TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/11 W144 2238641-1

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Veröffentlicht am 11.02.2021
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Entscheidungsdatum

11.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §10 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W144 2238641-1/5E
W144 2238642-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Huber als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , und 2. XXXX , geb. XXXX , beide StA. von Armenien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 30.11.2020, Zlen. XXXX (ad 1.) und XXXX (ad 2.), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stattgegeben, die bekämpften Bescheide werden behoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Entscheidungen an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), Staatsangehörige Armeniens, stellten im österreichischen Bundesgebiet am 05.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden des - damals zuständigen - Bundesasylamtes vom 18.10.2012 wurden die Anträge der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 20.10.2013 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt II. ausgeführt, dass bei den Beschwerdeführern aufgrund ihrer persönlichen - vor allem gesundheitlichen - Situation ein Abschiebungshindernis vorliege. Wegen dieser schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme werde den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten gewährt.

Die befristeten Aufenthaltsberechtigungen der Beschwerdeführer wurden in der Folge gemäß § 8 Abs. 4 AsylG aufgrund entsprechender Anträge - letztmals mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „BFA“ oder „belangte Behörde“) vom 21.11.2018 - bis zum 20.10.2020 verlängert.

Am 21.09.2020 stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung. In der Folge teilte das BFA den Beschwerdeführern mit, dass die Aberkennung ihres Schutzstatus in Erwägung gezogen werde, und forderte die Beschwerdeführer auf, schriftlich Stellung zu nehmen.

Die Beschwerdeführer bezogen mit Schreiben vom 19.11.2020 wie folgt Stellung:

Gegen eine Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten spreche, dass sie in Armenien niemanden haben würden, ihr Sohn lebe in Österreich. Sie seien im Pensionsalter und auch gesundheitlich angeschlagen. Der BF1 befinde sich seit Oktober 2016 in einer Therapie, wobei er Medikamente gegen Atemnot und Husten einnehme. Die BF2 bekomme eine Schmerztherapie, eine Operation sei aufgrund der Covid-19 Pandemie verschoben worden; se nehme auch Medikamente ein. Seit der rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz hätten sich keine Änderungen im Hinblick auf eine Verfolgungssituation in Armenien ergeben.

In der Folge wurden mit den nun angefochtenen Bescheiden des BFA vom 30.11.2020 die Anträge vom 21.09.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern der mit Bescheid vom 18.10.2012 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.) und die mit Bescheiden vom 21.11.2018 erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt V.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig ist (Spruchpunkt VI.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde unter Darlegung näherer Erwägungen zu Spruchpunkt II. im Wesentlichen ausgeführt, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Aus einem zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Arztbrief hinsichtlich des BF1 sei hervorgegangen, dass bei ihm wegen Auffälligkeiten bei einem Lungenröntgen Untersuchungen durchgeführt, aber keine Veränderungen oder Krankheitssymptome festgestellt worden seien. Der BF1 habe damals vor dem BFA angegeben, er habe eine Lungenentzündung gehabt und habe sich die Zähne richten lassen. Zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus sei aus einem Arztbrief hinsichtlich der BF2 hervorgegangen, dass sie an einer Entzündung des Nierenbeckens, einer Helicobacter-Gastritis und einem Reflux im Stadium I gelitten habe. Aus aktuellen Unterlagen gehe nunmehr lediglich hervor, dass die BF2 ein künstliches Hüftgelenk bekommen habe, eine Operation an ihrem Knie geplant sei und sie Medikamente einnehme. Der BF1 habe keine aktuellen medizinischen Unterlagen vorgelegt. Es ergebe sich nunmehr, dass die Beschwerdeführer an keinen schwerwiegenden Krankheiten leiden, für welche ein Abschiebehindernis erkannt werde bzw. welche nicht auch in Armenien behandelbar seien. In einer Gesamtbetrachtung würden die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, weshalb den Beschwerdeführern der Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 1 AsylG abzuerkennen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 30.12.2020, in welcher zusammengefasst geltend gemacht wird, dass genaue Ermittlungen oder Fragen bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer gänzlich unterlassen worden seien, obwohl dies der Grund für die Zuerkennung des Schutzstatus gewesen sei. Hätte das BFA ordnungsgemäß ermittelt, hätte es erfahren, dass die anstehende Operation der BF2 sehr dringlich sei und der BF1 weiterhin an Asthma leide. Auch habe das BFA die selbst ins Verfahren eingeführten Länderberichte nicht entsprechend gewürdigt. Insbesondere sei die Informationen vernachlässigt worden, dass die Gesundheitsversorgung in Armenien grundsätzlich verfügbar sei, es jedoch an staatlicher Krankenversicherung fehle und sich viele Armenier Behandlungen daher nicht leisten können. Des Weiteren seien keine Ermittlungstätigkeiten seitens des BFA unternommen worden, um zu überprüfen, ob ein schützenswertes Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der unter I. dargelegte Verfahrensgang.

Die Beschwerdeführer sind armenische Staatsangehörige und bekennen sich zum armenisch-christlichen Glauben. Sie stammen aus Armenien, lebten jedoch bereits seit 1988 in der russischen Föderation, bevor sie 2012 nach Österreich kamen.

Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer - unterlassen, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Bescheiderlassungen nicht hinreichend feststand. Den Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden, dass bei den Beschwerdeführern keine schwerwiegenden Krankheiten und somit kein Abschiebehindernis gegeben seien, liegen keine ausreichenden Ermittlungstätigkeiten des BFA zugrunde.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Herkunft gründen auf den Angaben der Beschwerdeführer. Es ergaben sich sowohl im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz als auch im gegenständlichen Verfahren keine Anhaltspunkte dafür, an diesen Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zur mangelhaften Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Insbesondere wurden seitens des BFA keinerlei aktuelle medizinische Fachgutachten über den jeweiligen Gesundheitszustand der BF eingeholt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

3.1. Zur Zurückverweisung:

3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet daher die Rechtsgrundlage, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 28.03.2017, Ro 2016/09/0009) ist eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG zulässig, wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088; VwGH 23.02.2017, Ra 2016/09/0103).

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens missachtet.

3.1.2. Zu den Grundlagen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Der im vorliegenden Fall anzuwendende § 9 Asylgesetz 2005 lautet:

„(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

[…]

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

[…]

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

In der Begründung des angefochtenen Bescheides des BFA wird ausgeführt, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Nunmehr würden sie jedoch an keiner schwerwiegenden Krankheit, die ein Abschiebehindernis darstellen würde und nicht in Armenien behandelbar sei, leiden. Da somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden, sei eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 AsylG auszusprechen (siehe Seiten 5 und 35 der angefochtenen Bescheide vom 30.11.2020).

Ohne es eindeutig zu bezeichnen, stützt die belangte Behörde die Aberkennung auf den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG. Dieser betrifft jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 29.1.2020, Ro 2019/18/0002, mwN).

Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Damit stellt § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG in richtlinienkonformer Interpretation auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorrübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

3.1.3. Zur Mangelhaftigkeit der Bescheide des BFA vom 30.11.2020 im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG:

Der angefochtene Bescheid ist mangelhaft, da es die belangte Behörde unterlassen hat, entsprechende Ermittlungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer zu tätigen. Die Ermittlungstätigkeit des BFA im Aberkennungsverfahren erschöpfte sich darin, dass es die Beschwerdeführer über die Einleitung des Verfahrens informierte und aufforderte, innerhalb von 14 Tagen zu seinen darin übermittelten Fragen schriftlich Stellung zu beziehen und aktuelle medizinische Unterlagen vorzulegen. Weitere Schritte zur Ermittlung des Sachverhalts wurden nicht unternommen.

Entsprechend den dargelegten Ausführungen zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG ist anzumerken, dass eine Veränderung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer wesentlich und nachhaltig sein muss, damit ihnen der Schutzstatus entzogen werden darf. Dies verlangt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine genaue Überprüfung durch die belangte Behörde. Besonders im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführer in ihren Stellungnahmen medizinische Probleme anführten, scheint eine Einvernahme der Beschwerdeführer durch das BFA mit einhergehender Erörterung ihres Gesundheitszustandes vor bescheidmäßiger Aberkennung ihres Schutzstatus - in Verbindung mit Erlassung einer Rückkehrentscheidung - unerlässlich.

Auch ist in Anbetracht dessen, dass in den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 18.10.2012, mit welchen den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurden, lediglich unpräzise „schwerwiegende gesundheitliche Probleme“ angeführt wurden, ohne genaue Feststellungen zu den Gesundheitszuständen zu treffen, die bloße Aufforderung zur Übermittlung von medizinischen Unterlagen nicht ausreichend, um den notwendigen Sachverhalt zu ermitteln. Die Beschwerdeführer nannten in ihren Stellungnahmen an das BFA auch diverse Medikamente und gesundheitliche Beeinträchtigungen, weshalb nicht ersichtlich ist, wie die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungsschritte darauf gekommen ist, dass bei den Beschwerdeführern eine maßgebliche Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation eingetreten ist.

Um eine solche nachhaltige und wesentliche Verbesserung - auf Basis einer fundierten Grundlage - feststellen zu können, scheint es in diesem Fall erforderlich, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Den Beschwerdeführern wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht aufgrund einer bestimmten Erkrankung oder Beeinträchtigung, sondern allgemein wegen ihrer „schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme“ zuerkannt, weshalb keine einfache Beurteilung durch das BFA (oder das Bundesverwaltungsgericht), ob der Gesundheitszustand hinsichtlich dieser einen Erkrankung besser wurde, getroffen werden kann. Vielmehr benötigt es fachärztliche Expertise, um ein Gesamtbild des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer darzulegen und damit in der Folge der notwendige Sachverhalt für die Beurteilung, ob eine maßgebliche Änderung im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG eingetreten ist, festgestellt werden kann. Dies noch umso mehr als sich die BF zum einen seit nunmehr 8 Jahren (!) im Bundesgebiet befinden und ihr Subsidiärschutz bis dato immer verlängert worden ist, und zum anderen die BF betagte (und damit nach menschlichen Ermessen physisch und psychisch weniger flexible) Personen sind, für die eine Rückkehr nach dieser nicht unerheblich langen Zeit wohl eine besondere Härte darstellen würde.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung liegt daher ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vor. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG kann nicht davon ausgegangen werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststeht und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Es ist in erster Linie die Aufgabe der Verwaltungsbehörde, zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern.

Mangels eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens seitens der belangten Behörde fehlt dem Bundesverwaltungsgericht jedenfalls eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob tatsächlich eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer eingetreten ist und somit die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gegeben sind.

Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens wird das BFA eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer durchzuführen haben und sich detailliert mit ihrem Vorbringen - besonders hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes - auseinandersetzen müssen. Um seiner Ermittlungspflicht nachzukommen und um die Frage der maßgeblichen Änderung des Gesundheitszustandes beurteilen zu können, wird die Einholung eines medizinischen Gutachtens notwendig sein.

Da also der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführer noch nicht feststeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 Zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

3.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits aufgrund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die vorliegende Entscheidung betrifft die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde wegen mangelnder Sachverhaltsfeststellungen infolge fehlender bzw. mangelnder behördlicher Ermittlungstätigkeit und folgt den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgesprochenen Vorgaben zu der Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Die gegenständliche Entscheidung weicht daher nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab oder fehlt es an dieser; die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2238641.1.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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