, ein Ausweis vom UNHCR – Starthilfe in Afghanistan bei Abschiebung, mehrere Bestätigungen über die Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten, Deutschkursbestätigungen, Teilnahmebestätigungen, eine Bestätigung der Universität Innsbruck als außerordentliche Studentin, ein Studentenausweis, ÖSD Zertifikate für A2 und B1, die Kopie des afghanischen Reisepasses, eine Bestätigung der iranischen Polizei bezüglich des legalen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Kopie, iranische ICDL-Kursbestätigungen, Bestätigung über die Absolvierung eines Krankenpflegekurses, die Kopie des afghanischen Reisepasses der Drittbeschwerdeführerin sowie deren iranische Geburtsbestätigung, ein Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltsbestätigung für die Drittbeschwerdeführerin, eine Schulnachricht und ein Jahreszeugnis einer österreichischen Volkschule von der Drittbeschwerdeführerin.

Der Zweitbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen, gesund und schiitischer Moslem sowie in Teheran geboren zu sein und der Volksgruppe der Hazara anzugehören. Von 1985 bis 2001 habe der Zweitbeschwerdeführer in Teheran die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Von 2001 bis 2003 habe er im Iran Informatik studiert, 2004 einen Fachkurs ECDL, 2005 einen Kurs für Computergrafik, 2006 für Hardware und 2007 für AutoCAD und Buchhaltung absolviert. Von 2003 bis 2004 sei er Schneiderlehrling, von 2005 bis 2008 selbstständiger Schneider und von 2009 bis 2013 bei einer iranischen Fliesenfirma Kommissionär, Buchhalter und Verkaufsmanager gewesen. Von 2013 bis zur Ausreise habe er bei einem anderen Unternehmen in Teheran als Buchhalter und Verkaufsmanager gearbeitet.

Der Vater des Zweitbeschwerdeführers sei 1977 in den Iran gezogen, wo er selbst zwei Jahre später geboren sei. Die Eltern hätten eine Aufenthaltskarte gehabt und die Familie in einer Mietwohnung gelebt.

Er selbst sei lediglich zwei Wochen in Kabul aufhältig gewesen, ansonsten immer in Teheran, wo sich seine Angehörigen nach wie vor befänden. Ein Bruder lebe in Österreich.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Zweitbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, er und sein Bruder hätten in ihrer Schneiderei den Cousin eines Mitarbeiters als Gast aufgenommen, der dort bei einem Stromunfall ums Leben gekommen sei. Beim Gerichtsprozess habe der Bruder des Zweitbeschwerdeführers dann Blutgeld bezahlt, weil das Gericht den Unfall als Arbeitsunfall bewertet hätte. Der Mitarbeiter habe später die Wahrheit darüber erzählt, dass er selbst drogenabhängig und von seinem Cousin dabei erwischt worden sei, welcher bei der daraufhin folgenden Auseinandersetzung ums Leben gekommen wäre. Der Bruder des Zweitbeschwerdeführers habe den Mitarbeiter dann angezeigt, der daraufhin nach Afghanistan geflüchtet wäre.

Nach seiner Abschiebung nach Afghanistan habe der Bevollmächtigte des ehemaligen Mitarbeiters erfahren, dass der Zweitbeschwerdeführer sich nunmehr in Afghanistan aufhalte. Er und zwei weitere Personen hätten ihn abgepasst, beschimpft und seien auf ihn losgegangen. Nachdem sie ihn ein anderes Mal gesucht hätten, habe der Zweitbeschwerdeführer seinen ehemaligen Mitarbeiter aufgesucht, wo ca. 50 Personen auf ihn gewartet und ihn sehr schlecht behandelt hätten. Dann sei der Mitarbeiter persönlich aufgetaucht, habe ihn geschlagen und alle wären auf ihn losgegangen. Nachdem der Zweitbeschwerdeführer nach Hause zurückgekehrt sei, habe er herausgefunden, dass sie seine damals erst siebenjährige Tochter (die Drittbeschwerdeführerin) gewollt hätten. Am nächsten Tag sei die Erstbeschwerdeführerin dann mit der Drittbeschwerdeführerin in den Iran zurückgeflogen, er selbst in der Nacht nach Nimroz gefahren und von dort illegal in den Iran gereist.

Mit den vorgelegten iranischen Unterlagen wolle der Zweitbeschwerdeführer beweisen, dass er bei der Gruppe „Fatemium“ gewesen sei und nach Syrien gehen hätte müssen. Er habe jedoch niemals in Syrien gekämpft.

In Österreich mache er gerade seinen Pflichtschulabschluss und lerne am Nachmittag mit einem Freund Geschichte. Außerdem sei er an der Universität eingeschrieben und habe österreichische Familien kennengelernt. Einer legalen Beschäftigung sei er hier nicht nachgegangen, habe jedoch gemeinnützige Tätigkeiten geleistet.

Vom Zweitbeschwerdeführer vorgelegt wurden: die Heiratsurkunde, iranische Aufenthaltsgenehmigungen, der iranische Dienstausweis des Zweitbeschwerdeführers, die iranische Geburtsbestätigung der Drittbeschwerdeführerin in Kopie, ein Schreiben der iranischen Revolutionswächter bezüglich des Kriegsdienstes in Syrien, ein iranisches Gerichtsurteil bezüglich eines gefälschten Reisepasses, ein iranischer Urlaubsantrag für Soldaten, eine iranische Gefängnisaufenthaltsbestätigung in Kopie, ein iranischer Häftlingsausweis, eine Bestätigung über die Passausstellung bei der afghanischen Botschaft im Iran in Kopie, die Kopie des afghanischen Reisepasses, ein iranischer Soldatenausweis in Kopie, die Kopie der polizeilichen Bestätigung bezüglich des legalen Aufenthalts im Iran, ein Schreiben der iranischen Revolutionswächter in Kopie, diverse Bestätigungen über die Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten in Österreich sowie Teilnahmebestätigungen aus dem Bundesgebiet, Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben, eine Besuchsbestätigung des Berufsförderungsinstitutes betreffend den Pflichtschulabschluss, eine Bestätigung außerordentlicher Studierender an einer österreichischen Universität, ein Studentenausweis, ÖSD Zertifikate für A2 und B1.

6. Am 13.11.2017 erstatteten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den damals aktuellen Länderfeststellungen.

7. Mit den gegenständlichen im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) festgesetzt.

8. Dagegen wurde rechtzeitig mit gemeinsamem Schriftsatz Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

9. Am 14.8.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Integrationsunterlagen der Beschwerdeführer ein: eine Bestätigung des Roten Kreuzes bezüglich Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs und ein Teilzeugnis sowie ein Zeugnis der Externistenprüfungskommission über die Pflichtschulabschlussprüfung betreffend den Zweitbeschwerdeführer, zudem Zeitungsartikel mit Fotos, Jahreszeugnis, Sporturkunde und Tanzschulbestätigung betreffend die Drittbeschwerdeführerin.

Mit Schriftsatz vom 19.2.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung bezüglich der freiwilligen Mitarbeit bei der Caritas, die Teilnahmebestätigung an der Fortbildung Professionalisierung von Laiendolmetschern und das ÖSD Zertifikat B2 der Erstbeschwerdeführerin sowie der Dienstausweis des Roten Kreuzes des Zweitbeschwerdeführers und die Schulnachricht der Drittbeschwerdeführerin ein.

Am 9.7.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht weitere Integrationsunterlagen betreffend die Drittbeschwerdeführerin (unter anderem betreffend die Teilnahme an Theaterprojekten, bei einem Leichtathletik Grand Prix und einer weiteren Sportveranstaltung) sowie Schulbestätigungen vorgelegt.

In einer Beschwerdeergänzung vom 2.3.2021 wurde im Wesentlichen auf die gute Integration der Beschwerdeführer hingewiesen und zahlreiche Integrationsunterlagen vorgelegt: Bezüglich der Erstbeschwerdeführerin eine Bestätigung des BFI über einen Vorbereitungskurs Pflichtschulabschluss, ein Zeugnis Pflichtschulabschluss Englisch- Globalität und Transkulturalität, ein Zeugnis Pflichtschulabschluss Mathematik und ein Arbeitsvertrag ab 1.5.2021 bis 23.10.2021 bei Asylgewährung für 48 Wochenstunden; bezüglich des Zweitbeschwerdeführers ein Arbeitsvertrag vom 1.5.2021 bis 23.10.2021 bei Asylgewährung für 40 Wochenstunden; bezüglich der Drittbeschwerdeführerin die Bestätigung einer Tanzschule über den Besuch des Tanzunterrichts, das Jahreszeugnis eines Gymnasiums (ua. über den Besuch des Freifaches Religion römisch-katholisch, Religionsbekenntnis: Islam), diverse Unterlagen betreffend Auftritte der Drittbeschwerde-führerin als Schauspielerin ua. bei einem Theaterfestival; der Mietvertrag des Elternpaares, sowie Fotos und Empfehlungsschreiben.

10. Am 10.5.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Die Erstbeschwerdeführerin, die im Verfahren überwiegend auf Deutsch antwortete, erklärte im Wesentlichen zunächst wie bisher, afghanische Staatsangehörige, schiitische Hazara und im Iran geboren zu sein. Dort habe sie zwölf Jahre die Schule besucht, aktuell absolviere sie hier die Pflichtschule. Nach der Matura habe sie als Lehrerin in der afghanischen Schule unterrichtet, und zwar von 1390 bis 1393 (2011 bis 2014). Von 1393 bis 1394 sei sie Hausfrau gewesen. Zudem habe sie im Iran eine sechsmonatige Ausbildung in der Krankenpflege gemacht, und zwar von 1384 bis 1385, sowie einen Computerkurs besucht. Das Haus, in dem sie mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter gelebt habe, wäre gemietet gewesen. Ihre Eltern seien vor 40 Jahren in den Iran ausgewandert und zwei bis drei Wochen nach der Heirat der Erstbeschwerdeführerin nach Afghanistan zurückgekehrt. Mittlerweile wären die Eltern verstorben und die restliche Familie befinde sich jetzt seit 2020 wieder im Iran.

Der Zweitbeschwerdeführer (ihr Ehemann) habe Probleme mit der iranischen Polizei gehabt, die ihn in eine Falle habe locken wollen, weil er nicht in den Syrienkrieg gegangen sei. Diese „Fatemium-Gruppe“ sei mit der iranischen Polizei vernetzt, welche schon Bescheid gewusst habe, dass der Zweitbeschwerdeführer nicht in den Syrienkrieg ziehen habe wollen. Deswegen habe ihr Ehemann dieses Problem gehabt. Kontaktiert habe der Zweitbeschwerdeführer diese Gruppe ursprünglich, weil sie Aufenthaltstitel für die gesamte Familie versprochen habe.

Ihre Geburtsurkunden und die Reisepässe seien der Familie bei der iranischen Grenze zur Türkei abgenommen worden.

Sie selbst habe im Jahr 2014 als Lehrerin gearbeitet und sei, als sie mit ihren Kolleginnen nach Ghom habe reisen wollen, von der iranischen Polizei im Bus festgenommen worden, weil sie keine Identitätskarte gehabt habe. Anschließend habe man sie gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin nach Afghanistan abgeschoben. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich ihre Mutter, der Bruder und die Schwestern in Kabul aufgehalten. Gewohnt habe die Erstbeschwerdeführerin damals beim Onkel väterlicherseits. Ursprünglich stamme ihre Familie aus der Provinz Parwan, wie auch die Familie ihres Gatten. Ausgereist seien ihre Angehörigen seinerzeit wegen des Krieges und später – nach dem Tod ihrer Mutter – wegen der Taliban.

Geboren sei die Erstbeschwerdeführerin in Teheran, in Afghanistan aufgehalten habe sie sich vom 19.7.1393 bis 24.8.1393. Ihr Gatte sei am 9.8.1993 von der Polizei im Iran festgenommen und zwei Tage später nach Herat abgeschoben worden. In Kabul sei er dann am 14.8.1393 angekommen.

Die in der Schneiderei ihres Gatten verstorbene Person habe von einem Mitarbeiter dort einen Platz zum Schlafen erhalten, welcher danach den Zweitbeschwerdeführer und dessen Bruder angezeigt habe. Vorgehalten, ihr Gatte habe angegeben, dass der Cousin des Arbeiters ihren Mann angezeigt hätte, erwiderte die Erstbeschwerdeführerin, der Mitarbeiter habe zuerst ihren Ehemann und dessen Bruder angezeigt, dann Geld verlangt, sei nach Afghanistan gegangen und dort habe dieser seinem Cousin die Vollmacht gegeben, damit er die Sache verfolgen könne.

Ihr Ehemann sei sehr nett und immer hilfsbereit, helfe im Haushalt und passe auf die Kinder auf, wenn sie die Schule besuche. Für ihn sei es wichtig, dass sie und die Kinder immer ihr Ziel erreichen könnten. Beschimpft oder geschlagen habe er sie nie. Als sie nach Österreich gekommen sei, habe sie Informationen bekommen, wie sich Frauen in solchen Fällen Unterstützung holen könnten.

Im Bundesgebiet könne die Erstbeschwerdeführerin ihre Kleidung selbst auswählen und einkaufen gehen. Draußen trage sie immer ein T-Shirt oder eine Bluse und sei oft mit Jeans unterwegs. Bei Zeremonien ziehe sie ein Kleid an. Seitens der erkennenden Richterin wurde angemerkt, dass die Erstbeschwerdeführerin ein modisches bis zum Knie reichendes Kleid mit kurzen Ärmeln trage, zudem langes offenes Haar und Schmuck. Sie sei leicht geschminkt und habe lackierte Fingernägel. Die Erstbeschwerdeführerin erklärte hierzu, heute eine Strumpfhose angezogen zu haben, bei warmen Wetter tue sie dies jedoch nicht. Das Kopftuch habe sie 2018 abgelegt. Als sie bei der Caritas tätig gewesen sei, hätte sie bemerkt, dass sie den Leuten ohne Kopftuch besser gefalle uns sie fühle sich so auch sicherer.

In Afghanistan habe sie auf der Straße eine Burka tragen müssen, im Iran immer das Kleid oder die Kleidung so auswählen, wie es die Familie ihres Mannes gewollt habe. In dieser Gesellschaft sei so.

Vorgelegt wurden zwei weitere Fotos, die die Erstbeschwerdeführerin in legerer Kleidung bei der Gartenarbeit zeigen.

An dem Leben, wie sie es im Iran bzw. in Afghanistan geführt habe, lehne sie ab, dass die Frauen in Afghanistan keine Freiheit hätten, nicht einmal über ihre Kleider entscheiden könnten oder, wen sie heiraten wollten. In Ihrem Fall hätten die Eltern sie auch jemand anderem versprochen, jedoch akzeptiert, dass sie ihren Gatten eheliche.

Außerhalb der Pandemiebeschränkungen verbrächten sie ihren Tag in Österreich so, dass die ältere Tochter die Schule besuche, ihr Ehemann zur Arbeit gehe und zuvor die kleinere Tochter in die Kinderkrippe bringe. Zunächst frühstückten alle gemeinsam, gegen Mittag kehrten sie nach Hause zurück und der Zweitbeschwerdeführer hole die kleine Tochter ab. Am Nachmittag sei es unterschiedlich, Dienstag und Donnerstag lerne die Erstbeschwerdeführerin die Grundlagen der Buchhaltung, am Mittwoch mit einer heute anwesenden Vertrauensperson Deutsch. Sie hätten gemeinsam viele Bücher gelesen, zum Beispiel über die Geschichte in Österreich. Auch das Buch betreffend den Führerschein hätten sie gemeinsam durchgearbeitet. Mit seiner Hilfe habe sie auch die B2 Deutschprüfung absolviert. Nachmittags mache die Erstbeschwerdeführerin die Hausarbeit, wenn ihr Mann nicht zur Arbeit gehe, dann habe er dies schon erledigt. Dann lernten sie gemeinsam Deutsch für seine B2 Prüfung. Sie gehe mit ihrer Tochter auch zum Beispiel Fahrradfahren oder besuche ihre Freunde.

Die Erstbeschwerdeführerin gehe alleine einkaufen, treffe ihre Freunde und Freundinnen, besuche sie und habe auch schon mal alleine eine Reise mit ihnen gemacht. Zum Arzt gehe sie auch alleine und begleite überdies Freunde, die sie als Dolmetscherin unterstütze. Zu Hause mache sie Yoga und gehe ins Bad planschen, sie könne nicht schwimmen, aber alle gingen gemeinsam ins Freibad. Dabei trage sie einen Badeanzug.

Ihre ältere Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, sei sehr zufrieden hier in Österreich, sie besuche momentan ein Gymnasium. Die Erstbeschwerdeführerin habe mit den Lehrerinnen beim Elternsprechtag gesprochen und alle seien sehr zufrieden gewesen. Die Drittbeschwerdeführerin sei oft mit ihren Freunden unterwegs, sie gingen zusammen einkaufen, Ski fahren, rodeln, schwimmen und Rad fahren. Die Drittbeschwerdeführerin wolle entweder Ärztin oder Schauspielerin werden. Sie habe bereits vier Jahre Theater gespielt und auch eine Hauptrolle erhalten.

Vorgelegt wurde das Zeugnis der Drittbeschwerdeführerin für das Schuljahr 2020/2021.

Religion spiele in der Familie keine Rolle, die Drittbeschwerdeführerin dürfe den Religionsunterricht für die Katholiken besuchen, damit sie später Informationen darüber habe. Mit 14 können sie selbst entscheiden, welche Religion sie annehmen wolle.

Die Töchter hätten hier eine größere Auswahl an Möglichkeiten als in Afghanistan. Dort müssten sie Burka tragen und sogar einen Angehörigen der gegnerischen Familie heiraten, weil die Weißbärtigen es so bestimmt hätten. Außerdem könnte die Ältere ihr Ziel, Schauspielerin zu werden, dort nie erreichen. In Afghanistan gebe es ein unsicheres Bildungssystem. Mädchen dürften nicht alleine auf die Straße gehen, Frauen wären nicht so wichtig. In Österreich gebe es sehr viele Freiheiten, die es in Afghanistan nicht gebe.

Für sie und ihren Mann sei es wichtig, dass die Kinder die Bildung und ein Studium abschließen können. Beide würden arbeiten, damit die Töchter eine gute Ausbildung bekommen könnten.

Wenn die Erstbeschwerdeführerin nicht zu Hause sei, kümmere sich ihr Mann um die Kinder.

Die Familie habe sowohl afghanische als auch österreichische Freunde und Freundinnen. Verwandt sei hier nur der Bruder ihres Ehemannes.

Zusätzlich zum Geld, das sie vom Sozialamt erhielten, arbeite ihr Gatte beim Tourismusverband, damit sie ihre Miete bezahlen könnten. Sie selbst erhalte auch alle sechs Monate € 200 für die Kleidung ihrer Töchter. Wenn der Ehemann hier in Österreich keine Arbeit habe, würde die Erstbeschwerdeführerin eine suchen. Das Geld der Familie verwalte die Erstbeschwerdeführerin, sie habe auch ein eigenes Bankkonto. Sowohl sie als auch ihr Gatte hätten einen Arbeitsvorvertrag ab Juni. Momentan lerne die Erstbeschwerdeführerin Buchhaltung, da wolle sie sich weiterbilden.

Vorgelegt wurden aktualisierte Fassungen der Arbeitsvorverträge der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

In Österreich habe sie zwei wichtige Sachen, die sie an Afghanistan nicht gehabt habe. Erstens, sie sei ein Mensch, und zweitens habe sie das Recht, selbst auszuwählen und zu entscheiden, zum Beispiel über ihren Gatten, ihre Kleidung und ob sie ein Kind bekomme, oder auch nicht. Im Iran würden dies die afghanischen Eltern eines Mannes entscheiden. In Afghanistan gebe es keine Berufe, in denen Frauen tätig werden könnten. Außerdem könne sie hier Auto fahren, in Afghanistan bestehe ein gesellschaftlicher Druck dagegen.

Bei einer Abschiebung nach Afghanistan würden die Töchter mit jemandem aus der gegnerischen Familie verheiratet werden müssen, weil diese in Afghanistan große Macht habe.

In weiterer Folge wurde der Zweitbeschwerdeführer einvernommen und gab im Wesentlichen an, im Iran geboren und aufgewachsen, Hazara und schiitischer Moslem zu sein. Seine Eltern stammten aus Afghanistan und befänden sich seit 40 Jahren im Iran.

Als ihn die iranische Polizei nach Afghanistan habe abschieben wollen, habe er nach einer Lösung gesucht und jemanden aus der „Fatemium-Gruppe“ kontaktiert. Um aus diesem Abschiebezentrum rauszukommen, hätte er Mitglied dieser Gruppe werden müssen. Sie hätten ihm einen Aufenthaltstitel ausgestellt, dafür hätte er nach Syrien in den Krieg gehen sollen, was er jedoch nicht getan und immer eine Ausrede gefunden habe. Letztendlich habe ihm die Gruppe ein Ultimatum gestellt und den Aufenthaltstitel wieder weggenommen. Dann sei er am 22.2.1394 von der iranischen Polizei festgenommen und von einer iranischen Behörde einvernommen worden. Sie hätten ihn inhaftiert und ihm vorgeworfen, dass sein Reisepass kein richtiger Reisepass wäre. Da er diesen von der afghanischen Botschaft im Iran bekommen habe, habe er aber die Bestätigung gehabt. Man hätte ihm vorgeworfen, illegal in den Iran gekommen zu sein, was nur eine Ausrede gewesen wäre, um den Aufenthaltstitel stornieren zu können. Auf diese Weise hätten sie ihn zwingen wollen, nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Dann habe er 30 Millionen Toman zahlen müssen, um aus der Haft zu kommen. Als Mitglied dieser Gruppe habe er zwar einen Ausweis bekommen, aber niemals wirklich mit ihr kooperiert. Er sei nur Mitglied geworden, damit er einen Aufenthaltstitel erhalte.

Für ihn selbst bestehe im Falle einer Rückkehr Lebensgefahr wegen des Problems mit seinem ehemaligen Mitarbeiter. Außerdem sei er Mitglied der „Fatemium Gruppe“ gewesen und die Taliban, die Sunniten oder die IIS könnten das nicht akzeptieren und würden ihn vernichten.

In Österreich lebe ein Bruder des Zweitbeschwerdeführers.

Der Charakter der Erstbeschwerdeführerin in Österreich unterscheide sich sehr zu Afghanistan oder dem Iran und sei damit nicht vergleichbar. Sie sei jetzt selbstständig, bewege sich ganz frei, gehe alleine einkaufen, was im Iran nicht möglich gewesen sei. Dort seien sie in einer geschlossenen Gesellschaft gewesen und sie habe sich mehr zu Hause aufgehalten. Sie habe schon im Iran gearbeitet, jedoch nur dort, wo es ausschließlich Frauen gegeben habe. In Österreich habe sie sich in die Gesellschaft integriert.

Nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet habe seine Frau ungefähr noch zwei Jahre ein Kopftuch getragen, aber es dann abgelegt. Sie entscheide selbst über ihre Kleidung, was für ihn hundertprozentig in Ordnung sei. In Afghanistan trügen die Frauen generell Burka, im Iran müssten sie Kopftuch und Mantel tragen. Dies sei sehr störend für die Erstbeschwerdeführerin gewesen, aber man hätte nichts dagegen tun können.

Hier in Österreich könne sie als Frau für sich selbst entscheiden, sei unabhängig und könne wie ein Mann arbeiten. In Afghanistan bzw. dem Iran würden die Frauen nicht wahrgenommen. Hier gehe sie selbst zum Arzt, weil sie Deutsch sprechen könne. Wenn sie sehr schwer krank sei, begleite der Zweitbeschwerdeführer sie. Seine Gattin sei auch sportlich, die gehe mit den Kindern Rad fahren, spazieren und schwimmen. Sie habe aber ein bisschen Angst vor dem Wasser, deshalb schwimme sie nicht gerne. Im Freibad trage sie normalerweise einen Badeanzug.

Außerhalb der Pandemiebeschränkungen besuche die ältere Tochter bis ungefähr 13:30 Uhr oder 14:00 Uhr die Schule, nachmittags mache sie zu Hause ihre Hausaufgaben. Zweimal pro Woche treffe sie ihre Freundinnen, am Wochenende unternehme die Familie gemeinsam etwas, zum Beispiel gingen sie zu ihren Freunden. Einer davon stehe vor dem Verhandlungssaal. Die Tochter betreibe auch Sport, fahre Rad, schwimme und habe vor der Coronakrise Tanzstunden gehabt. Seit vier Jahren sei sie Mitglied in einer Theatergruppe und wolle Ärztin oder Schauspielerin werden. Beide Töchter wüchsen nicht religiös auf. In der Schule besuche die Ältere den katholischen Religionsunterricht, später könne sie entscheiden, welcher Religion sie zugehören wolle. Die Töchter hätten hier andere Möglichkeiten als in Afghanistan, sie könnten hier die Schule besuchen, hätten Freiheit und Sicherheit. Der Zweitbeschwerdeführer wünsche sich für seine Kinder, dass sie die Universität besuchen und die Richtung, die sie mögen, studieren und abschließen können.

Die Familie stehe in Kontakt zu österreichischen Familien aus ihrem Dorf. Seine Gattin gehe überall alleine hin, außer zu Familientreffen, diese besuchten sie gemeinsam. Wenn sie nicht zu Hause sei, kümmere er sich um die Kinder. Sie habe ehrenamtlich zwei Jahre bei der Caritas gearbeitet, sie hätten jedoch noch keine Arbeitserlaubnis. Wenn er mal arbeitslos würde, könnte seine Frau natürlich arbeiten. Die ältere Tochter sei schon groß genug, um alleine zu bleiben. Die Jüngere könne bis Nachmittag im Kindergarten sein und sie hätten auch mit dem Arbeitgeber, von dem sie die Vorverträge hätten, gesprochen, dass sie in zwei Schichten arbeiten könnten. Insgesamt sei seine Frau für das Geld zuständig, sie habe auch ein eigenes Bankkonto. In Zukunft wolle sie als Buchhalterin arbeiten, er selbst eine Ausbildung im Maschinenbau oder als Mechaniker machen.

Außer der drohenden Zwangsheirat hätten seine Töchter kein Recht als Frauen in Afghanistan.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde in weiterer Folge von der erkennenden Richterin auf Deutsch befragt und erklärte, sie sei mit ihrer Mutter vor den Pandemiebeschränkungen manchmal Rad gefahren, spazieren und schwimmen gegangen, manchmal in den Park und vieles andere. Zuhause trage ihrer Mutter bequeme Sachen, ein weites Oberteil und Jogginghose. Die Erstbeschwerdeführerin gehe zur Schule, einkaufen und bei gutem Wetter gehe sie auch manchmal so hinaus. Begleitet werde sie dabei nicht. Im Freibad trage die Erstbeschwerdeführerin einen Badeanzug.

Die Drittbeschwerdeführerin treffe sich mit Freunden, gehe mit ihnen einkaufen und manchmal spazieren. In der Schule spiele sie Handball und nehme am Turnunterricht teil. Meistens trage sie dabei Leggings und ein T-Shirt. Auch absolviere sie den christlichen Religionsunterricht und sei sich noch nicht sicher, ob sie später Ärztin oder Schauspielerin werden wolle. Von ihren Eltern würde sie dabei unterstützt.

Vorgelegt wurde eine Stellungnahme des Bischofs betreffend die Drittbeschwerdeführerin.

Seitens der erkennenden Richterin wurde auf das vorliegende Informationsmaterial zu Afghanistan verwiesen, die rechtliche Vertretung verzichtete auf eine schriftliche Stellungnahme dazu und wies auf die verschlechterte Sicherheitslage nach Abzug der internationalen Truppen hin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen.

Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin wurden in Teheran geboren und lebten dort bis zu ihrer Ausreise nach Europa, die Viertbeschwerdeführerin kam im Bundesgebiet zur Welt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heirateten 2006 standesamtlich in Teheran. Die Familien der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers stammen ursprünglich aus der Provinz Parwan.

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben an.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in Teheran von 1993 bis 2004 die Schule und maturierte dort. Zudem absolvierte sie im Iran einen sechsmonatigen Krankenpflegekurs, IT-Kurse und Englischkurse. Von 2011 bis 2014 war sie als Volksschullehrerin und Informatikbeauftragte in einer afghanischen Schule für Mädchen in Teheran tätig.

Der Zweitbeschwerdeführer besuchte von 1985 bis 2001 in Teheran die Schule und schloss mit Matura ab. Von 2001 bis 2003 studierte er im Iran Informatik und absolvierte 2004 einen Fachkurs ECDL, 2005 einen Kurs für Computergrafik, 2006 für Hardware und 2007 für AutoCAD und Buchhaltung. Von 2003 bis 2004 war er Schneiderlehrling, von 2005 bis 2008 selbstständiger Schneider und von 2009 bis zur Ausreise bei iranischen Unternehmen Kommissionär, Buchhalter und Verkaufsmanager.

Die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin gehören zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen bzw. Mädchen. Die Erstbeschwerdeführerin führt mittlerweile einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken. Die Kinder werden im Bundesgebiet westlich sozialisiert, die gesamte Familie ist westlich orientiert.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 1.4.2021, die Kurzinfo der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan vom 21.7.2020, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde, den vorliegenden Gerichtsakten und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.

2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft der Beschwerdeführer resultieren aus ihren dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten, den vorgelegten Dokumenten und ihren diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen.

Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin und ihres Gatten (des Zweitbeschwerdeführers) sowie der der Drittbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der dort gewonnen werden konnte. Die Angaben der Familie werden zudem durch die zahlreichen – unter Punkt I. detailliert angeführten – Bestätigungen, Zeugnisse, Zertifikate, Unterstützungserklärungen und Fotos sowie die Arbeitsverträge untermauert.

Die Erstbeschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich aus innerer Überzeugung einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist, wobei ihr westlich orientierter Lebensstil auch von ihrem in Österreich lebenden Ehegatten mitgetragen wird.

Die erkennende Richterin gewann im Rahmen der Verhandlung den Eindruck, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und – aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition – auch danach lebt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen anpasst und dass sie sich vor – in Afghanistan für Frauen üblichen – traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben fürchtet. Sie hat glaubhaft dargelegt, vom Willen getragen zu sein, den Alltag selbstständig und ohne Hilfe ihres Ehemannes zu bestreiten. Sie bildet sich weiter, erwarb bereits mehrere Deutschzertifikate, hatte einen außerordentlichen Studienplatz, lernt aktuell für den Führerschein und bemüht sich, beruflich Fuß zu fassen. Auch ist sie ehrenamtlich tätig, verwaltet das Geld der Familie, verfügt über ein eigenes Bankkonto, geht alleine einkaufen, zu (österreichischen) Freunden – unter denen es auch Männer gibt – und Ärzten und besucht Elternabende. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Tochter verreiste sie auch ohne ihren Gatten. Ihre (westliche) Kleidung sucht sie sich selbst aus. Sie betreibt Sport, im Freibad trägt sie einen Badeanzug.

Auch konnte sie glaubhaft darlegen, dass für sie ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt für sich und die Töchter wichtig ist, ebenso wie die freie Partnerwahl und selbstständige Familienplanung. Für sich und ihre Kinder (Töchter) wünscht sie sich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und es ist ihr sehr wichtig, dass auch die Töchter sich ausbilden, ihren Partner selbst aussuchen und einen selbstgewählten Beruf ausüben.

All dies wird vom Zweitbeschwerdeführer unterstützt, der auch auf die Kinder aufpasst und im Haushalt hilft.

Die ältere Tochter (Drittbeschwerdeführerin) geht mit Unterstützung der Eltern mit Freunden einkaufen, Ski fahren, rodeln, schwimmen und Rad fahren. Sie nimmt in Sportbekleidung am Turnunterricht teil und trägt beim Schwimmen Badekleidung. Auch besuchte sie im Bundesgebiet Tanzkurse und spielt seit mehreren Jahren Theater.

Festzuhalten ist auch, dass die Drittbeschwerdeführerin, die ein katholisches Gymnasium besucht, am katholischen Religionsunterricht teilnimmt. Auch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin möchte, dass sich ihre Töchter später, wenn sie alt genug ist, die Religion, der sie angehören selbst wählen können.

Insgesamt führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland der Beschwerdeführer. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Die Erstbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gezeigt, führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Den getroffenen Länderfeststellungen sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (siehe Abschnitt III.A.7f.) ist zu entnehmen, dass die Fortführung dieser Lebensweise in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen führen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. Religion (überwiegende Orientierung an dem als "westlich zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Erstbeschwerdeführerin nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist und (Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017) 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten; b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat; c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigten und d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung, jeweils schon vor der Einreise bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Nach den Materialien (RV 952, 22. GP, 54) dient § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (§ 2 Abs. 1 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (VwGH 6.8.2020, Ra 2020/14/0343).

Da der Erstbeschwerdeführerin bereits aus dem Titel der "westlichen Orientierung" und in der Folge den übrigen Beschwerdeführern gemäß § 34 Abs. 1 und 2 AsylG Asyl zu gewähren war, war auf das übrige asylrelevante Fluchtvorbringen nicht weiter einzugehen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage Konversion ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren Familienangehöriger Familienleben Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche Verhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2197434.1.00

Im RIS seit

20.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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