TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/18 W235 2234819-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.2020
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Entscheidungsdatum

18.11.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W235 2234818-1/7E

W235 2234816-1/8E

W235 2234819-1/7E

W235 2234821-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. mj. XXXX , geb. XXXX und 4. mj. XXXX , geb. XXXX , 3. und 4. gesetzlich vertreten durch: XXXX , alle StA. Iran, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2020, Zl. 524520306-200238573 (ad 1.), Zl. 524520208-200238590 (ad 2.), Zl. 1262225707-200238603 (ad 3.) sowie Zl. 1264355210-200383433 (ad 4.) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig war.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind ein Ehepaar und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Alle vier Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Iran. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin reisten gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 02.03.2020 jeweils für sich und als gesetzliche Vertreter auch für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Ein Abgleich im VIS System des Bundesministeriums für Inneres hat ergeben, dass den drei Beschwerdeführern von der italienischen Botschaft in Teheran am XXXX .09.2019 Schengen-Visa für sieben Tage im Zeitraum XXXX .09.2019 bis XXXX .10.2019 erteilt worden waren.

1.2. Am Tag der Antragstellung wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie zunächst angaben, an keinen Krankheiten zu leiden. Übereinstimmend gaben beide Beschwerdeführer an, dass sie gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin am XXXX .09.2019 legal mit dem Flugzeug von Teheran nach Italien geflogen seien. In Italien hätten sie sich seit XXXX .09.2019 drei Tage aufgehalten und seit XXXX .10.2019 seien sie in Österreich. Behördenkontakt hätten sie in Italien nicht gehabt. Am XXXX .09.2019 seien den drei Beschwerdeführern von XXXX .09.2019 bis XXXX .10.2019 gültige Schengen-Visa ausgestellt worden.

Der Erstbeschwerdeführer brachte in seiner eigenen Erstbefragung vor, dass er einen Bruder habe, der in Wien aufhältig sei. Dieser Bruder habe die drei Beschwerdeführer aus Italien abgeholt und nach Österreich gebracht. Die Reisepässe habe der Erstbeschwerdeführer zerrissen, weil Angst gehabt habe, die Behörde würde sie nach Italien abschieben und sie würden von dort aus in den Iran abgeschoben werden. Die Drittbeschwerdeführerin sei seit ihrer Geburt in seiner Obhut. In ihrer Erstbefragung gab die Zweitbeschwerdeführerin ergänzend an, dass sie im siebten Monat schwanger sei. Sie habe abgesehen von den mitgereisten Beschwerdeführern keine Familienangehörigen in Österreich.

Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wurden weiters am 02.03.2020 Mitteilungen gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ausgehändigt, mit der ihnen zur Kenntnis gebracht wurde, dass aufgrund von Konsultationen mit Italien die in § 28 Abs. 2 AsylG definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen nicht mehr gilt. Diese Verfahrensanordnungen wurden dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin am selben Tag übergeben und von ihnen unterfertigt.

1.3. Betreffend alle drei Beschwerdeführer richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.03.2020 auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (= Dublin III-VO) gestützte Aufnahmegesuche an Italien.

1.4. Am XXXX wurde die Viertbeschwerdeführerin in Österreich geboren (vgl. hierzu die vorgelegte Geburtsurkunde, AS 27 im Akt der Viertbeschwerdeführerin). Aufgrund der Geburt der Viertbeschwerdeführerin befand sich die Zweitbeschwerdeführerin von XXXX .05.2020 bis XXXX .05.2020 in stationärer Behandlung eines Krankenhauses. Den in diesem Zusammenhang vorgelegten medizinischen Unterlagen (Aufenthaltsbestätigung vom XXXX .05.2020, Arztbrief vom XXXX .05.2020 und Ambulanzbefund vom XXXX .05.2020) ist zu entnehmen, dass es sich um eine komplikationslose Geburt gehandelt hat und die Viertbeschwerdeführerin gesund ist (vgl. AS 1 bis AS 13 im Akt der Viertbeschwerdeführerin).

Am 06.05.2020 stellte die Viertbeschwerdeführerin durch ihre gesetzliche Vertreter (= Eltern) ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Schreiben vom 27.05.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der italienischen Dublinbehörde mit, dass die Zuständigkeit im Fall aller vier Beschwerdeführer wegen Unterlassung einer fristgerechten Antwort auf die österreichischen Aufnahmegesuche auf Italien übergegangen ist. Die italienische Dublinbehörde wurde weiters am 22.06.2020 über die Geburt der Viertbeschwerdeführerin informiert und darauf hingewiesen, dass gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO Italien auch zur Führung des Verfahrens der Viertbeschwerdeführerin zuständig ist (vgl. AS 33 im Akt der Viertbeschwerdeführerin).

1.5. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 29 Abs. 3 AsylG wurde dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, die Anträge auf internationalen Schutz aller vier Beschwerdeführer zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Italien angenommen wird. Diese Verfahrensanordnungen wurde dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin am 25.06.2020 nachweislich übergeben.

1.6. Am 01.07.2020 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit einer Rechtsberaterin im Zulassungsverfahren sowie unter Beziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Farsi vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen, wobei beide Beschwerdeführer eingangs ihrer Einvernahmen angaben, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühlen würden, die Befragung zu absolvieren. Sie stünden nicht in ärztlicher Behandlung und würden auch keine Medikamente nehmen. Die Viertbeschwerdeführerin habe Mutter-Kind-Pass Untersuchungen. Den minderjährigen Beschwerdeführerinnen gehe es gut und der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin hätten gemeinsam die Obsorge über sie.

In seiner eigenen Einvernahme brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass sein Bruder seit dem Jahr 2000 in Wien lebe und die österreichische Staatsbürgerschaft habe. Von Oktober 2019 bis März 2020 habe der Erstbeschwerdeführer mit den Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen bei seinem Bruder gewohnt. Er habe nicht um Asyl angesucht, weil sie Visa gehabt und Angst gehabt hätten, dass sie abgeschoben werden würden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei schwanger gewesen und habe der Erstbeschwerdeführer Angst gehabt, sie bekomme Stress und verliere das Kind. Daher hätten sie abgewartet und erst später um Asyl angesucht. Derzeit würden sie nicht beim Bruder des Erstbeschwerdeführers leben, da dieser familiäre Probleme habe. Vor ca. zwei Monaten habe der Erstbeschwerdeführer seinen Bruder zum letzten Mal gesehen. Vor der Einreise nach Österreich habe er immer wieder telefonischen Kontakt zu seinem Bruder gehabt. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bestehe zwischen ihnen nicht. Der Erstbeschwerdeführer lebe mit seiner mitgereisten Familie in der Betreuungsstelle in XXXX . Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes, ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien auszuweisen, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass sie italienische Visa gehabt hätten. Sie würden nicht nach Italien, sondern in Österreich bleiben wollen. In Italien hätten sie niemanden. Kontakt mit den italienischen Behörden hätten die Beschwerdeführer nicht gehabt. Sie hätten gehört, dass Personen aus dem Iran, die mit einem Visum nach Italien gereist seien, wieder abgeschoben worden seien. Dies habe er aus dem Internet und auch von anderen Iranern gehört. Sie seien drei Tage in Italien aufhältig gewesen. Zu den vorab ausgefolgten Länderfeststellungen zu Italien gab der Erstbeschwerdeführer an, dass es in Italien eine Corona-Krise gebe und Flüchtlinge nicht unterstützt würden. Das hätten ihm Freunde in Italien gesagt. Er habe zwei kleine Kinder und wolle nicht auf der Straße leben. Zu den Freunden in Italien befragt, brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er zu einer Person in Salzburg Kontakt habe und diese Person habe Kontakt zu Leuten in Italien. Der Erstbeschwerdeführer habe persönlich keinen Kontakt zu Personen in Italien. Sonst wolle er nichts zu Italien sagen. Zur Ehefrau seines Bruders habe er wenig Kontakt, aber wenn die Zweitbeschwerdeführerin zum Arzt habe müssen, habe die Schwägerin übersetzt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in ihrer Einvernahme an, dass ein Bruder des Erstbeschwerdeführers seit 20 Jahren in Österreich lebe. Ca. fünf Monate hätten sie jetzt gemeinsam in einem Haushalt gelebt. Finanzielle Abhängigkeit bestehe nicht. Ihr Schwager und ihre Schwägerin hätten die Beschwerdeführer finanziell und mental unterstützt, als sie noch gemeinsam gewohnt hätten. Nunmehr hätten die Beschwerdeführer eine Unterkunft in der Betreuungsstelle und müssten daher nicht mehr bei ihrem Schwager leben. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes, sie aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien auszuweisen, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie Angst habe, aus Italien in den Iran abgeschoben zu werden. Kontakt mit den italienischen Behörden hätten sie nicht gehabt, da sie nicht vorgehabt hätten, in Italien zu bleiben. Die Zweitbeschwerdeführerin habe im Iran von anderen Iranern gehört, dass sie trotz Visums aus Italien abgeschoben worden seien. Auf Nachfrage gab sie an, dass sie diese Iraner nicht kenne. In Italien seien sie drei Tage aufhältig gewesen. Zu den vorab ausgefolgten Länderfeststellungen zu Italien gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass der einzige Grund, warum sie nicht nach Italien wolle, sei die Angst vor Abschiebung in den Iran. Wenn sie wisse, dass sie nicht in den Iran abgeschoben werde, wäre es überhaupt kein Problem nach Italien zu gehen. Auf Frage der Rechtsberatung gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran wegen Depressionen in psychologischer Behandlung gewesen sei. Die Befunde könne sie nachreichen. In Österreich sei sie nicht beim Arzt gewesen, da sie schwanger gewesen sei. Aktuell gehe es ihr nicht gut. Weil sie ein kleines Kind habe, könne die Zweitbeschwerdeführerin auch keine Medikamente nehmen. Als sie erfahren habe, dass sie schwanger sei, habe sie mit dem Medikament Somatotriptin aufgehört. Die Zweitbeschwerdeführerin sei emotional von ihrer Schwägerin abhängig. In Österreich sei sie die einzige Frau, mit der sie reden könne. Manchmal nehme die Schwägerin auch die Drittbeschwerdeführerin zu sich, damit sich die Zweitbeschwerdeführerin um die Viertbeschwerdeführerin kümmern könne.

Die Rechtsberaterin beantragte eine Einzelfallzusicherung, da es sich bei den Beschwerdeführern um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern handelt.

In den Verwaltungsakten finden sich nachstehende Unterlagen:

?        Geburtsurkunde der Viertbeschwerdeführerin, ausgestellt vom Standesamts- und Staatsbürgerschaftsverband XXXX am XXXX .06.2020;

?        Schreiben der Schwägerin des Erstbeschwerdeführers;

?        Zertifikat über Absolvierung einer Remunerantentätigkeit des Erstbeschwerdeführers vom XXXX .06.2020;

?        Zertifikate des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin über die Absolvierung eines Deutschkurses (sechs Module) vom XXXX .06.2020;

?        Mutter-Kind-Pass der Zweitbeschwerdeführerin;

?        Taufzertifikate des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, beide vom XXXX .06.2020 und

?        Goethe-Zertifikat A1 Start Deutsch 1 des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, beide vom XXXX .06.2019;

1.7. Aufgrund der Angabe der Zweitbeschwerdeführerin, sie sei im Iran wegen Depressionen in psychologischer Behandlung gewesen, holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von einer sachverständigen Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutin ein. Dieser gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 13.07.2020 ist zu entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung leide. Sonstige psychische bzw. neurologische Krankheitssymptome lägen nicht vor. Therapeutische und medizinische Maßnahmen seien nicht anzuraten. Eine Verschlechterung bei einer Überstellung wäre nicht sicher auszuschließen. Allerdings fänden sich keine akute Erkrankung und auch keine Suizidgedanken (vgl. AS 171 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin).

Die gutachterliche Stellungnahme wurde der Zweitbeschwerdeführerin zur Äußerung binnen sieben Tagen übermittelt. Eine Äußerung ist bis dato nicht eingelangt.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge aller vier Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 iVm Art. 22 Abs. 7 (sowie betreffend die Viertbeschwerdeführerin iVm Art. 20 Abs. 3) Dublin III-VO für die Prüfung dieser Anträge zuständig ist (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide wurde gegen die Beschwerdeführer die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig ist.

Begründend wurde betreffend alle vier Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestünden. Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin wurde ergänzend vorgebracht, dass bei ihr eine Anpassungsstörung vorliege. Sonstige psychische oder neurologische Krankheitssymptome lägen nicht vor und seien therapeutische oder medizinische Maßnahmen nicht zwingend erforderlich. Aufgrund des Visumabgleichs des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sei ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet worden. Die Viertbeschwerdeführerin sei am XXXX [in Österreich] zur Welt gekommen. Die Asylverfahrens aller vier Beschwerdeführer würden negativ beschieden, da in allen Fällen Italien für die Führung der Asylverfahren zuständig sei. Es liege ein Familienverfahren vor. Zwischen den Beschwerdeführern und dem Bruder des Erstbeschwerdeführers habe kein aufrechtes Familienleben oder ein wirtschaftliches bzw. finanzielles Abhängigkeitsverhältnis festgestellt werden können. Es werde ausgeschlossen, dass eine maßgebliche Integrationsverfestigung in Österreich erfolgt sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Italien systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen seien oder diese dort zu erwarten hätten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf in den angefochtenen Bescheiden Feststellungen zum italienischen Asylverfahren, einschließlich der Lage von Dublin-Rückkehrern in Italien sowie zur Situation aufgrund der COVID-19-Pandemie.

Beweiswürdigend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich die Feststellungen zum Konsultationsverfahren und zum zuständigkeitsbegründenden Sachverhalt aus den unbedenklichen Akteninhalten ergeben würden. Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin wurde darauf verwiesen, dass aufgrund ihrer Angaben eine psychologische Untersuchung durchgeführt worden sei. Laut psychologischem Gutachten liege bei ihr eine Anpassungsstörung vor. Aus dem vorliegenden Sachverhalt habe sich kein Hinweis ergeben, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine Behandlung oder sonstige medizinische Betreuung benötige, die in Österreich, nicht aber in Italien vorhanden wäre. Aus den Feststellungen zu Italien sei eindeutig ersichtlich, dass in Italien Behandlungsmöglichkeiten bestünden und diese auch zugänglich seien. Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer hätten sich aus den Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergeben. Diese hätten selbst angeführt, keine finanzielle Unterstützung vom Bruder des Erstbeschwerdeführers zu beziehen. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers lebe seit 20 Jahren in Österreich. Auch in Italien hätten die Beschwerdeführer die Möglichkeit per Telefon oder Internet mit dem Bruder des Erstbeschwerdeführers Kontakt zu halten. Die Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus hätten sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und aus dem Amtswissen ergeben, jene zu Italien würden auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl basieren. Die vom Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin geäußerten Befürchtungen betreffend eine Abschiebung aus Italien in den Iran seien lediglich Aussagen durch unbekannte Dritte. Fest stehe, dass der Aufenthalt in Italien nur drei Tage betragen habe und die Beschwerdeführer aufgrund dieser kurzen Aufenthaltsdauer nicht näher über die Lage von Asylwerbern in Italien Bescheid hätten wissen können, zumal sie sich nicht an die italienischen Behörden betreffend Schutzsuche gewandt hätten. Dass den Beschwerdeführern in Italien eine Versorgung nicht zu Teil werden würde, habe nicht festgestellt werden können. Die Rechtsberatung habe keine konkreten Gründe für eine Einzelfallzusicherung vorbringen können, sondern diese lediglich aufgrund der beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen beantragt. Den Länderfeststellungen könne man entnehmen, dass Italien im Feber 2015 im Sinne des Tarakhel-Urteils eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung gestellt habe, die für die Unterbringung von Familien geeignet sei. Am 08.01.2019 sei ein neuer Rundbrief versendet worden, mit dem auf die geänderten Gegebenheiten reagiert worden sei. In weiterer Folge sei anzumerken, dass die Überstellung nach Italien keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeute. Dass den Beschwerdeführern der Zugang zum Asylverfahren in Italien verweigert werde, könne von der Behörde nicht festgestellt werden und könne eine Schutzverweigerung in Italien auch nicht erwartet werden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den jeweiligen Spruchpunkten I. der angefochtenen Bescheide, dass sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer und aus dem amtswegigen Ermittlungsverfahren ergebe, dass Art. 12 Abs. 4 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO formell erfüllt sei. Ein verstärkendes Element der Beziehungsintensität zwischen dem Erstbeschwerdeführer und seinem Bruder sei nicht vorgebracht worden. Die Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet vermöge kein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Recht auf Achtung des Privatlebens zu begründen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesem Aspekt zulässig sei. Italien sei bereit, die Beschwerdeführer einreisen zu lassen und ihre Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen bzw. die sonstigen, Italien treffenden Verpflichtungen den Beschwerdeführern gegenüber zu erfüllen. Weiters sei festzuhalten, dass in Italien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung der EMRK im gegenständlichen Zusammenhang nicht eintreten werde. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Zu den jeweiligen Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide wurde ausgeführt, dass die gegenständliche Zurückweisungsentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden sei. Die Anordnung zur Außerlandesbringung habe gemäß § 61 Abs. 2 FPG zur Folge, dass die Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei. Betreffend die COVID-19-Pandemie wurde ausgeführt, dass sehr schwere Krankheitsverläufe am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen auftreten würden. Dass die Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden würden, aufgrund der sie im Hinblick auf COVID-19 zu einer vulnerablen Gruppe zählen würden, sei weder im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden noch sei dies nach Ansicht der Behörde erkennbar. Ein bei der Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK sei auch hieraus nicht erkennbar.

3. Am 02.09.2020 erhoben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreter auch für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen im Wege ihrer nunmehr ausgewiesenen Vertretung fristgerecht Beschwerde gegen die oben angeführten Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und stellten Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend wurde im Wesentlichen nach Wiederholung des Verfahrensganges vorgebracht, dass sich zur Unterbringungs- und Versorgungssituation von Dublin-Rückkehrern in den Bescheiden lediglich sehr kurzgehaltene Informationen fänden. Zwischen 2016 und 2017 hätten mindestens 22.000 Migranten ihr Recht auf Unterbringung in den Aufnahmezentren verloren. Ein aktueller Rundbrief von borderline europe würde diese Entwicklung bestätigen. Auch die neuen Länderberichte der Behörde würden hinsichtlich der Unterbringungs- und Versorgungssituation in Italien ein klares Bild aufzeigen. Die dort erwähnte Ausgrenzung aus den Aufnahmezentren SPRAR sei vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in einem Bericht vom 21.11.2018 kritisiert worden und würden diese Maßnahmen mit Sicherheit zu Menschenrechtsverletzungen führen. Zudem komme es vermehrt zu rassistischen Übergriffen und Verhetzungen in Italien. Laut einem Bericht von Ärzte ohne Grenzen aus März 2016 würden in Italien zahlreiche Asylwerber in informellen Siedlungen hausen. Die Aufnahmeprogramme Italiens wären nicht in der Lage, die große Zahl ankommender Flüchtlinge zu versorgen. Es gebe auch kein Programm für Dublin-Rückkehrer. Die Bedingungen für Asylsuchende in Italien seien miserabel. Die schweizerische Flüchtlingshilfe habe in einem Bericht festgestellt, dass besonders für verletzliche Asylsuchende, wie beispielsweise Familien mit kleinen Kindern, keine adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten mehr bestünden. Ferner seien die herangezogenen Länderfeststellungen unvollständig und würden sich nicht umfassend mit der Situation von Dublin-Rückkehrern, insbesondere mit der Gesundheitsversorgung, auseinandersetzen. Es könne nicht von einer Ausgewogenheit der Quellen gesprochen werden, da kaum Kritik am italienischen Asylsystem und an der Aufnahmesituation für Flüchtlinge geübt werde.

Ferner wurde auf eine Entscheidung eines luxemburgischen Gerichtes vom 03.08.2018 verwiesen, mit dem eine Überstellung nach Italien für unzulässig erklärt wurde. Weiters wurde unter Verweis auf das Urteil im Fall Tarakhel sowie auf zwei Entscheidung deutscher Verwaltungsgerichte vom 22.12.2014 und vom 16.09.2016 ausgeführt, dass das deutsche Verwaltungsgericht zum Schluss gekommen sei, dass sogar bei jungen gesunden Asylwerbern individuelle Zusicherungen eingeholt werden müssten. Solche Garantien würden von der italienischen Dublin-Abteilung seit Inkrafttreten des Salvini-Dekretes nicht mehr gegeben werden können, da asylsuchende Familien keinen Zugang zu SIPROIMI-Zentren hätten. Auch habe die schweizerische Flüchtlingshilfe in einem Bericht vom Jänner 2020 analysiert, dass CAS keine kinderfreundliche Umgebung anbiete und dass die Unterbringung von Familien in CAS nicht mit Art. 3 EMRK gemäß der Auslegung im Urteil Tarakhel vereinbar sei. Es werde nunmehr deutlich gezeigt, dass die Situation in Italien keine derartige sei, dass von einer Einzelfallzusicherung abgesehen werden könne. Ebenso gehe aus den Länderberichten der Behörde hervor, dass die Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in Italien keineswegs gewährleistet werden könne.

In den vorliegenden Fällen liege auch eine Verletzung von Art. 8 EMRK vor. Der Erstbeschwerdeführer habe einen Bruder in Österreich, bei dem die Beschwerdeführer nach ihrer Einreise nach Österreich fünf Monate gelebt hätten. Diese familiäre Anknüpfung sei für das seelische Wohlbefinden der Zweitbeschwerdeführerin unentbehrlich. Da sie psychisch labil sei, sei eine Abschiebung nach Italien nicht zumutbar. Zum Beweis für eine besonders intensive Nahebeziehung zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und der Schwägerin des Erstbeschwerdeführers werde deren zeugenschaftliche Einvernahme beantragt.

Neben der Vollmacht für die einschreitende Rechtsberaterorganisation waren der Beschwerde drei farsisprachige Seiten, bei denen es sich der Beschwerde zufolge um medizinische Unterlagen aus dem Iran handelt, sowie die Kopie eines Schwarz-Weiß-Fotos beigelegt.

4. Mit Bericht vom 06.10.2020 gab die Landespolizeidirektion Niederösterreich bekannt, dass die Beschwerdeführer am selben Tag auf dem Luftweg komplikationslos nach Italien überstellt wurden (vgl. OZ 3 im Akt des Erstbeschwerdeführers).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Alle vier Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Iran. Dem Erst-, der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin wurden von der italienischen Botschaft in Teheran am XXXX .09.2019 Schengen-Visa für sieben Tage im Zeitraum XXXX .09.2019 bis XXXX .10.2019 erteilt. In Besitz dieser Visa reisten die drei Beschwerdeführer gemeinsam in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin am 02.03.2020 jeweils für sich und als gesetzliche Vertreter auch für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten. Festgestellt wird sohin, dass die drei Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich in Besitz italienischer Visa waren, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind. Die Viertbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 06.05.2020 im Wege ihrer gesetzlichen Vertreter ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 23.03.2020 auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO gestützte Aufnahmegesuche an Italien. Aufgrund von Verfristung trat die Zuständigkeit Italiens zur Durchführung der Verfahren der Beschwerdeführer ein, was der italienischen Dublinbehörde vom Bundesamt mit Schreiben vom 27.05.2020 mitgeteilt wurde. Ein Sachverhalt, der die Zuständigkeit Italiens wieder beendet hätte, liegt nicht vor. Ferner wurde den italienischen Behörden mit Schreiben vom 22.06.2020 die Geburt der Viertbeschwerdeführerin und – daraus folgend – die Zuständigkeit Italiens auch für deren Asylverfahren bekannt gegeben.

Konkrete, in den Personen der Beschwerdeführer gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Italien sprechen, liegen nicht vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Überstellung nach Italien Gefahr liefen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer Anpassungsstörung. Sonstige psychische bzw. neurologische Krankheitssymptome liegen nicht vor. Festgestellt wird, dass die Zweitbeschwerdeführerin zwischen XXXX .05.2020 und XXXX .05.2020 aufgrund der komplikationslosen Geburt der Viertbeschwerdeführerin stationär in einem Krankenhaus aufhältig war. Abgesehen von den vorgeschriebenen „Mutter-Kind-Pass“ Untersuchungen der Zweit- sowie der Viertbeschwerdeführerin befanden sich die Beschwerdeführer bis zu ihrer Überstellung nach Italien nicht in medizinischer bzw. therapeutischer Behandlung. Da der Erst-, die Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin gesund sind, wird in einer Gesamtheit festgestellt, dass alle vier Beschwerdeführer weder an einer körperlichen noch an einer psychischen Krankheit leiden, die einer Überstellung nach Italien aus gesundheitlichen Gründen entgegensteht bzw. entgegengestanden ist.

Seit ca. 20 Jahren lebt ein Bruder des Erstbeschwerdeführers mit seiner Familie in Österreich. Dieser Bruder ist österreichischer Staatsangehöriger. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin haben nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Oktober 2019 ca. fünf Monate lang bis März 2020 mit dem Bruder des Erstbeschwerdeführers im gemeinsamen Haushalt gelebt. Zwischen den Beschwerdeführern und dem Bruder des Erstbeschwerdeführers bestehen keine wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisse finanzieller oder sonstiger Natur. Darüber hinaus bestehen keine besonders ausgeprägten privaten, familiäre oder berufliche Bindungen der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet.

Festgestellt wird, dass alle vier Beschwerdeführer gemeinsam am 06.10.2020 komplikationslos nach Italien überstellt wurden.

1.2. Zum italienischen Asylverfahren einschließlich der Situation von Dublin-Rückkehrern in Italien:

Zum italienischen Asylverfahren sowie zur Situation von Dublin-Rückkehrern in Italien wurden in den angefochtenen Bescheiden umfangreiche Feststellungen getroffen, welche von der erkennenden Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes geteilt und auch für gegenständliches Erkenntnis herangezogen werden.

Ungeachtet dessen wird explizit festgestellt:

a). Allgemeines:

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) einige legislative Änderungen (AIDA 4.2019).

[…]

Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylverfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (Mdl 27.9.2019).

Im Jahr 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni 42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672 humanitären Schutz, 2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (Mdl 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).

Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).

b). Dublin-Rückkehrer:

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab.

1.       Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).

2.       Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).

3.       Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthalts waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).

c). Non-Refoulement:

Medienberichten zufolge wurden 2018 über 100 auf See aufgelesene Migranten nach Libyen zurückgebracht. Italienische Gerichte haben Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedstaaten, in denen Asylverfahren der besagten Afghanen bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement nach Afghanistan annulliert (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde auch das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten in Italien eingeführt. Da aber bislang keine entsprechende Liste sicherer Herkunftsstaaten beschlossen wurde, wird das Konzept in der Praxis derzeit nicht angewendet (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über ignorierte Versuche Asyl zu beantragen und kollektive Kettenabschiebungen nach Slowenien und weiter nach Bosnien-Herzegowina (AI 1.3.2019).

d). Versorgung:

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gibt es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wird völlig neu organisiert und nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019) und Vulnerable (mit Ausnahme von UMA) (SFH 8.5.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt ist. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

?        Unterbringung, Verpflegung

?        Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

?        notwendige Transporte

?        medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

?        Hygieneprodukte

?        Wäschedienst oder Waschprodukte

?        Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

?        Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

?        Schulbedarf

?        usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten). Ebenso eingespart wird psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist. Rechtsberatung und kulturelle Mediation werden reduziert (AIDA 4.2019; vgl. SFH 8.5.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 4.2019). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Nur diejenigen asylsuchenden Personen und Inhaber eines humanitären Status, denen vor dem 4. Oktober 2018 ein Platz in einem SPRAR-Zentrum zugesagt wurde, werden noch in einem SPRAR-Zentrum untergebracht (SFH 8.5.2019). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegten Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängel hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019). Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 19-26/Person/Tag senken sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, erscheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019). Kritiker meinen hingegen, die neuen Vorgaben würden zu einem Abbau von Personal in den Unterbringungseinrichtungen und zur Reduzierung der gebotenen Leistungen führen. Kleinere Zentren würden unwirtschaftlich und zur Schließung gezwungen, stattdessen würden größere kostensenkende Kollektivzentren geschaffen (SFH 8.5.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 13.3.2019).

e). Unterbringung:

Grundsätzlich sind Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatisch aufschiebender Wirkung besteht dieses Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einem solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. Gemäß der Praxis in den Vorjahren erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 4.2019).

[…]

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“), welche CAS und CARA ersetzen sollen, ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber kein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) vorgesehen ist (AIDA 4.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (Mdl 8.1.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Genauer sollen Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung überstellt werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben (AIDA 4.2019).

Bezüglich des Verlustes des Rechtes auf Unterbringung gelten noch immer die Regeln aus dem Dekret 142/2015: Verlässt eine Person unerlaubt eine staatliche Unterbringung, so wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und sie verliert das Recht auf Unterbringung. Dies gilt auch nach einer Dublin-Rückkehr (SFH 8.5.2019). Die Präfektur kann eine neuerliche Unterbringung verweigern (AIDA 4.2019). Solche Personen sind gegebenenfalls auf private oder karitative Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Obdachlosenunterkünfte angewiesen. Hat der Rückkehrer vor der Weiterreise kein Asylgesuch in Italien gestellt und tut dies erst nach der Rückkehr, besteht das Recht auf Unterbringung ohne Einschränkung. Da sich die formelle Einbringung des Antrags aber oftmals über Wochen verzögern kann, kann bis zur Unterbringung eine entsprechende Lücke entstehen (SFH 8.5.2019; vgl. AIDA 4.2019).

f). Medizinische Versorgung:

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden („residenza“) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann (AIDA 4.2019), weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda sanitaria locale, ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (dimicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 4.2019).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch durch die neue Rechtslage mit Gesetz 132/2018 kommen Asylwerber mit niedrigem Einkommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 4.2019).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 4.2019).

Bei den Gesundheitsdienstleistungen in den Zentren sehen die neuen Ausschreibungskriterien in Aufnahmezentren mit bis zu 50 Plätzen durchschnittlich nur noch vier Stunden ärztliche Betreuung pro Person und Jahr vor, Pflegepersonal ist in diesen Zentren keines mehr vorgesehen. In großen Zentren (bis zu 300 Plätzen) muss ein Arzt nur noch 24 Stunden pro Woche statt wie bisher rund um die Uhr anwesend sein. Für die Zentren ist keine Unterstützung durch interne Psychologen/Psychiater mehr vorgesehen. Die soziale Unterstützung für Zentren mit bis zu 50 Plätzen wurde auf sechs Stunden pro Woche reduziert, jene für Zentren mit bis zu 300 Plätzen auf 24 Stunden pro Woche (SFH 8.5.2019).

[…]

g). Zur COVID-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

In Österreich gibt es mit Stand 18.08.2020, 09:27 Uhr, 23.534 bestätigte Fälle mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 729 Todesfälle; in Italien wurden zu diesem Zeitpunkt 254.235 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 35.400 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in seinen Entscheidungen neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Italien auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage unter Berücksichtigung der Neuerungen durch das „Salvini-Dekret“ bzw. das „Salvini-Gesetz“ und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen – darunter konkret auch in Bezug auf Rückkehrer nach der Dublin III-VO – samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen.

Festgestellt wird sohin, dass sich aus diesen Länderinformationen keine ausreichend begründeten Hinweise darauf ergeben, dass das italienische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweist. Daher ist aus Sicht der zuständigen Einzelrichterin, insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die generelle Versorgungs- und Unterbringungslage und die Sicherheitslage von Asylwerbern in Italien den Feststellungen des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden zu folgen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern, zu ihrer familiären Beziehung zueinander, zu ihrer Staatsangehörigkeit, zu ihrer Einreise nach Österreich und zur Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem übereinstimmenden Vorbringen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in den Verfahren sowie aus den Akteninhalten. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zur Geburt der Viertbeschwerdeführerin in Österreich aus der vorgelegten Geburtsurkunde.

Dass dem Erst-, der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin von der italienischen Botschaft in Teheran am XXXX .09.2019 Schengen-Visa für sieben Tage im Zeitraum XXXX .09.2019 bis XXXX .10.2019 erteilt wurden, diese sohin im Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich in Besitz italienischer Visa waren, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, ergibt sich ebenso aus den unbedenklichen Akteninhalten, insbesondere aus den VIS-Abfragen und wurde darüber hinaus sowohl vom Erst- als auch von der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen vorgebracht. Auch wurde die Erteilung der Visa für die Beschwerdeführer durch die italienische Dublinbehörde – zumindest konkludent - bestätigt, die den auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO gestützten Aufnahmegesuchen des Bundesamtes nicht widersprochen hat.

Die Feststellungen zum Aufnahmegesuch der österreichischen Dublinbehörde, zum Übergang der Zuständigkeit an Italien aufgrund Verfristung sowie zur diesbezüglichen Mitteilung durch das Bundesamt und zur Bekanntgabe der Geburt sowie zur Verfahrenszuständigkeit Italiens betreffend die Viertbeschwerdeführerin ergeben sich darüber hinaus aus den jeweiligen Schreiben bzw. aus der diesbezüglichen Korrespondenz der Dublinbehörden im Rahmen der Konsultationsverfahren. Darauf, dass die Zuständigkeit Italiens beendet worden wäre, finden sich im gesamten Verfahren keine Hinweise.

Eine die Beschwerdeführer konkret treffende Bedrohungssituation in Italien wurde nicht ausreichend substanziiert vorgebracht (vgl. hierzu die weiteren Ausführungen unter Punkt II. 3.2.4.2. des gegenständlichen Erkenntnisses).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin – Vorliegen einer Anpassungsstörung bzw. Nichtvorliegen sonstiger psychischer oder neurologischer Krankheitssymptome - gründen auf der vom Bundesamt eingeholten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 13.07.2020. Diese gutachterliche Stellungnahme wurde der Zweitbeschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit einer Äußerung eingeräumt. Da die Zweitbeschwerdeführerin in der Folge keine Äußerung erstattet hat, ist davon auszugehen, dass sie dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahme nicht entgegentritt. Die Feststellung zum Krankenhausaufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin in Zusammenhang mit der komplikationslosen Geburt der Vierbeschwerdeführerin gründet auf den diesbezüglich vorgelegten medizinischen Unterlagen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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