TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W134 2212725-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §33 Abs1
ZustG §23
ZustG §8 Abs1
ZustG §8 Abs2

Spruch

W134 2212725-1/6E

W134 2212725-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt zu Recht (Spruchpunkt A.I.) bzw. beschließt (Spruchpunkte A.II. und B.) durch den Richter Mag. Thomas GRUBER, als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan gegen 1. den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2018, Zl. 831474809/180699135, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19.11.2018 abgewiesen wurde (erstangefochtener Bescheid), sowie 2. den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.09.2018, Zl. 831474809/180699135, mit dem der mit Bescheid vom 11.12.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt wurde (zweitangefochtener Bescheid):

A)

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und § 33 Abs. 1 des VwGVG, wird der Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid stattgegeben und der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2018, Zl. 831474809/180699135, dahingehend abgeändert, dass die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheides aufgehoben werden und der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 16.11.2018 zurückgewiesen wird.

II. Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.09.2018, Zl. 831474809/180699135, wird als unzulässig zurückgewiesen.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) genehmigte am 05.09.2018 einen Bescheid (im Folgenden: zweitangefochtener Bescheid), mit dem der dem Beschwerdeführer („BF“) mit Bescheid vom 11.12.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § § 9 Abs. 1 Z1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt wurde.

Die belangte Behörde verfügte am gleichen Tag die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung im Akt gemäß § 8 iVm. § 23 ZustG.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 16.11.2018 unter anderem den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (erkennbar) wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid. In Bezug auf den zweitangefochtenen Bescheid erstattet der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 16.11.2018 nähere Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des Bescheides und holte die Beschwerde nach.

3. Mit (dem erstangefochtenen) Bescheid vom 06.12.2018, Zl. 831474809/180699135 (zugestellt am 11.12.2018), wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab (Spruchpunkt I.), gleichzeitig wurde dem Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags begründete das BFA damit, dass der BF nicht glaubhaft gemacht habe, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist zur Beschwerdeerhebung gehindert war, und auch nicht glaubhaft sei, dass ihn an der Säumnis kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe.

4. In seiner gegen diesen (dh. den erstangefochtenen) Bescheid erhobenen Beschwerde vom 08.01.2019, führt der BF u.a. aus, dass den Beschwerdeführer an der Versäumung kein Verschulden treffe und dass die Unkenntnis vom Zustellvorgang für ihn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis gewesen sei. Es liege ein Zustellmangel vor. Es wurde unter anderem beantragt, das BVwG möge erkennen, „dass die Zustellung des Bescheides zur Zahl 831474809/160699135 vom 05.09.2018 nicht ordnungsgemäß erfolgte und somit dieser Bescheid nicht als erlassen gilt“.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 27.08.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm.

Der BF gab in der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2020 vor dem BVwG an, dass sich seine Familienangehörigen immer noch im Iran befinden würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die Ausführungen zum Verfahrensgang werden zum festgestellten Sachverhalt erhoben. Sie ergeben sich aus dem Akteninhalt und sind nicht strittig.

Aus dem ZMR-Auszug geht hervor, dass der BF von 11.05.2018 bis 09.10.2018 in der Triester Straße 73 /36, 1100 Wien gemeldet war und seit 09.10.2018 in der Matznergasse 8/4, 1140 Wien gemeldet ist.

Die Ladung des BF zur Einvernahme im Aberkennungsverfahren wurde am 27.07.2018 in der Abgabeneinrichtung in der Triester Straße 73 /36, 1100 Wien hinterlegt, jedoch vom BF nicht behoben.

Daraufhin wurde vom BFA um Hauserhebung ersucht, ob der BF an dieser Adresse noch wohnhaft oder bereits verzogen sei.

Aus dem Bericht vom 31.08.2018 und einem Kurzbrief vom 03.09.208 der Landespolizeidirektion Wien ergibt sich, dass der BF an der Adresse Triester Straße 73 /36, 1100 Wien nicht mehr wohnhaft sei. Bei einer Nachschau am 30.08.2018 habe der Zeuge Shafiq OMRANI ausgesagt, dass der BF vor 4 Monaten ausgezogen sei. Wohin er übersiedelt sei, sei nicht bekannt. Näheres über den Aufenthaltsort des BF habe nicht erhoben werden können. Die Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments sei unbeachtet geblieben. Eine Hauserhebung habe ergeben, dass der BF von seinen Nachbarn seit Wochen nicht mehr wahrgenommen werde hätte können. Zurzeit bestehe weder Ortsanwesenheit noch postalische Erreichbarkeit. Es hätten keine zweckdienlichen Hinweise bezüglich eines aktuellen Aufenthaltes in Erfahrung gebracht werden können. Eine amtliche Abmeldung sei eingeleitet worden.

Am 05.09.2018 wurde der Bescheid unterfertigt, mit dem dem BF der Status des subsidiären Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt wurde (zweitangefochtener Bescheid). Die Zustellung wurde (laut Zustellverfügung) "gemäß §§ 8 Abs. 2 iVm 23 ZustellG durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde" verfügt und im Akt mit folgenden Worten beurkundet "Wie dem Bericht der LPD Wien vom 31.08.2018 zu entnehmen ist, ist die oa. Verfahrenspartei an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig. Eine amtliche Abmeldung wurde bereits eingeleitet. Zudem konnte eine neuerliche Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden und erscheint auch (aufgrund des unbekannten Aufenthaltes der VP) eine Verständigung gem. § 23 Abs 3 ZustellG als nicht zweckmäßig. Der Bescheid gem. § 9 Abs 1 Z 1 ASylG […] vom 05.09.2018 wird daher mit Wirksamkeit vom heutigen Tag gem. § 8 Abs 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt".

Am 05.11.2018 hat der BF vom Aberkennungsverfahren durch Mitarbeiter der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH Kenntnis erlangt, als er seinen subsidiären Schutz verlängern lassen wollte. Gegen Bezahlung eines Geldbetrages in Höhe von 36,-- Euro erhielt der BF auf Nachfrage vom BFA eine Kopie des Bescheides.

Der Bescheid vom 05.09.2018 (zweitangefochtener Bescheid) ist weder dem BF noch seinen nunmehrigen Vertretern im Original zugekommen.

Der BF hat in Afghanistan nach wie vor keine familiären Anknüpfungspunkte.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt, der von niemandem bestritten wurde.

Insbesondere auch der Umstand, dass der zweitangefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer oder seinen Vertretern nicht zugekommen ist, ergibt sich aus dem Akteninhalt, der keinen entsprechenden Nachweis enthält, mit dem der Behauptung des Beschwerdeführers, ihm sei dieser Bescheid nicht zugestellt worden, entgegengetreten werden könnte und den Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2020. Der Verwaltungsakt und die Aussagen des BF weisen darauf hin, dass dem Beschwerdeführer der Inhalt dieses Bescheides nur über dritte Personen (Diakonie Flüchtlingsdienst) bekannt geworden ist und er BF vom BFA lediglich eine Kopie des Bescheides erhalten hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A. I.)

Zum erstangefochtenen Bescheid mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde:

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Gemäß § 33 Abs. 4 dritter Satz VwGVG hat ab Vorlage der Beschwerde über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass überhaupt eine Frist versäumt wurde. Wurde keine Frist versäumt, ist einem Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Grunde nicht stattzugeben (vgl. die sowohl auf § 71 AVG als auch auf § 33 VwGVG übertragbare Judikatur; VwGH 20.05.1981, 81/03/0066, 0067, 0103, 0104 zur insofern vergleichbaren Bestimmung des § 46 Abs. 1 VwGG).

Nach der zu § 71 Abs. 1 AVG ergangenen und - insoweit auf § 33 Abs. 1 VwGVG übertragbaren – Rechtsprechung kann eine Versäumung der Frist aber nicht eintreten, wenn die Zustellung des Schriftstückes (zB des Bescheides oder der Ladung) nicht rechtswirksam, d. h. unter Einhaltung der Bestimmungen des ZustG erfolgt ist. Ist ein Zustellvorgang gesetzwidrig, die Zustellung daher nicht rechtswirksam, so ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht der zum Ziel führende Rechtsbehelf, weil mangels des Beginns des Laufs der Berufungs- oder sonstigen Rechtsmittelfrist auch keine Frist versäumt werden kann (VwGH 22.05.1985, 85/03/0032; VwGH 23.10.1985, 85/02/0188, 0189; VwGH 27.09.1989, 89/02/0112; auch diese Rechtsprechung ist auf § 33 VwGVG übertragbar).

Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen Bescheide der belangten Behörde beginnt mit der Zustellung an die Partei. Solange keine wirksame Zustellung des Bescheids erfolgt ist, kann die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnen und folglich auch nicht versäumt sein.

Im konkreten Fall konnte die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den (zweitangefochtenen) Bescheid der belangten Behörde vom 05.09.2019 durch die (versuchte) Zustellung mittels Hinterlegung im Akt noch nicht zu laufen beginnen, weil dieser Bescheid zum genannten Zeitpunkt aus folgenden Gründen nicht wirksam zugestellt war:

Die belangte Behörde hat die Zustellung des zweitangefochtenen Bescheids vom 05.09.2018 durch Hinterlegung gemäß § 8 iVm. § 23 ZustG verfügt. Die Wirksamkeit einer solchen Zustellung erfordert, dass die Partei es "während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat", unterlassen hat, der Behörde eine Änderung ihrer "bisherigen Abgabestelle" bekannt zu geben. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs voraus, dass der BF Kenntnis davon hat, dass ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde (VwGH 24.03.2000, 2000/21/0015).

Die belangte Behörde hat am 25.07.2018 eine Ladung des Beschwerdeführers abgefertigt, die an die Meldeadresse in der Triester Straße 73 /36, 1100 Wien adressiert war und laut der im Akt befindlichen Urschrift mittels "RSa" am 27.07.2018 durch Hinterlegung zugestellt wurde. Am 16.08.2018 langte beim BFA jedoch ein Rückschein darüber ein, dass der BF die Ladung nicht behoben hat. Es folgt daraus, dass dem BF die Ladung vom 25.07.2018 faktisch nicht zugegangen ist. Der BF hatte daher kein positives Wissen darüber, dass die Behörde gegen ihn ein Aberkennungsverfahren eingeleitet hat. Infolgedessen stellt seine Unterlassung einer Mitteilung nach Verlassen dieser Unterkunft auch keine Verletzung der Mitteilungsobliegenheit nach § 8 Abs. 1 ZustG dar.

Doch selbst wenn man unterstellt, dass der BF von der Einleitung eines Verfahrens gegen ihn, wissen hätte müssen (wovon das BVwG angesichts dessen, dass es sich bei BF um eine sprach- und rechtsunkundige und mit den inländischen Usancen nicht vertraute Person handelt, nicht ausgeht), war die Zustellung nicht wirksam, weil die übrigen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 nicht erfüllt waren. Danach ist für eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorherigen Zustellversuch erforderlich, dass "eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann".

Das Unterlassen einer Mitteilung geht bei Änderung der bisherigen Abgabestelle nach § 8 Abs. 2 ZustG zu Lasten der Partei, wenn die Behörde die geänderte Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten in Erfahrung bringen kann. Zu welchen Erhebungen die Behörde in diesem Rahmen verpflichtet ist, wird im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (162 BlgNR 15. GP) - aus deren allgemeinen Teil sich ergibt, dass das Zustellgesetz unter anderem die Zielrichtung verfolgt, die Verwaltung einfacher und ökonomischer zu gestalten - ist die Behörde nur verpflichtet, einfache Hilfsmittel - etwa Meldeauskünfte oder Mitteilungen an den Zusteller durch Nachbarn - heranzuziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde jedenfalls mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle zu erforschen, wozu jedenfalls eine Anfrage bei der Meldebehörde der letzten Abgabestelle gehört, beziehungsweise seit Einführung des ZMR eine Anfrage an dieses Register (vgl. VwGH 19.02.2002, 2000/01/0113; 02.07.1998, 96/20/0017; 22.02.2001, 99/20/0487). Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue, andere) Abgabestelle festzustellen. Ansonsten bewirkt in diesen Fällen die Hinterlegung nicht die Rechtswirksamkeit der Zustellung.

Im gegebenen Fall besaß die Behörde zwar keine brauchbaren Informationen aus dem eingeholten ZMR-Auszug und der Hauserhebung, jedoch andere Anhaltspunkte für einfache Schritte zur Ermittlung einer aktuellen Abgabestelle des Beschwerdeführers. Wenn sie schon nicht beim Inhaber bzw. Hauptmieter der Unterkunft, bei dem der Beschwerdeführer gemeldet war Erkundigungen einholte, hätte sie zumindest bei der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, der Rechtberaterin des BF, den Versuch unternehmen können, telefonisch über seinen weiteren Verbleib Auskünfte zu erhalten. Dass die Behörde vor der Veranlassung der Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 ZustG einen solchen Schritt unternommen hätte, ist nicht aktenkundig.

Der BF brachte in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.08.2020 glaubhaft vor, dass er am 05.11.2018 vom Aberkennungsverfahren durch seine Rechtsberatung Kenntnis erlangt habe und beim BFA gegen Bezahlung eines Betrages von 36,- Euro eine Kopie des Bescheides erhalten hat. Dadurch ist der Zustellmangel jedoch nicht als geheilt anzusehen, da der Bescheid dem BF gemäß § 7 ZustG damit nicht tatsächlich zugekommen ist. Ein „tatsächliches Zukommen“ des Bescheides setzt voraus, dass der BF das Originaldokument erhalten hat, eine Anschrift oder Kopie ist keinesfalls ausreichend (vgl. Stumvoll in Fasching/Konecny3 II/2 § 7 ZustG, Rz 11).

Der zweitangefochtene Bescheid wurde dem BF daher nie rechtswirksam zugestellt.

Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen Bescheide der belangten Behörde beginnt jedoch erst mit der Zustellung an die Partei. Solange keine wirksame Zustellung des Bescheids erfolgt ist, kann die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnen und folglich auch nicht versäumt sein. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt jedoch voraus, dass überhaupt eine Frist versäumt wurde.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher zusammengefasst deshalb zurückzuweisen, da die Voraussetzung der Fristversäumnis mangels rechtswirksamer Zustellung nicht vorlag.

Zu A. II.)

Zum zweitangefochtenen Bescheid mit dem dem BF der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigte von Amts wegen aberkannt werden sollte:

Wie ausgeführt wurde der zweitangefochtene Bescheid dem BF nicht wirksam durch Hinterlegung gemäß §§ 8, 23 ZustG zugestellt. Ein Bescheid gilt jedoch nur gegenüber jenen Parteien als erlassen, denen er mündlich verkündet oder zugestellt (ausgefolgt) wird (vgl VwGH 22. 2. 2001, 99/20/0487). Im Verhältnis zu einer Partei, welcher der Bescheid nicht (in diesem Sinn) förmlich mitgeteilt wurde, entfaltet er hingegen keine (unmittelbaren) rechtlichen Wirkungen (VwGH 13. 5. 1986, 83/05/0204; 9. 11. 1987, 86/12/0158; 25. 4. 1996, 95/07/0216). Wird ein Bescheid im Einparteienverfahren nicht ordnungsgemäß erlassen, dann wird er als Rechtsnorm nicht existent und ist daher auch nicht (dh von niemandem, zB mit Beschwerde an den VwGH) anfechtbar (VwGH 27. 6. 1988, 88/10/0100; 14. 2. 1997, 96/19/2385). Der zweitangefochtene Bescheid ist somit mangels Zustellung an den BF rechtlich nicht in Existenz getreten.

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid war daher zusammengefasst zurückzuweisen, da der zweitangefochtene Bescheid mangels rechtwirksamer Zustellung nicht rechtswirksam erlassen wurde und gegen einen nicht in Existenz getretenen Bescheid keine Beschwerde erhoben werden kann.

Im Übrigen wird die Behörde bei der Erlassung eines etwaigen neuerlichen Aberkennungsbescheides Folgendes zu berücksichtigen haben:

Es wird darauf hingewiesen, dass dem BF mit Bescheid vom 11.12.2013, AZ 13 14.48-BAT vom damalig zuständigen Bundesasylamt der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, weil er in Afghanistan „über keinerlei soziale oder familiäre Netzwerke verfüge“. Er wäre daher „im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan vorerst vollkommen auf sich alleine gestellt und jedenfalls gezwungen, nach einem Wohnraum zu suchen ohne über ausreichend Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan zu verfügen“. Aus den Länderberichten sei ersichtlich, dass „die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmittel insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne jeglichen familiären Rückhalt fast nicht möglich, zudem auch keine staatliche Unterstützung zu erwarten sei“.

Der BF gab in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.08.2020 glaubhaft an, dass seine Familie nach wie vor im Iran lebt. Es haben sich daher keine Anhaltspukte ergeben, dass der BF mittlerweile über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt.

Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden ist es nicht zulässig, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat (VwGH 13.05.2020, Ra 2019/01/0164; VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0309).

Da der BF nach wie vor in Afghanistan über keinerlei soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, ist nicht erkennbar, dass sich die subjektive Lage des BF wesentlich und nicht nur vorübergehend gebessert hat. Dass der BF im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus nunmehr volljährig und erfahrener ist und ergänzende Bildungsschritte unternommen, Berufserfahrung gesammelt und Kontakte geknüpft hat, kompensiert nach der Judikatur des VfGH nicht den Umstand, dass der BF lediglich als Minderjähriger in Afghanistan gelebt hat und somit unter die im EASO-Leitfaden genannte Personengruppe fällt, der nur in Ausnahmefällen eine innerstaatliche Fluchtalternative ohne soziales Netzwerk zumutbar ist (VfGH 25.02.2020, E3494/2019).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abgabestelle Ermittlungspflicht Fristen Nichtbescheid Nichtigkeit Rechtsanschauung des VwGH Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag Zurückweisung Zustellmangel Zustellung Zustellung durch Hinterlegung Zustellwirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W134.2212725.2.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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