TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/25 E3494/2019

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Veröffentlicht am 25.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §9, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Leitfaden des EASO und dem Bestehen eines Unterstützungsnetzwerks; unzureichende Berücksichtigung des befristeten Aufenthaltsrechts, des jugendlichen Alters und der Bindung zum Herkunftsstaat bei der Interessenabwägung zur Rückkehrentscheidung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus der Provinz Ghazni. Der Beschwerdeführer hat vor seiner Ausreise nach Europa ca. ein Jahr im Iran gelebt und am 22. Mai 2015, im Alter von 15 Jahren, in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. August 2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29. August 2018 erteilt.

3.       Mit Schreiben vom 22. Juni 2018 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung. Mit Bescheid des BFA vom 28. März 2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, die Aufenthaltsberechtigung entzogen, der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung ausgesprochen.

4.       Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. August 2019 – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 29. August 2017 erteilt worden sei, weil er minderjährig gewesen sei, wenig Schulbildung und kaum Berufserfahrung aufgewiesen habe sowie zudem über keine nachweislichen Verwandten verfügt habe, die ihn unterstützt hätten. Im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus sei der Beschwerdeführer nunmehr volljährig und erfahrener, er habe ergänzende Bildungsschritte unternommen, Berufserfahrung gesammelt und Kontakte geknüpft, darunter auch zu in Österreich aufhältigen afghanischen Freunden. Ein Onkel sowie die Geschwister des Beschwerdeführers lebten, nach seinen Angaben, in Ghazni. Da sich die Umstände sohin geändert hätten, sei dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 Z1 zweiter Fall AsylG abzuerkennen. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in diesem Zusammenhang auch fest, dass der Beschwerdeführer seit Februar 2018 eine Lehre für den Beruf Maurer absolviere und ein monatliches Nettoeinkommen von € 1.800,– bis € 1.900,– beziehe. Bis Jänner 2019 habe er die Berufsschule besucht. Seit April 2018 bewohne der Beschwerdeführer eine Mietwohnung und komme selbst für die Mietkosten auf. Der Beschwerdeführer sei nunmehr selbsterhaltungsfähig und beziehe keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er habe außerdem österreichische und afghanische Freunde und spiele Fuß- und Volleyball in einem Verein.

4.1.    Zu einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni weiterhin nicht zumutbar sei. Es stehe ihm aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat bzw Mazar-e Sharif offen: Der Beschwerdeführer sei in Afghanistan geboren und aufgewachsen und spreche eine Landessprache. Er verfüge mittlerweile über (mehr) Bildung und Berufserfahrung. Auch die UNHCR-Richtlinien gingen davon aus, dass alleinstehenden, jungen Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative ohne Unterstützungsnetzwerk zumutbar sei. Im Übrigen könne der Beschwerdeführer Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur sei sogar einem außerhalb Afghanistans geborenen alleinstehenden, erwerbsfähigen Mann, der nie dort gelebt habe, eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar. Dies treffe auf den Beschwerdeführer aber nicht zu; er spreche eine Landessprache und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Nunmehr verfüge der Beschwerdeführer auch über Anknüpfungspunkte in Ghazni.

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht trifft keine genauen Feststellungen zum Alter des Beschwerdeführers, als er Afghanistan verlassen hat. Nach den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA am 2. August 2017 hat er Afghanistan im Alter von zwölf Jahren verlassen. Unter Heranziehung der Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes könnte der Beschwerdeführer Afghanistan aber auch erst im Alter von 14 Jahren verlassen haben. Der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene EASO-Leitfaden vom Juni 2018 (wie auch die aktuelle Fassung vom Juni 2019) stellt die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für afghanische Asylwerber, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben und dort über kein Unterstützungsnetzwerk verfügen, in Frage. Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, zu prüfen, ob dieser Auszug aus dem EASO-Leitfaden für den Beschwerdeführer maßgeblich ist: Der Beschwerdeführer hat lediglich als Minderjähriger in Afghanistan gelebt und ist seit mindestens sechs Jahren nicht mehr dort gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich auch nicht ausreichend mit dem dahingehenden Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA auseinandergesetzt oder selbst dahingehend ermittelt. Unter Berücksichtigung des jungen Alters des Beschwerdeführers, könnte er daher unter die im EASO-Leitfaden genannte Personengruppe fallen, der nur in Ausnahmefällen eine innerstaatliche Fluchtalternative ohne soziales Netzwerk zumutbar ist.

2.1.1.  Soweit das Bundesverwaltungsgericht von einem Unterstützungsnetzwerk ausgeht, setzt es sich weder mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander, dass seine Geschwister zwischen sieben und vierzehn Jahre alt sind, noch damit, dass ihn sein Onkel nicht unterstützen könne. Es erläutert auch nicht, inwiefern der Beschwerdeführer von Ghazni aus unterstützt werden kann, obwohl ihm eine Neuansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif zugemutet wird (vgl "An existing support network could also provide the applicant with such local knowledge." EASO Country Guidance: Afghanistan June 2019, S 139).

2.1.2.  Dieser Begründungsmangel kann auch nicht durch den pauschalen Verweis auf höchstgerichtliche Judikatur behoben werden, zumal diese Entscheidungen zu einer anderen Berichtslage ergangen sind (vgl VfGH 12.12.2019, E3369/2019). Im Übrigen ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, inwiefern der zu anderen in Österreich aufhältigen afghanischen Staatsangehörigen gewonnene Kontakt verhindern sollte, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Lage gerät.

2.2.    Im Rahmen der Rückkehrentscheidung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den unsicheren Aufenthalt des Beschwerdeführers und zitiert Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zum Aufenthaltsrecht, das auf einen "letztlich unbegründeten Asylantrag" gestützt war.

2.2.1.  Die zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes betreffen Verfahren, in denen weder der Asylstatus noch subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Diese Entscheidungen können daher nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Der Verfassungsgerichtshof geht zwar davon aus, dass der Aufenthaltsstatus als subsidiär Schutzberechtigter provisorischer Natur ist (VfSlg 20.177/2017). Dieser Status verleiht aber – für die Dauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung – Schutz vor einer drohenden Verletzung in den durch Art2 und 3 EMRK geschützten Rechten. Anders als es der Hinweis auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes nahelegen könnte, war der Antrag auf internationalen Schutz im vorliegenden Fall begründet. Das Bundesverwaltungsgericht hat es daher auch verabsäumt, den Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Abwägung nach Art8 EMRK angemessen zu würdigen.

2.2.2.  Außerdem hat das Bundesverwaltungsgericht nicht näher begründet, warum es davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer weiterhin starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat aufweist und das dahingehende Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt. Es hat insbesondere außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich erst fünfzehn Jahre alt war (vgl dazu VfSlg 18.524/2008) und seine Entscheidung sohin mit Willkür belastet.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3494.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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