TE OGH 2021/5/19 10ObS40/21m

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Veröffentlicht am 19.05.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Dr. Johannes Mayrhofer, LL.B, MBA, Rechtsanwalt in Steyr, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2021, GZ 11 Rs 71/20w-40, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Vorinstanzen haben das Begehren der 1965 geborenen Klägerin auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab 1. 4. 2019 abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

[2]       1.1 Die Frage, in welche Beschäftigungsgruppe eines anwendbaren Kollektivvertrags die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit eines Versicherten einzureihen ist, ist eine Rechtsfrage, die anhand eines Vergleichs der ausgeübten Tätigkeit mit den Einstufungskriterien des Kollektivvertrags anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu lösen ist (10 ObS 27/18w SSV-NF 32/29 ua; RS0043547).

[3]       1.2 In der (früheren) Beschäftigungsgruppe 5 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten sind Angestellte mit Dispositions- und/oder Anweisungstätigkeiten, die schwierige Arbeiten selbständig oder verantwortlich ausführen sowie Angestellte, die Tätigkeiten, wofür Spezialkenntnisse und praktische Erfahrung erforderlich sind, selbständig und verantwortlich ausführen, zusammengefasst, beispielsweise selbständige Leiter von im Firmenbuch eingetragenen Zweigniederlassungen im Drogengroßhandel, Leiter eines organisatorisch selbständigen Lagers mit Dispositionstätigkeit und mindestens 20 ständig unterstellten Arbeitnehmern sowie Abteilungsleiter größerer Abteilungen (vgl 10 ObS 45/95 SSV-NF 9/29). Erst die selbständige und verantwortliche Ausführung schwieriger Arbeiten rechtfertigt eine Einordnung in Beschäftigungsgruppe 5 (10 ObS 309/99k SSV-NF 14/43).

[4]            1.3 Die Klägerin war seit 1991 als kaufmännische Angestellte und als „Produktmanagerin“ tätig. Die Klägerin war zwar im Berufsalltag für vier Mitarbeiterinnen verantwortlich, die ihr zuarbeiteten. Sie war aber nie für die Einstellung und die Freistellung von Personal verantwortlich. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, dass die Klägerin über ein eigenes Budget verfügen konnte, sie hat dazu auch kein Vorbringen erstattet. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die im Einzelnen festgestellten Tätigkeiten der Klägerin vor diesem Hintergrund ihre Einstufung in (die frühere) Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten rechtfertigt, ist vor diesem Hintergrund nicht korrekturbedürftig. Diese Einstufung entspricht auch jener, die der Arbeitgeber der Klägerin in dem von ihr vorgelegten Dienstzettel vom 22. 11. 2017 (Blg ./C) vorgenommen hat.

[5]            1.4 Die Revisionswerberin behauptet, sie habe „selbstverständlich und wie im Geschäftsalltag bei vergleichbaren Tätigkeiten üblich“ eine „selbstständige Vertretungsmacht im Sinne einer Handlungsvollmacht für unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte (§ 54 UGB)“ gehabt. Der Inhalt der Handlungsvollmacht nach § 54 Abs 1 UGB ist jedoch nicht abschließend definiert und steht in der Disposition des Unternehmers (Schopper/Trenker, UGB³ § 54 Rz 7). Sie kann unterschiedliche Befugnisse umfassen (Allgemeine Handlungsvollmacht, Arthandlungsvollmacht, Einzelhandlungsvollmacht), sodass allein die Bezeichnung „Handlungsvollmacht“ ohne weitere Erläuterungen keine verlässliche Auskunft über den im konkreten Fall erteilten Berechtigungsumfang geben kann (5 Ob 13/09m). Die Erteilung einer Handlungsvollmacht zieht für sich allein genommen keine eine bestimmte Einstufung in einen Kollektivvertrag rechtfertigende Qualifikation nach sich.

[6]            1.5 Der Umstand, dass es sich bei der Einstufung in einen Kollektivvertrag um eine Rechtsfrage handelt, ändert nichts daran, dass die Feststellung der den Sachverhalt (hier: die tatsächlich von der Klägerin ausgeübten Arbeitstätigkeiten) bildenden Tatsachen einschließlich aller Schlussfolgerungen zur Tatfrage gehört (RS0111996), sodass ein entsprechendes Vorbringen entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin dazu erforderlich ist. Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[7]            1.6 Auf die weitere, von der Klägerin in der Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob „das Vorbringen der Tätigkeiten der auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension Klagenden tatsächlich (auch) das Ziel der Tätigkeit entsprechend dem in der Referenzfunktionentabelle genannten Ziel (wortwörtlich) enthalten“ müsse, braucht schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil diese für die Frage der Einstufung der Tätigkeit der Klägerin, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 1. 2006 begründet worden ist (vgl Pkt F, Beschäftigungsgruppenschema im Kollektivvertrag für die Handelsangestellten, Rahmen vom 1. 1. 2017), nicht anzuwenden ist. Auch der in diesem Zusammenhang behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8]       2.1 Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, wird in ständiger Rechtsprechung in der Regel für zulässig erachtet (RS0085599 [T6, T7, T32]). Dies gilt auch, wenn es sich dabei um Tätigkeiten mit einer geringeren Eigenverantwortung handelt (RS0085599 [T2, T5]). Auch gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen (RS0085599 [T2, T5, T14]; RS0084890 [T9]). So billigte der Oberste Gerichtshof etwa die Verweisung eines Versicherten, der als Leiter der Vertriebsabteilung in Beschäftigungsgruppe 5 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte einzureihen war, auf die der Beschäftigungsgruppe 4 dieses Kollektivvertrags zugehörende Verkaufstätigkeit mit selbständiger Preisdisposition (10 ObS 124/13b SSV-NF 27/72).

[9]       2.2 Dem Argument der Revisionswerberin, es komme nicht auf die Einschätzung des Berufungsgerichts an, ob ein sozialer Abstieg vorliege, sondern auf die Einschätzung der Allgemeinheit, ist entgegenzuhalten, dass die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag ein Indiz für die (allgemeine) Einschätzung des sozialen Werts sein und daher zur Beurteilung sozialen Abstiegs herangezogen werden kann (10 ObS 137/14s SSV-NF 28/76; RS0084890 [T3]). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass eine Verweisung der Klägerin auf verschiedene Sachbearbeitertätigkeiten, die in die (frühere) nächstniedrigere Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten einzustufen sind, möglich und zumutbar ist, steht im Einklang mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen.

Textnummer

E131887

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00040.21M.0519.000

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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