TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 W150 2131566-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1
BFA-VG §16 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W150 2131566-2/3E

W150 2131566-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden von Herrn XXXX , geb. XXXX 2001, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Diakonie – Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w,

I. vom 10.09.2020 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. vom 03.08.2020 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A) Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig, reiste spätestens am 03.12.2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal in das Bundesgebiet ein. Am selben Tag stellte er einen ersten Antrag auf internationalen Schutz und gab dabei u.a. an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein, den im Spruch genannten Namen zu führen und zu dem im Spruch genannten Datum geboren zu sein. Weiters, dass er sunnitischer Moslem sei, der Volksgruppe der Paschtunen angehöre, Paschtu als Muttersprache zu sprechen und in seinem Heimatland acht Jahre die Grundschule besucht zu haben.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) vom 06.07.2016 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz gem. §§ 3, 8 AsylG abgewiesen sowie eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

1.3. Laut Mitteilung der PI Eggenburg kam es am 31.07.2017 zu einem Streit zwischen dem BF und einem Freund einerseits und einem im Rollstuhl befindlichen älteren Mann andererseits, welcher im weiteren Verlauf den BF und dessen Freund mit einem Pfefferspray leicht verletzte. Zu einer strafgerichtlichen Anklage oder Verurteilung kam es nicht.

1.4. Die gegen oben angeführten Bescheid des BFA fristgerecht erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) mit Erkenntnis vom 03.10.2018, GZ. W191 2131566-1/7Z, hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen, hinsichtlich Spruchpunkt II. aber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 01.10.2019 erteilt.

1.5. Am 03.09.2019 wurde der BF wegen § 27 (2a) 2. Fall SMG in Untersuchungshaft genommen. (Zahl: 046 311 HR 211/19s des LG für Strafsachen Wien) und in weiterer Folge mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (Zahl: 143 HV 38/2019k) vom 04.09.2019 gem. § 27 (2a) 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe (Jugendstraftat) von 10 Wochen, (davon 10 Wochen bedingt) bei einer Probezeit von 3 Jahren, rechtskräftig verurteilt.

1.6. Am 10.09.2019 wurde durch das BFA gegen den BF gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

1.7. Am 07.10.2019 wurden der BF mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (Zahl: 154 HV 42/19d) nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31,40 StGB auf das Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 04.09.2019 zu AZ: 143 HV 38/19k nach § 27 Abs. 2a SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat, sowie gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

1.8. Am 18.01.2020 wurde über den BF die Untersuchungshaft wegen §§ 27 (1), 27 (3) SMG §15 StGB verhängt und in weiterer Folge der BF mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (Zahl: 161 HV 17/20f) vom 17.02.2020 nach den § 27 (2a), 27 (3u5) SMG, § 15 StGB, §§ 27 (1) Z 1 1.Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG zu einer Freiheitsstrafe (Jugendstraftat) von 7 Monaten, (davon Freiheitsstrafe 6 Monate bedingt) und einer Verlängerung der Probezeit von 3 auf insgesamt 5 Jahren rechtskräftig verurteilt sowie Bewährungshilfe angeordnet.

1.9. Mit Bescheid des BFA vom 02.06.2020 wurde dem BF der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 9 Abs. 1 AsylG 2005, aberkannt, ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen, sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung von 26.08.2019 abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, seine Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 2 Wochen festgelegt. Zusätzlich wurde gegen den BF gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde am 03.06.2020 dem BF als Empfänger zugestellt.

1.10. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 02.06.2020 wurde dem BF für ein allfälliges Beschwerdeverfahren die Diakonie – Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w, amtswegig zur Seite gestellt. Diese Anordnung wurde am 03.06.2020 dem BF als Empfänger zugestellt.

1.11. Am 03.08.2020 brachte der BF im Wege seiner Vertretung (Diakonie – Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w,) unter Vollmachtsvorlage einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid bei der belangten Behörde ein.

1.12. Mit Bescheid vom 14.08.2020, Zl. 1097778602/190508286, wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Antrag gem. § 33 Abs. 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung nicht zu (Spruchpunkt II.) und stellte dem BF abermals amtswegig die Diakonie – Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w, als Rechtsberater zur Seite. Diese Schriftstücke wurden am 18.08.2020 durch Übernahme durch den Zustellbevollmächtigten zugestellt.

1.13. Dagegen erhob der BF durch seine Rechtsberaterin am 10.09.2020 innerhalb offener Frist Beschwerde in vollem Umfang und führte dazu zusätzlich zu den bereits im Wiedereinsetzungsantrag vom 03.08.2020 angeführten Gründen aus, dass "der BF die Rechtsmittelbelehrung und Verfahrensanordnung weder auf Deutsch noch auf Pashto sinnerfassend" lesen habe können und er, der nachweislich an psychischen Problemen leide, danach in Panik verfallen sei und ihm danach ein Freund die Rechtsmittelbelehrung falsch übersetzt hätte. Der BF stellte den Antrag auf Einholung eines psychologischen/psychiatrischen bzw. medizinischen SV-Gutachtens zum Beweis dafür, dass er unter relevanten psychischen Krankheiten leide, „welche in weiterer Folge unter anderem zu einem den betreffenden Irrtum auslösenden Panikreaktion bzw. Angstzustand“ geführt hätten; weiters die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Stattgebung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und in eventu die Behebung und Zurückverweisung des Bescheides an das BFA.

1.14. Das BFA legte die beiden verfahrensgegenständlichen Beschwerden samt der bezughabenden Verwaltungsakten dem BVwG vor, wo sie am 25.09.2020 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1.2. Der BF ist volljährig, er spricht nicht gut Deutsch, seine Muttersprache ist Paschtu, in der er des Lesens und des Schreibens mächtig ist.

1.3. Wie bereits am 18.06.2018 fachärztlich diagnostiziert, leidet der BF unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) wozu seinerzeit eine Medikation verordnet wurde.

1.4. Der Aberkennungsbescheid des BFA vom 02.06.2020, Zl. XXXX , wurde am 03.06.2020 zugestellt und erwuchs somit am 01.07.2020 in Rechtskraft.

1.5. Der BF hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 03.08.2020 gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist bezüglich des Aberkennungsbescheides des BFA vom 02.06.2020, Zl. XXXX , kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis glaubhaft machen können, das zur Versäumung der Rechtsmittelfrist und daher nicht rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde geführt hat, bzw. dass ihn daran nur das Verschulden in Form eines minderen Grades des Versehens treffen würde.

1.6. Dass die am 03.08.2020 erhobene Beschwerde gegen den Aberkennungsbescheid des BFA vom 02.06.2020, Zl. XXXX , verspätet ist, ergibt sich zweifelsfrei aufgrund der Zustellung am 03.06.2020.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten einschließlich des ersten Verfahrens des BF vor dem BVwG zur GZ. W191 2131566-1. Entscheidungswesentliche Widersprüche sind nicht aufgetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Fest steht, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde, ging doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar hervor, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu Spruchteil I. A):

Bei Versäumen der Beschwerdefrist ist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt. Nach der Rechtsprechung des VwGH sind allerdings die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar (VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086; 28.09.2016, Ro 2016/16/0013).

§ 33 VwGVG ("Wiedereinsetzung in den vorigen Stand") lautet auszugsweise wie folgt:

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

...

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. ... Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

...

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.

Ein Ereignis ist unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Unabwendbar ist ein Ereignis jedenfalls dann, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann (VwGH 31.03.2005, 2005/07/0020). Anders als das Tatbestandsmerkmal des "unabwendbaren" erfasst jenes des "unvorhergesehenen" Ereignisses die subjektiven Verhältnisse der Partei, sodass nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse maßgebend ist (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020). Die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit ist dann noch gewahrt, wenn der Partei (oder ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein minderer Grad des Versehens unterläuft (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134; VfGH 27.02.1985, G 53/83-13 u.a.).

Nach der stRsp des VwGH stellt der Umstand, dass die Partei die deutsche Sprache überhaupt nicht oder nur mangelhaft beherrscht, keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (VwGH 22. 5. 1997, 97/18/257; 1. 8. 2000, 2000/21/0097; 19. 9. 2007, 2007/08/0097). Es genügt, dass dem Sprachunkundigen bewusst gewesen sein musste, rechtlich bedeutsame behördliche Schriftstücke erhalten zu haben (vgl VwGH 24. 2. 2000, 96/21/0430; 11. 10. 2001, 98/18/0355; 19. 11. 2003, 2003/21/0090). Besteht Ungewissheit über den Inhalt und die Bedeutung des behördlichen Schreibens, darf die Partei diese nicht auf sich beruhen lassen (VwGH 28. 1. 2003, 2002/18/0291; 27. 1. 2004, 2003/21/0167). Erkennt eine sich auf mangelnde Sprachkenntnisse berufende Partei die ihr zugestellte behördliche Erledigung als Bescheid (behördliches Schriftstück), ist sie auch verpflichtet, sich - allenfalls unter Heranziehung eines Dolmetschers - mit dem Inhalt der Erledigung einschließlich der Rechtsmittelbelehrung vertraut zu machen (VwGH 25. 1. 1996, 95/19/1597; 10. 5. 2000, 95/18/0972; 27. 1. 2004, 2003/21/0167). Vor allem der Rechtsmittelbelehrung (VwGH 10. 5. 2000, 95/18/0972) sowie dem Tag der Bescheidzustellung hat ein Fremder, der die deutsche Sprache nur ungenügend beherrscht, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Weil aus der Rechtsmittelbelehrung (Rechtsbelehrung nach § 61a AVG) die Zulässigkeit und die Art des zur Verfügung stehenden Rechtsmittels sowie die Einbringungsbehörde und die Dauer der Frist hervorgehen und weil das Zustelldatum besondere Bedeutung für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist hat, trifft ihn diesbezüglich eine erhöhte Sorgfaltspflicht (VwGH 7. 8. 2001, 98/18/0068; vgl auch Rz 41; vgl Rz 51). Hat es eine der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Partei verabsäumt, diesbezüglich entsprechende Erkundigungen einzuholen, trifft sie ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden (vgl VwGH 12. 12. 1997, 96/19/3394; 10. 5. 2000, 95/18/0972).

Ergänzend ist anzumerken, dass der Übersetzung entscheidende Bedeutung zukommt, wenn im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist, dass Bescheide unter bestimmten Voraussetzungen sowohl in deutscher als auch in einer anderen Sprache auszufertigen sind (vgl § 16 VolksgruppenG) oder den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung in einer der Partei, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist (dem Asylwerber), verständlichen Sprache zu enthalten haben (Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 77).

Unkenntnis des Gesetzes oder Rechtsirrtum stellen für sich allein kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, das die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könnte (Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte² [2017], § 33 VwGVG E 10. mH auf die Erkenntnisse des VwGH vom 21.02.2014, Ro 2014/06/0009 und 27.08.2014, Ro 2014/05/0030). Sogar die Tatsache, dass sich die Partei in Haft befindet, ist für sich allein genommen noch kein Hinderungsgrund, der bei Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt (VwGH 30.09.2014, Ra 2014/22/0064). Dies gilt auch für Häftlinge, die (noch) unvertreten und/oder der deutschen Sprache nicht mächtig sind (vgl VwGH 13.12.2001, 99/21/0110; 19.11.2003, 2003/21/0090; 31.08.2006, 2004/21/0139) oder nicht über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen (VwGH 23.06.1998, 97/21/0770), dh auch das Zusammentreffen von Haft und mangelnder Sprach- oder Rechtskenntnis (Rechtsirrtum) ist per se noch kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl VwGH 13.12.2001, 99/21/0110; 28.01.2003, 2002/18/0291; 31.08.2006, 2004/21/0139;).

Der VwGH geht bei der Beurteilung des Verschuldens einer „ordentlichen Prozesspartei“ an einem Rechtsirrtum als Sorgfaltspflicht von deren Obliegenheit aus, sich bei geeigneten Stellen diesbezüglich zu erkundigen und sich Gewissheit zu verschaffen (vgl. VwGH 26.08.2010, 2009/21/0400). Eine solche Pflicht zur derartigen Informationsbeschaffung hat der VwGH im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Irrtümern in Wiedereinsetzungsverfahren bereits wiederholt dargelegt (vgl. VwGH 18.12.2000, 2000/10/10/0127, 0128, VwGH 30.4.2003, 2001/03/0183 oder VwGH 12.7.2012, 2012/02/0146, 0147).

Eine Erkrankung stellt nur dann einen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar, wenn die Dispositionsfähigkeit der Partei auf Grund der Krankheit beeinträchtigt ist. Die Partei muss durch die Erkrankung so weit gehindert sein, dass ihr das Unterlassen jener Schritte, die für die Wahrung der Frist erforderlich gewesen wären, nicht als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorgeworfen werden kann. Sie muss durch die Erkrankung auch daran gehindert gewesen sein, die Versäumung der Frist durch andere geeignete Dispositionen, insbesondere durch Beauftragung eines Vertreters, abzuwenden (vgl. zum Ganzen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 71 Rz. 79). (VwGH 06.07.2010, 2009/22/0132).

Nach der … Rechtsprechung [des VwGH] erfüllt eine krankheitsbedingte Säumnis die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann, wenn die Krankheit zu einer Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geführt hat oder die Dispositionsfähigkeit so stark beeinträchtigt hat, dass das Unterbleiben der fristwahrenden Handlung in einem milderen Licht - nämlich als bloß minderer Grad des Versehens - zu beurteilen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. September 2011, Zl. 2008/18/0509, mwN). (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0070) In dieser Rechtssache ging der VwGH weiters davon aus, dass dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist - auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Dokumente - substanziierte Hinweise dafür zu entnehmen sein müssen, dass die Dispositionsfähigkeit (bzw. die Erinnerungsfähigkeit) des Antragstellers derart beeinträchtigt gewesen wäre, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, der Fristversäumung entgegenzuwirken.

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird, sodass den Antragsteller die Obliegenheit trifft, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/12/0026). Ebenso hat der VwGH entschieden, dass „das Auswechseln des Wiedereinsetzungsgrundes im Stadium der Berufung … der Stellung eines neuerlichen, aber anders begründeten Antrages auf Wiedereinsetzung gleich[käme], der außerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgte und daher unbeachtlich wäre (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, § 71 AVG, E 8 bis 10)“.

Die Anwendung dieser Grundsätze und der zu § 71 Abs. 1 AVG ergangenen und - insoweit auf § 33 Abs. 1 VwGVG übertragbaren - Rechtsprechung auf den hier vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF begründet seinen Antrag auf Wiedereinsetzung vom 03.08.2020 damit, dass der Bescheid für ihn überraschend gekommen wäre und er sehr verunsichert gewesen wäre. Ein Freund habe ihm gesagt, dass er nun nicht mehr in Österreich bleiben könne. Danach habe ihm aber ein weiterer Freund geraten, die „Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH“ aufzusuchen. Der BF hätte schlussendlich einen Rechtsberatungstermin am 30.07.2020 gehabt, in welchem ihm der Fristenlauf erklärt worden sei. Der rechtsunkundige BF, welcher bis vor zwei Jahren aufgrund seiner Minderjährigkeit von der Jugendwohlfahrt NÖ vertreten gewesen sei, hätte nicht gewusst, dass man gegen diesen Bescheid eine Beschwerde einbringen könne und dies mit einer Frist zur Einbringung der Beschwerde verbunden sei.

Nur dieses Vorbringen ist als Prüfungsmaßstab für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand relevant. Im Sinne der oben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur ist auf die darüber hinausgehenden Ausführungen in der Beschwerde vom 10.09.2020, dass "der BF die Rechtsmittelbelehrung und Verfahrensanordnung weder auf Deutsch noch auf Pashto sinnerfassend" lesen habe können und er, der nachweislich an psychischen Problemen leide, danach in Panik verfallen sei und ihm danach ein Freund die Rechtsmittelbelehrung falsch übersetzt hätte, nicht einzugehen, weil die Zulässigkeit der Wiedereinsetzung nur in dem Rahmen zu untersuchen ist, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wurde und das "Nachschießen" von Wiedereinsetzungsgründen nach dem Ablauf von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses nicht mehr möglich ist. Das erst in der Beschwerde vom 10.09.2020 erstattete ergänzende Vorbringen ist somit verspätet und unbeachtlich und wäre zudem sogar gar nicht geeignet gewesen, Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft zu machen, da das Aufsuchen dreier Berater in dieser Causa, wovon nur einer offensichtlich ungeeignet war, deutlich gegen das Vorliegen einer (krankheitsbedingten) Dispositionsunfähigkeit sprechen.

Dem BF war offensichtlich bewusst, dass er ein rechtlich bedeutsames Schriftstück erhalten hatte. Spruch und Rechtsmittelbelehrung waren in seiner Muttersprachen Paschtu in Übersetzung beigefügt. Der BF war nach acht Jahren Schulbesuch in seinem Heimatland offensichtlich zum Lesen von Texten in seiner Muttersprache fähig und hat bis dato in seinen bisherigen Verfahren in Österreich auch nichts anderes behauptet. Dem BF war gleichzeitig mit dem Aberkennungsbescheid des BFA vom 02.06.2020, auch eine Verfahrensanordnung zugegangen, mit dem ihm eine Rechtsberaterin zur Seite gestellt worden war. Dem BF, der in Österreich schon in zahlreichen gerichtlichen Verfahren, nicht bloß vor dem BvWG, die auf ihn bezogen waren, Partei war und in solchen auch rechtsfreundlich vertreten war, und dem daher das Wesen von Rechtsmittelbelehrungen und Rechtsmittelfristen und der damit verbundenen Folgen, auch bei Unterlassung der Einbringung von Rechtsmitteln, wohl bekannt sein musste, ist daher eine auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen.

Der BF hätte die behauptete Ungewissheit über den Inhalt und die Bedeutung des Bescheides somit nicht einfach längere Zeit auf sich beruhen lassen dürfen. Der BF hat in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht vorgebracht, rechtzeitig Schritte unternommen zu haben (allenfalls über Sozialarbeiter, Kontaktaufnahme mit der belangten Behörde oder einem Rechtskundigen, oder zumindest mit einem fachkundigen Dolmetscher oder einem früheren rechtsfreundlichen Vertreter oder mit der ihm extra zur Seite gestellten Rechtsberaterin), um seine Rechte zu wahren ohne dass sich ihm dabei unvorhergesehene oder unabwendbare Hindernisse entgegengestellt hätten.

Der BF hat somit keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund vorgebracht. Darüber hinaus wurden mit dem Antrag vom 03.08.2020 keine Bescheinigungsmittel für den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund vorgelegt oder auch nur angeboten. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand waren daher nicht gegeben, sodass die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgewiesen hat.

Zu Spruchteil II. A):

Gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 2 Z 4 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 87/2012 beträgt die Beschwerdefrist gegen den Aberkennungsbescheid vom 02.06.2020 - wie in der Rechtsmittelbelehrung richtig angegeben - zwei Wochen und endete daher (ausgehend von der Zustellung des Bescheids am 03.06.2020) mit Ablauf des 01.07.2020.

Die gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeführte Beschwerde vom 03.08.2020 gegen den Bescheid vom 02.06.2020 ist somit aufgrund der vierwöchigen Beschwerdefrist verspätet und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil I.B und II.B):

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die oben unter A) jeweils zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Rechtsmittelfrist Verspätung Zurückweisung Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W150.2131566.2.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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