TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/19 W278 2237347-5

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Veröffentlicht am 19.03.2021
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Entscheidungsdatum

19.03.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W278 2237347-5/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. Ägypten, im amtswegig eingeleiteten Verfahren Zl: XXXX zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch BF) wurde am 03.08.2020 im Bundesgebiet aufgegriffen.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.08.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet. Der Beschwerdeführer wird seit 07.08.2020 in Schubhaft angehalten.

3. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine aufenthaltsbeendende Maßnahme. Der Beschwerdeführer stellte am 17.08.2020 aus dem Stand der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, der zur Gänze abgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen.

4. Das Bundesamt leitete am 11.08.2020 ein Heimreisezertifikatsverfahren ein.

5. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2020, vom 29.12.2020, vom 25.01.2021 und vom 22.02.2021 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

6. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2021 unter Anschluss einer Stellungnahme die Akten gemäß §22a Abs. 4 BFA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. In der Stellungnahme wird nach Darlegung des maßgeblichen Sachverhalts entscheidungswesentlich ausgeführt, dass nach regelmäßigen Urgenzschreiben der BF am 11.03.2021 zum Zwecke der Identifizierung der ägyptischen Vertretungsbehörde vorgeführt werden konnte. Der BF weigerte sich jedoch während diesem Termin Informationen über seine Herkunft oder eventuelle Familienmitglieder im Heimatland bekanntzugeben. Die ägyptische Botschaft habe die vorhandenen Daten des BF nach Kairo weitergeleitet. Mit dem Ergebnis der Identifizierung sei in etwa 8 Wochen zu rechnen. Im Falle einer positiven Identifizierung sei innerhalb von wenigen Tagen mit einer HRZ Ausstellung zu rechnen. Zusätzlich plane das Bundesamt eine weitere HRZ Einvernahme in der kommenden Woche mit dem BF um weitere Hinweise zu seiner Identität zu erlangen.

7. Am 16.03.2021 wurde dem BF die Stellungnahme des Bundesamts zum schriftlichen Parteiengehör übermittelt. Der BF ließ die Frist zur Stellungnahme ungenutzt verstreichen.

8. Am 18.03.2021 langte der Befund der vom BVwG beauftragten amtsärztlichen Untersuchung ein.

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer wurde am 03.08.2020 im Bundesgebiet aufgegriffen, wobei der Beschwerdeführer zunächst durch mindestens zwei andere EU-Staaten reiste. Nachdem Ungarn einer Rücknahme nicht zustimmte, wurde gegen den Beschwerdeführer am 07.08.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet.

1.2. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes vom 07.08.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet. Der Beschwerdeführer wird seit 07.08.2020 in Schubhaft angehalten.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 11.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist. Es wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

1.4. Das Bundesamt leitete am 11.08.2020 ein Heimreisezertifikatsverfahren ein.

1.5. Am 17.08.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stand der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Aktenvermerk vom 18.08.2020 wurde festgehalten, dass der Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Die Schubhaft wurde gemäß § 76 Abs 6 FPG weiterhin aufrecht erhalten.

1.6. Mit Bescheid vom 11.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.10.2020 abgewiesen.

1.7. Das Bundesamt überprüfte am 02.09.2020, am 02.10.2020, am 27.10.2020 sowie am 15.11.2020 die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft gemäß § 80 Abs 6 FPG und dokumentierte dies mit einem Aktenvermerk.

2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

2.1. Der Beschwerdeführer besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist ägyptischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

2.3. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Er wird im Polizeianhaltezentrum wegen schweren Depressionen behandelt. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu der benötigten medizinischen Versorgung. Am 18.03.2021 war der BF wach, orientiert und ohne formale oder inhaltliche Denkstörung. Es liegt keine Fremd- oder Selbstgefährdung vor. Die Haftfähigkeit ist auch aus psychiatrischer Sicht gegeben.

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Der Beschwerdeführer hat während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt um eine Rückführung nach Ägypten zu verzögern.

3.2. Der Beschwerdeführer war bis auf die Anhaltung in Polizeianhaltezentren in Österreich noch nie gemeldet.

3.3. Der Beschwerdeführer begab sich vom 05.01.2021 bis 07.01.2021 und vom 19.02.2021 bis 21.02.2021 - während der Anhaltung in Schubhaft - in Hungerstreik um seine Freilassung zu erpressen.

3.4. Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte. Er ist beruflich in Österreich nicht verankert. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

3.5. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten.

3.6. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats und die Abschiebung innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer von 18 Monaten ist möglich.

Das Bundesamt urgierte regelmäßig die Ausstellung eines Heimreisezertifikats. Der für die Ausstellung eines Heimreisezertifikats erforderliche Vorführungstermin bei der Botschaft hat am 11.03.2021 stattgefunden. Der BF verweigerte vor der Botschaft Angaben über seine Herkunft und über eventuelle Familienangehörige im Heimatland und konnte daher vonseiten der Botschaft nicht identifiziert werden. Die Daten des BF werden von der Botschaft für weitere Anfragen nach Kairo weitergeleitet. Der BF wirkt an seiner Identifizierung nicht mit.

Mit einem Ergebnis betreffend die Identifizierung ist binnen acht Wochen zu rechnen. Im Falle einer positiven Identifizierung ist die Ausstellung eines Heimreisezertifikats binnen weniger Tagen zu erwarten und danach erfolgt eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers. Aktuell gibt es Flugverbindungen zwischen Wien und Kairo.

3.7. Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft seit der letzten gerichtlichen Überprüfung vom 22.02.2021 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes und in die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend das Asylverfahren sowie die bisherigen Schubhaftverfahren und durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des Beschwerdeführers und den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des Beschwerdeführers.

1.3. Die Feststellungen zu der erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme gründen auf den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister sowie aus den vorgelegten Bescheiden und den Vorerkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zur Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 07.08.2020, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.4. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach beim Beschwerdeführer eine Haftunfähigkeit vorliegen würde. Aus einem Befund und Gutachten eines Amtsarztes vom 18.03.2021 ergibt sich unzweifelhaft die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer Zugang zu der benötigten medizinischen Behandlung hat, ist unzweifelhaft und ergibt sich zudem aus dem aktuellen Befund und Gutachten.

2. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

2.1. Die Feststellung zu den fehlenden behördlichen Wohnsitzmeldungen ergibt sich aus dem Auszug aus dem ZMR.

2.2. Die Feststellung zum Asylantrag während der Anhaltung in Schubhaft, um eine Abschiebung zu verhindern, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere aus dem Asylantrag und dem Aktenvermerkt des Bundesamtes.

2.3. Die Feststellungen zu den beiden Hungerstreiks und zum Verhalten während der Anhaltung ergeben sich aus dem Verwaltungsakt sowie aus der Anhalte und Vollzugsdatei.

2.4. Die Feststellungen zur Inhaftierung des Beschwerdeführers in Schubhaft, ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.5. Die Feststellungen zur mangelnden Integration in Österreich und zu fehlenden sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten in Österreich, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt sowie aus dem Verhandlungsprotokoll des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.12.2020. Diesen sind keine gefestigten sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich zu entnehmen. Der Beschwerdeführer behauptete zwar, dass er einen Bruder in Österreich habe, jedoch waren seine Angaben zu diesem Bruder ausweichend und vage. So konnte der Beschwerdeführer das Geburtsdatum seines Bruders nicht angeben, er konnte auch sonst keine Angaben über seinen Bruder machen. Er gab an, dass er tatsächlich keinen Kontakt zu seinem Bruder habe und er auch nichts über das Privatleben seines Bruders wisse (Verhandlungsprotokoll vom 04.12.2019, S. 4, S. 6). Des Weiteren geht aus der Anhaltedatei hervor, dass der BF, abgesehen von Schubhaftbetreuung, Rechtsberatung und Rückkehrberatung keine Besucher empfangen hat.

2.6. Da der Beschwerdeführer während der Anhaltung in Schubhaft einen Asylantrag stellte um eine Abschiebung zu verhindern, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten werde. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung vom 04.12.2020 an, dass er nicht bereit ist Österreich zu verlassen und er sich weigere nach Ägypten zurückzukehren (Verhandlungsprotokoll vom 04.12.2020, S. 5). Der Beschwerdeführer versuchte zudem sich zweimalig durch Hungerstreik aus der Schubhaft freizupressen. Der Beschwerdeführer räumte zudem in der Verhandlung vom 04.12.2020 ein, dass er bisher unrichtige Angaben in Österreich gemacht und Behörden belogen habe, der Beschwerdeführer ist daher nicht vertrauenswürdig. Auch im Zuge der Vorführung vor die ägyptische Botschaft weigerte sich der BF zweckdienliche Angaben zu machen und verhinderte so die Identifizierung durch die Botschaftsangehörigen. Zudem ist der Beschwerdeführer in Österreich weder beruflich noch familiär verankert, er verfügt über keinen gesicherten eigenen Wohnsitz oder über ausreichend Barvermögen. Auch dies spricht für eine besonders hohe Fluchtgefahr beim Beschwerdeführer.

2.7. Die Feststellungen zum Heimreisezertifikatsverfahren ergeben sich aus dem Verfahrensakt und aus den vom Bundesamt vorgelegten Unterlagen. Es finden sowohl begleitete als auch unbegleitete Rückführungen nach Ägypten statt. Rückführungen nach Ägypten sind grundsätzlich möglich.

Sobald ein Heimreisezertifikat vorliegt, erfolgt eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers. Die Meldung über die erfolgte Vorführung vor die ägyptische Botschaft liegt im Gerichtakt ein. Ebenso ergibt sich aus dem im Akt einliegenden internen Mailverkehr, dass der BF aufgrund der Verweigerung von Angaben nicht unmittelbar von der Botschaft identifiziert werden konnte und seine Daten nach Kairo übermittelt werden mussten. Aufgrund von Erfahrungswerten ist mit einer Antwort in etwa 8 Wochen zu rechnen.

Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft seit 22.02.2020 ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der BF ein weiteres Mal versucht seine Freilassung mittels Hungerstreik zu erzwingen und nicht an seiner Identifizierung im Zuge der Vorführung vor die ägyptische Botschaft mitgewirkt.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf die Vorentscheidungen, die Dokumentation zum HRZ Verfahren, die Einträge in der Anhaltedatei betreffend den neuerlichen Hungerstreik sowie ein aktuelles ärztliches Gutachten vom 18.03.2021 stützen.

Dem Beschwerdeführer wurde auch Gelegenheit gegeben, um zur Aktenvorlage des Bundesamtes vom 15.03.2021 eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer hat sich jedoch nicht geäußert.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass dieser Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

In seinem Erkenntnis zur Zahl Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 hielt der VwGH fest, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, für die weitere Verhältnismäßigkeit der Anhaltung (typischerweise) entscheidend ist. Dabei ist insbesondere relevant, ob die Bemühungen der Behörde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sind. Bei der Ermittlung des gefordertes Grades dieser Wahrscheinlichkeit können auch die bisherige Anhaltedauer und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen. Bisherige Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können – sofern diese nachvollziehbar festgestellt und nicht bloß behauptet würden – wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten (vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174 vom 22.12.2020, mwN).

3.1.3. Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.

3.1.4. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.1.5. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus.

Der Beschwerdeführer hat während der Anhaltung in Schubhaft einen Asylantrag gestellt um seine Abschiebung zu verhindern. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung vom 04.12.2020 an, dass er nicht bereit ist Österreich zu verlassen und er sich weigere nach Ägypten zurückzukehren. Der Beschwerdeführer versuchte zudem sich durch zwei Hungerstreiks aus der Schubhaft freizupressen. Der Beschwerdeführer räumte ein unrichtige Angaben vor Behörden in Österreich gemacht zu haben, verweigerte zu seiner Identifizierung führende zweckdienliche Angaben im Zuge der Vorführung vor die Botschaft und ist nicht vertrauenswürdig. Zudem ist der Beschwerdeführer in Österreich weder beruflich noch familiär verankert, er verfügt über keinen gesicherten eigenen Wohnsitz oder über ausreichend Barvermögen. Auch dies spricht für eine besonders hohe Fluchtgefahr beim Beschwerdeführer.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem Beschwerdeführer ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3, Z 5 und Z 9 FPG vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.6. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

Es wurde rechtzeitig ein Heimreisezertifikatsverfahren eingeleitet. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats wurde vom Bundesamt bereits mehrfach urgiert, ein Vorführtermin bei der ägyptischen Botschaft durchgeführt. Das Bundesamt hat auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hingewirkt.

Daher ist das Erfordernis der angemessenen Bemühungen erfüllt. Die nachgewiesenen Bemühungen des Bundesamts sind durch Belege im Akt dokumentiert. Aufgrund des am 11.03.2021 durchgeführten Termins bei der Botschaft und dem Umstand, dass die Daten des BF nach Kairo gesendet wurden, ist von einer konkreten Erlangbarkeit eines HRZ auszugehen. Dass die Identifizierung nicht vonseiten der Botschaft erfolgen konnte, ist dem BF zuzurechnen, da dieser keine Angaben über seine Herkunft und eventuelle Familienangehörige gemacht hat. Die Bemühungen des Bundesamts sind im gegenständlichen Fall dennoch erfolgversprechend und entsprechen den Erfordernissen der höchstgerichtlichen Judikatur.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers kommt daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung – zumal der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die österreichische Rechtsordnung missachtet und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändert.

3.1.7. Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats erfolgt umgehend eine Abschiebung des Beschwerdeführers. Die Ausstellung des Heimweisezertifikats scheint derzeit wahrscheinlich. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere wesentliche Verlängerung der Schubhaft einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird.

Da die Identität des Beschwerdeführers von der ägyptischen Botschaft noch nicht festgestellt werden konnte und daher auch das erforderliche Heimreisezertifikat noch nicht vorliegt, liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 1 und Z 2 FPG vor, sodass die höchstmögliche Schubhaftdauer 18 Monate beträgt. Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z. 1 und Z 2 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten ist die Aufrechterhaltung der seit 07.08.2020 bestehenden Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft auch weiterhin verhältnismäßig.

3.1.8. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft seit der letzten gerichtlichen Überprüfung auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

3.1.9. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des Beschwerdeführers besteht.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

3.1.10. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.11. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Eine Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Das Erkenntnis stützt sich auf die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Einreiseverbot falsche Angaben Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W278.2237347.5.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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