TE OGH 2020/11/24 22R246/20m

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) DI S***** R*****, 2.) M***** R*****, beide vertreten durch Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei A***** A***** AG, vertreten durch Brenner & Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 2.260,52 s.A., infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 28.08.2020, 25 C 365/19t-13 (Berufungsinteresse: EUR 1.982,64) in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil hinsichtlich des Zuspruches an die erstklagende Partei sowie im Kostenpunkt dahingehend abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei EUR 1.162,-- samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der erstklagenden Partei weitere EUR 459,58 samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 zu zahlen, wird abgewiesen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei EUR 500,-- samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der zweitklagenden Partei weitere EUR 138,94 samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei 70% und der zweitklagenden Partei 30% der mit EUR 1.085,91 (darin EUR 166,27 USt. und EUR 88,28 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen. “

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei die mit EUR 148,06 (darin EUR 24,68 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei die mit EUR 88,84 (darin EUR 14,73 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die erstklagenden Partei ist schuldig, der beklagte Partei die mit EUR 32,-- (Barauslagen) bestimmten Kosten der Berufung binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreter zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger verfügten jeweils über bestätigte Buchung für nachstehende von der Beklagten durchzuführenden Flüge:

- OS 353 ab Wien 19.07.2018, 15:20 Uhr, an Brüssel 19.07.2018, 16:55 Uhr, und

- OS 354 ab Brüssel 23.07.2018, 17:50 Uhr, an Wien 23.07.2018, 19:35 Uhr. Die Beklagte annullierte beide Flüge und buchte die Kläger am 20.07.2018 auf den Flug SN 2902 von Wien nach Brüssel sowie am 24.07.2018 auf die Flüge LH 1025 von Brüssel nach Frankfurt und LH 1234 von Frankfurt nach Wien um. Die Entfernung zwischen Wien und Brüssel beträgt aufgrund der Großkreisberechnungsmethode weniger als 1.500 km.

Mit der beim Erstgericht am 22.01.2019 eingebrachten und zunächst zu 23 C 310/19i registrierten Klage begehrten die Kläger von der Beklagten zunächst die Zahlung von EUR 1.835,86 samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 und brachten vor, der Hinflug habe mehrere Stunden Verspätung gehabt und sei letztlich storniert worden. Dadurch hätten die Kläger den ersten Tag des bereits gebuchten „Tomorrowland-Festivals“ nicht mehr besuchen können, wodurch bei den Klägern eine Reihe von frustrierten Aufwendungen entstanden seien, weil die bereits gebuchten Tickets für das Festival nicht mehr umbuchbar gewesen seien. Die frustrierten Aufwendungen seien der Airport-Shuttle von jeweils EUR 18,--, der frustrierte erste Tag des viertägigen Festivals von jeweils EUR 81,32, der frustrierte anteilige Zeltpreis von jeweils EUR 18,62 und der Transfer Flughafen-Festivalgelände von jeweils EUR 39,--. Die Ankunft in Wien hätte um 19:34 Uhr stattfinden sollen, tatsächlich habe der Rückflug erst am 24.07.2018 um 07:00 Uhr stattgefunden. Für Montag 24.07.2018 hätte der Erstkläger mit der Group DF International GmbH einen Termin bezüglich EDV-Leistungen zu einem Preis von acht Stunden á EUR 95,--, insgesamt EUR 760,-- zuzüglich 20% USt., insgesamt EUR 912,-- vereinbart. Aufgrund der Flugverspätung habe der Erstkläger diesen Termin nicht wahrnehmen können, die EDV-Dienstleistung sei von einem anderen Unternehmen erbracht worden. Weiters habe der Erstkläger für die Zweitklägerin, die beim Erstkläger angestellt sei, die Gesamtkosten von EUR 109,98 aufwenden müssen, ohne dass die Zweitklägerin eine Dienstleistung habe erbringen können. Gemäß Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO stehe den Klägern für die erlittenen Unannehmlichkeiten ein Ausgleichsanspruch von jeweils EUR 250,-- zu.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, der Beklagten komme an den Annullierungen kein Verschulden zu bzw. seien diese nicht von ihr zu vertreten. Diese seien einerseits einem Versagens der Technik des Flughafens in Brüssel (OS 353) sowie kapazitätsbedingten Slotbeschränkungen am Flughafen Wien (OS 354) geschuldet gewesen, die den Flugverkehr in Wien teilweise fast völlig zum Erliegen gebracht hätten. Die Beklagte sei sämtlichen sie aufgrund des Beförderungsvertrages treffenden Pflichten nachgekommen; eine Vertragsverletzung, die einen Schadenersatzanspruch rechtfertigen würde, liege mangels Verschuldens nicht vor. Die Kosten für den Transfer zum Flughafen und zum Festgelände wären auch im Falle der Nichtannullierung angefallen und seien somit nicht durch die Stornierung bzw. die daraufhin erfolgte Umbuchung und Ersatzbeförderung verursacht worden. Das Tomorrowland-Festival habe vom 20.07.2018 bis 22.07.2018 stattgefunden. Die Ersatzbeförderung sei am 20.07.2018 erfolgt, die Kläger hätten Brüssel um 11:05 Uhr erreicht. Der erste Tag des dreitägigen Festivals sei sohin keinesfalls frustriert, weil die Aufführungen erst ab 12:00 Uhr begonnen hätten. Der erste Festivaltag habe sohin zur Gänze konsumiert werden können, weshalb ein Ersatzanspruch mangels frustrierter Aufwendungen nicht zustehe. Die Kläger hätten Wien am 20.07.2018 um 10:10 Uhr erreicht. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der an diesem Tag stattfindende Termin in der Dauer von acht Stunden nicht hätte wahrgenommen werden können. Die Dienstleistung hätte an diesem Tag erbracht werden können, es stehe kein Ersatzanspruch zu. Gleiches gelte für die frustrierte Entgeltzahlung. Den Klägern stehe weder ein Schadenersatz- noch ein Ausgleichsanspruch zu. Selbst wenn ein Ausgleichsanspruch zustehen würde, sei dieser gemäß Art 12 Abs 1 EU-FluggastVO auf einen weitergehenden Schadenersatz anzurechnen.

Im zu 25 C 365/19 fortgesetzten Verfahren dehnten die Kläger ihr Klagebegehren aus und schränkten es ein. Sie begehrten die Zahlung von EUR 2.260,52 samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 und brachten vor, sowohl dem Erst- als auch der Zweitklägerin stehe für die Flüge OS 353 und OS 354 ein Ausgleichsanspruch von [ausgedehnt] jeweils EUR 250,-- zu. Sie hätten vorab EUR 18,-- pro Person für den Transport vom Flughafen zum Festivalgelände für den Busshuttle bezahlt, das Ticket sei für den 19.07.2018, 18:00 Uhr gültig gewesen. Aufgrund der Flugannullierung hätten die Kläger die Transfergelegenheit nicht wahrnehmen können und hätten ein Taxi nehmen müssen, wofür sie EUR 78,-- gezahlt hätten. Die Kläger hätten daher Sowiesokosten von [eingeschränkt] nur EUR 18,-- pro Person gehabt. Aufgrund der Verspätung würden die Kläger die Taxikosten in Höhe von EUR 78,-- jeweils zur Hälfte, somit EUR 39,-- begehren. Sie hätten für die Tickets des Tomorrowland-Festivals EUR 650,57 bezahlt. Der annullierte Hinflug hätte am 19.07.2018 um 16:55 Uhr ankommen sollen, sie seien erst am nächsten Tag um 09:00 Uhr abgeflogen. Sie hätten daher die Pre-Party am Dreamville-Gelände am Abend des 19.07.2018 nicht wahrnehmen können, die nur speziellen Ticketbesitzern des „Magnificent Greens Package“ zustehen würde. Für die Besitzer dieses Tickets würde das Festival bereits am Donnerstag dem 19.07.2018 beginnen. Dieser Tag sei frustriert, der Ticketpreis sei daher durch vier zu teilen, was einem Betrag von EUR 162,64 entspreche. Die Kläger würden davon jeweils den halben Betrag von EUR 81,32 begehren. Das gelte auch für die Zeltgebühr, die für vier Tage insgesamt EUR 149,-- betragen habe. Der anteilige Ersatzbetrag der Kläger sei EUR 18,62. Der Erstkläger habe seinen Auftraggeber, die Group DF International GmbH, über seine Flugannullierung und den Ersatzflug informiert. Dies habe zur Folge gehabt, dass der Auftraggeber des Erstklägers den Auftrag storniert habe, weil der EDV-Support bereits ab der Früh gebraucht worden sei. Der Auftrag sei an einen Mitbewerber vergeben worden. Die Zweitklägerin sei beim Erstkläger angestellt und hätte am 24.07.2018 ihren Dienst von fünf Stunden zu verrichten gehabt. Aufgrund der Flugannullierung und Verspätung habe die Zweitklägerin ihren Dienst von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr nicht verrichten können. Durch die Lohnfortzahlung habe der Erstkläger einen Schaden von [eingeschränkt] EUR 70,64 erlitten. Dem Erstkläger stehe daher eine Gesamtforderung von EUR 1.621,58 zu, der Zweitklägerin von EUR 638,94, beinhaltend jeweils Ausgleichsansprüche für die annullierten Flüge OS 353 und OS 154, den frustrierten ersten Festivaltag von je EUR 81,32, den frustrierten Aufwand Zeltpreis von je EUR 18,62 und den Transfer Flughafen-Festival von je EUR 39,--. Weiters mache der Erstkläger den Verdienstentgang EDV-Dienstleistung von EUR 912,-- und den frustrierten Aufwand Entgeltzahlung von EUR 70,64 geltend. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen seien nicht Vertragsinhalt zwischen den Streitteilen geworden. Der Haftungsausschluss sei gröblich benachteiligend und an ungewöhnlicher Stelle angeführt, die AGBs seien sittenwidrig.

Die Beklagte bestritt auch das ausgedehnte bzw. eingeschränkte Klagebegehren und brachte vor, dass es am 19.07.2018 am Flughafen Brüssel zu einem Versagen der Technik gekommen sei, der Flugbetrieb sei ab etwa 15:00 Uhr bis etwa 17:00 Uhr gänzlich zum Erliegen gekommen. In diesem Zeitraum seien keinerlei Flüge abgefertigt worden. Der Flug OS 353 hätte um 16:55 Uhr in Brüssel ankommen sollen, dies falle genau in den kritischen Zeitraum. Es sei das Flight Data Processing System des Flughafens Brüssel ausgefallen. Die Probleme hätten um 12:30 Uhr Lokalzeit begonnen und bis 22:00 Uhr Lokalzeit angehalten. Das Fluggerät selbst sei pünktlich zum Abflug bereit gestanden, habe jedoch aufgrund der Slotvergaben nicht abheben können. Die Passagiere, die bereits auf ihren Plätzen gesessen seien, seien zurück zum Gate gebracht worden. Der nächste Slot sei erst für 16:04 Uhr (UTC) veröffentlicht worden, was zu einer Abflugverspätung von drei Stunden geführt hätte. Dieser Slot habe sich seit dem ersten Slot um 14:47 Uhr beständig teilweise deutlich verschlechtert. Der letzte Slot für den Flug OS 353 sei um 16:36 Uhr für eine Startzeit für 18:04 Uhr vergeben worden. Es sei sehr wahrscheinlich gewesen, dass sich der Slot noch weiter verschlechtert hätte. Da nicht erkennbar gewesen sei und auch keine weiteren Informationen seitens der Flugsicherung erfolgt seien, wann das Problem behoben würde, sei um 15:15 Uhr (vorbereitender Schriftsatz vom 03.01.2020, Punkt 7 in ON 7) bzw. um 16:38 Uhr (Seite 14 in ON 12) die Entscheidung getroffen worden, den Flug zu annullieren, um auch den Passagieren weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen. In der instabilen „Recovery-Phase“, in der die Flugsicherung versucht habe, das System wieder hochzufahren, sei es zu zahlreichen Verspätungen und Verzögerungen gekommen. Es würden für die vorgenommene Annullierung außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO vorliegen.

Die Annullierung des Fluges OS 354 sei ausschließlich kapazitätsbedingten Restriktionen der österreichischen Flugsicherung geschuldet gewesen. Die Flugsicherung habe eine Slotreduktion gemäß IATA-Delay-Code 81 verhängt. Die Einschränkungen hätten von 15:00 Uhr bis 23:00 Uhr gegolten, wobei eine Slotverspätung von fast eineinhalb Stunden außergewöhnlich unüblich sei. Die Vorgabe durch die Flugsicherung sei für die Beklagte in keinster Weise beherrsch- bzw. kontrollierbar. Der unmittelbare Vorflug von OS 354, nämlich OS 353 mit einem geplanten Abflug um 15:10 Uhr in Wien und einer Ankunft um 16:55 Uhr in Brüssel, habe bereits um 13:10 Uhr einen Slot für 15:44 Uhr erhalten, der sich weiter verschlechtert habe, bis schließlich um 14:36 Uhr ein Slot für 16:41 Uhr vergeben worden sei. Aufgrund dieser bereits eineinhalbstündigen Verspätung habe die Beklagte die gesamte Rotation OS 353/OS 354 annullieren müssen, weil der übrige Flugplan sonst zusammengebrochen wäre, und in späterer Folge in den Abendstunden mindestens eine, wenn nicht sogar mehrere Rotationen ebenfalls hätten annulliert werden müssen. Eine Beförderung sämtlicher Passagiere noch am selben Tag sei nicht möglich gewesen. Auch hinsichtlich dieser Verspätung (gemeint: Annullierung) würden außergewöhnliche Umstände im Sinne der EU-FluggastVO vorliegen.

Wider die geltend gemachten Schäden werde ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht eingewendet. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Kläger für einen Transport am 20.07.2018 nicht desselben Shuttle-Services bedient hätten, der für den Transport am 19.07.2018 in Anspruch genommen hätte werden sollen. Die Ticketkosten wären um ein Vielfaches günstiger gewesen für das stattdessen in Anspruch genommene Taxi. Es sei nicht ableitbar, dass der Betrag von EUR 78,-- für den vorgebrachten Transport mit einem Taxi aufgewendet worden sei. Das Versäumen der Abendveranstaltung sei nicht mit dem Versäumen eines vollen Tages gleichzusetzen, sodass die Schadensberechnung von einem Viertel nicht nachvollziehbar sei. Die Beklagte bestritt, dass die Group DF International GmbH der Beklagten (gemeint: dem Erstkläger) einen Auftrag für den 24.07.2018 erteilt hätte und von diesem zurückgetreten wäre bzw. dass es sich um ein Fixgeschäft gehandelt hätte. Für den Ersatz des entgangenen Gewinnes sei Verschulden erforderlich, das im konkreten Fall nicht vorliege. Die geltend gemachten Kosten des Erstklägers für die Zweitklägerin wären unabhängig davon, welche Leistungen die Zweitklägerin an diesem Tag erbracht hätte. Mangels Verschuldens könnten die Kosten nicht der Beklagten angelastet werden. Für sämtliche Folgeansprüche gelte, dass aufgrund der Haftungsbeschränkungen in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen Folgeschäden in keinem Fall ersetzt würden.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, dem Erstkläger EUR 1.482,64 und der Zweitklägerin EUR 500,--, jeweils zuzüglich 4% Zinsen seit 04.09.2018 zu zahlen, das Mehrbegehren des Erstklägers und der Zweitklägerin von jeweils EUR 138,94 samt 4% Zinsen seit 04.09.2018 wies es ab. Schließlich verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, „den klagenden Parteien“ die mit EUR 1.552,19 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen. Es traf die auf Seiten 4 bis 8 der Urteilsausfertigung ON 13 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, und folgerte in rechtlicher Hinsicht, der Ausfall des FDPS-Systems am Flughafen Brüssel sei ein außergewöhnlicher Umstand. Es sei betriebswirtschaftlich nachvollziehbar, dass die Beklagte den Flug annulliert habe. Zu den ihr zumutbaren Maßnahmen gehöre es aber, den Flug verspätet durchzuführen. Die Durchführung mit Verspätung wäre zum Zeitpunkt der Annullierung möglich gewesen. Zum Flug OS 354 führte das Erstgericht aus, dass Slotzuteilungen aufgrund von Überlastungen des Luftraums keine ungewöhnlichen geschweige denn außergewöhnliche Vorkommnisse seien und zum betrieblichen Risiko des Luftfahrtunternehmens gehören würden. Ein außergewöhnlicher Umstand liege nicht vor. Zu den weiteren Ansprüchen der Kläger führte das Erstgericht zunächst aus, dass nicht habe festgestellt werden können, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestandteil des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Luftbeförderungsvertrages geworden seien. Die Beklagte treffe im Rahmen der vertraglichen Haftung nach dem Luftbeförderungsvertrag die Beweislast für ein mangelndes Verschulden nach § 1298 ABGB. Der Beklagten sei der Beweis, dass sie jeweils kein Verschulden an der Annullierung treffe, insoweit nicht gelungen, als eine Flugdurchführung in beiden Fällen aufgrund eines im Zeitpunkt der Annullierung aufrechten Slots möglich gewesen wäre und die Beklagte insbesondere auch nicht sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um zumindest eine verspätete Flugdurchführung zu gewährleisten. Die Voraussetzung eines weitergehenden Schadenersatzes gemäß Art 12 EU-FluggastVO seien grundsätzlich erfüllt. Sowohl der Verdienstausfall als auch die Kosten der Lohnfortzahlung seien individuelle Schäden, die durch die spezifische Situation der betroffenen Fluggäste bedingt seien und nicht unter die in Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO vorgesehene pauschale Ausgleichsleistung fielen. Diese Kosten seien dem Erstkläger daher zuzusprechen. Anders verhalte es sich bei den frustrierten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Festivalbesuch. Unter Hinweis auf Entscheidungen des erkennenden Senates, des EuGH und des BGH zu frustrierten Kosten seien die Ansprüche der Kläger auf Ersatz der frustrierten anteiligen Kosten der versäumten Pre-Party, der frustrierten anteiligen Zeltkosten und für eine Übernachtung zu verneinen, da sich die Kläger ihre Ausgleichsansprüche darauf anrechnen lassen müssten. Ebenso sei der Ausgleichsanspruch auf die begehrten Taxikosten anzurechnen. Die Kostenentscheidung gründete das Erstgericht auf § 41 ZPO.

Gegen den stattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen, die Berufung zu verwerfen und das Urteil zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist hinsichtlich des Erstklägers teilweise und hinsichtlich der Zweitklägerin nicht berechtigt.

[1] Zu den Ansprüchen auf Ausgleichsleistungen:

Die Berufungswerberin wendet sich hinsichtlich beider Flüge gegen die Rechtsansicht des Erstgerichtes, die Beklagte hätte wegen der aufrechten Slots die Flüge nicht annullieren dürfen, sondern hätte sie mit Verspätung durchführen müssen. Sie bringt dagegen vor, es müsse einem Luftfahrtunternehmen erlaubt sein, anhand der entsprechenden Prognose eine Annullierungsentscheidung zu treffen. Eine entsprechend vorausschauende Annullierung auf Basis von entsprechenden Prognosen und der Erfahrungswerten sei notwendig, um ein Zusammenbrechen des Flugplans zu verhindern. In weiterer Folge setzt sich die Berufungswerberin mit einigen Entscheidungen des Berufungsgerichtes zum Thema kapazitätsbedingte Restriktionen durch die Flugsicherung auseinander und stellt diese Entscheidungen des HG Wien gegenüber.

[1.1] Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass im konkreten Fall fraglich ist, ob die von der Beklagten vorgetragenen Vorkommnisse, nämlich die auch festgestellten Störungen des FDPS-Systems am 19.07.2018 zwischen 12:30 Uhr und 22:00 Uhr am Flughafen Brüssel sowie die Kapazitätsprobleme im Luftraum Österreich am 23.07.2018 Ursache der Annullierung der beiden Flüge durch die Beklagte war. Ein Luftfahrtunternehmen ist nur dann von der Zahlung der Ausgleichsleistung nach Art 7 EU-FluggastVO befreit, wenn es nachweist, dass

- ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt;

- die Annullierung (oder große Verspätung) auf einen solchen zurückgeht und

- es alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Folgen der Annullierung (oder großen Verspätung) ergriffen hat. Die Frage, ob ein Luftfahrtunternehmen sich entlasten kann, ist daher dreistufig zu prüfen (LG Korneuburg 14.02.2019, 21 R 23/19h = BeckRS 2019, 5250; zuletzt 01.10.2020, 22 R 182/20z; 27.10.2020, 22 R 207/20a; Schmid in Schmid, FluggastrechteVO Beck OK [16. Edition, Stand 01.10.2020] Art 5 Rz 19, 20). Im Rahmen dieser dreistufigen Prüfung ist die Beklagte behauptungs- und beweispflichtig, dass die von ihr vorgetragene Vorkommnis, nämlich die festgestellten Störungen des FDPS-Systems am 19.07.2018 zwischen 12:30 Uhr und 22:00 Uhr am Flughafen Brüssel sowie die behaupteten Kapazitätsprobleme im Luftraum Österreich am 23.07.2018 Ursache der Annullierung der beiden Flüge OS 353 und OS 354 durch die Beklagte war.

Welche Prognosen und Erfahrungswerte die Beklagte zur Annullierungsentscheidung geführt haben, legte diese weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren offen. Weder dem Erstgericht noch dem Berufungsgericht ist es daher möglich, allfällige Prognosen und Erfahrungswerte zu überprüfen, ob die von der Beklagten vorgetragenen Vorkommnisse Ursache der Annullierungsentscheidung sein können oder nicht (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senates, zuletzt 10.09.2020, 22 R 153/20k; 27.10.2020, 22 R 198/20b). Zur Frage eines drohenden Zusammenbrechens des Flugplanes hat das Berufungsgericht bereits ausgeführt, wenn das Luftfahrtunternehmen die Entscheidung trifft, einen Flug, für den es über einen – wenn auch verspäteten – Abflugslot verfügt, vorsorglich zu annullieren, es im Streitfall auch darzulegen hat, aus welchen konkreten Gründen eine andere Vorgangsweise als diese Annullierung ihr (noch) weniger zumutbar gewesen wäre. Die bloße Berufung auf ein andernfalls drohendes Zusammenbrechen des Flugplanes stellt in diesem Zusammenhang kein ausreichendes Tatsachenvorbringen dar (RKO0000017). Insbesondere lässt sich weder dem erstinstanzlichen Vorbringen noch den Ausführungen in der Berufung entnehmen, welcher Flugplan der Beklagten zusammengebrochen und warum die Durchführung der Flüge jeweils mit Verspätung ihr weniger zumutbar gewesen wäre als die Annullierung des Flugplanes.

Die Beklagte vermochte somit den Ursachenzusammenhang zwischen den festgestellten bzw. behaupteten Vorkommnissen einerseits und den Annullierungsentscheidungen andererseits nicht ausreichend zu behaupteten bzw. nachzuweisen.

[1.2] Gegen die Einstufung des Vorkommnisses vom 19.07.2018 am Flughafen Brüssel als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO wird im Berufungsverfahren nichts mehr ins Treffen geführt, sodass es genügt, auf die zutreffende Rechtsansicht des Erstgerichtes zu verweisen (§ 500a ZPO). Hingegen vermeint die Berufungswerberin, das Erstgericht habe zu Unrecht kapazitätsbedingte Restriktionen nicht als außergewöhnlichen Umstand im Sinne der genannten Bestimmung eingestuft. Da der von der Berufungswerberin verwendete Textbaustein bereits mehrfach Gegenstand von Erörterungen des Berufungsgerichtes war, genügt es auch in diesem Zusammenhang auf den seit 24.06.2020 im RIS veröffentlichten Rechtssatz zu verweisen: Kapazitätsengpässe aufgrund von Überlastungen des Luftraums sind in der Regel Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens und bilden somit ein luftfahrttypisches Risiko. Sie stellen daher – mögen die damit einhergehenden Regulierungen des Luftraums („Slot-Probleme“) als hoheitliche Maßnahmen auch nicht für das Luftfahrtunternehmen beherrschbar sein – keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO dar (RKO0000010).

Zusammenfassend ist auszuführen, dass hinsichtlich beider annullierter Flüge ein Ursachenzusammenhang mit den von der Beklagten vorgetragenen Vorkommnissen am Flughafen Brüssel einerseits und im österreichischen Luftraum andererseits nicht nachgewiesen wurde. Der Beklagten ist vorzuwerfen, nicht alles ihr Zumutbare getan zu haben, um die Annullierung beider Flüge zu vermeiden, nämlich durch verspätete Durchführung der Flüge. Hinsichtlich des Fluges OS 354 scheitert die Berufung auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO, weil das zugrundeliegende Vorkommnis ein luftfahrttypisches Risiko darstellt.

[2] Zu den Schadenersatzansprüchen:

Ungeachtet der möglicherweise zu Missverständnissen Anlass gebenden Formulierungen des Erstgerichtes (Seiten 16 und 17 in ON 13) sind dessen Rechtsausführungen insoweit zu verstehen, dass es sämtliche über die Ansprüche auf Ausgleichsleistung hinausgehenden Ansprüche als Schadenersatzansprüche auffasste, die es dem Grunde und der Höhe nach als zu Recht bestehend qualifizierte. Soweit das Erstgericht dennoch zur Abweisung von Teilen des Klagebegehrens kam, ist dies in der Anwendung der Anrechnungsvorschrift des Art 12 EU-FluggastVO begründet. Wie die Erwähnung des § 1298 ABGB deutlich macht, ist das Erstgericht der Auffassung, dass diese Schadenersatzansprüche der Verschuldenshaftung der §§ 1293 ff ABGB unterliegen. Für das Berufungsverfahren ist festzuhalten, dass

- die Anwendung der Verschuldenshaftung der §§ 1293 ff ABGB von den Streitteilen nicht in Zweifel gezogen wird,

- die Ansprüche dem Grund und der Höhe nach nicht mehr bestritten werden,

- die Berufungswerberin den Entfall der Schadenersatzansprüche nicht mehr auf Bestimmungen ihrer Beförderungsbedingungen stützt,

- den Schadenersatzansprüchen nur mehr entgegenhält, dass die Beklagte kein Verschulden treffe und

- die Beklagte die Anrechnung der Ausgleichsleistungen auf die Schadenersatzansprüche begehrt.

Dies führt dazu, dass von allen Elementen die Schadenersatzansprüche das Berufungsgericht nur die verbliebenen Einwände zu prüfen hat (vgl. LG Korneuburg 27.02.2020, 22 R 9/20h; 28.05.2020, 22 R 76/20m).

[2.1] Das mangelnde Verschulden argumentiert die Berufungswerberin einerseits damit, dass die Annullierung kein vorsätzliches Verhalten darstellt.

Diese Ausführungen sind zutreffend, insbesondere der Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senates vom 16.06.2020, 22 R 82/20v. Die Ausführungen sind bloß insoweit ergänzungsbeürftig, als sowohl im gegenständlichen Verfahren als auch in dem von der Berufungswerberin zitierten Verfahren ein solches Vorbringen durch die jeweiligen Kläger nicht erstattet wurde. Das Berufungsgericht hatte einen entsprechenden Hinweis in seiner Entscheidung nur aus dem Grund aufzunehmen, weil die erstinstanzliche Entscheidung in ihrer rechtlichen Beurteilung von einer vorsätzlichen Schädigung des Fluggastes ausging, weil der Flug annulliert wurde. Da sich solche Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht finden, kann diese Frage auf sich beruhen.

[2.2] Weiters bringt die Berufungswerberin vor, dass die Annullierung weder aufgrund Nachlässigkeiten, Organisationsfehlern oder mangelnder Vorkehrungen durch die Beklagte erforderlich worden sei, die festgestellten Slotvorgaben seien ein Eingriff der Flugsicherung von außen, auf die die Beklagte keinen Einfluss gehabt habe. Der Beklagten komme daher kein Verschulden zu.

Dem ist zu entgegnen, dass die von den Klägern geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht nur mit dem Vorbringen geltend gemacht wurden, die Flügen seien "storniert" (Seite 4 in ON 1) bzw. annulliert (Seite 5 in ON 6) worden, sondern auch darauf, dass die Flüge derart durchgeführt worden seien, dass die Kläger ihre Reise verspätet angetreten hätten (Seite 4 in ON 1) und der Flug verspätet gewesen sei (Seite 5 in ON 6). Daher wird vom Erstgericht zutreffend ausgeführt, dass vor allem zu prüfen ist, ob das Verschulden der Beklagten darin liegt, den Flug nicht auf Basis der im Zeitpunkt der jeweiligen Annullierungsentscheidung noch aufrechten Slots durchgeführt und damit eine, wenn auch verspätete, Flugdurchführung gewährleistet zu haben.

Der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen, dass ein Personenbeförderungsvertrag mittels Luftfahrzeug mit bestimmten Hin- und Rückflugterminen im Linienverkehr ein relatives Fixgeschäft im Sinne des § 919 Satz 2 ABGB ist, weil Natur und Zweck der vereinbarten Flugtermine schon im Allgemeinen erkennen lassen, dass der Gläubiger (hier: Fluggast) an einer verspäteten Leistung kein Interesse mehr hat. Bei einem relativen Fixgeschäft ist die Erfüllung nach dem vereinbarten Leistungstermin auch möglich, und der Schuldner muss mit dem Erfüllungsbegehren des Gläubigers rechnen. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers setzt aber nach § 919 ABGB voraus, dass der Gläubiger dies dem Schuldner ohne Verzug anzeigt. Anzeige ohne Verzug bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“. Unterlässt der Gläubiger die Anzeige, so verliert er seinen Erfüllungsanspruch und es kommt zum Zerfall des Vertrages. Die rechtzeitige Anzeige des Erfüllungsbegehrens wandelt das (relative) Fixgeschäft in ein normales Termingeschäft um. Wählt der Gläubiger beim relativen Fixgeschäft die Erfüllung, so hat er Anspruch auf Ersatz des Verspätungsschadens. Nach Annahme der verspätet angebotenen Leistung scheidet eine Berufung auf Vertragsunwirksamkeit infolge der Versäumung des Fixtermines aus; der Gläubiger kann bei schuldhafter Verzögerung nur Ersatz des Verspätungsschadens fordern. Bei Annullierung eines Fluges hat der Fluggast weiterhin einen Erfüllungsanspruch. Ist die vereinbarte Reiseveranstaltung zur vorgesehenen Zeit überbucht und werden die Reiseleistungen später erbracht, ist dies keine Ersatzreise, sondern eine verspätete Vertragserfüllung. Da die nicht gehörige Erfüllung und beim Fixgeschäft auch die nicht zeitgerechte Erfüllung der Nichterfüllung gleichstehen, liegen in Wahrheit nur zwei verschiedene Fälle vor, nämlich jene der Nichterfüllung und der verspäteten Erfüllung beim Nichtfixgeschäft (LG Korneuburg 16.06.2020, 22 R 82/20v mwN). Die Kläger haben somit zwar nicht Anspruch auf Ersatz eines Nichterfüllungsschaden, jedoch des Verspätungsschadens. Nur hinsichtlich der Verursachung der Verspätungsschäden ist zu prüfen, ob der Beklagten gelungen ist, sich vom Verschuldensvorwurf nach § 1298 ABGB „freizubeweisen“.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen zu den zumutbaren Maßnahmen kommt der Berufungssenat zum Ergebnis, dass der Beklagten dieser Beweis nicht gelungen ist. Zutreffend hat das Erstgericht bereits aufgezeigt, dass den Feststellungen insgesamt zu entnehmen ist, dass die beiden annullierten Flüge – wenn auch mit Verspätung – hätten durchgeführt werden können. Vor diesem Hintergrund sind die jeweils durch die Entscheidung, die Flüge zu annullieren, gegenüber dem rechtmäßigen Verhalten, nämlich die Flüge verspätet durchzuführen, zu prüfen. Bei sämtlichen Ansprüchen ist davon auszugehen, dass bei verspäteter Durchführung der beiden Flüge anstelle einer Annullierung die Schäden bei den Klägern nicht eingetreten wären. Dies mag allerdings nicht für die Mehrkosten gelten, die den Klägern dadurch entstanden sind, anstelle des bereits gebuchten Shuttle-Services am 19.07.2018, der gemäß der Beilage ./B um 18:00 Uhr abfuhr (was zwar nicht festgestellt, aber auch nicht bestritten wurde), am darauffolgenden Tag ein Taxi in Anspruch nehmen haben müssen (Beilage ./C). Den Feststellungen zufolge hätte der Flug OS 353 am 19.07.2018 um 18:04 Uhr starten können (Seite 5 in ON 13). Der Shuttle-Service hätte somit auch unter Zugrundelegung der verspäteten Durchführung des Fluges nicht mehr erreicht werden können. Diese Überlegungen können jedoch im Ergebnis auf sich beruhen, weil – wie noch zu zeigen sein wird – auf einen allfälligen Schadenersatzanspruch wegen der Mehrkosten des Taxis gegenüber dem Shuttle-Service der oben erörterte Anspruch auf Ausgleichszahlung anzurechnen ist.

Zusammenfassend ist auszuführen, dass der Beklagten nicht der Beweis gelungen ist, ungeachtet der beiden von ihnen vorgetragenen Vorkommnisse, nämlich des FTPS Systemausfalls am Flughafen Brüssel und der Kapazitätsbeschränkungen im österreichischen Luftraum die beiden annullierten Flüge nicht verspätet durchgeführt zu haben. Durch die Umbuchung der Kläger auf eine verspätete Beförderung hat sich das relative Fixgeschäft der Streitteile in ein einfaches Termingeschäft umgewandelt. Die Kläger haben somit Anspruch auf Ersatz ihrer Verspätungsschäden. Auf ein mangelndes Verschulden am Zustandekommen der den Annullierungen vorangegangenen Vorkommnisse kommt es nicht an. Die Gründe, die die Beklagte ins Treffen führte, die Flüge zu annullieren und nicht verspätet durchzuführen, vermögen nichts daran ändern, dass sie den Entlastungsbeweis nach § 1298 ABGB nicht erbrachte, sie habe kein Verschulden an der verpäteten Erfüllung der Luftbeförderungsverträge.

[3] Zur Anrechnung der Ausgleichsleistung auf Schadenersatzansprüche:

Die Berufungswerberin hält es für nicht nachvollziehbar, dass das Erstgericht zwar auf die Rechtsprechung des Berufungsgerichtes Bezug nimmt, jedoch eine Anrechnung nur für die anteiligen Kosten der Pre-Party der frustrierten Zeltkosten und der Taxikosten vornehme, nicht aber auf die weiteren zugesprochenen Klagsansprüche, das sind Verdienstentgang und Lohnfortzahlung, erfolge. Die Berufungsgegner halten dem entgegen, dass sowohl der Verdienstausfall als auch die Kosten der Lohnfortzahlung als individuelle Schäden anzusehen seien, der durch die spezifische Situation der betroffenen Fluggäste bedingt sei [und beschränken sich damit auf die Wiedergabe der Argumenation des Erstgerichtes].

[3.1] Ausgangspunkt des Urteiles des EuGH vom 29.07.2019 in der Rechtssache C-354/18 Rusu war ein Fall der Nichtbeförderung der Fluggäste, Umbuchung der Fluggäste auf einen späteren Flug und die Geltendmachung eines Gehaltsverlustes durch die Kläger (Urteil Rusu Rn 16, 17 und 20). Steht fest, dass der Verdienstausfall individuell und nachträglich zu beurteilen ist und auf einer Nichtbeförderung gegen Willen des Fluggastes beruht, dessen Unannehmlichkeiten standardisiert nach der EU-FluggastVO ausgeglichen werden kann, so ist ein solcher Verdienstausfall als Schaden anzusehen, der Gegenstand des in Art 12 Abs 1 EU-FluggastVO vorgesehenen weitergehenden Schadenersatzanspruches sein kann (Urteil Rusu Rn 38 und 29). Daraus folgt, dass sich gerade aus dem Urteil Rusu ergibt, dass insbesondere ein Verdienstausfall Gegenstand der Anrechnung sein kann. Wie das Erstgericht zutreffend ausführt, ist die Anrechnung in Österreich durch Anwendung der nationalen Regeln des Vorteilsausgleiches vorzunehmen (LG Korneuburg 28.05.2020, 22 R 76/20m). Zu ergänzen ist noch, dass sich der erkennende Senat im Urteil vom 16.06.2020, 22 R 82/20v in der gebotenen Kürze mit dem Beschluss des EuGH vom 28.05.2020 in der Rechtssache C-153/19 DER Touristik nach Art 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes kursorisch auseinandersetzte. Die im vorgelegten Fall zugrundeliegende Leistungsstörung war eine große Verspätung (Beschluss DER Touristik Rn 11). Damit ist für die Zwecke des vorliegenden Rechtsstreites klargestellt, dass eine Anrechnung der Ausgleichsleistung nicht nur wie im Fall Rusu dann gerechtfertigt erscheint, wenn es sich um den Fall einer Nichtbeförderung handelt, sondern auch dann, wenn im Falle einer großen Verspätung bei der Ankunft am Zielort vorliegt (Beschluss DER Touristik Rn 34). Die in den genannten Entscheidungen als Kriterien der Anrechnung genannten Umstände liegen hier vor, insbesondere die Individualität der Ansprüche auf Verdienstentgang und Lohnfortzahlung, die sich von vergleichbaren Ansprüche anderer Fluggäste unterscheiden und einzeln zu prüfen sind.

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nicht nur die vom Erstgericht bereits im erstinstanzlichen Verfahren bei den frustrierten Aufwendungen und den zusätzlichen Transportkosten vorgenommene Anrechnung dem in Österreich geltenden Grundsatz des Vorteilsausgleiches entspricht, sondern auch die Anrechnung auf Verdienstentgang und Lohnfortzahlung.

Die von der Berufungswerberin begehrte Anrechnung sämtlicher Ausgleichsansprüche auf sämtliche Schäden kommt jedoch nicht in Betracht, weil eine Vorteilsanrechnung nur bei sachlich kongruenten Leistungen infrage kommen kann (LG Korneuburg 28.05.2020, 22 R 76/20m unter Berufung auf RS0122868).

[3.2] Soweit die Kläger Schadenersatz wegen des frustrierten ersten Festivaltages und des Zeltpreises geltend macht, kommt auf diese Schadenersatzansprüche nur die Anrechnung des eigenen Ausgleichsanspruches aufgrund der Annullierung des Fluges OS 353 in Betracht. Selbst wenn man unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Erstgerichtes vermeint, dass auch die zusätzlichen Transferkosten vom Flughafen zum Festivalgelände von der Beklagten verursacht und verschuldet wurden, ergibt sich ein Gesamtschadenersatzanspruch der Kläger aus der Annullierung des Fluges OS 353 von EUR 138,94, der deshalb nicht geltend gemacht werden kann, weil den Klägern bereits der Ausgleichsanspruch für die Annullierung des Fluges OS 353 zugesprochen wurde. Auf den Verdienstentgang des Erstklägers wegen der Verspätung des Fluges ist die aufgrund der Annullierung des Fluges OS 354 gebührende Ausgleichsleistung von EUR 250,-- anzurechnen. Eine Anrechnung auch des Ausgleichsanspruches der Zweitklägerin wegen der Annullierung des Fluges OS 354 scheidet mangels Kongruenz aus.

Problematisch ist die Durchführung der Anrechnung beim frustrierten Aufwand des Erstklägers aus dem Titel der Entgeltsfortzahlung für die Zweitklägerin.

[3.3] Im Falle der Lohnfortzahlung gemäß § 8 AngG kommt es zur bloßen Schadensverlagerung. Die Ersatzpflicht des Schädigers wird durch die Lohnfortzahlung nicht ausgeschlossen. Der Ersatzanspruch gegen den Schädiger geht analog § 1358 ABGB, § 67 VersVG mit der Lohnfortzahlung auf den Dienstgeber über. Dieser hat Anspruch auf Ersatz nicht nur des Bruttolohns, sondern auch der Beiträge zur Sozialversicherung. Die Differenzierung zwischen Angestellten und Arbeitern kommt hier schon deshalb nicht zum Tragen, weil es sich nicht um einen Lohnfortzahlungsfall aus den Gründen der Krankheit, sondern der sonstigen Dienstverrichtung handelt, der im § 8 Abs 3 AngG geregelt ist und – sofern nicht eine für das jeweilige Dienstverhältnis erlassene Sonderregel gilt – ihren allgemeinen Niederschlag im § 1154b Abs 5 ABGB gefunden hat. Umfasst sind auch Gründe, die die Person des Arbeitnehmers (bloß) betreffen, also den Arbeitnehmer angehen und ihn entweder durch eine unmittelbare Einwirkung an der Arbeitsleistung hindern oder nach Recht, Sitte oder Herkommen wichtig genug erscheinen, um ihn davon abzuhalten (Rebhahn/Ettmayer in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.04, § 1154b Rz 14). Zusammengefasst ist davon auszugehen, dass ein Lohnfortzahlungsfall nach § 1154b Abs 5 ABGB oder nach einer vergleichbaren, auf das jeweilige Dienstverhältnis anwendbaren Norm vorlag, sodass eine Schadensverlagerung von der Zweitklägerin auf den Erstkläger anzunehmen ist (LG Korneuburg 27.10.2020, 22 R 210/20t), sodass zwar nicht die Zweitklägerin, aber (allein) der Erstkläger den von ihm fortgezahlten Lohn wider den Schädiger geltend machen kann. Es wird damit kein Schaden in die Betrachtung einbezogen, der nicht ohnehin normalerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt und daher zu ersetzen wäre (1 Ob 210/08a). Die Rechtsprechung nimmt die Anrechnung von sachlich kongruenten Leistungen an den Dienstnehmer auch dann vor, wenn der Schadenersatzanspruch des Dienstnehmers im Lohnfortzahlungsfall auf den Dienstgeber im Zahlungszeitpunkt übergegangen ist. Rechnerisch wird so vorgegangen, dass ein auch zukünftiger Anspruch des unmittelbar geschädigten Dienstnehmers aufgrund der Lohnfortzahlung im Augenblick der Zahlung auf den Dienstgeber übergeht, und dass Gegenstand des Überganges des Anspruches nur der um die dem unmittelbar geschädigten Dienstnehmer zukommenden Beträge verminderten Lohnfortzahlungsanspruches ist (2 Ob 167/01z zur Frage der Anrechnung der der Dienstnehmerin zugekommenen Versehrtenrente auf den Ersatzanspruch des Dienstgebers wegen Lohnfortzahlung). Da es sich beim vom Erstkläger geltend gemachten frustrierten Aufwand für Entgeltfortzahlung nur um einen auf ihn übergegangenen Schadenersatzanspruch der Zweitklägerin handelt, erscheint es sachgerecht, den Ausgleichsanspruch der Zweitklägerin aufgrund der Annullierung des Fluges OS 354 auf den von ihr auf den Erstkläger übergegangenen Entgeltfortzahlungsanspruch anzurechnen. Dies bedeutet rechnerisch, dass im Zeitpunkt der Lohnfortzahlung des Erstklägers an die Zweitklägerin im Ausmaß von EUR 70,64 die Anrechnung der Ausgleichszahlung an die Zweitklägerin aufgrund der Annullierung des Rückfluges durchzuführen ist, sodass sich ihr Schadenersatzanspruch auf Null reduzierte und kein Anspruch von der Zweitklägerin auf den Erstkläger übergehen konnte.

[4] Ergebnis:

Dem Erstkläger stehen Ausgleichsansprüche wegen der Annullierung der Flüge OS 353 und OS 354 von insgesamt EUR 500,-- zu. Der Ausgleichsanspruch aufgrund der Annullierung des Hinfluges ist auf die frustrierten Aufwendungen oder Mehraufwendungen in Brüssel zur Gänze anzurechnen, der Ausgleichsanspruch infolge Annullierung des Rückfluges ist auf einen Teil des Verdienstentganges anzurechnen und sind von EUR 912,-- EUR 250,-- abzuziehen, weiters ist der Ausgleichsanspruch der Zweitklägerin aufgrund der Annullierung des Rückfluges auf den Ersatz des Entgeltfortzahlungsanspruches des Erstklägers zur Gänze anzurechnen. Daraus errechnet sich ein Schadenersatzanspruch von EUR 662,-- und ein Gesamtanspruch des Erstklägers von EUR 1.162,--.

Die Zweitklägerin hat aufgrund der Anrechnung ihres Ausgleichsanspruches aufgrund der Annullierung des Hinfluges keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr. Ihr steht ein Anspruch von insgesamt EUR 500,-- zu. Der Berufung war daher nur hinsichtlich des Erstklägers, und auch nur zum Teil, Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Erstkläger bloß ein Anspruch von EUR 1.162,-- zuzüglich Zinsen zusteht, das Mehrbegehren war abzuweisen. Hinsichtlich der Zweitklägerin war das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.

[5] Die abändernde Entscheidung macht eine Neufassung der Kostenentscheidung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten erforderlich. Beide Kläger haben teilweise obsiegt und teilweise sind sie unterlegen. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichtes ist die Kostenentscheidung im Falle des bloß teilweisen Obsiegens nicht auf § 41 ZPO, sondern auf § 43 Abs 1 ZPO zu gründen. Das Erstgericht hat richtig erkannt, dass zwei Verfahrensabschnitte zu bilden sind. Bei der Ermittlung der Obsiegens- und Unterliegensquoten ist jedoch entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichtes nicht von einer bloßen Klagsausdehnung auszugehen, sondern ist zu berücksichtigen, dass beide Kläger ihr Klagebegehren auch teilweise einschränkten. Während es für den zweiten Verfahrensabschnitt relativ leicht zu ermitteln ist, dass der Erstkläger mit rund 72% und die Zweitklägerin mit rund 78% obsiegten, lässt sich die Obsiegensquote im ersten Verfahrensabschnitt nicht leicht ausmachen. Es lässt sich weder dem ursprünglichen Klagebegehren noch der Klagsausdehnung und -einschränkung entnehmen, ob die von den Klägern zunächst geltend gemachten Ausgleichsansprüche aus der Annullierung des Fluges OS 353 oder des Fluges OS 354 abgeleitet werden. Im Hinblick auf den sogleich im Einspruch vorgenommenen Einwand der Anrechnung eines Ausgleichsanspruches auf einen weitergehenden Schadenersatz wäre zu überprüfen gewesen, aus welcher Leistungsstörung welches Fluges die Kläger jeweils eine Ausgleichsleistung begehrten, um für den ersten Verfahrensabschnitt ermitteln zu können, welcher der zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht Ansprüche der Anrechnung unterliegen oder nicht. Da nach Kürzung des Kostenverzeichnisses der Kläger um den Antrag vom 29.04.2009 der erste Verfahrensabschnitt nur aus der Mahnklage besteht, und die Ermittlung der jeweiligen Obsiegensquoten der Kläger in diesem Abschnitt nicht ohne Schwierigkeiten erfolgen kann, entspricht es den dem Kostenrecht innewohnenden Vereinfachungsprinzip, für das gesamte Verfahren eine einzige Obsiegensquote heranzuziehen. Da die Obsiegensquoten der Kläger knapp über bzw. knapp unter 75% liegen, entspricht es demselben Vereinfachungsgedanken, für beide Kläger die Obsiegensquote mit 75% anzusetzen. Die Gesamtbetrachtung der Ansprüche beider Kläger in Summe nahm bereits das Erstgericht vor, ohne dass dieser Umstand von den Streitteilen gerügt wurde. Die Summe des Anwaltshonorars unter Kürzung um den Antrag vom 29.04.2019 beträgt EUR 1.662,72. Bei einem über beide Verfahrensabschnitte und für beide Kläger einheitlich angenommenen Obsiegensquote von 75% steht ihnen die Hälfte des Anwaltshonorars zu, das sind EUR 831,36. Die 20%-ige USt. beträgt davon EUR 166,27. Von den zu Recht verzeichneten Barauslagen, der Pauschalgebühr von EUR 117,70, stehen den Klägern 75%, somit EUR 88,28 zu. Insgesamt ergibt sich ein Kostenersatzanspruch der Kläger von EUR 1.085,91. Dieser war gemäß dem Anteil des Erstklägers und dem Anteil der Zweitklägerin am Gesamtinteresse im Verhältnis 70:30 auf die Kläger aufzuteilen.

Die Kostenentscheidungen im Berufungsverfahren beruhen hinsichtlich des Erstklägers auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO, hinsichtlich der Zweitklägerin auf §§ 41, 50 ZPO. Der Erstkläger konnte mit seiner Berufungsbeantwortung 78% bzw. 7/9-tel des Berufungsinteresses abwehren und hat somit Anspruch auf Ersatz von 5/9-tel der auf ihn entfallenden Kosten der Berufungsbeantwortung, die Zweitklägerin konnte mit ihrem Anteil an der Berufungsbeantwortung 100% des erstinstanzlichen Zuspruches und somit eine Bestätigung des Zuspruches durchsetzen. Der Anteil des Erstklägers am gesamten Berufungsinteresse beträgt ca. 3/4-tel und der Anteil der Zweitklägerin ca. 1/4-tel. Von den Gesamtbruttokosten der Berufungsbeantwortung von EUR 355,35 entfallen auf den Erstkläger gemäß seinem Anteil des Berufungsinteresse am Gesamtberufungsinteresse von 3/4-tel, das sind EUR 266,51. Gemäß seiner Obsiegensquote von 7/9-tel stehen dem Erstkläger davon 5/9-tel zu, das sind EUR 148,06, darin sind EUR 24,68 USt. enthalten. Der Anteil der Zweitklägerin ist gemäß ihrem Anteil des Berufungsinteresses am Gesamtberufungsinteresse von 1/4-tel mit EUR 88,84 (brutto) zu berechnen. Der Umsatzsteueranteil beträgt EUR 14,73. Umgekehrt hat die Beklagte Anspruch auf Ersatz von 2/9-tel der Pauschalgebühr (auf Basis des Gesamtberufungsinteresses, aber ohne Streitgenossenzuschlag) gegenüber dem Erstkläger, dass sind EUR 144,--. Davon 2/9-tel sind EUR 32,--.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Textnummer

EKO0000038

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00119:2020:02200R00246.20M.1124.000

Im RIS seit

26.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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