TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/19 95/20/0538

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Veröffentlicht am 19.06.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
25/02 Strafvollzug;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §878;
ABGB §879;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art18 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art8 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
StVG §111 impl;
StVG §112 impl;
StVG §119;
StVG §120 Abs1;
StVG §20 Abs1;
StVG §20 Abs2;
StVG §21 Abs1;
StVG §21 Abs2;
StVG §22 Abs2;
StVG §22 Abs3;
StVG §24 Abs4 impl;
StVG §93 Abs2;
StVG §98 Abs2;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des Friedrich W in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 17. Juni 1994, Zl. 418.392/235-V7/94, betreffend Ausführungen im Rahmen des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit in der Justizanstalt Wien-Mittersteig eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. b (aF) Waffengesetz.

Er ist gemäß dem Gesetz (§ 138 Abs. 1 ABGB) der Vater des am 24. Mai 1985 geborenen Daniel W.

Bereits mit einem (in der Folge ergänzten und modifizierten) "Ansuchen Nr. 24/1992" vom 23. April 1992 hatte der Beschwerdeführer beim Leiter der Justizanstalt die "Bewilligung periodischer Ausführungen" in die Wohnung der Mutter des mj. Daniel beantragt, um dort seinen Sohn besuchen zu können. Infolge der diesbezüglich ablehnenden Erledigung des Leiters der Justizanstalt erhob der Beschwerdeführer am 14. August 1992 Beschwerde an die belangte Behörde, der diese mit Bescheid vom 17. Februar 1993 nicht stattgegeben hat. Das dagegen in der Folge beim Verfassungsgerichtshof zu B 541/93 eingeleitete Beschwerdeverfahren kam dadurch zu einem Abschluß, daß der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückzog. Zumindest in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Zurückziehung dieser Beschwerde steht ein unter der Zl. "GV 50/83" abgefaßtes Schreiben der damaligen Leiterin der Justizanstalt vom 14. Juni 1993 an den Beschwerdeführer mit folgendem Inhalt:

"Zum Ansuchen Nr. 52/1993 wird Ihnen mitgeteilt, daß Sie die Gelegenheit haben werden, ab 1. Juli 1993 1x pro Monat im Rahmen eines Sozialtrainings (Dauer maximal zwei Stunden) ihren Sohn Daniel in der mütterlichen Wohnung zu besuchen.

                                          Die Leiterin der

                                          Justizanstalt

                                          (Unterschrift)

                                          (Rundsiegel)"

In der zweiten Jahreshälfte 1993 wurde dem Beschwerdeführer viermal ermöglicht, seinen Sohn in der Wohnung der Kindesmutter zu besuchen.

Der mit Dezember 1993 neu bestellte Leiter der Justizanstalt führte diese Vorgangsweise nicht fort.

Am 17. Jänner 1994 richtete der Beschwerdeführer an den Leiter der Justizanstalt "unter Hinweis auf die nach wie vor dem Rechtsbestand angehörende Bewilligung der Strafvollzugsbehörde I. Instanz vom 14. Juni 1993" die drei Ansuchen Nr. 1/1994 (betreffend 1994), Nr. 2/1994 (betreffend 1995) und Nr. 3/1994 (betreffend 1996), ihm gemäß § 98 Abs. 2 StVG an näher bezeichneten, einzeln aufgelisteten Tagen der betreffenden Jahre die Ausführung in die Wohnung seiner Gattin zu bewilligen, um dort seinen Sohn besuchen zu können.

Diese Ansuchen wurden vom Leiter der Justizanstalt am 25. Jänner 1994 mit formloser Entscheidung abgewiesen.

Am 26. Jänner 1994 erhob der Beschwerdeführer gegen diese formlosen Entscheidungen Beschwerde gemäß § 120 StVG an die belangte Behörde und brachte dazu im wesentlichen

- zusammengefaßt - vor, der Leiter der Justizanstalt habe bei seiner Entscheidung § 98 Abs. 2 StVG im Lichte des Art. 8 MRK verfassungswidrig ausgelegt. Die psychische Betreuung seines Kindes stelle eine wichtige Angelegenheit persönlicher Natur dar, die seine Anwesenheit an einem Ort außerhalb der Anstalt dringend erfordere. Dazu berief er sich "zur Wichtigkeit und Unerläßlichkeit der Betreuung" auf mehrere vorgelegte Privatgutachten eines psychoanalytischen Pädagogen und Psychotherapeuten; die Bewilligungen müßten zur Förderung eines konstanten Verhältnisses im vorhinein, nicht lediglich von Fall zu Fall erteilt werden; weiters verwies der Beschwerdeführer auf ein im Zusammenhang mit der zitierten "Mitteilung" vom 14. Juni 1993 mit der damaligen Leiterin der Justizanstalt geführtes Gespräch sowie auf die Mitteilung selbst, welche ein materiell rechtskräftiger, begünstigender Verwaltungsakt sei. Aus diesem ließen sich subjektiv-öffentliche Rechte des Beschwerdeführers ableiten, in die nur unter den Kautelen des § 68 AVG eingegriffen werden dürfe; insoweit sei auch ein "verwaltungsrechtlicher Vertrag" zustandegekommen.

Im Zuge des über diese Beschwerde geführten Ermittlungsverfahrens richtete die belangte Behöre an den Leiter der Justizanstalt eine Anfrage in Ansehung der Entscheidungsgründe der gegenständlichen Ablehnungen vom 25. Jänner 1994, die dieser im wesentlichen mit administrativen Schwierigkeiten bei der Begleitung des Beschwerdeführers zu seinen zahlreich beantragten Ausführungen bekanntgab. Weiters holte die belangte Behörde von der Justizanstalt eine Aufstellung über die Besuche des Beschwerdeführers von Seiten seiner Gattin und seines Sohnes ein, den Zeitraum 4. Jänner 1994 bis 14. Juni 1994 umfassend. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß der Beschwerdeführer 41 mal von seiner Gattin im genannten Zeitraum besucht wurde, davon 11 mal in Begleitung seines Sohnes; letztere Besuche wurden 8 mal im Mehrzweckraum nach § 93 Abs. 2 StVG abgehalten. Das Ergebnis dieses Ermittlungsverfahrens wurde dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17. Juni 1994 gab die belangte Behörde der gemäß § 120 StVG erhobenen Beschwerde gegen die drei formlosen Entscheidungen des Leiters der Justizanstalt vom 25. Jänner 1994 gemäß § 121 Abs. 1 StVG iVm § 98 Abs. 2 StVG und § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde aus, nicht die psychische Stabilisierung des Kindes eines Strafgefangenen, sondern dessen Resozialisierung sei Zweck des Strafvollzuges; § 98 Abs. 2 StVG räume dem Strafgefangenen bei Vorliegen der Voraussetzungen lediglich ein Recht auf einzelne Ausführungen ein, nicht jedoch auf periodische Ausführungen im Rahmen einer Therapie Dritter; die Bestimmung des Art. 8 MRK werde durch die Möglichkeit von Familienbesuchen gemäß § 93 Abs. 2 StVG gewahrt, diese würden vom Beschwerdeführer auch genutzt; aus den im Jahr 1993 erfolgten viermaligen Besuchen außerhalb der Anstalt sei dem Beschwerdeführer kein subjektives Recht (auf künftige Ausführungen) erwachsen; ein verwaltungsrechtlicher Vertrag sei im StVG nicht vorgesehen; im übrigen könne im Entscheidungszeitpunkt das künftige Vorliegen der Voraussetzungen des § 98 Abs. 2 StVG nicht prognostiziert werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Familienlebens sowie auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger, deren Behandlung der Verfassungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde mit Beschluß vom 19. Juni 1995, B 1641/94, ablehnte. Über Antrag des Beschwerdeführers trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluß vom 30. August 1995 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In seiner auftragsgemäß erstatteten Beschwerdeergänzung erklärt der Beschwerdeführer, durch Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in seinem Recht auf Ausführung außerhalb der Justizanstalt sowie in seinem (zivilen) Recht auf Gewährung von Besuchsmöglichkeiten bei seinem Sohn verletzt zu sein.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 98 Abs. 2 StVG ist einem Strafgefangenen eine Ausführung bis zum Höchstausmaß von 24 Stunden zu gestatten, soweit zur Erledigung besonders wichtiger und unaufschiebbarer Angelegenheiten persönlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur die Anwesenheit des Strafgefangenen an einem Ort außerhalb der Anstalt dringend erforderlich und die Ausführung nach der Wesensart des Strafgefangenen, seinem Vorleben und seiner Aufführung während der Anhaltung unbedenklich und ohne Beeinträchtigung des Dienstes und der Ordnung in der Anstalt möglich ist.

Gemäß § 22 Abs. 3 StVG sind alle im Strafvollzug außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ergehenden Anordnungen und Entscheidungen, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, ohne förmliches Verfahren und ohne Erlassung eines Bescheides zu treffen; soweit es nötig scheint, ist jedoch der wesentliche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Personalakt des Strafgefangenen festzuhalten. In den Fällen der §§ 116 und 121 ist hingegen vom Anstaltsleiter oder von dem damit besonders beauftragten Strafvollzugsbediensteten ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und ein Bescheid zu erlassen. Alle im Strafvollzug ergehenden Anordnungen und Entscheidungen einschließlich der Bescheide sind dem Strafgefangenen mündlich bekanntzugeben. Das Recht, eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zu verlangen, steht den Strafgefangenen nur in den Fällen der §§ 17, 116 und 121 zu. Durch diese gesetzliche Regelung ist klargestellt, daß (abgesehen von den Fällen einer Entscheidung des Vollzugsgerichtes) ein formelles Verfahren und eine bescheidmäßige Erledigung nur im Disziplinarverfahren und bei der Erledigung von Beschwerden der Strafgefangenen Platz greifen. Demgegenüber sollen alle anderen "Entscheidungen" im Rahmen des Strafvollzuges NICHT nach Durchführung eines förmlichen Verfahrens und in Bescheidform getroffen werden.

In Ansehung der oben wiedergegebenen "Mitteilung" der Leiterin der Justizanstalt vom 14. Juni 1993 gesteht der Beschwerdeführer selbst zu, daß es sich hiebei - wie auch dem äußeren Erscheinungsbild entnehmbar - nicht um einen Bescheid handelt. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid könnte nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde normativ (rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend) eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muß sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung (in diesem Sinne auch aus deren Form) ergeben. Die Rechtskraftfähigkeit der Erledigung ist dann Folge deren normativen Natur. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen und dgl. können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als ein Spruch im Sinne des § 58 Abs. 1 AVG gewertet werden (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. 9458/A). Demgemäß kann auch ein normativer Abspruch in dem Schreiben der Leiterin der Justizanstalt, dem Beschwerdeführer werde "mitgeteilt", er werde die Gelegenheit haben, im Rahmen eines Sozialtrainings seinen Sohn in der mütterlichen Wohnung zu besuchen, im Hinblick auch auf das Fehlen der übrigen (formalen) Bescheidmerkmale, nicht erblickt werden.

Der Beschwerdeführer vertritt aber auch die Auffassung, bei nicht in Bescheidform erlassenen Anordnungen und Entscheidungen in Angelegenheiten des Strafvollzuges handle es sich um "Verwaltungsakte i.w.S."; da das StVG keine ausdrückliche Regelung des Widerrufes begünstigender Verwaltungsakte enthalte, erwüchsen diese "zufolge der ganz klaren Anordnung des § 68 Abs. 1 AVG in Rechtskraft" und könnten daher von der belangten Behörde nur unter einer der Voraussetzungen der Abs. 2 bis 4 des § 68 AVG widerrufen werden.

Diese Rechtsansicht ist nicht zu teilen. Dies ergibt sich einerseits daraus, daß "Rechtskraft" im hier maßgeblichen Sinne nur Bescheiden, nicht aber "Verwaltungsakten i.w.S." zukommt; gerade der vom Beschwerdeführer bezogene § 68 AVG betrifft ausschließlich die Abänderung und die Behebung von Bescheiden iSd AVG; andererseits ist nicht richtig, daß das StVG keine Regelung über den Widerruf von Vergünstigungen vorsieht. Dabei bleibt es dem Strafgefangenen unbenommen, sein Anliegen zum Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens nach den §§ 120 ff StVG zu machen und so einen bescheidförmigen Abspruch zu erwirken, wie dies ja der Beschwerdeführer getan hat. Daß die belangte Behörde ihm aufgrund eines "verwaltungsrechtlichen Vertrages" verpflichtet sei, hat der Beschwerdeführer (anders noch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr behauptet. Für den Standpunkt des Beschwerdeführers wäre daraus nichts zu gewinnen gewesen, da ein solcher Vertrag (auch nach der vom Beschwerdeführer angegebenen Lehrmeinung bei Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2 (1986) 492 ff) nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung zulässig und im vorliegenden Fall - mangels gesetzlicher Ermächtigung des Leiters der Justizanstalt zum Abschluß eines solchen - nichtig gewesen wäre.

Die Auslegung und Anwendung des § 98 Abs. 2 StVG durch die belangte Behörde ist entgegen dem Standpunkt des Beschwerdeführers nicht rechtswidrig.

Gemäß § 20 Abs. 1 StVG soll der Vollzug der Freiheitsstrafen den Verurteilten "zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen und sie abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen". Der Vollzug soll außerdem den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzeigen.

Gemäß § 20 Abs. 2 StVG sind die Strafgefangenen zur Erreichung dieser Zwecke und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der darauf gegründeten Vorschriften von der Außenwelt abzuschließen, sonstigen Beschränkungen ihrer Lebensführung zu unterwerfen und erzieherisch zu beeinflußen. Nach den EB (511 BlgNR 11. GP, 53 und 73) ist dieser aus der Anhaltung in einer Anstalt folgende weitgehende Verlust der Freizügigkeit, verbunden mit dem Verbot beliebigen Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt (eben die Abschließung der Gefangenen) die "empfindlichste Einschränkung, die die Freiheitsstrafe für den Gefangenen mit sich bringt". Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in anderem Zusammenhang ausgesprochen hat, macht diese Abschließung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Vollzugszweckes als auch unter dem der Sicherung der Ordnung innerhalb der Anstalt ein Wesensmerkmal des Strafvollzuges aus, zu dem es auch gehört, daß der Gefangene für die Dauer des Freiheitsentzuges auch die Unmöglichkeit der Inanspruchnahme im Familienrecht verbürgter Freiheitsräume gegen sich gelten lassen muß (hg. Erkenntnis vom 30. April 1980, Zl. 527/80).

Der Standpunkt des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe § 98 Abs. 2 StVG rechtsirrig, weil nicht verfassungskonform, unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ausgelegt, trifft nicht zu. Unbestritten ist, daß Eingriffe in das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens nur im Rahmen des besonderen Gesetzesvorbehalts des Art. 8 Abs. 2 MRK zulässig sind. Der Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens dadurch, daß ihm der Besuch seines Sohnes außerhalb der Anstalt in der Wohnung der Kindesmutter (innerhalb der Anstalt wird der regelmäßige Besuch nicht unterbunden) verwehrt wird, ist sowohl gesetzlich vorgesehen, als auch eine Maßnahme, die in einer demokratischen Gesellschaft zur Verteidigung der Ordnung notwendig ist (vgl. dazu die Entscheidung der EKMR vom 3. Oktober 1978, Zl. 8166/78, Albert und Margrit Graf-Zwahlen gegen die Schweiz, EuGRZ 1978, 518, wonach selbst die Verweigerung der Zusammenlegung von Ehegatten in eine gemeinsame Zelle des Untersuchungsgefängnisses erforderlich sei, da ansonsten die Sicherheit und Ordnung im Gefängnis ernsthaft in Frage gestellt wäre; vgl. weiters den Beschluß des BVerfG vom 6. April 1976, 2 BvR 61/76, EuGRZ 1976, 173). Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, daß das Grundrecht des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 MRK auf Achtung seines Familienlebens durch die Abschließung in einer Justizanstalt ZULÄSSIGERWEISE erheblich eingeschränkt werde, anderseits aber die Möglichkeit von Familienbesuchen gemäß § 93 Abs. 2 StVG eine hinreichende gesetzliche Verwirklichung des genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes bietet. Der Verwaltungsgerichtshof sieht daher keine Veranlassung, diese Frage neuerlich an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0344).

Der Strafvollzug hat gemäß § 20 StVG insbesondere die Resozialisierung des Verurteilten zu befördern, die jedoch bei (prinzipieller) Abschließung von der Außenwelt (also nicht im Familienkreis) zu erfolgen hat. Die psychische Stabilisierung eines (dem Strafgefangenen angehörigen) Dritten gehört zweifellos nicht zu den Aufgaben des Strafvollzuges. Es kann aber in dem dahingehenden Ansuchen des Beschwerdeführers eine "besonders wichtige und unaufschiebbare Angelegenheit persönlicher Natur" gelegen sein. Demgemäß stellt sich die (über den Einzelfall hinausgehende) Rechtsfrage, ob zu den vom Beschwerdeführer zu erledigenden besonders wichtigen und unaufschiebbaren Angelegenheiten persönlicher Natur, die seine Anwesenheit an einem Ort außerhalb der Anstalt dringend erfordern, auch periodische, (auf Jahre) im vorhinein festgelegte Besuche seines Sohnes als therapeutische Maßnahmen zählen.

In der Verneinung dieser Frage durch die belangte Behörde vermag der Verwaltungsgerichtshof keine Rechtswidrigkeit zu erblicken. Bereits im hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1991, Zl. 91/18/0039, wurde ausgesprochen, daß jeder (einzelne) Ausführungsantrag individuell konkretisiert und entsprechend begründet sein muß, weshalb schon aus diesem Grund eine Bewilligung von regelmäßigen, nicht einzelfallbezogenen Ausführungen für einen Zeitraum von (hier: drei) Jahren im vorhinein nicht in Betracht kommt. Eine Ausführung im Sinne des § 98 Abs. 2 StVG kann jeweils nur bis zum Höchstausmaß von 24 Stunden zur ERLEDIGUNG bestimmter Angelegenheiten bewilligt werden. Der Beschwerdeführer geht selbst davon aus, daß die von ihm angeführte Angelegenheit persönlicher Natur keine ist, die in einem solchen zeitlichen Rahmen erledigt werden könnte, zumal er selbst wiederholt die Wichtigkeit der Konstanz der Ausführungen (über Jahre) betont hat. Da somit bei dieser Angelegenheit von vornherein feststeht, daß sie einer Erledigung im Zuge einer (oder mehrerer) Ausführungen nicht zugänglich ist, ergibt sich daraus zugleich, daß es sich hiebei nicht um eine Angelegenheit iSd § 98 Abs. 2 StVG handeln kann. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfahrensmangel, die belangte Behörde habe ihm zu Unrecht die Ergebnisse des von ihr geführten Ermittlungsverfahrens nicht vorgehalten, erweist sich dieser Verfahrensmangel nach den obigen Ausführungen als nicht wesentlich; andererseits konnte eine Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Privatgutachten unterbleiben, weil die belangte Behörde bereits aus rechtlichen Erwägungen zutreffend die Beschwerde gemäß § 120 StVG abweisen durfte.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache - insbesondere angesichts des nicht strittigen maßgeblichen Sachverhaltes - nicht erwarten läßt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist auch unter dem Aspekt des Art. 6 MRK nicht geboten. Es sind zwar die aus dem Familienrecht erwachsenden Ansprüche solche "zivilrechtlicher" Natur im Sinne der angeführten Konventionsbestimmung, jedoch besteht im vorliegenden Fall keine Streitigkeit (dispute, "contestation") über die dem Beschwerdeführer unbestritten aus dem Vater-Kind-Verhältnis zustehenden Rechte, welche die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 MRK rechtfertigen würde. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist demgemäß auch für die Aufrechterhaltung der sich aus dem Familienverhältnis ergebenden Rechte des Beschwerdeführers gegenüber seinem Sohn nicht unmittelbar entscheidend ("directly decisive") im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. EGMR 19. Juli 1995, Kerojärvi gegen Finnland, ÖJZ 1996, 37). Die sich als Folge der Verurteilung im Rahmen des Strafvollzuges unmittelbar ergebenden - unter dem Vorbehalt des Art. 8 Abs. 2 MRK zulässigen - Eingriffe in die familiären Rechte des Beschwerdeführers sind ausschließlich diesem Bereich der Hoheitsverwaltung zuzuordnen und damit außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 MRK. Es bedarf daher auch keiner Auseinandersetzung mit der hg. Judikatur (vgl. die Erkenntnisse vom 19. September 1995, Zl. 94/05/0283; vom 18. Jänner 1996, Zl. 93/15/0154, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter dem Aspekt des Art. 6 MRK nicht geboten ist, wenn die für die Entscheidung wesentlichen Sachverhaltselemente unbestritten feststehen, bzw. wenn keinerlei Tatfragen oder Rechtsfragen aufgeworfen sind, die nicht auf Grund der dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen in angemessener Weise gelöst werden konnten, welche Voraussetzungen allesamt auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gegeben wären) zum Erfordernis einer mündlichen Verhandlung bei Rechtsstreitigkeiten über "civil rights" im Sinne der MRK.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Belehrungen Mitteilungen Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200538.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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