TE Bvwg Beschluss 2020/11/30 W146 2231838-1

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Veröffentlicht am 30.11.2020
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Entscheidungsdatum

30.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W146 2231838-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2020, Zl. 81866300/190084141, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der damals minderjährige Beschwerdeführer stellte am 16.08.2003 durch seine gesetzliche Vertreterin einen Asylerstreckungsantrag. Dabei wurden für den Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Mit Bescheid des damals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 10, 11 Abs 1 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB unter der Anwendung des JGG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1, Abs 2 StGB sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster Fall, Abs 2 SMG als Beteiligter nach § 12 3. Fall StGB unter der Anwendung des JGG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt.

Mit Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019 wurde ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs 1 StGB sowie wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB unter Anwendung des JGG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Am 14.11.2019 fand aufgrund eines eingeleiteten Aberkennungsverfahren eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei gab der Beschwerdeführer an, gesund zu sein und machte im Wesentlichen Angaben zu seinem Bildungs- und Berufsweg sowie zu seiner Integration in Österreich. Thematisiert wurden auch die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23.04.2020 wurde dem Beschwerdeführer der mit Erkenntnis des Unabhängigen Bundesasylamtes vom XXXX , Zahl XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillig Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 26.05.2020 vollinhaltlich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Als Beschwerdegründe wurden die unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung, Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. So sei nicht nachvollziehbar, weshalb davon ausgegangen werde, dass Tschetschenisch und nicht Deutsch als Muttersprache angenommen werde. Auch könne nicht von einer Verbesserung der Umstände im Herkunftsland ausgegangen werden und stimme es nicht, dass der Beschwerdeführer Verwandte im Herkunftsstaat habe. Auch sei er nicht zweifelsohne mit den religiösen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten in Tschetschenien vertraut und sei ihm eine problemlose Rückkehr auch aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht möglich. Zudem wurde auf das Bestehen eines Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers hingewiesen und darauf, dass die Behörde verkannt habe, dass der Beschwerdeführer nach wie vor über ein schützenswertes Familienleben mit seinen Eltern verfüge, da er mit diesen engen Kontakt pflege und eine gegenseitige finanzielle Abhängigkeit bestehe. Zudem erweise sich das erlassene Einreiseverbot angesichts der besonders berücksichtigungwürdigen Umstände weder dem Grunde noch der Dauer nach gerechtfertigt.

Am 10.06.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl samt dem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Dem Beschwerdeführer wurde durch den damals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenat am XXXX im Wege der Erstreckung Asyl gewährt.

Seither ist der Beschwerdeführer in Österreich aufhältig. Er besuchte eine Vorschule, absolvierte die Volksschule und besuchte die Hauptschule. Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf, war jedoch als Hilfsarbeiter tätig. Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet mehrfach straffällig:

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB unter der Anwendung des JGG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1, Abs 2 StGB sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster Fall, Abs 2 SMG als Beteiligter nach § 12 3. Fall StGB unter der Anwendung des JGG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs 1 StGB sowie wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB unter Anwendung des JGG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete das gegenständliche Statusaberkennungsverfahren aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilungen in Zusammenschau mit der geänderten Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ein, wobei es zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens davon ausging, dass die Straffälligkeit den Aberkennungstatbestand nicht erfüllen werde. Es ging dabei davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten infolge Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung geführt hatten, nicht mehr vorlägen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer am 23.04.2020 durch, in der es ihn zu seinem Gesundheitszustand, seinem Lebenslauf, seinen strafrechtlichen Verurteilungen, seinen familiären Angehörigen in der Russischen Föderation und in Österreich sowie seinen Lebensumständen in Österreich näher befragte. Hinsichtlich der Befürchtungen im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowie die den Vater des Beschwerdeführers im Falle dessen Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. ihn erwartende Situation wurde in der Einvernahme nicht erörtert.

Der angefochtene Bescheid stützt sich hinsichtlich der Statusaberkennung ausschließlich darauf, dass die Verfolgungsgründe des Familienangehörigen, des Vaters des Beschwerdeführers, von welchem der Asylstatus abgeleitet wurde, weggefallen seien. Zudem begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Aberkennung mit dem Umstand, dass sich die den Beschwerdeführer betreffende Lage in seinem Herkunftsstaat maßgeblich geändert habe und es keine Hinweise auf eine ihn treffende Gefährdungs- oder Bedrohungslage gebe. Er habe keine glaubhaften Gründe für eine aktuelle Verfolgung in der Russischen Föderation vorgebracht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Einreise nach Österreich und seinen bisherigen Verfahren ergeben sich unzweifelhaft aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt der den Beschwerdeführer betreffenden Bescheid des damals zuständigen unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX , mit dem ihm Asyl gewährt wurde, vor. Die Gründe, weshalb dem Vater des Beschwerdeführers Asyl gewährt wurde, konnten nicht festgestellt werden, da dem Beschwerdeführer zwar Asyl im Erstreckungsverfahren gewährt wurde, jedoch die Gründe für die Asylzuerkennung an den Vater im Bescheid des Beschwerdeführers nicht aufscheinen mussten. Es genügte zu begründen, dass „auf Grund eines zulässigen Antrages, durch Erstreckung Asyl zu gewähren“ ist „wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist“ und sich auch sonst in dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt keine näheren Erwägungen des damals zuständigen unabhängigen Bundesasylsenats zur Asylgewährung finden. Dass der Beschwerdeführer bis zum Entscheidungszeitpunkt in Österreich lebte, hier die Schule besuchte und als Hilfsarbeiter tätig war, ergibt sich aus seinen unbedenklichen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde.

Die Straftaten des Beschwerdeführers und nachfolgenden strafgerichtlichen Verurteilungen sind aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister in Verbindung mit den vorliegenden (teils gekürzten) Urteilsausfertigungen ersichtlich. Der Beschwerdeführer bestritt auch zu keinem Zeitpunkt des vorliegenden Verfahrens das Bestehen der Verurteilungen.

Die Feststellungen zur Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren bzw. der Inhalt der Einvernahme vom 14.11.2019 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt; aus der Niederschrift dieser Einvernahme ist ersichtlich, dass weder die Befürchtungen des Beschwerdeführers im Falle eine Rückkehr in den Herkunftsstaat noch die seinen Vater im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. ihn erwartende Situation kein Thema in der Befragung bildete. Die festgestellte wesentliche Begründung der belangten Behörde für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten darauf, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten infolge Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung geführt haben, nicht mehr vorliegen. Dem Beschwerdeführer sei der Status des Asylberechtigten lediglich im Familienverfahren zuerkannt worden.

Zu einer Sachverhaltskonstellation wie im vorliegenden Fall sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, grundlegend aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene "Wegfall der Umstände"-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden kann. Es ist nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukommt, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Unter Verweis auf sowohl den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK als auch den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände es darauf ankommt, ob die Umstände, aufgrund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage ist ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.

Dem Beschwerdeführer wurde als minderjährigen Sohn seines Vaters durch den damals zuständigen Bundesasylsenat mit XXXX allein im Wege der Erstreckung Asyl gewährt; eigene Fluchtgründe hatte er nicht. Begründet wurde die Erstreckung damit, dass aufgrund dessen, dass dem Vater des Beschwerdeführers Asyl gewährt wurde, auch dem Beschwerdeführer zu gewähren sei, da keine Anhaltspunkte bestehen, dass ein Familienleben des Beschwerdeführers und dessen Vater in einem anderen Staat möglich wäre.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung der "Wegfall der Umstände"-Klausel auf den Beschwerdeführer darin, ob die Umstände, aufgrund deren sein Vater als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und er es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen (dabei kommt es auch nicht darauf an, ob dem Vater des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten - sofern er nicht überhaupt bereits einen anderen Aufenthaltstitel hat - gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 noch aberkannt werden kann oder nicht).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterließ zu dieser entscheidungswesentlichen Frage jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit: So führte es im Statusaberkennungsverfahren lediglich eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer durch, in der die Frage, ob die asylbegründenden Umstände für den Vater des Beschwerdeführers weggefallen sind, nicht ansatzweise thematisiert wurde. Auch wurden etwaige Befürchtungen des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nicht thematisiert und wurden auch keine sonstigen Ermittlungsschritte in diese Richtung gesetzt. Das verwaltungsbehördliche Aberkennungsverfahren war in keiner Weise auf die Frage des Wegfalls der asylbegründenden Umstände für den Vater des Beschwerdeführers und auch nicht auf die Prüfung aktueller, den Beschwerdeführer selbst treffender Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsland gerichtet.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG damit auch lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte. Damit liegen auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhalt mit einer mündlichen Verhandlung bloß zu vervollständigen wären, weil noch überhaupt kein entscheidungserhebliches Verwaltungsverfahren durch die Behörde geführt wurde, das (nur) zu ergänzen wäre. Aus den im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers ergibt sich ebenso nicht zwingend der Schluss, dass für den Vater des Beschwerdeführers jene Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt wurde, weggefallen wären, zumal auch im vorliegenden Fall diese Umstände mangels näherer Begründung des damals zuständigen unabhängigen Bundesasylsenates im Bescheid vom XXXX für das Bundesverwaltungsgericht nicht vollständig ersichtlich sind.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird in der Folge den Vater des Beschwerdeführers zumindest einmal persönlich einzuvernehmen und dabei zu ermitteln haben, ob die für sie asylbegründenden Umstände - welche an sich erst zu ermitteln sein werden - weggefallen sind; dem Beschwerdeführer selbst werden nachfolgend die Ergebnisse dieser Ermittlungen vorzuhalten sein.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung entfallen, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Erkenntnisausfertigung ohne Sprachmodule

Da der Beschwerdeführer nach dem Eindruck des erkennenden Gerichts hinreichend Deutsch versteht, was aus seinen diesbezüglichen Angaben bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde, welche auch auf Deutsch durchgeführt wurde, resultiert, konnte die sonst gebotene Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung, wie in dem § 22 Abs 2 AsylG 2005 idF bis 31.12.2013 bzw nunmehr in § 12 BFA - Verfahrensgesetz positiviert, jedenfalls unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheids ergeht in Entsprechung der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Die Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall auf jene Auslegung des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK gestützt, die der Verwaltungsgerichtshof grundlegend in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, traf.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungsverfahren Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung strafrechtliche Verurteilung Verfolgungsgefahr Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W146.2231838.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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