TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/3 L524 2205830-1

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Veröffentlicht am 03.03.2021
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Entscheidungsdatum

03.03.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55
NAG §11

Spruch


L524 2205832-1/8E

L524 2205833-1/7E

L524 2205828-1/8E

L524 2205830-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des (1.) XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, der (2.) XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, der (3.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Türkei und der (4.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, alle vertreten durch RA Dr. Metin AKYÜREK, Köstlergasse 1/23, 1060 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2018, (1.) Zl. 1087882308/180517355, (2.) Zl. 1087882406/180517385, (3.) Zl. 1087882602/180517407 und (4.) Zl. 1087882504/180599110, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot, zu Recht:

A) I. Die Beschwerden des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin werden als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin gegen die Spruchpunkte I. bis III. werden als unbegründet abgewiesen. Den Beschwerden der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin gegen die Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und diese Spruchpunkte ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am 26.06.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Hinblick auf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheiden des BFA vom 20.08.2018, (1.) Zl. 1087882308/180517355, (2.) Zl. 1087882406/180517385, (3.) Zl. 1087882602/180517407 und (4.) Zl. 1087882504/180599110, wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkte I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkte II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot und gegen die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin ein auf 18 Monate befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkte IV.)

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

II. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige.

Die Beschwerdeführer leben seit September 2015 in Österreich. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verfügten über einen bis 03.12.2017 gültigen Aufenthaltstitel „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“. Die Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin wurde auf Grund der Familiengemeinschaft mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin ein bis 03.12.2017 gültiger Aufenthaltstitel „Familieneigenschaft“ erteilt. Die Beschwerdeführer stellten jeweils am 21.11.2017 Verlängerungsanträge.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben in der Türkei Theologie studiert. Der Erstbeschwerdeführer ist türkischer Staatsbediensteter und für den Auslandsdienst durch das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkischen Republik entsandt und als Seelsorger (Imam) für den Verein ATIB Union (Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich) tätig. Er erhält ein türkisches Beamtengehalt von € 2.105, pro Monat, welches ihm vom türkischen Generalkonsulat ausbezahlt wird.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist türkische Staatsbedienstete und für den Auslandsdienst durch das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkischen Republik entsandt und als Seelsorgerin (Imamin) für den Verein ATIB Union (Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich) tätig. Sie erhält ein türkisches Beamtengehalt von € 2.105, pro Monat, welches ihr vom türkischen Generalkonsulat ausbezahlt wird.

Die Beschwerdeführer leben in einer Mietwohnung. Die Miete wird vom Verein ATIB bezahlt. Die Beschwerdeführer übernehmen die Betriebskosten. Die Beschwerdeführer verfügen nicht über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz. Der Erstbeschwerdeführer hat das ÖSD Zertifikat A2 bestanden. Die Zweitbeschwerdeführerin das ÖSD Zertifikat A2 gut bestanden. Die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin besuchen die Schule in Österreich.

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, den erteilten Aufenthaltstiteln und den diesbezüglichen Verlängerungsanträgen ergeben sich aus den Anträgen der Beschwerdeführer und IZR-Auszügen.

Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin türkische Staatsbedienstete sind und ein türkisches Beamtengehalt vom türkischen Generalkonsulat beziehen, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in der Einvernahme vor dem BFA und der Bezirkshauptmannschaft. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer nicht über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügen, stützt sich auf das Schreiben des Präsidiums für Religionsangelegenheiten.

Die Feststellungen zu den bestandenen Deutschprüfungen ergeben sich aus den diesbezüglichen Zeugnissen. Aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich auch, dass die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin in Österreich die Schule besuchen.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. bis III. der angefochtenen Bescheide):

1. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§ 52 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lautet auszugsweise:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) – (3) …

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.         nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) – (7) …

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) – (11) … “

§ 11 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) lautet auszugsweise:

„Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
1.         gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;
2.         gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3.         gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4.         eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;
5.         eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder
6.         er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1.         der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2.         der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3.         der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4.         der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5.         durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6.         der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und
7.         in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) …

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn
1.         sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder
2.         der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs. 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§ 21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß § 23 FPG benötigen würde.“

§ 9 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise:

„Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

2. Türkische Staatsangehörige – auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 – sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

Die Voraussetzung der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt iSd Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 sind unzweifelhaft erfüllt, wenn der Betreffende im Rahmen seiner Berufsausbildung eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgenommen und ausgeübt hat und diese Beschäftigung den Rechtsvorschriften dieses Staates, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit, unterlag (vgl. VwGH 26.06.2012, 2010/09/0234 unter Hinweis auf EuGH Urteil 19. November 2002 in der Rechtssache C-188/00, Bülent Kurz geb. Yüce). Die Beschwerdeführer gehören nicht dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich an, da der Erstbeschwerdeführer türkischer Beamter ist und ein monatliches Beamtengehalt aus der Türkei bezieht, das nicht in Österreich versteuert wird. Sein Dienstverhältnis unterliegt nicht den österreichischen Bestimmungen des Arbeits- und Sozialrechts. Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich nicht berufstätig. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer leitet sein Aufenthaltsrecht vom Erstbeschwerdeführer ab. Die Beschwerdeführer können daher keine Begünstigungen aus dem ARB 1/80 ableiten und sich auch nicht, wie in der Beschwerde angedacht, auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen.

Die Beschwerdeführer hatten einen bis 03.12.2017 gültigen Aufenthaltstitel „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ bzw. „Familieneigenschaft“ und stellten vor dessen Ablauf einen Verlängerungsantrag. Sie sind daher gemäß § 24 Abs. 1 NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht, ist gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Ein solcher Versagungsgrund liegt nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG vor, wenn der Aufenthalt des Fremden öffentlichen Interessen widerstreitet. Dieses Kriterium ist gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dann erfüllt, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Es ist daher zu prüfen, ob der Aufenthalt der Beschwerdeführer die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die belangte Behörde erblickt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darin, dass die Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers als Imam aus dem Ausland finanziert werde und damit ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 vorliege, der ein Verbot der Auslandsfinanzierung vorsehe. Eine Aufenthaltsbeendigung sei daher notwendig, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Der Verfassungsgerichtshof hegte im Erkenntnis vom 13.03.2019, E 3830-3832/2018, E 4344/2018, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015. Nach dieser Bestimmung hat die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen. Die Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften vom Staat, aber insbesondere auch von anderen Staaten und deren Einrichtungen, bildet ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel. Diese Autonomie ist auch von der durch Art. 15 StGG grundrechtlich geschützten korporativen Religionsfreiheit erfasst und sichert die selbstständige und unabhängige Besorgung der inneren Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften, letztlich aber auch die individuelle Religionsausübungsfreiheit der einzelnen Mitglieder einer Kirche oder Religionsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund bildet es ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel, die Finanzierung der gewöhnlichen Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Mitglieder zur Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit einer Religionsgesellschaft grundsätzlich durch finanzielle Mittel aus dem Inland zu sichern (vgl. RV 446 BlgNR 25. GP, 5). Das hier vorliegende Verbot der Mittelaufbringung durch eine laufende Finanzierung aus dem Ausland – dh. das Erfordernis der Sicherstellung hinreichender Mittel im Inland – sichert die Autonomie der islamischen Religionsgesellschaften bzw. Kultusgemeinden gegenüber Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen – im konkreten Fall: des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Republik Türkei (Diyanet ??leri Ba?kanl???) – und bildet daher keine unzulässige Regelung der inneren Angelegenheiten der islamischen Religionsgesellschaften iSd Art. 15 StGG.

Die Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften vom Staat, aber insbesondere auch von anderen Staaten und deren Einrichtungen, die durch § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 erreicht werden soll, bildet ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel. Daraus folgt, dass nicht nur das Verbot der Auslandsfinanzierung einer islamischen Kultusgemeinde als solche im öffentlichen Interesse gelegen ist, sondern auch das Verbot der Bestreitung der Personalaufwendungen in Form von Gehaltszahlungen an die Imame direkt aus ausländischen Mitteln, da ansonsten § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 wirkungslos wäre. Damit verstößt die aus dem Ausland finanzierte Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers als Imam gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015.

Der weitere Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers, der für seine Tätigkeit als Imam vom Ausland finanziert wird und damit gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 verstößt, gefährdet daher die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. Gleiches gilt für die Zweitbeschwerdeführerin, die als Religionsbeauftragte ebenso vom Ausland finanziert wird. Damit widerstreitet der Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin öffentlichen Interessen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG.

Die in der Beschwerde beabsichtigte Errichtung einer Privatstiftung, welche den Erstbeschwerdeführer künftig nach österreichischem arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen beschäftigen sollte, wurde bislang nicht eingerichtet.

Der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels steht somit ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegen, weshalb gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist.

Die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen leiten ihren Aufenthaltstitel auf Grund der Familieneigenschaft mit dem Erstbeschwerdeführer ab, weshalb auch gegen sie Rückkehrentscheidungen zu erlassen sind.

3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 20.10.2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, sondern auch für das – nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige – Einreiseverbot iSd § 53 FPG, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte – im Inland befindliche – Familie betroffen, greift sie allenfalls lediglich in das Privatleben der Familienangehörigen und nicht auch in ihr Familienleben ein. Mit dieser Entscheidung wird gegen die Beschwerdeführer als Familie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Rückkehrentscheidung stellt demnach keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

Die Beschwerdeführer leben seit September 2015 in Österreich. Sie verfügten bis 03.12.2017 über Aufenthaltstitel und stellten vor dessen Ablauf Verlängerungsanträge. Der Erstbeschwerdeführer hat das ÖSD Zertifikat A2 bestanden. Die Zweitbeschwerdeführerin das ÖSD Zertifikat A2 gut bestanden. Die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin besuchen die Schule. Im Verfahren kam nicht hervor, dass die Beschwerdeführer tiefergehend in die österreichische Gesellschaft integriert sind. Es liegen daher keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale vor.

Die Bindungen zum Heimatstaat der Beschwerdeführer sind besonders ausgeprägt. Die Beschwerdeführer verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Türkei. Sie haben dort ihre Ausbildung absolviert und ihre Sozialisation erfahren. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben in der Türkei Theologie studiert.

Auf Grund der genannten Umstände überwiegen in einer Gesamtabwägung derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet. Insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens wiegt in diesem Fall schwerer als die privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet. Durch die angeordnete Rückkehrentscheidung liegt eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Die Beschwerdeführer sind nicht durch die Todesstrafe und auch nicht durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bedroht. Die Beschwerdeführer sind nicht lebensbedrohlich erkrankt. Die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei ist daher gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig.

Die Frist für die freiwillige Ausreise ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 FPG.

Einreiseverbot (Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide):

§ 53 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lautet auszugsweise:

„Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1.         wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2.         wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3.         wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;
4.         wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5.         wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6.         den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
7.         bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8.         eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder
9.         an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) …

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) – (6) …“

Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311 unter Hinweis auf VwGH 20.12.2013, 2013/21/0047, mwN).

Die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs. 2 FPG angeführten Tatbestände stellen nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: "insbesondere") jener Umstände dar, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, zutreffen, was dann gegebenenfalls – nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall – die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigen kann (vgl. VwGH 05.05.2020, Ra 2019/21/0061 unter Hinweis auf VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0104).

Nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG hat ein Fremder initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309. Ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag eignet sich grundsätzlich als Nachweis der Unterhaltsmittel für den (zukünftigen) Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. § 7 Abs. 1 Z 7 NAG-DV 2005, in dem arbeitsrechtliche Vorverträge ausdrücklich als Bescheinigungsmittel zum Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts genannt sind). Die Frage, inwieweit eine Arbeitsplatzzusage für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG Bedeutung hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0277 unter Hinweis auf VwGH 29.6.2010, 2010/18/0195).

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mwN). Dabei ist – abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers – darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0104 unter Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).

Bei der Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG anzunehmen. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. etwa VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311, Rn. 12 und 19, mwN).

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin beziehen ein Beamtengehalt des türkischen Staates im Rahmen ihrer Tätigkeiten als Imame für ATIB. Damit wird, wie oben ausgeführt, gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 verstoßen, weil die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Mitglieder von ATIB durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland nicht nachgewiesen wurde. Alleine durch seine Tätigkeit, die gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015 verstößt, wird die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin konnten auch den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen. In der Beschwerde wird zwar vorgebracht, dass künftig ein Dienstverhältnis mit einer Privatstiftung eingegangen werde. Da diese Stiftung aber noch nicht gegründet und tätig ist, konnten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin daraus resultierend keinen Besitz der Mittel zum Unterhalt nachweisen. Dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in einem solchen Fall über anderweitige, ausreichende Mittel verfügen würde, um ihren Unterhalt zu finanzieren, haben sie nicht vorgebracht. Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist somit § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt.

Außerdem konnten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin auch nicht nachweisen, dass sie über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügen. Sie legten ein Schreiben des türkischen Präsidiums für Religionsangelegenheiten vor zur Krankenversicherung der Religionsbeauftragten vor. Aus diesem Schreiben geht jedoch nicht hervor, dass es sich dabei um einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz handelt. Damit wird § 11 Abs. 2 Z 3 NAG nicht erfüllt.

Der weitere Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin gefährdet daher die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Selbst unter Berücksichtigung des (bereits zur Rückkehrentscheidung geprüften) Privat- und Familienlebens des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin kam der aus dem dargestellten Sachverhalt abzuleitenden Gefährdungsprognose zu Lasten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ein höheres Gewicht zu.

Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbotes ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dabei ist das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen, aber auch darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A/2011, zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011). Diese Rechtsprechung ist auch für die Rechtslage nach dem FrÄG 2018 aufrechtzuerhalten (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109 unter Hinweis auf VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

Im Falle des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist die Verhängung eines Einreiseverbots in der Dauer von höchstens fünf Jahren möglich. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, die für ihre Tätigkeiten als Imame vom Ausland finanziert werden, verstoßen damit gegen § 6 Abs. 2 Islamgesetz 2015. Damit liegt nicht bloß eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung vor. Eine Dauer des Einreisverbots von drei Jahren ist daher angemessen.

Den minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen kann das fremdenrechtliche Fehlverhalten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0065 mwN). Eine gesetzliche Grundlage, wonach sie sich das Fehlverhalten ihrer gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen müssten, besteht nicht (vgl. VwGH 19.12.2012, 2012/22/0212). Dass die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen keine nennenswerten Unterhaltsmittel haben nachweisen können, kann ihnen angesichts ihrer Minderjährigkeit nicht angelastet werden. Das gegen die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen verhängte Einreiseverbot war daher ersatzlos zu beheben.

Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. In der Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018). Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes übereinstimmt.

Schlagworte

Auslandsfinanzierung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Teilbehebung Gefährdungsprognose Interessenabwägung Krankenversicherung Minderjährigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Versagungsgrund Zurechenbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L524.2205830.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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