TE Bvwg Beschluss 2021/2/1 W161 2237246-1

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Veröffentlicht am 01.02.2021
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Entscheidungsdatum

01.02.2021

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W161 2237246-1/2E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft XXXX vom 12.10.2020, Zl. XXXX , aufgrund des Vorlageantrages der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft XXXX vom 04.08.2020, beschlossen

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid wird behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist eine Staatsangehörige von Afghanistan und stellte am 08.11.2018 in Begleitung ihrer Mutter XXXX bei der Österreichischen Botschaft XXXX (im Folgenden: „ÖB - XXXX “) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG. Begründend führte sie aus, sie wolle zu ihrem in Österreich aufhältigen und hier asylberechtigten Vater XXXX reisen. Auch die Mutter sowie die vier minderjährigen Geschwister der BF stellten am selben Tag Anträge auf Erteilung von Einreisetitel gemäß § 35 Abs. 1 AsylG, wobei auch diese XXXX als Bezugsperson angaben.

Dem Antrag der BF wurden folgenden Dokumente beigefügt:

-        Identitätsseite des Reisepasses der BF in Kopie, ausgestellt am 04.11.2018

-        englische Übersetzung der National ID Card (Tazkira) der BF in Kopie, ausgestellt am 28.10.2018

-        Afghanistan Central Civil Registration Authority in Kopie (keine Übersetzung)

-        ein weiteres nicht übersetztes Dokument

1.2. In seiner Stellungnahme vom 14.06.2019 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aus, dass die BF die Gewährung eines Status iSd § 35 Abs. 4 AsylG nicht wahrscheinlich sei.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass aus der eingebrachten Übersetzung der Tazkira hervorgehe, dass das Alter der BF nachträglich und unmittelbar vor Stellung des Einreiseantrages vom Geburtsjahr 2000 auf das Geburtsjahr 2001 geändert worden sei. Zudem habe die Bezugsperson in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 22.08.2018 angegeben, dass die BF 18 Jahre alt sei, woraus sich als Geburtsjahr der BF das Jahr 2000 ergebe und die BF zum Zeitpunkt der Antragstellung an der ÖB – XXXX – volljährig gewesen sei. Weiters gehe aus der eingebrachten Übersetzung des „Marriage Certificate“ hervor, dass die BF im Jahr 2012 12 Jahre alt gewesen sei, womit sich ebenso das Geburtsjahr 2000 ergebe. Auch würde bei allen anderen Familienangehörigen das Geburtsjahr in der Übersetzung des „Marriage Certificate“ mit den Altersangaben in allen anderen Dokumenten übereinstimmen. Zudem sei die Übersetzung des „Marriage Certificate“ am 25.09.2018, sohin vor der Alterskorrektur der Tazkira der BF erfolgt. Darüber hinaus habe die am 23.05.2019 vom BFA befragte Bezugsperson angegeben, den Grund für die Änderung des Geburtsjahres in der Tazkira nicht zu wissen bzw. dass zur Ausstellung eines Reisepasses in Afghanistan die Tazkira einzubringen sei und die Mutter das Alter für die BF angegeben habe. Darüber hinaus verwies das BFA auf drei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (vom 14.02.2019, 09.11.2018 und 21.11.2013), woraus sich ergebe, dass in Afghanistan sämtliche Urkunden problemlos gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit gefertigt werden würden und eine fehlende Urkundensicherheit bestehe. In Afghanistan gäbe es zahlreiche echte Dokumente unwahren Inhaltes. In Zusammenschau der Angaben der Bezugsperson bei der Befragung vor dem BFA am 23.05.2019, den Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2018, den eingebrachten Unterlagen sowie den Ausführungen der Staatendokumentation könne dem eingebrachten afghanischen Reisepass keine Beweiskraft in Bezug auf das Alter der BF zugesprochen werden. Es ergäbe sich vielmehr, dass aus den dargelegten Gründen das Alter der BF unmittelbar vor Stellung des Einreiseantrages auf der Tazkira korrigiert worden sei und der Reisepass aufgrund der Angaben in der Tazkira ausgestellt worden sei. Damit ergäbe sich das Bild, dass die Alterskorrektur ausschließlich für die Stellung eines Einreiseantrages und entgegen der Tatsache erfolgt sei, um bei der Antragstellung minderjährig zu sein und so die Voraussetzungen zu erfüllen. Der volle Beweis iSd AVG zur Minderjährigkeit der BF sei daher nicht erbracht worden und erscheine eine Altersfeststellung als nicht zielführend, da aufgrund der Schwankungsbreite dieser Gutachten nicht davon ausgegangen werden könne, dass das tatsächliche Alter der BF festgestellt werden könnte. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA aus, es würde sich aus den Angaben der Bezugsperson vor dem BFA am 23.05.2019 sowie den Angaben der Mutter der BF bei der Befragung vor der ÖB – XXXX am 29.01.2019 ergeben, dass der Großvater der BF nach wie vor in Mazar-e Sharif lebe. Die Bezugsperson habe auch angegeben, dass die BF den Großvater kenne, diesen besucht habe sowie bis zur 6. Klasse in die Schule gegangen sei und als Schneiderin gearbeitet habe. Aus den Angaben der Bezugsperson gehe auch hervor, dass es der BF möglich gewesen sei, von XXXX nach XXXX zum Zwecke der Antragstellung und wieder retour zu reisen, woraus sich ergebe, dass es der BF möglich sei, zu reisen. Aus den Länderfeststellungen der Staatendokumentation gehe hervor, dass sich Mazar-e Sharif wirtschaftlich gut entwickle und die Provinz Balkh zu den stabilsten Provinzen Afghanistans zähle. Der BF sei es sohin möglich bei ihrem Großvater in Mazar-e Sharif zu bleiben und würde sie sohin nicht als alleinstehende Frau in Afghanistan verbleiben. Die BF habe darüber hinaus auch die Möglichkeit im Rahmen des NAG legal als Familienangehörige nach Österreich zu reisen.

1.3. Mit Schreiben vom 18.06.2019 wurde der Vertreterin der Antragstellerin die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt. Ihr wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass das BFA nach Prüfung mitgeteilt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Zur diesbezüglichen Begründung wurde auf die beiliegende Stellungnahme des BFA vom 14.06.2019 verwiesen. Daraus ergebe sich, dass der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 Abs. 4 AsylG abzulehnen wäre.

1.4. Am 25.06.2019 brachte die BF durch ihre Vertreterin innerhalb offener Frist eine Stellungnahme bei der ÖB – XXXX ein und führte darin aus, die belangte Behörde gehe zu Unrecht davon aus, dass die BF bei der Antragstellung bereits volljährig gewesen sei. Soweit sich das BFA auf die Angaben der Bezugsperson (Vater) stütze, so habe dieser zwar richtigerweise angegeben, dass die BF volljährig sei, die Begründung der Bezugsperson sei aber nicht ausreichend gewürdigt worden, da dieser angegeben habe, das Geburtsdatum der Antragstellerin nicht genau gewusst zu haben. Dies sei angesichts der Tatsache, dass Geburtsdaten in Afghanistan keine Relevanz zukomme auch plausibel. Im Asylverfahren sei nur eine bloße Schätzung des Alters angegeben worden. Soweit sich das BFA auf die Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beziehe, so sei anzumerken, dass diese nicht öffentlich einsehbar seien. Da diese aber offenbar eine wesentliche Basis für die beabsichtigte Ablehnung des Antrages darstellen würden, wären die Berichte der BF zur Stellungnahme zu übermitteln, um das Recht auf Parteiengehör bewahren zu können. Zudem würde die bloße Möglichkeit der Erlangung gefälschter Dokumente nicht genügen, um die vorgelegten Dokumente als Fälschungen zu qualifizieren. Der bloße Verweis auf die Angaben der Bezugsperson genüge nicht, vielmehr seien die vorgelegten Dokumente als Beweismittel entsprechend zu überprüfen und zu würdigen gewesen. Der BF würden keine anderen Dokumente zum Beweis ihrer Angaben zur Verfügung stehen. Die Divergenz der Altersangaben der Bezugsperson im Jahr 2018 (18 Jahre) und dem tatsächlichen Alter der BF (17 Jahre) sei nur geringfügig, sodass durchaus denkbar und plausibel sei, dass der Bezugsperson ein Irrtum unterlaufen sei. Soweit die Behörde der BF vorhalte, es sei ihr nicht gelungen, den vollen Beweis iSd AVG über die behauptete Minderjährigkeit zum Antragszeitpunkt vorzubringen, so sei auf Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach bereits bei bloßer Wahrscheinlichkeit der Gewährung desselben Schutzes eine positive Prognose zu ergehen habe und eine Gewissheit nicht erforderlich sei. Da die Gewährung desselben Schutzes wiederum einzig von der Qualifizierung als Familienangehöriger abhänge, sei offensichtlich, dass auch die Familienangehörigeneigenschaft nur wahrscheinlich sein müsse. Eine Rechtsgrundlage, wonach der volle Beweis iSd AVG zu erbringen wäre, werde nicht angeführt, und sei auch der BF nicht bekannt. Weiters wurde auf § 13 Abs. 3 BFA-VG verwiesen, wonach die Behörde eine Untersuchung zur Altersdiagnose anordnen könne, wenn es einem Fremden nicht gelinge, seine Minderjährigkeit nachzuweisen und Zweifel daran bestehen würden. Sollten dann immer noch Zweifel an der Minderjährigkeit bestehen, sei zugunsten des Fremden von Minderjährigkeit auszugehen. Auch dieser Bestimmung sei zu entnehmen, dass die BF nicht den vollen Beweis über ihre Minderjährigkeit zu erbringen habe, sondern bei Nichterbringen dieses Beweises sogar zu ihren Gunsten von Minderjährigkeit auszugehen sei. Zudem wurde auf weitere Rechtsprechung des VwGH verwiesen, wonach eine Alterseinschätzung bei Asylwerbern überprüfbar zu erfolgen habe, wozu es – sollte die Altersfeststellung nicht auf weitere überprüfbar dargestellte Umstände gestützt werden können – im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige bedürfe. Sollten auch danach noch keine hinreichend gesicherten Aussagen zur Volljährigkeit möglich sein, hätten die Asylbehörden im Zweifel von den Angaben des Asylwerbers zu seinem Geburtsdatum (Alter) auszugehen. Diese Judikatur sei auch auf § 13 Abs. 3 BFA-VG anwendbar. Da die Behörde Zweifel betreffend das Alter der BF habe, wäre ein Gutachten durch medizinische Sachverständige einzuholen gewesen. Die Bedenken des BFA hinsichtlich der relativ hohen Schwankungsbreite seien zwar nachvollziehbar, dies stelle aber keinen Grund dar, keine Untersuchung durchzuführen. Vielmehr wäre im Falle der Unklarheit eines solchen Gutachtens gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG zugunsten der BF von ihrer Minderjährigkeit zum Antragszeitpunkt auszugehen. Es werde daher der Antrag gestellt, eine multifaktorielle Untersuchung zur Feststellung des Alters anzuordnen. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass auch eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliege, da die BF durch die Abweisung des Antrages von ihrer gesamten Kernfamilie (Eltern und Geschwister) getrennt werde, mit welchen sie bis dato im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Die Behörde habe keine solche Abwägung vorgenommen, zumal die Angaben, wonach die BF ihren Großvater kenne, es ihr möglich sei, innerhalb Afghanistans zu reisen und sich Mazar-e Sharif gut entwickle bzw. sicher sei, nicht jene seien, die für eine Abwägung nach Art. 8 EMRK von Relevanz seien. Soweit die Behörde schließlich vermeine, dass die BF legal nach dem NAG als Familienangehörige nachreisen könne, so sei ihr diese Möglichkeit nicht mehr eröffnet, da die BF mittlerweile tatsächlich volljährig geworden sei.

1.5. Am 26.06.2019 übermittelte die ÖB – XXXX die Stellungnahme der BF und bat um Mitteilung, ob weiterhin - auch insbesondere im Lichte des Art. 8 EMRK - an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten werde oder gegebenenfalls ein Visum erteilt werden solle.

1.6. Am 28.06.2019 teilte das BFA der ÖB – XXXX mit, dass die Stellungahme des BFA vom 14.06.2019 vollinhaltlich aufrechterhalten werde.

1.7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.08.2020 verweigerte die ÖB XXXX – die Erteilung des Einreisetitels gem. § 26 FPG idgF iVm § 35 AsylG 2005 idgF. Hinsichtlich der Begründung wurde auf die Stellungnahme des BFA vom 14.06.2019 verwiesen und ausgeführt, dass der BF die Einbringung einer Stellungahme gewährt worden sei, welche dann auch dem BFA zur neuerlichen Beurteilung der Prognoseentscheidung zugeleitet worden sei. Das BFA habe nach Prüfung mitgeteilt, dass an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose vom 14.06.2019 vollinhaltlich festgehalten werde, weshalb auf Grund der Aktenlage der Antrag spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Dieser Bescheid wurde der Antragstellerin am 04.08.2020 zugestellt.

1.8. Gegen den Bescheid richtet sich die am 18.08.2020 eingebrachte Beschwerde, in welcher zunächst der Verfahrensgang wiedergegeben wird und das bereits in der Stellungnahme vom 25.06.2019 angeführte Vorbringen wiederholt wird. In rechtlicher Hinsicht wird insbesondere ausgeführt, das BFA habe trotz des Antrages in der Stellungnahme keine altersdiagnostische Untersuchung gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG angeordnet. Auch sonst lasse das BFA eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbingen in der Stellungnahme vermissen, womit wesentliches Parteivorbringen außer Acht gelassen worden sei. Die unterbliebene altersdiagnostische Untersuchung habe zur Folge, dass der BF die Möglichkeit bislang verwehrt geblieben sei, ihre Minderjährigkeit im Antragszeitpunkt mit anderen Mittels als den Identitätsdokumenten, welche dem BFA nicht ausreichend gewesen seien, nachzuweisen. Dem Gesetzgeber sei bewusst, dass die Ergebnisse der altersdiagnostischen Untersuchung eine gewisse Schwankungsbreite aufweisen würden und habe in § 13 Abs. 3 BFA-VG Eingang in die Rechtsordnung gefunden, um die Rechte der Minderjährigen zu schützen. Das Unterbleiben der Untersuchung verwehre somit auch die Anwendung der Günstigkeitsklausel und verletzte somit potenziell die Rechte einer Minderjährigen, die im Ergebnis zu Unrecht von ihrer Familie getrennt worden sei. Bloß beim Vorliegen gesicherter Ermittlungsergebnisse gehe der VwGH davon aus, dass die Durchführung einer altersdiagnostischen Untersuchung nicht erforderlich sei. Es sei im Zweifel von den Angaben des Asylwerbers zu seinem Geburtsdatum (Alter) auszugehen, wenn weder nach den sonst vorliegenden Ermittlungsergebnissen, noch aufgrund des eingeholten Altersgutachtens hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit des Asylwerbers möglich seien (VwGH 27.06.2017, Ra 2017/18/0118). Gesicherte Angaben würden hier nicht vorliegen. Als gesicherte Ermittlungsergebnisse werden laut der Judikatur des VwGH unbedenkliche Urkunden zum Nachweis des Alters genannt. Diese seien aufgrund der Situation des in weiten Teilen dysfunktionalen Staates Afghanistan nicht erhältlich, was der BF nicht negativ angelastet werden dürfe. Die bloß ungefähren Angaben des Vaters würden keine derartig gesicherten Angaben iSd Judikatur darstellen, sondern seien allenfalls dazu geeignet, die vorgelegten Dokumente in Zweifel zu ziehen und die Altersdiagnostik erforderlich zu machen. Im Umkehrschluss zur genannten Judikatur des VwGH bestehe somit bei Zweifel an der Minderjährigkeit und bei Nichtvorliegen entsprechender unbedenklicher Urkunden zum Nachweis des Alters, wie das BFA zum Ausdrucke gebracht habe, eine Verpflichtung der Behörden zur Durchführung einer altersdiagnostischen Untersuchung.

1.9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 12.10.2020 wies die ÖB XXXX die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Botschaft an die Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA gebunden sei, jenseits und unabhängig von dieser Bindungswirkung aber die Ansicht des BFA, wonach aufgrund der Angaben im Verfahren und der eingebrachten Unterlagen jedenfalls von einer Volljährigkeit der BF zum Antragszeitpunkt auszugehen sei, gefolgt werde. Die BF habe ihre Tazkira vorgelegt, in welcher die BF im Mai 2012 zwölf Jahre alt gewesen sei, im November 2018 aber erst 17 Jahre alt. Daneben sei der Vermerk „reform of age“ angeführt, welche auf der deutschen Übersetzung der Tazkira die einzigen drei Wörter darstellen würden, die nicht ins Deutsche übersetzt worden seien. Es sei somit jedenfalls davon auszugehen, dass auf der richtigen Tazkira stehen müsste „entspricht dem Alter von 18 Jahren im Jahr 2018“ und sei dem BFA zuzustimmen, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine von einer berechtigten Behörde ausgestelltes, echtes Dokument mit unwahrem Inhalt (Lugurkunde) handle. Gegenständlich werde nicht bloß verallgemeinernd vorgebracht, dass in Afghanistan sämtliche Urkunden problemlos gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit gefertigt werden können, sondern sei auf der gegenständlichen Tazkira offensichtlich das Alter abgeändert worden, um eine günstigere Position für die BF bei der Antragstellung zu schaffen. Dem Vorwurf der unterlassenen altersdiagnostischen Untersuchung gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG sei zu entgegnen, dass aufgrund der offensichtlich im Nachhinein – und nur wenige Tage vor der Antragstellung – geänderten Tazkira und der Aussage der Bezugsperson vor dem BVwG am 22.08.2018, wonach seine älteste Tochter 18 Jahre alt sei, jedenfalls von einer Volljährigkeit der BF zum Antragszeitpunkt auszugehen sei. Die Untersuchung sei daher weder notwendig, noch zielführend, um die Minderjährigkeit der BF nachzuweisen. Auch sei § 13 Abs. 3 BFA-VG im vorliegenden Verfahren nicht anzuwenden, sondern auf ein Verfahren des BFA selbst, nicht auf ein solches vor der Vertretungsbehörde. Dies ergebe sich schon aus der Anordnung des Anwendungsbereiches nach § 1 BFA-VG, wonach das BFA-VG das Verfahren der Vertretungsbehörden nur nach dem 11. Hauptstück des FPG – also nicht nach § 26 FPG (oder auch § 35 AsylG) regle (vgl. auch VwGH 14.04.2016, Ro 2016/21/0005). Behörde in einem Verfahren nach § 35 AsylG 2005 iVm § 26 FPG sei aber nur die (jeweilige) Vertretungsbehörde. Die BF könne keinesfalls zweifelfrei darlegen, dass sie zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen sei. Es bestehe somit keine Familienangehörigkeit iSd § 35 Abs. 5 AsylG oder iSd Art. 8 EMRK und sei damit spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

1.10. Am 22.10.2020 wurde bei der ÖB XXXX ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht. Begründend wurde auf die Stellungnahme vom 25.06.2019 sowie auf die Beschwerde vom 18.08.2020 verwiesen.

1.11. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 20.11.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakten übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die beschwerdeführende Partei stellte am 08.11.2018 bei der ÖB XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005.

Als Bezugsperson wurde XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, genannt, welcher der Ehemann der Beschwerdeführerin sei.

Diesem Antrag waren Kopien diverser Urkunden angeschlossen.

XXXX wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.08.2018 zu Zahl W255 2190424-1, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Nach Prüfung der von der Beschwerdeführerin eingebrachten Stellungnahme wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass eine Gewährung desselben Schutzes wie der Bezugsperson als nicht wahrscheinlich einzustufen sei, da sich im vorliegenden Fall gravierende Zweifel am tatsächlichen Bestehen des behaupteten und relevanten (im Sinn von § 35 Abs. 5 AsylG) Familienverhältnisses ergeben hätten. Die Antragstellerin sei zum Zeitpunkt der Antragstellerin bereits volljährig gewesen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akt der ÖB XXXX .

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35 (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idgF lauten:

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragsteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet:

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Regelung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Falle, dass die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12.11.2014, Zl. Ra 2014/20/0029 (unter Verweis auf das Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG ausgeführt:

„Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.“

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, sofern in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel: „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung, und kommt dieser diesbezüglich keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034; VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002).

Ungeachtet dieser für die Vertretungsbehörden bestehenden Bindungswirkung an die Prognoseentscheidung des BFA steht es dem Bundesverwaltungsgericht allerdings nunmehr - innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems - offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002). Auch wenn es sich bei der Mitteilung des BFA um keinen Bescheid handelt, der vom Antragsteller (selbständig) angefochten werden kann (VwGH 06. 10.2010, 2008/19/0527), setzt die Möglichkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser Prognose durch das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls voraus, dass dieser Mitteilung des BFA in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das BFA die Zuerkennung des beantragten Schutzstatus für nicht wahrscheinlich hält.

Im vorliegenden Fall erweist sich die bekämpfte Entscheidung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Das BFA geht in der Stellungnahme vom 14.06.2019 davon aus, dass die BF bei ihrer Antragstellung bei der ÖB – XXXX am 08.11.2018 bereits volljährig gewesen sei, weshalb sie nicht als Familienangehörige im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG anzusehen sei.

Die Behörde hat allerdings weder die von der BF zum Beweis ihrer Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegten Urkunden (Reisepass und Tazkira) auf ihrer Echtheit und Richtigkeit überprüfen lassen, noch wurde bei der BF eine Altersfeststellung durchgeführt.

Das BFA geht – wie in der Stellungnahme ausgeführt wurde – zum einen davon aus, dass das in der vorgelegten Tazkira eingetragene Alter der BF verfälscht worden sei (das Geburtsjahr 2000 sei – nachträglich und unmittelbar vor Stellung des Einreiseantrages - auf das Geburtsjahr 2001 geändert worden) und kommt – ausgehend von dieser Annahme – zum Schluss, dass auch das im afghanischen Reisepass eingetragene Geburtsdatum der BF ( XXXX ) nicht der Wahrheit entspreche bzw. dem Reisepass in Bezug auf das Alter der BF daher keine Beweiskraft zugemessen werden könne. Wie die belangte Behörde – ohne die vorgelegten Dokumente (Tazkira bzw. insbesondere den afghanischen Reisepass) auf ihre Echtheit und Richtigkeit überprüfen zu lassen, zu dieser Auffassung kommt, erschließt sich dem erkennenden Gericht allerdings nicht, zumal auch die restlichen, von der Behörde angeführten Argumente hinsichtlich der angenommenen Volljährigkeit nicht nachvollziehbar sind. So bezieht sich das BFA hinsichtlich der angeblichen Volljährigkeit der BF in weiterer Folge noch auf einen Widerspruch in den Angaben der Bezugsperson (Vater), welcher in der mündlichen Verhandlung am 22.08.2018 angegeben habe, dass seine Tochter 18 Jahre alt sei. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Behörde die weiteren Angaben der Bezugsperson in den restlichen Einvernahmen (etwa seiner Erstbefragung oder der niederschriftlichen Einvernahme) offenbar nicht in ihre Beurteilung miteinbezogen bzw. nicht herbeigeschafft hat. Darüber hinaus erwähnte die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 14.06.2019 eine angeblich eingebrachte Übersetzung eines „Marriage Certificate“, woraus hervorgehe, dass die BF im Jahr 2012 12 Jahre alt gewesen sei. Die Übersetzung des „Marriage Certificate“ ist im Akt der BF allerdings gar nicht enthalten und kann daher auch nicht überprüft werden.

Das BFA hat es aber nicht nur verabsäumt, den vorgelegten Reisepass und die vorgelegte Tazkira der BF auf ihre Echtheit bzw. Richtigkeit überprüfen zu lassen, sondern hat darüber hinaus auch keine fundierten Feststellungen zu den Umständen bzw. dem Ablauf der Ausstellung von afghanischen Reisepässen getroffen. Die belangte Behörde zählt in ihrer Stellungahme vom 14.06.2019 zwar in den von ihr „herangezogenen Beweismittel“ diverse Staatendokumentationsanfragen (vom 14.02.2019, 09.11.2018 und 21.11.2013 betreffend Fälschungssicherheit von afghanischen Dokumenten, Überprüfung von Dokumenten durch afghanische Behörden und Informationen zur Tazkira) auf, wie von der Vertretung der BF schon richtigerweise gerügt wird, wurde der Inhalt der Staatendokumentationsanfragen für die BF aber nicht einsehbar oder zugänglich gemacht. Die lapidare Begründung der Behörde, wonach sich aus den Anfragebeantwortungen ergebe, dass in Afghanistan sämtliche Urkunden problemlos gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit gefertigt werden würden, in Afghanistan eine fehlende Urkundensicherheit bestehe, es in Afghanistan zahlreiche echte Dokumente unwahren Inhaltes geben würde bzw. die Zitierung von einzelnen Absätzen der Anfragebeantwortungen genügen allerdings ebenso nicht, um die Echtheit der vorgelegten Dokumente in Zweifel zu ziehen. Vielmehr muss die Behörde konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu den Modalitäten der Reisepassausstellung in Afghanistan treffen. Soweit sich das BFA hinsichtlich der Ausstellung von afghanischen Reisepässen auf eine Aussage der Bezugsperson (Vater) in einer Befragung vor dem BFA am 23.05.2019 stützt, wo diese angab, dass in Afghanistan bei der Ausstellung eines Reisepasses die Tazkira einzubringen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass auch diese Einvernahme nicht im Akt enthalten ist.

Die pauschal in den Raum gestellten Bedenken hinsichtlich der vorgelegten Urkunden werden daher konkreter auszuführen sein. Wenn die erstinstanzliche Behörde Bedenken an der Richtigkeit und Echtheit der vorgelegten Urkunden hat, so wird sie zumindest versuchen müssen, diese Urkunden einer Prüfung zu unterziehen beispielsweise durch Beiziehung eines Dokumentenberaters oder Vorlage an eine kriminaltechnische Untersuchungsstelle. Die bloße Behauptung, Urkunden aus den Herkunftsstaaten seien jedenfalls bedenklich, genügt nicht.

Unabhängig davon, ist – wie in der Beschwerde richtigerweise ausgeführt wurde - noch darauf hinzuweisen, dass das BFA – trotz Bedenken betreffend das Alter der BF – keine Altersdiagnose (multifaktorielles Altersgutachten) durchführen ließ. Zum Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist insbesondere auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach die multifaktorielle Altersdiagnose dann angeordnet werden soll, wenn weder aus den bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers gezogen werden können, noch der Antragsteller seine behauptete Minderjährigkeit durch geeignete Bescheinigungsmittel nachweisen kann. Liegen jedoch Ermittlungsergebnisse vor, die die Annahme der Volljährigkeit des Antragstellers bei Asylantragstellung rechtfertigen, so ist weder verpflichtend von Amts wegen eine multifaktorielle Altersdiagnose anzuordnen, noch kommt die Zweifelsregel zugunsten Minderjähriger zu Anwendung (vgl. VwGH vom 19.06.2018, Ra 2018/20/0251; mH auf VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0007 und VwGH vom 28.03.2017, Ra 2016/01/0267).

Im fortgesetzten Verfahren wird die erstinstanzliche Behörde daher zunächst die Überprüfung der von der BF vorgelegten Dokumente (Tazkira, Reisepass) zu veranlassen haben, umfangreiche Ermittlungen zu den Ausstellungsmodalitäten afghanischer Reisepässe durchzuführen haben, die fehlenden Aktenbestanteile zu beschaffen haben und allenfalls - so dann noch immer Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit der BF bestehen sollten - eine Altersdiagnose der BF durchzuführen haben. Diese Vorgehensweise wurde vom BFA bereits in anderen Verfahren, in welchen das Alter des Antragstellers bezweifelt wurde, praktiziert.

Das erkennende Gericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Urkunde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W161.2237246.1.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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