TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 W123 2201899-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2020
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Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2201899-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2018, Zl. 649532205-160091965, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, wurde am 21.09.2017 vom Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„[…]

LA: Voraussetzung für die Verlängerung dieser Aufenthaltsberechtigung ist, dass eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 382b oder 382e Exekutionsordnung (EO) erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können. Sie haben eine einstweilige Verfügung des BG Favoritenzur GZ XXXX vom 9.9.2013 hinischtlich Ihres Exmannes XXXX , geb. XXXX , betreffend Ihres Antrages auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung gemäß § 382e EO vorgelegt, welche bereits seit 8.09.2014 abgelaufen ist. Können Sie eine aktuelle einstweilige Verfügung vorlegen?

VP: Nein.

Anm. Beglaubigte Übersetzung des Scheidungsurteiles vom 27.05.2013 in Kopie im Akt beiliegend.

LA: Zur Erlangung dieses Aufenthaltstitels hat der Betroffene glaubhaft zu machen, dass das Aufenthaltsrecht zum Schutz vor weiterer Gewalt benötigt wird.

Bitte nennen Sie die Gründe, weshalb Sie den Aufenthaltstitel zum Schutz vor weiterer Gewalt benötigen.

VP: Wenn ich hier bin, bin ich mir sicher, dass er mir nichts antun kann. Wenn ich zurück nach Serbien zurückgehe, weiß ich nicht wie ich mich schützen kann.

Anm.LA: In Serbien gibt es laut Bericht der Staatendokumentation, zuletzt aktualisiert am 4.4.2017, einen funktionierenden Schutz vor Gewalt.

LA: Gemäß Rückmeldung der LPD Wien bestehen fremdenpolizeiliche Bedenken gegen die Erteilung des von Ihnen beantragten Aufenthaltstitels. Sie waren zuletzt vor 4 Jahren Opfer von häuslicher Gewalt und dies kann laut LPD nicht dazu führen, dass Sie eine de facto unbefristete Aufenthaltsberechtigung erhalten.

VP: Das nehme ich zur Kenntnis.

[…]“

2. Mit Schriftsatz vom 18.10.2017 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme und verwies einleitend auf den Umstand, dass, falls sie nach Serbien zurückkehren müsste, sie nur bei ihrer Mutter unterkommen könnte, diese jedoch nur wenige Kilometer vom Haus ihres Ex-Ehemannes entfernt wohne. Aufgrund des Verhaltens des Ex-Ehemannes während der Ehe und insbesondere auch nach der Ehe habe die Beschwerdeführerin nach wie vor große Angst vor ihm und er sei für sie unberechenbar, insbesondere, wenn er erfahren würde, dass die Beschwerdeführerin wieder in Serbien im Haus ihrer Mutter leben würde. Zur Integration brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie starke familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Eine Bindung zu ihrem Heimatstaat bestehe – bis auf ihre dort lebende Mutter und ihre erwachsenen Kinder – nicht.

3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gegen sie gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

4. Mit Schriftsatz vom 19.07.2018 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde und verwies einleitend (wie bereits in der Stellungnahme am 18.07.2017) auf die nach wie vor bestehende Gefahr in Serbien durch ihren Ex-Ehemann.

Bei der Prüfung der weiteren Voraussetzung für den Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG sei auf die Situation im Herkunftsland abzustellen. Es sei verfehlt, nur darauf abzustellen, dass die einstweilige Verfügung abgelaufen und es zu keinen weiteren Übergriffen durch den geschiedenen Ehemann der Beschwerdeführerin gekommen ist. Im gesamten Länderinformationsblatt finden sich zudem keinerlei Informationen zur Schutzfähigkeit und -willigkeit der serbischen Behörden in Fällen von häuslicher Gewalt.

Den Ausführungen der belangten Behörden sei zudem entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich Schutz vor Übergriffen ihres (geschiedenen) Ehemannes bei staatlichen Stellen gesucht habe (die Beschwerdeführerin habe sich oft an die Polizei in Serbien gewandt) und der Beschwerdeführerin ein solcher nicht zu teil geworden sei (Polizei habe keine weiteren Schritte unternommen, da Gewalt in der Familie noch immer als „private“ Sache gehandelt werde; die Polizei habe nichts weiter unternommen, da sie den geschiedenen Ehemann der Beschwerdeführerin gekannt habe).

Bezüglich der Rückkehrentscheidung habe die belangte Behörde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin drei Schwestern und einen Bruder in Serbien habe. Die belangte Behörde habe aber keinerlei Erkundigungen angestellt, wie das Verhältnis der Beschwerdeführerin zu diesen Geschwistern sei. Ferner nicht, ob die Beschwerdeführerin Bezugspersonen in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Serbien und im Besitze eines gültigen Reisepasses. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin und eine Schwester von ihr wurden in Österreich, Baden, geboren. Die Beschwerdeführerin besuchte in Österreich den Kindergarten. Kurz nach der Geburt ihrer Schwester ist die Beschwerdeführerin – gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester – nach Serbien zurückübersiedelt. Die Beschwerdeführerin besuchte in Serbien die Grund- bzw. Berufsschule und erhielt eine Berufsausbildung als Schneiderin. Die Beschwerdeführerin arbeitete in Serbien in einem Lebensmittelgeschäft und in einer Pizzeria.

Der Vater der Beschwerdeführerin ist im Jahr 2014 gestorben. Die Beschwerdeführerin war 18 Jahre lang mit dem serbischen Staatsbürger XXXX (im Folgenden: Ex-Ehegatte) verheiratet und hat mit ihm zwei volljährige Kinder. Die Ehe wurde im Mai 2013 geschieden. In Serbien lebt der Ex-Ehegatte, die Mutter, drei Schwestern, ein Bruder und die beiden Kinder der Beschwerdeführerin. Eine Schwester der Beschwerdeführerin lebt in Wien, eine Tante in Leobersdorf.

1.2. Am 09.09.2013 erließ das BG Favoriten für die Dauer von einem Jahr eine einstweilige Verfügung, Zl. XXXX , in der dem Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin der Aufenthalt in der Wohnung des Vaters der Beschwerdeführerin in XXXX verboten und diesem gleichzeitig aufgetragen wurde, das Zusammentreffen sowie eine Kontaktaufnahme mit der Beschwerdeführerin zu vermeiden. In der Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Ex-Ehegatte der Beschwerdeführerin dieser gegenüber im Laufe der Ehe immer aggressiver geworden sei und zunehmend regelmäßig Alkohol getrunken habe. Am 27.08.2013 sei der Ex-Ehegatte gegenüber der Beschwerdeführerin gewalttätig geworden.

Mit Beschluss des BG Favoriten vom 09.09.2014, Zl. XXXX wurde die am 09.09.2013 erlassene einstweilige Verfügung aufgrund des Ablaufs der Geltungsdauer von einem Jahr aufgehoben.

1.3. Die Beschwerdeführerin stellte am 19.01.2016 einen Antrag auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ (AS 61).

Am 28.06.2017 erging eine Stellungnahme der LPD Wien zum Betreff „fremdenpolizeiliche Bedenken gegen Aufenthaltstitel“, da die Voraussetzungen gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG nicht vorlägen. In der Begründung wurde auf den erteilten Aufenthaltstitel gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG (gültig bis 28.01.2016) sowie auf die im Jahr 2013 erlassene einstweilige Verfügung des BG Favoriten verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt seien keine weiteren Übergriffe durch den Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin mehr aktenkundig und sei dieser auch nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig bzw. unbekannten Aufenthaltes (letzte ZMR-Meldung bis 30.03.2017). Dass die Beschwerdeführerin vor ca. vier Jahren Opfer von häuslicher Gewalt geworden sei, könne nicht dazu führen, dass ihr aus diesem Grunde eine de facto unbefristete Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 57 AsylG erteilt werde, zumal es zu keinen weiteren Vorfällen mehr gekommen und ein weiteres Schutzbedürfnis nicht gegeben sei.

1.4. Die Beschwerdeführerin ist seit 30.08.2013 in Österreich gemeldet. In Österreich erhielt die Beschwerdeführerin zunächst Unterstützung von ihrem Vater und ihrer Schwester. Seit 25.03.2015 ist die Beschwerdeführerin als „Arbeiterin“ bei der „ XXXX mbH gemeldet (vgl. AJ-WEB Auskunftsverfahren). Mit Bescheid des AMS vom 13.04.2017 wurde die Beschäftigungsbewilligung gemäß § 20 Abs. 3 AuslBG für die „ XXXX mbH als „Küchengehilfin“ für die Zeit vom 31.03.2017 bis 30.03.2018 letztmalig verlängert (AS 209). Die Beschwerdeführerin verfügt derzeit über keine Beschäftigungsbewilligung.

1.5. Die Beschwerdeführerin hält sich seit Mitte 2013 überwiegend im Bundesgebiet auf. Sie verließ im Juli 2014 Österreich (kurz vor dem Tode ihres Vaters), um sich für eine kurze Zeit in Serbien aufzuhalten. Im Jahr 2015 verbrachte die Beschwerdeführerin ca. eine Woche – aufgrund der Krankheit ihrer Tochter – in Serbien. Im Jahr 2014, 2015 und 2016 hielt sich die Beschwerdeführerin für ein paar Tage – zwecks Zahnarztbesuches – in Serbien auf. Im Jahr 2017 war sie wiederum – aufgrund des Geburtstags ihrer Schwester – ein paar Tage in Serbien.

1.6. Die Beschwerdeführerin verfügt über das ÖSD-Zertifikat A2. Sie ist bemüht, die deutsche Sprache zu lernen, jedoch ist ihr Vokabular beschränkt (vgl. AS 208). Die Beschwerdeführerin ist gesund. Die Beschwerdeführerin ist unbescholten.

1.7. Es liegen keine Gründe vor, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstünden. Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerde. Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Erwerbstätigkeit (AJ-WEB) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres Reisepasses fest.

2.2. Die Feststellungen zu ihren persönlichen und familiären Verhältnissen beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin in der Einvernahme vor der belangten Behörde, aufgrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, aufgrund der Stellungnahme vom 18.07.2017 sowie aufgrund des Beschwerdeschriftsatzes vom 19.07.2018.

Soweit die Beschwerdeführerin in der Einvernahme bzw. in den Schriftsätzen auf eine – nach wie vor bestehende – Gefahr durch ihren Ex-Ehegatten in Serbien hinweist und aus diesem Grunde daher eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat unmöglich sei, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin selbst vorbrachte, in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 in Serbien gewesen zu sein (vgl. AS 207 f). Wäre die Beschwerdeführerin somit tatsächlich noch mehrere Jahre nach der letzten Gewalteskalation (27.08.2013) und der darauffolgenden am 09.09.2013 erlassenen einstweiligen Verfügung einer potentiellen Gefahr in ihrem Herkunftsstaat durch ihren Ex-Ehegatten ausgesetzt gewesen, dann erschließt sich für das Bundesverwaltungsgericht nicht, warum sich die Beschwerdeführerin einer solchen durch Aufenthalte in Serbien aussetzte. Zwar brachte die Beschwerdeführerin zum einen vor, dass sie sich zwecks Zahnarztbesuchen und familiärer Verpflichtungen immer wieder in Serbien aufhielt (wenngleich auch für kurze Zeit). Im Widerspruch dazu wies die Beschwerdeführerin jedoch zum anderen darauf hin, dass de facto keine Bindung mehr zu ihrem Heimatstaat bestünde (vgl. AS 222 und 400).

Abgesehen davon trat die Beschwerdeführerin der Stellungnahme der LPD Wien vom 28.06.2017 im Rahmen der Einvernahme durch die belangte Behörde nicht entgegen (vgl. AS 208 f, arg. „LA: Gemäß Rückmeldung der LPD Wien bestehen fremdenpolizeiliche Bedenken gegen die Erteilung des von Ihnen beantragten Aufenthaltstitels. Sie waren zuletzt vor 4 Jahren Opfer von häuslicher Gewalt und dies kann laut LPD nicht dazu führen, dass Sie eine de facto unbefristete Aufenthaltsberechtigung erhalten. VP: Das nehme ich zur Kenntnis.“).

Soweit schließlich im Beschwerdeschriftsatz auf die mangelnden Ermittlungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zum Verhältnis Beschwerdeführerin/Geschwister in Serbien hingewiesen wird und die Beschwerdeführerin (möglicherweise) damit zum Ausdruck bringen wollte, dass sie bei einer Rückkehr nach Serbien auf keine Unterstützung durch ihre Familienangehörige erwarten kann, ist dieses Vorbringen schon deshalb unbeachtlich, da die Beschwerdeführerin in der Einvernahme am 21.09.2017 selbst angab, „dieses Jahr“ (gemeint 2017) wegen des Geburtstags ihrer Schwester (ein paar Tage) in Serbien gewesen zu sein (AS 207 f). Für die belangte Behörde bestand daher gar kein Anlass, Erkundigungen zum Verhältnis der Beschwerdeführerin und ihren in Serbien lebenden Geschwistern anzustellen, zumal im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen wäre (etwa durch ein substantiiertes Vorbringen der Beschwerdeführerin), dass die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren Geschwistern belastet wäre und sie deshalb im Falle einer Rückkehr nach Serbien keine Unterstützung von ihren Angehörigen erhoffen könnte.

2.3. Die Feststellung, dass Serbien als sicherer Herkunftsstaat gilt, beruht auf § 1 Z 6 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV). In Serbien herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

3.1.1. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1.         wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2.         zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3.         wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Gemäß § 382e Abs. 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag
1.         den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten und
2.         aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden und
3.                zu verbieten, sich dem Antragsteller oder bestimmt zu bezeichnenden Orten in einem bestimmten Umkreis anzunähern,

soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.

Gemäß § 382e Abs. 2 EO kann eine einstweilige Verfügung nach Abs. 1 kann längstens für ein Jahr angeordnet werden; § 382b Abs. 2 zweiter Satz ist anzuwenden. Gleiches gilt für eine Verlängerung der einstweiligen Verfügung nach Zuwiderhandeln durch den Antragsgegner.

3.1.2. Die belangte Behörde ist in ihrer rechtlichen Beurteilung zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG nicht erfüllt ist. Mit Beschluss des BG Favoriten vom 09.09.2014 wurde die am 09.09.2013 erlassene einstweilige Verfügung (aufgrund des Ablaufs der Geltungsdauer von einem Jahr) aufgehoben und seit diesem Zeitpunkt keine weitere mehr erlassen. Schon aufgrund des Fehlens der in § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG festgelegten formalen Voraussetzungen (vgl. den Wortlaut „eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können“) war dem Antrag daher nicht stattzugeben.

Zudem ist auf die Stellungnahme der LPD Wien vom 28.06.2017 zu verweisen, wonach seit dem Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung am 09.09.2013 keine weiteren Übergriffe durch den Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin mehr aktenkundig seien und dieser auch nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig bzw. unbekannten Aufenthalts sei (vgl. AS 196 f). Die Beschwerdeführerin nahm im Rahmen der Einvernahme durch die belangte Behörde diese Stellungnahme „zur Kenntnis“ (vgl. AS 207) und konnte ferner nicht glaubhaft machen, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor Gewalt nach wie vor erforderlich ist. (vgl. Beweiswürdigung).

Soweit im Beschwerdeschriftsatz auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0119, verwiesen wird, ist zunächst anzumerken, dass der dort zu beurteilende Sachverhalt schon deshalb mit dem gegenständlichen nicht vergleichbar ist, da in dem vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilenden Fall zugunsten der revisionswerbenden Parteien „nachweislich“ eine einstweilige Verfügung erlassen wurde. Gegenständlich ist jedoch seit 09.09.2014 keine einstweilige Verfügung mehr in Kraft. Insoweit wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Beschwerdeschriftsatz verkürzt dargelegt. Ferner sprach der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis aus, dass alleine der Umstand, dass ein einzelnes Polizeiorgan im Herkunftsstaat nicht bereit ist, dem Schutzansuchen einer Asylwerberin vor häuslicher Gewalt zu entsprechen, nicht bedeute, dass der Herkunftsstaat generell nicht schutzfähig und -willig wäre (vgl. Rn 19). Die Beschwerdeführerin unterließ aber (sowohl in der Einvernahme, als auch im Beschwerdeschriftsatz) eine nachvollziehbare und schlüssige Begründung dafür, warum die serbischen Behörden generell nicht gewillt wären, Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Allein der Umstand, abschnittsweise einen Amnesty Report vom 23.05.2018 bzw. einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum Thema „Blutrache“ vom 09.12.2014 zu zitieren, reicht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht aus, um die im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderinformationen zu Serbien, wonach sich „prinzipiell jede Person in Serbien, die sich privaten Verfolgungshandlungen ausgesetzt sieht, sowohl an die Polizei wenden, als auch direkt bei der Staatsanwaltschaft persönlich oder schriftlich Anzeige einbringen kann“ (vgl. AS 375), zu entkräften.

3.1.3. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

3.2.1. § 10 Abs. 3 AsylG lautet:

Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK lautet wie folgt:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd. Art 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl etwa VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423; 8.6.2006, 2003/01/0600; 26.1.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017).

Bei einem über zehnjährigen inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001; VwGH 26.03.2015, Zl. 2013/22/0303; VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0169; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0270; VwGH 10.12.2013, Zl. 2013/22/0242).

3.2.2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

Im Lichte der nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung hat sich jedoch nicht ergeben, dass allenfalls vorhandene familiäre oder nachhaltige private Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiegen würden.

Zwar hält sich eine Schwester sowie eine Tante der Beschwerdeführerin in Österreich auf. Zudem wohnt die Schwester der Beschwerdeführerin mit dieser sogar im selben Haus. Demgegenüber leben jedoch die Mutter, drei Schwestern und ein Bruder in Serbien. Ferner die beiden Kinder der Beschwerdeführerin, die bei deren Mutter wohnen, womit aber für die Beschwerdeführerin stärkere familiäre Anknüpfungspunkte in den Herkunftsstaat als in Österreich bestehen.

Der Beschwerdeführerin ist jedenfalls die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu ihrer in Österreich lebenden Schwester (bzw. Tante) in der vorliegenden Konstellation über elektronische oder sonstige Kommunikationsmittel respektive Besuchen objektiv wie subjektiv möglich.

Hinsichtlich des Privatlebens ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin seit Ende August 2013 im Bundesgebiet gemeldet ist und daher ein durchgehender 10-jähriger Aufenthalt in Österreich nicht besteht, womit aber keinesfalls eine unüberbrückbare Verfestigung in Österreich angenommen werden kann. Abgesehen davon verließ die Beschwerdeführerin immer wieder das Bundesgebiet, um sich in ihrem Herkunftsstaat (wenngleich auch nur für kurze Zeit) aufzuhalten (vgl. Feststellungen).

Im Übrigen konnte die Beschwerdeführerin auch keine „außergewöhnlichen“ Integrationsleistungen vorweisen: So verfügt sie lediglich über eine ÖSD A2 Zertifikatsbestätigung vom 30.11.2015 und konnte seit diesem Zeitpunkt diesbezüglich keine weiteren Fortschritte mehr nachweisen (vgl. dazu auch AS 208, arg. „VP: Ich bemühe mich die deutsche Sprache zu lernen und war in einem Deutschkurs. […] Mein Vokabular ist aber eher auf das was im Restaurant geredet wird, beschränkt.“ Die Beschwerdeführerin verfügt ferner über keine gültige Beschäftigungsbewilligung. Schließlich sind auch keine Umstände hervorgetreten, wonach die Beschwerdeführerin aktives Mitglied in einem Verein wäre.

3.2.3. Im Lichte dieser nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung hat sich somit insgesamt nicht ergeben, dass vorhandene familiäre oder nachhaltige private Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiegen würden. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene amtswegige Feststellung keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass allenfalls auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens die Abschiebung in den Herkunftsstaat unzulässig wäre (vgl. VwGH 16.12.2015, Zl. Ra 2015/21/0119).

3.2.4. Daher war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Im Hinblick auf die gemäß § 52 Abs. 9 FPG getroffenen Feststellungen sind keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Serbien unzulässig wäre. Abgesehen von privaten Gründen wurde auch im Rahmen der Beschwerde kein substantiiertes Vorbringen erstattet, wonach eine Rückkehr nach Serbien nicht möglich wäre.

3.4. Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

3.5. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss.

Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung – ungeachtet des Antrages im Beschwerdeschriftsatz – abgesehen werden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Familienleben häusliche Gewalt Interessenabwägung öffentliches Interesse Privatleben Rückkehrentscheidung sicherer Herkunftsstaat staatliche Schutzfähigkeit staatliche Schutzwilligkeit staatlicher Schutz Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W123.2201899.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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