TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/19 W282 2242837-2

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Veröffentlicht am 19.08.2021
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Entscheidungsdatum

19.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §28 Abs6
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W282 2242837-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen die Anhaltung in Schubhaft seit 04.08.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde für den Anhaltezeitraum in Schubhaft von 04.08.2021 bis 11.08.2021 wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde für den Anhaltezeitraum in Schubhaft von 12.08.2021 bis 19.08.2021 wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG stattgegeben und die Anhaltung für diesen Zeitraum für rechtswidrig erklärt.

III. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

IV. Die Anträge auf Aufwandersatz des Beschwerdeführers und der belangten Behörde werden gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Zum Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer stellte am 27.12.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er war zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig. Bei der Erstbefragung am 28.12.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein sowie der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte er im Wesentlichen aus, dass das Haus der Familie im Zuge des in Afghanistan herrschenden Krieges eingestürzt sei und er sich zu diesem Zeitpunkt im Haus befunden habe, sodass er verletzt worden sei. Er habe Angst um sein Leben; dies wegen den Taliban. Überdies gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage an, dass sein Neffe mit ihm mitgereist und sein Bruder in Österreich aufhältig sei. Am 24.07.2018 wurde der Beschwerdeführer volljährig.

1.2. Das BFA hat mit Bescheid vom XXXX 2018 den Antrag auf internationalen Schutz vom 27.12.2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.). Am 18.01.2019 brachte der Beschwerdeführer dagegen fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, worin er seine Fluchtgründe wiederholte. Mit Erkenntnis vom 25.03.2021, W216 2213741-1/26E, wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des BFA vom XXXX 2018 erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

1.4 Der BF wurde mit Urteil vom XXXX 2020 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 1. Satz SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 7. Fall SMG und nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zur einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden.

1.5 Laut Aufgriffsbericht der Bundespolizeiinspektion Passau vom 12.04.2021 wurde der Beschwerdeführer am 12.04.2021, um 13:31 Uhr, im ICE26, von Österreich kommend, einer grenzpolizeilichen Kontrolle unterzogen, wobei er lediglich seine österreichische Asylverfahrenskarte mitführte. Laut Einreiseverweigerung der Bundespolizeiinspektion Passau vom 12.04.2021 wurde dem Beschwerdeführer die Einreise nach Deutschland verweigert. Er wurde am selben Tag nach Österreich rücküberstellt. Am 13.04.2021 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz und somit einen Folgeantrag iSd § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005.

1.7. Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom XXXX 2021 – der rechtswirksam geladene Beschwerdeführer blieb der Einvernahme am XXXX 2021 unentschuldigt fern – hob das BFA gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 den faktischen Abschiebeschutz des BF gemäß § 12 AsylG 2005 auf.

1.8. Am XXXX 2021 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines gültigen Festnahmeauftrages festgenommen. Im Zuge der Festnahme unternahm der Beschwerdeführer einen Fluchtversuch von der PI Eferding. Er wurde in weiterer Folge, nach kurzer Flucht, von den Beamten der PI Eferding im in Eferding gestellt.

1.9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.05.2021, W207 2213741-2/4E, wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.

1.10. Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX 2021, Zl. XXXX , wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF wird seit XXXX 2021 durchgehend in Schubhaft angehalten.

1.11. Mit Erkenntnis des BVwG vom 01.06.2021 zur GZ. L 514 2242837-1/12E wurde eine Schubhaftbeschwerde des BF als unbegründet abgewiesen und gem. § 22a Abs. 3 BFA-VG ausgesprochen, dass die Vorrausetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen.

1.12. Eine für 03.08.2021 angesetzte Flugabschiebung des BF und anderer afghanischer StA. nach Kabul wurde abgesagt (vgl. die Feststellungen hierzu unten), da der Abschiebeflug keine Landeerlaubnis mehr erhielt.

1.13. Am 18.08.2021 langte die ggst. Schubhaftbeschwerde beim BVwG ein, in der vorgebracht wird, der BF sei noch immer in Schubhaft, obwohl durch die zwischenzeitige vollständige Machtergreifung der Taliban mit 15.08.2021 in Kabul die Unmöglichkeit der Abschiebung offensichtlich sei. Diese sei bereits am 04.08.2021 offenkundig gewesen.

Zum BF und zur Fluchtgefahr:

2.1 Gegen den BF besteht eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

2.2 Der Beschwerdeführer hat einen Bruder und einen Neffen in Österreich. Er ist mittellos und in Österreich nicht integriert. Der Beschwerdeführer verfügte bis 30.05.2020 im Bundesgebiet über eine offizielle Meldeadresse. Er hat nun keinen gesicherten Wohnsitz, keine sozial verfestigten familiären Kontakte im Bundesgebiet und ging nie einer legalen Erwerbstätigkeit zur Bestreitung seiner Existenzmittel nach.

2.3 Am 24.04.2021 und 26.04.2021 erfolgten durch die PI Eferding jeweils Anzeigen gem. § 121 Abs. 2 2. Fall FPG iVm § 15a AsylG, da der Beschwerdeführer unentschuldigt seiner periodischen Meldeverpflichtung nicht nachgekommen ist. Am 06.05.2021, 08.05.2021, 14.05.2021 und 16.05.2021 erfolgten durch die PI Eferding jeweils weitere Anzeigen gem. § 121 Abs. 2 2. Fall FPG iVm § 15a AsylG, da der Beschwerdeführer unentschuldigt seiner periodischen Meldeverpflichtung nicht nachgekommen ist. Am XXXX 2021 ist der Beschwerdeführer unentschuldigt seiner Ladung zur Einvernahme bei der EASt- West nicht nachgekommen.

2.4 Hinsichtlich des BF liegt sowohl Fluchtgefahr als auch Sicherungsbedarf vor.

Zur Möglichkeit der realistischen Durchführung eine Abschiebung nach Afghanistan:

3.1 Festgestellt wird, dass sowohl zum Entscheidungszeitpunkt, als auch in einem vernünftig absehbaren Prognosezeitraum die Durchsetzung der Abschiebung des BF nach Afghanistan nicht realistisch durchführbar ist. Die Taliban haben am 12.08.2021 die Stadt Herat und am 13.08.2021 Mazar-e Sharif eingenommen. Am 15.08.2021 besetzten die Taliban die Hauptstadt Kabul. Weiters wird festgestellt, dass aufgrund der medialen Berichte über das Fortschreiten des Feldzugs der Taliban in Afghanistan sowie deren (weitgehend kampflosen) Eroberung der Stadt Herat am 12.08.2021, die objektive Unmöglichkeit einer Effektuierung der Abschiebung auch nach Kabul für die belangte Behörde mit ebendiesem Datum spätestens ersichtlich war.

Weitere Feststellung waren in Hinblick auf das beschränkte Beschwerdevorbringen nicht angezeigt.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zur im Spruch angeführten GZ, sowie in den Beschwerdeschriftsatz und die Stellungnahme der belangten Behörde. Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem „Zentrales Fremdenregister“ und aus der Anhaltedatei des Bundeministeriums für Inneres wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Weiters wurde in den umfangreichen Akt des BVwG zur GZ. L 514 2242837-1 Einsicht genommen.

Die Feststellungen zum BF selbst und zum Vorliegen von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf basieren maßgeblich auf seinem im Erkenntnis vom 01.06.2021 zur GZ L 514 2242837-1 umfangreich dokumentierten Vorverhalten. Daraus geht hervor, dass der BF wiederholt ihm auferlegte Meldeverpflichtungen verletzt hat, eine Ladung zu einer Einvernahme vor dem Bundesamt ignoriert hat und bei seiner Festnahme auf der PI Eferding sogar aktiv einen Fluchtversuch unternommen hat, wobei der BF durch Nacheile der Polizeibeamten gestellt werden konnte. Es bedarf in Zusammenschau mit der strafrechtlichen Verurteilung des BF daher keiner weiteren Würdigung, um festzustellen, dass der BF nicht vertrauenswürdig und zuverlässig ist und aus diesem Grund Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf vorliegt. Diesen Fakten wird auch in der – kurz gehaltenen Beschwerde – absolut nicht entgegengetreten.

Zur Frage der realistischen Möglichkeit der Durchführung einer Abschiebung ist wie folgt festzuhalten:

Bereits mit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan begann sich die Sicherheitslage dort allgemein zu verschlechtern. Die Taliban nutzen den Abuzg und begannen einen sehr raschen Eroberungsfeldzug. (Kurzinformation der Staatendokumentation zu Afghanistan: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, 2. August 2021). Am 02.08.2021 standen die großen Städte wie Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif noch unter der Kontrolle der Regierung. Dass seit Anfang August eine Lageverschlechterung in Afghanistan evident war, und die Taliban am 12.08.2021 die Stadt Herat und am 14.08.2021 Mazar-e Sharif eingenommen haben und am 15.08.2021 die Taliban die Hauptstadt Kabul besetzten, folgt der aktuellen Medienberichterstattung. Beispielhaft wird dazu auf die Berichterstattung des ORF verwiesen:

„Taliban bringen Herat unter ihre Kontrolle

Die drittgrößte Stadt Afghanistans ist an die militant-islamistischen Taliban gefallen. Die wichtigsten Regierungseinrichtungen von Herat im Westen des Landes seien in den Händen der Islamisten, bestätigten drei lokale Behördenvertreter der dpa am Donnerstag. Erst am Donnerstagfrüh (Ortszeit) war die strategische Stadt Ghazni im Südosten gefallen. Auch die zweitgrößte Stadt Kandahar ist schwer umkämpft.

Dem Fall der historischen Stadt Herat mit ihren geschätzt 600.000 Einwohnerinnen und Einwohnern waren wochenlange Angriffe auf die Stadt vorausgegangen. Die Taliban konnten zunächst von den Sicherheitskräften und Milizen des dort heimischen Politikers und ehemaligen Kriegsfürsten Ismail Khan in Schach gehalten und teils auch wieder zurückgedrängt werden.

Provinzräte berichteten seit Donnerstagnachmittag (Ortszeit) von zunehmenden Gefechten in Herat. Die Taliban seien aus dem Osten in die Stadt vorgedrungen und bis zu 200 Meter an den Gouverneurssitz gelangt. Die Milizen von Khan seien im Westen der Stadt damit beschäftigt gewesen, einen Angriff der Islamisten abzuwehren. Auch vom Norden seien diese vorgerückt, sagte ein weiterer Provinzrat.“ Quelle: www.orf.at, 12. August 2021, 19.37 Uhr (Update: 12. August 2021, 22.12 Uhr)

„Mazar-e Sharif erobert, Kabul umzingelt

Die Taliban setzen ihre Offensive in Afghanistan ungehindert fort. Am Samstagabend nahmen die radikalen Islamisten offenbar kampflos Mazar-e Sharif ein, ehemals Standort der deutschen Bundeswehr. Auch die Lage in der Hauptstadt Kabul wird immer prekärer, die Taliban sind mittlerweile nahe an die Stadt gerückt.

Der örtliche Provinzrat und Bewohner von Mazar-e Sharif berichteten, dass die Stadt eingenommen wurde. Soldaten der Regierung seien in Richtung der Grenze zu Usbekistan geflohen. In einem Feldlager am Rande der Stadt hatte die deutsche Bundeswehr bis zu ihrem Abzug im Juni ihr Hauptquartier für den Afghanistan-Einsatz. Laut Zeugenberichten wurde die Flagge der Taliban auf der Blauen Moschee gehisst. Gefangene seien aus dem Zentralgefängnis der Stadt freigelassen worden.

Die Stadt galt als eine der letzten Hochburgen des Regierungslagers. Kabul ist nun angesichts des raschen Vorrückens der Taliban de facto die letzte Bastion der Regierungstruppen. Doch die Lage wird immer prekärer. International wird befürchtet, dass auch die Hauptstadt bald an die Islamisten fallen könnte. Immer mehr Länder trieben den Abzug ihres Personals rasch voran. Deutschland kündigte etwa an, Staatsbürger mit Hilfe der Bundeswehr aus dem Land holen zu wollen.“ Quelle: www.orf.at, 14. August 2021, 20.45 Uhr (Update: 14. August 2021, 23.56 Uhr)

„Die Folgen des Taliban-Siegeszugs

Neun Tage nach der Eroberung der ersten Provinzhauptstadt sind die radikalislamischen Taliban bis in die afghanische Hauptstadt Kabul vorgerückt. In der Bevölkerung ist die Angst vor Vergeltungsaktionen der Dschihadisten groß. Auch international herrscht Besorgnis über die Folgen des Taliban-Siegeszugs.

In „30 bis 90 Tagen“ werde Kabul an die Taliban fallen, lautete die Einschätzung der US-Geheimdienste noch vergangene Woche. Die Annahme hielt nicht einmal fünf Tage: Am Sonntag drangen die Islamisten in die Hauptstadt Afghanistans ein und besetzten den Präsidentenpalast. Präsident Ashraf Ghani hat das Land fluchtartig verlassen. Nach Angaben des früheren afghanischen Staatschefs Hamid Karzai wurde ein „Koordinierungsrat“ gebildet, der eine friedliche Machtübergabe an die Dschihadisten gewährleisten soll.

In den vergangenen Tagen nahmen die Taliban zahlreiche wichtige Städte ein, viele davon kampflos, etwa die Handelsstadt Jalalabad. Auch die große Schlacht um Kabul blieb aus. Die afghanischen Sicherheitskräfte – die zwei Jahrzehnte lang mit Milliarden aus dem Westen aufgebaut wurden – leisteten kaum Widerstand. Auch die sich in der Stadt befindlichen 5.000 Angehörigen der US-Streitkräfte griffen nicht ein. Ihre Mission war es einzig und allein, den Abzug des diplomatischen Personals zu sichern.“ Quelle: www.orf.at, 15. August 2021, 23.24 Uhr

Bereits in seiner Beschwerde hat der BF zahlreiche Medienberichte die Sicherheitslage in Afghanistan betreffend vorgelegt und auf jene Berichte und Quellen verwiesen, die das Bundesverwaltungsgericht der in der Beschwerde zitierten Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Dem Bundesamt wurde im Verfahren die Möglichkeit gegeben, zu diesen Berichten eine Stellungnahme abzugeben und darzulegen, inwiefern trotz der sich laufend – insbesondere seit 12.08.2021 - verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan mit einer Abschiebung des BF im September 2021 gerechnet werden könne. Das Bundesamt ging in seiner Stellungnahme inhaltlich nicht auf die vorgelegten Berichte ein, sondern führte aus, dass die Lage laufend beobachtet und die Planung der Abschiebung daran angepasst werde. Von der tatsächlichen Durchführbarkeit der Abschiebung gehe das Bundesamt aus, da derzeit eine Landeerlaubnis vorliege.

Der erkennende Richter schließt sich jedoch der Chronologie der Lageeinschätzung, die in einigen kürzlich ergangenen vergleichbaren Entscheidungen enthalten sind nicht an: So bringt die Beschwerde vor, schon mit dem Scheitern des Abschiebecharters am 03.08.2021 habe das Bundesamt von der Unmöglichkeit der Durchführung der Abschiebung ausgehen müssen. Diese Würdigung findet sich auch in einigen der erwähnten Erkenntnisse. Dem ist aber zu entgegnen, dass auch bereits in der Vergangenheit Abschiebecharter nach Afghanistan kurzfristig von afghanischen Behörden abgesagt wurden. Die Absage am 03.08.2021 erfolgte – wie Medienberichten zu entnehmen ist – auch nicht aufgrund der Sicherheitslage, sondern wurde von afghanischen Behörden die COVID-19 Situation als Absagegrund genannt. Auch der Lageeinschätzung der Staatendokumentation vom 02.08.2021 ist noch nicht zu entnehmen, dass die größten Städte Afghanistans vor dem Fall an die Taliban stünden, es wurde nur festgehalten, dass die Regierung mehr Truppen nach Herat entsende, um die Taliban dort aufzuhalten. Dass der Eroberungsfeldzug der Taliban derart schnell von Statten gehen würde, konnte die belangte Behörde nicht vorausahnen geht doch aus Medienberichten vom 15.08.2021 hervor (z.B.: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-sicherheit-evakuierung-kaim-100.html, (15.08.2021) abgerufen am 18.08.2021, Ausdruck OZ X; https://www.srf.ch/news/international/vormarsch-der-taliban-ex-nato-general-fall-von-kabul-ist-nur-eine-frage-der-zeit (13.08.2021), abgerufen am 18.08.2021, Ausdruck OZ X) dass selbst US-amerikanische Geheimdienste von der Schnelligkeit des Vormarsches der Taliban überrascht waren und bis zum Fall der größten Städte bzw. bis den Fall von Kabul frühestens in einem Zeitraum von 3 bis 4 Monaten erwartet hätten. Auch die vom Bundesamt betriebene Staatendokumentation gab bis dato keine neue Lageeinschätzung seit 02.08.2021 ab.

Somit ist dem Grunde nach für den erkennenden Richter nicht ersichtlich, warum schon zum 04.08.2021 für das Bundesamt die absolute Unmöglichkeit der Durchführungen von Abschiebungen ersichtlich gewesen sein sollte. Das Bundesamt bemühte sich in den Tagen nach dem 04.08.2021 auch noch erkennbar darum, eine Landeerlaubnis für einen eigens organisierten Charter im September zu erhalten.

Erst mit der rapiden Verschlechterung der Sicherheitslage durch Eroberung der größten Städte Herat und am Folgetag Mazar-e-Sharif wurde letztlich offenkundig, dass die Kampfmoral der afghanischen Armee vollständig gebrochen war und diese auch nicht mehr in Lage war, Bevölkerungszentren und die Hauptstadt Kabul vor den Taliban zu schützen. Da insb. die Städte Herat und Mazar-e-Sharif als Hauptzielpunkte für innerstaatliche Fluchtalternativen (IFA) für sog „young able men“ in Afghanistan dienen (unter weiteren in der EASO Country Guidance genannten Voraussetzungen), geht der erkennende Richter jedenfalls davon aus, dass mit dem raschen Fall der Stadt Herat im Nordwesten des Landes am 12.08.2021 jener Punkt erreicht war, an dem die belangte Behörde von der Unmöglichkeit der Durchführung von Abschiebungen – ohne das Non-Refoulement Prinzip zu verletzen – ausgehen hätte müssen. Es genügt nämlich nicht den Abzuschiebenden bloß „logistisch“ in sein Herkunftsland zu bringen, da vor der Abschiebung nochmals die individuelle Situation im Herkunftsstaat einer Prüfung auf eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 o. 3 EMRK oder der ZP 6 und 13 zu unterziehen ist. Aus Sicht des erkennenden Richters steht das Ergebnis dieser Prüfung ab 12.08.2021 mit dem Fall von Herat einer Abschiebung nach Afghanistan jedenfalls entgegen.

Auf Ebene der Beweiswürdigung ist daher davon auszugehen, dass spätestens ab 12.08.2021 für die belangte Behörde die tatsächliche Unmöglichkeit der Durchführung der Abschiebung des BF nach Afghanistan innerhalb eines vernünftig prognostizierbaren und vertretbaren Zeitraums ersichtlich war.

Dementgegen sind die Beteuerungen der belangten Behörde, es bestehe noch eine realistische Möglichkeit die Abschiebung in absehbarerer Zeit durchführen zu können, weil der BF für eine (bisher noch nicht stornierte) Abschiebung am im September 2021 gebucht sei, nicht im Geringsten stichhaltig. Angesichts der in der Beschwerde zu Recht zitierten Medienberichte über die Zustände in Kabul bzw. auf dem Gelände des internationalen Flughafens, mit Bildern von Menschen die Flugzeuge stürmen, um aus dem Land zu kommen, der noch laufenden Evakuierung von ausländischen Staatsbürgern von ebendort, erweist sich der Glaube der belangten Behörde an die Durchführung dieses Fluges als reine Fiktion, auch wenn das Gegenteil mit einem (inhaltlich längst überholten) E-Mail vom 09.8.2021 nachzuweisen versucht wird. Auch wiederspricht sich hier das Bundesamt selbst, gab doch die Leiterin des Referats Dublin und Internationale Beziehungen/BII/1 - Rückkehrvorbereitung, welches für die HRZ Besorgung zuständig ist, mit E-Mail vom 16.08.2021 (OZ 9) bekannt: „Bzgl. AFGH darf ich Ihnen mitteilen, dass aufgrund der jüngsten Entwicklungen keine seriöse Prognose zur nächsten Rückführung nach Afghanistan abgegeben werden. Was zukünftige Rückführungen nach Afghanistan betrifft, so erfolgt seitens des BMI/BFA eine laufende Beobachtung der aktuellen Situation sowie eine Anpassung der Planungen an etwaige Entwicklungen.“

Somit ist das in der Stellungnahme des zuständigen Referenten des Bundesamtes angegebene Datum einer angeblichen Abschiebung im September 2021 spätestens seit der vollständigen Machtergreifung der Taliban in Kabul am 15.08.2021 reine Makulatur, zumal jene Regierung mit der diese Rückführung/Landegenehmigung vereinbart wurde, nach der Flucht der meisten Regierungsmitarbeiter aus Kabul ab 15.08.2021 auch gar nicht mehr zu existieren scheint. Dies erklärt zumindest auch die Angabe des Bundesamtes, der Abschiebeflug sei noch nicht storniert, da „am anderen Ende“ in Kabul wohl niemand aus der bisherigen Zivilregierung mehr vorhanden ist, der den Flug absagen könnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

3.1. Rechtsgrundlagen:
§§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur allgemein:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.2 Zum konkreten Fall:

Der BF bekämpft mit der ggst. Beschwerde seine Anhaltung in Schubhaft ab dem 04.08.2021 und begehrt, da er sich noch in Schubhaft befindet, darüber hinaus einen negativen Fortsetzungssauspruch iSd § 22a Abs. 3 BFA-VG.

Einleitend ist auf die für diese Verfahren relevante ständige Rsp. des VwGH hinzuweisen, wonach Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein kann, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. jüngst. VwGH vom 12.01.2021, Ra 2020/21/0378). Treten auch während der Schubhaft Umstände ein, die eine Abschiebung auf absehbare Zeit unmöglich machen, oder eine solche innerhalb eines belastbar prognostizierbaren Zeitraums nicht mehr realistisch erscheinen lassen, erweist sich die Aufrechterhaltung der Schubhaft ab Eintritt dieser Umstände als rechtswidrig. Die relevante Frage in casu ist also, ab wann die Aufrechterhaltung der Schubhaft rechtswidrig wurde, weil das Vorliegen der vorgenannten Umstände für das Bundesamt ersichtlich war.

3.2.1 Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung von 04.08.2021 bis 11.08.2021

Soweit der Zeitraum der Anhaltung des BF in Schubhaft von 04.08.2021 bis 12.08.2021 betroffen ist, ist einleitend festzuhalten, dass die Beschwerde weder das Vorliegen von Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 noch eines Sicherungsbedarfes iSd § 76 Abs. 2 Z 2 FPG bestreitet oder auch nur thematisiert. Es genügt daher auf die Beweiswürdigung zu verweisen, in der dargelegt wird, dass aufgrund der mangelnden Zuverlässigkeit und des erhebliche Fluchtgefahr indizierenden Vorverhaltens des BF die fortgesetzte Annahme von Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 FPG durch das Bundesamt gerechtfertigt war. Auch eine Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung ist für diesen Zeitraum im Hinblick auf die erhebliche Straffälligkeit des BF (§ 76 Abs. 2a FPG) nicht ersichtlich.

Die Beschwerdebegründung erschöpft sich in der Ausführung, dass dem Bundesamt nach Absage des Charters am 03.08.2021 mangels Landeerlaubnis bereits hätte klar sein müssen, dass Abschiebungen nach Afghanistan auf absehbare Zeit unmöglich sind bzw. eine solche innerhalb eines belastbar prognostizierbaren Zeitraums nicht mehr realistisch erscheint.

Hierzu ist erneut auf die ausführliche Beweiswürdigung in Punkt II.2.2 zu verweisen, wonach das BVwG entgegen der Darstellung in der Beschwerde davon ausgeht, dass jedenfalls erst ab dem 12.08.2021 endgültig feststand, dass aufgrund der Eroberung von Herat an diesem Datum Abschiebungen nach Afghanistan auf absehbare bzw. seriös prognostizierbare Zeit unmöglich sein werden. Dabei geht das BVwG davon aus, dass nicht jede Lageänderung iSe Verschlechterung der Sicherheitslage in einem Herkunftsstaat sofort zur Unmöglichkeit von Abschiebungen dorthin und somit zur Rechtswidrigkeit einer Schubhaft mit dem Ziel der Abschiebung in ebendiesen Staat führt.

Gerade bei Ländern wie Afghanistan, die ein grds. volatile Sicherheitslage aufweisen, hat das Bundesamt aus Sicht des BVwG das Recht, die Entwicklung der Sicherheitslage vorerst genau zu beobachten und somit laufend die tatsächliche Möglichkeit oder eben inzwischen eingetretene Unmöglichkeit einer Abschiebung dorthin zu evaluieren. Während dieser Phase ist – je nach Schnelle und Gravität der Lageänderung im Zielstaat- die Aufrechterhaltung der Schubhaft iSd § 76 Abs. 2 Z 2 FPG vorerst noch im Hinblick auf mögliche Lageverbesserungen (z.B. Waffenstillstand, Friedensverhandlungen) zulässig. Verschlechtert sich die Sicherheitslage jedoch so schnell und dramatisch in einer Art und Weise, die bei objektiver Betrachtung keine Besserungsaussicht mehr erkennen lässt, muss von der Unmöglichkeit einer Abschiebung dorthin ausgegangen werden. Dieser – letztgenannte – Punkt war nach Ansicht des erkennenden Richters erst am 12.08.2021 erreicht, zumal die Taliban bis zu diesem Zeitpunkt eher kleinere Provinzhauptstädte erobert hatten, um die sie schon in den Jahren zuvor sehr aktiv waren. Mit dem Fall von Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans, war aber bei objektiver Betrachtung klar, dass die afghanische Armee in keiner Weise in der Lage ist, auch große Städte bzw. Bevölkerungszentren vor dem Vorrücken der Taliban zu schützen. Die Eroberung Herats markiert also jene Punkt, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Besserungsaussicht im Hinblick auf die Sicherheitslage mehr bestand und letztlich auch Mazar-e-Sharif schon am 13.08.2021 in die Hände der Islamisten fiel, Kabul folgte schon am 15.08.2021.

Dementsprechend trat mit 12.08.2021 die objektive Unmöglichkeit der Durchführung von Abschiebungen nach Afghanistan innerhalb eines seriös prognostizierbaren Zeitraums ein. Dies bedeutet aber auch, dass das Zuwarten des Bundesamtes unter genauer Beobachtung der Lage und Aufrechterhaltung der Schubhaft über den BF bis 11.08.2021 noch rechtmäßig war.

Die Beschwerde war daher im Hinblick auf den angefochtenen Zeitraum der Anhaltung für die Anhaltung des BF in Schubhaft von 04.08.2021 bis 11.08.2021 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abzuweisen.

3.2.2 Zur Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung von 12.08.2021 bis 19.08.2021 und zum Fortsetzungsausspruch:

Im Hinblick auf das in Punkt II.3.2.1 umfangreich Ausgeführte ergibt sich mit Erreichen des 12.08.2021 vice-versa die Rechtswidrigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft ab diesem Datum, da bei objektiver Betrachtung ab hier keine Besserungsaussicht im Hinblick auf die Sicherheitslage in Afghanistan mehr bestand. Da ab diesem Datum die objektive Unmöglichkeit der Durchführung von Abschiebungen nach Afghanistan gegeben war und auch innerhalb eines seriös prognostizierbaren Zeitraums keine Aussicht auf Besserung bestand, war ab diesem Zeitpunkt das Ziel der Schubhaft, nämlich die Abschiebung des BF nach Afghanistan innerhalb der Schubhafthöchstdauer realistisch nicht mehr erreichbar. Der BF hätte daher bereits am 12.08.2021 aus der Schubhaft entlassen werden müssen. Da dies unterblieb und der BF bis zum Entscheidungszeitpunkt (19.08.2021) in Schubhaft angehalten wird, war dieser Zeitraum der Anhaltung in Schubhaft gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig zu erklären.

Gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Der BF befindet sich zum Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.

Wie sich aus den Feststellungen und dem oben Gesagten ergibt, ist eine Möglichkeit zur tatsächlichen Abschiebung des BF schon seit 12.08.2021 nicht mehr realistisch, weshalb gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG festzustellen war, dass die Voraussetzungen für seine weitere Anhaltung in Schubhaft schon aus diesem Grund nicht vorliegen.

3.3 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkte III. und IV.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde nur die Anhaltung des BF in Schubhaft ab dem 04.08.2021 bekämpft und (erkennbar) ein diesbezüglich negativer Fortsetzungsausspruch iSd § 22a Abs. 3 BFA-VG begehrt, wobei sich dieser ebenfalls auf die Anhaltung an sich bezieht. Hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft als einheitlicher Verwaltungsakt sind aber beide Verfahrensparteien hinsichtlich desselben Verwaltungsaktes zum Teil obsiegende und zum Teil unterlegene Partei, sodass die Anträge auf Aufwandersatz beider Verfahrensparteien abzuweisen waren, da § 35 VwGVG diesbezüglich kein teilweises Obsiegen kennt.

4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde in der Beschwerde nicht beantragt.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Darüber hinaus war die ggst. Anhaltung in Schubhaft bereits aufgrund der Aktenlage in Teilen für rechtswidrig zu erklären.

Zu B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Frage ab wann die konkrete Unmöglichkeit der Durchführung von Abschiebungen nach Afghanistan für die belangte Behörde ersichtlich war, ist darüber hinaus eine Frage der Beweiswürdigung und keine Rechtsfrage.

Schlagworte

Abschiebung Abschiebungshindernis Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherheitslage Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Teilstattgebung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2242837.2.00

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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