TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/13 W237 1438223-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2020
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Entscheidungsdatum

13.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §28
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 1438223-3/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2018, Zl. 821480808+161691168, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.09.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VII. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG, § 18 Abs. 1 Z 2 und Abs. 5 BFA-VG sowie § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AsylG 2005 und § 28 AsylG 2005 ersatzlos behoben.

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IX. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG auf neun Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 06.12.2016 den gegenständlichen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag niederschriftlich zu den wesentlichen Gründen für die erneute Antragstellung polizeilich erstbefragt.

1.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte in der Folge mit dem Beschwerdeführer am 20.01.2017 und am 12.04.2018 Einvernahmen durch, in denen er zu seinem Gesundheitszustand, seinem strafrechtlichen Fehlverhalten in Österreich, seinen verwandtschaftlichen Beziehungen und Kontakten sowie den Gründen für seine neuerliche Antragstellung näher befragt wurde.

1.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 08.06.2018 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.); weiters erkannte das Bundesamt einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.), sprach in der Folge aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.), erklärte den Verlust des asylrechtlichen Aufenthaltsrechts ab dem 04.03.2016 gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt VIII.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG gegenüber dem Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IX.).

2. Der Beschwerdeführer erhob gegen sämtliche Spruchpunkte dieses Bescheids durch seinen zur vollumfänglichen Vertretung im Beschwerdeverfahren bevollmächtigten Rechtsberater am 04.07.2018 Beschwerde.

2.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte diese dem Bundesverwaltungsgericht am 09.07.2018 samt Bezug habendem Verwaltungsakt vor.

2.2. Am 03.08.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine schriftliche Beschwerdeergänzung.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.09.2020 in Anwesenheit des – aus der Strafhaft vorgeführten – Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die russische und tschetschenische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer näher zu seinem Leben in Österreich, seinen Straftaten, seinen verwandtschaftlichen Verbindungen sowie den Gründen für seine Antragstellung näher befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein 25-jähriger russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, der in der tschetschenischen Ortschaft XXXX (auch: XXXX ) aufwuchs und dort elf Jahre die Grund- und Mittelschule besuchte. Vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat begann er eine Ausbildung zu Programmierer in Grozny und arbeitete als Bauhilfsarbeiter. Die Eltern des Beschwerdeführers ließen sich scheiden, als er noch im Kleinkindalter war. Darauf wuchs der Beschwerdeführer mit seinem Vater, seiner Großmutter väterlicherseits sowie seinen beiden Schwestern auf. Seiner Mutter sah er erstmals wieder im Alter von 15 Jahren und hatte fortan zu ihr unregelmäßigen telefonischen Kontakt.

Im Oktober 2012 verließ der Beschwerdeführer die Russische Föderation und reiste im Besitz seines russischen Inlandsreisepasses unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo er seither durchgehend lebt. Er wohnte in den ersten Monaten seines Aufenthalts im Bundesgebiet bei einem Onkel väterlicherseits, dessen Ehefrau und deren gemeinsamen Kindern. Zu dem Onkel hatte der Beschwerdeführer schon während seiner Kindheit in Tschetschenien eine enge Beziehung; dieser war bereits im Jahr 2004 nach Österreich gereist, lebte seither als Asylberechtigter in Wien und arbeitet heute als XXXX in einem XXXX . Nach dem Auszug aus dem gemeinsamen Haushalt in Österreich hielt der Beschwerdeführer zu seinem Onkel weiter engen Kontakt und wurde von ihm auch in der Haft des Öfteren besucht. Weiters lebt ein Cousin des Vaters des Beschwerdeführers mit seiner Familie in Kärnten; der Beschwerdeführer hatte zu diesem bis zum Jahr 2016 sporadisch Kontakt.

Während seiner Zeit in Österreich besuchte der Beschwerdeführer Deutschkurse und schloss eine Prüfung auf dem Sprachniveau A2 ab; er beherrscht die deutsche Sprache zum Enzscheidungszeitpunkt fließend auf alltagstauglichem Niveau. Derzeit steht er in keiner Beziehung bzw. Lebensgemeinschaft mit einer anderen Person und ist kinderlos. Er hat allerdings mehrere Freunde sowie Bekannte im Bundesgebiet und besuchte wiederholt einen tschetschenischen Kulturverein. Der Beschwerdeführer wollte in Österreich unselbständige Beschäftigungen aufnehmen, was ihm allerdings aufgrund seines aufenthaltsrechtlichen Status nicht gelang. Daraufhin bemühte er sich im Rahmen des Bildungsprojekts „PROSA“ um einen Hauptschulabschluss. Nach Einreichung seiner Schulzeugnisse aus Tschetschenien wurde ihm dieser anerkannt. Seit März 2020 absolviert der Beschwerdeführer in der Strafhaft die Lehrausbildung im Lehrberuf Tischler; diese Ausbildung möchte der Beschwerdeführer nächstes Jahr beenden, den Tischlerberuf in der Folge ausüben und sein weiteres Leben in Österreich gestalten. Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und weder körperlich noch psychisch beeinträchtigt.

1.2. Zu den Straftaten des Beschwerdeführers und den strafgerichtlichen Verurteilungen:

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet wiederholt straffällig:

1.2.1. Am XXXX versetzte er einem Mann eine Ohrfeige, wodurch dieser eine Woche an einem Tinitus litt, und einer weiteren Person einen Faustschlag ins Gesicht, was eine Prellung der Nase zu Folge hatte. Zudem besaß der Beschwerdeführer am XXXX im achten Wiener Gemeindebezirk unbefugt eine verbotene Waffe, nämlich einen Teleskopschlagstock.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verurteilte den Beschwerdeführer deswegen mit Urteil vom XXXX .2015 wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB und des unbefugten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 Z 2 und 3 WaffG zu einer Gesamtgeldstrafe von 480,– Euro. Das Gericht berücksichtigte den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers sowie sein Alter unter 21 Jahren zu den Tatzeitpunkten als mildernd, erschwerend jedoch das Zusammentreffen mehrerer Strafhandlungen sowie die Verletzung von zwei Personen. Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Urteil in weiterer Folge kein Rechtsmittel.

1.2.2. Am XXXX 2015 befand sich der Beschwerdeführer in alkoholisiertem Zustand mit einem Freund auf dem Weg nach Hause von einer Diskothek. Sie gerieten dabei mit zumindest drei anderen Burschen in einen Streit, im Zuge dessen der Beschwerdeführer auf einen der Burschen mit einem mitgeführten Klappmesser einstach, wodurch dieser eine Durchstichverletzung des rechten Daumenballens mit einer Stichwunde, einer vollständigen Durchtrennung der langen Daumenstrecksehne, einer teilweisen Durchtrennung der langen Daumenbeugesehne und einer Schlagaderverletzung im rechten Daumenballen erlitt. Der Beschwerdeführer bedrohte dabei auch die beiden anderen Burschen mit seinem Messer und versuchte, sie zu attackieren.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Tat mit Urteil vom XXXX wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 iVm § 84 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, wobei acht Monate davon unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden. Das Gericht berücksichtigte das Geständnis des Beschwerdeführers, sein Alter unter 21 Jahren zum Tatzeitpunkt sowie die Herabsetzung seiner Hemmschwelle durch Alkohol als mildernd, erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil und verbüßte die unbedingte Strafhaft im Zeitraum zwischen XXXX .

1.2.3. Am XXXX .2016 hielt sich der Beschwerdeführer im zweiten Wiener Gemeindebezirk im Besitz eines Pfeffersprays auf.

Das Bezirksgericht Leopoldstadt verurteilte den Beschwerdeführer deswegen mit Urteil vom XXXX .2017 wegen des Vergehens des unbefugten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, die ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Gericht berücksichtigte das Geständnis des Beschwerdeführers als mildernd, erschwerend allerdings seine einschlägigen Vorstrafen. Er erhob gegen dieses Urteil in weiterer Folge kein Rechtsmittel.

1.2.4. Am XXXX .2017 besuchte der Beschwerdeführer mit Freunden eine Diskothek in Wien. Da er und seine Begleiter sich wiederholt unsanft an anderen Besuchern vorbeidrängten, kam es zu einem Wortgefecht und in weiterer Folge auch zu einer kurzen Rangelei mit diesen. Als einer der Besucher sah, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Rangelei zuschlagen wollte, hielt er ihn fest und übergab ihn einem Türsteher. Als der Türsteher den Beschwerdeführer kurz darauf wieder losließ, ging dieser auf den Mann, der ihn festgehalten und den Türsteher eingeschaltet hatte, zu und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht, wodurch der Mann eine blutende Wunde an der rechten Unterlippe erlitt.

Am XXXX .2017 wollte sich Y.E. mit einer Freundin im fünften Wiener Gemeindebezirk treffen. Zum vereinbarten Treffpunkt kam diese jedoch nicht, sondern es erschienen der Beschwerdeführer und sein Bekannter I.O. Dieser gab Y.E. zu verstehen, dass er mitkommen solle, weil sie miteinander reden müssten. Als Y.E. nicht mitkommen wollte, packte ihn I.O. am Hals, drängte ihn in einen Hauseingang und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Der danebenstehende Beschwerdeführer sagte zu Y.E., dass er mitkommen und in ihr Auto steigen müsse, weil er ansonsten Probleme bekomme. Dabei hob er sein T-Shirt hoch, nahm eine in seinem Hosenbund steckende Pistole und zeigte sie Y.E.; dann steckte er die Pistole wieder in seinen Hosenbund. Anschließend packten der Beschwerdeführer und I.O. den Y.E. am linken bzw. rechten Arm und zogen ihn zu einem in der Nähe geparkten Auto, wo bereits T.A.O., ein weiterer Bekannter, auf sie wartete. Y.E. musste sich mittig auf die Rückbank zwischen dem Beschwerdeführer und T.A.O. setzen, während I.O. am Fahrersitz Platz nahm und losfuhr. Der Beschwerdeführer gab T.A.O. die Pistole und dieser drückte sie während der gesamten Fahrt gegen die rechte Hüfte von Y.E. Sie erreichten ein Waldstück bei Brunn am Gebirge und stiegen dort aus. Der Beschwerdeführer und I.O. durchsuchten Y.E. und nahmen ihm sein Handy, sein Ladegerät, seine Uhr im Wert von zumindest 70,– Euro, seine Geldbörse samt inneliegenden 60,– Euro sowie zwei Packungen Zigaretten weg. I.O. schlug Y.E. dabei wiederholt kommentarlos mit der Faust ins Gesicht und zerstörte mutwillig seine Brille. Anschließend stiegen alle wieder in das Auto und fuhren zurück nach Wien. Bei einer Bankfiliale blieben sie stehen, wo Y.E. dazu gezwungen wurde, beim dortigen Bankomaten seine Bankomatkarte einzuführen und den Code einzutippen. I.O. hob daraufhin 1.000,– Euro vom Konto des Y.E. ab. Diesen Vorgang wiederholten sie bei zwei anderen Bankomaten der Filiale, wobei einmal 350,– Euro und einmal 150,– Euro abgehoben wurden. Sie fuhren noch zu einer anderen Bankfiliale, wo sie eine weitere Behebung nach obigem Muster versuchten, aber erneut scheiterten. Schließlich wurde Y.E. gehen gelassen und ihm sein Handy, seine Geldbörse und seine Bankomatkarte zurückgegeben; sein Geld, seine Uhr und seine Zigaretten behielt I.O. Dieser sagte Y.E. auch, dass er am nächsten Samstag zu ihm in die Arbeit kommen werde und dann weitere 1.000,– Euro verlange, sonst würden große Probleme auf dessen Familie zukommen. Zur Zahlung kam es nicht mehr, weil I.O. am nächsten Tag über eine Anzeige des Y.E. festgenommen und inhaftiert wurde. Y.E. hatte keine Geldschulden bei I.O.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Tathandlungen mit Urteil vom XXXX .2018 wegen des Verbrechens des schweren Raubs nach § 142 Abs. 1 iVm § 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren. Unter einem verlängerte es die im Urteil vom XXXX .2016 ausgesprochene Probezeit auf fünf Jahre. Das Gericht erachtete die Tat vom XXXX .2017 als „in ihrer Brutalität und Kaltblütigkeit weit über das durchschnittlich bei einem Raub vorausgesetzte Maß an krimineller Energie“ hinausgehend und vermochte im Falle des Beschwerdeführers keinen mildernden Umstand zu erkennen. Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Urteil in weiterer Folge kein Rechtsmittel.

Er befand sich bereits seit XXXX .2017 in Untersuchungshaft, woran sich die Strafhaft nach Rechtskraft des Urteils vom XXXX .2018 anschloss. Derzeit verbüßt der Beschwerdeführer seine Strafhaft und besucht seit einem Jahr ein Antiaggressionstraining; er hofft, im XXXX 2021 – nach zwei Drittel der Freiheitsstrafe – aus der Strafhaft entlassen werden zu können.

1.2.5. Hinsichtlich der angeführten Strafhandlungen verantwortet sich der Beschwerdeführer heute dahingehend, dass er wegen der Tat vom XXXX 2014 zu Unrecht verurteilt worden sei, weil er den beiden Personen keine Schläge versetzt habe. Am XXXX 2015 sei er mit einem Freund auf dem Weg nach Hause von einem Discobesuch gewesen und habe sich in einen Streit, den sein Freund begonnen habe, hineinziehen lassen; er habe sich dann mit Schlägen verteidigt und auch ein Messer dabei gehabt. Der Beschwerdeführer wünschte, der Vorfall wäre nicht passiert, könne das aber nicht mehr ändern. Am XXXX .2016 sei er lediglich im Besitz einer leeren Pfefferspray-Dose gewesen, von der er heute gar nicht mehr mit Bestimmtheit sagen könne, wie genau sie in seinen Besitz gelangt sei. Die angebliche Körperverletzung am XXXX .2017 habe nicht stattgefunden: Es habe sich um eine Meinungsverschiedenheit mit seinem Cannabis-Dealer gehandelt, die in Gewalt ausarten hätte können, es aufgrund von Polizeipräsenz aber nicht tat; er sei nur deshalb verurteilt worden, weil der Dealer falsch ausgesagt habe, dass der Beschwerdeführer ihn geschlagen habe. Der Vorfall am XXXX .2017 habe sich ebenso anders zugetragen, als im Urteil vom XXXX .2018 festgestellt: Der Beschwerdeführer sei mit zwei Bekannten im Auto von einem der beiden gewesen. Der Fahrer habe dem Beschwerdeführer und dem anderen Bekannten gesagt, dass ihm ein bestimmter Mann Geld schulde und nun zu diesem fahren werde. Der Mann sei beim Treffpunkt ins Auto eingestiegen und sie seien zusammen zu Bankomaten gefahren, um Geld abzuheben. Weder der Beschwerdeführer noch die beiden anderen Personen hätten gegenüber diesem Mann Gewalt angewendet – dies habe er erst im Verfahren falsch ausgesagt. Rückblickend auf seine kriminelle Vergangenheit könne sich der Beschwerdeführer heute aber viele Taten nicht erklären. Er sei jung gewesen und habe sich in den falschen Kreisen bewegt. Heute denke er anders als damals.

1.3. Zu den asylrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers:

1.3.1. Der Beschwerdeführer stellte unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich am 15.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, im Spätsommer 2012 mit einem Freund im Wald nach davongelaufenen Kühen gesucht zu haben. Dabei seien sie fünf Männern begegnet, die sie gefragt hätten, was sie im Wald suchten und warum sie sich dort aufhielten. Nachdem der Beschwerdeführer es erklärt habe, hätten sie gehen dürfen. Ein paar Tage später seien einige Männer, manche davon maskiert, zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten ihn beschuldigt, den Widerstandskämpfern zu helfen und diese mit Essen zu versorgen. Sie hätten den Beschwerdeführer entführt und ihn drei Tage lang festgehalten, wobei er verhört und geschlagen worden sei. Nach drei Tagen sei er freigelassen worden. Einige Tage darauf sei er wieder entführt worden. Es seien ihm einige Männer gegenübergestellt worden und er habe mit dem Finger zeigen sollen, welchen von ihnen er im Wald begegnet sei. Der Beschwerdeführer habe Angst gehabt und geantwortet, dass er keinen dieser Männer gesehen habe. Auch bei dieser Anhaltung sei er geschlagen worden und habe nach seiner Freilassung die Flucht aus der Russischen Föderation angetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht wies diesen Antrag in der Sache mit Erkenntnis vom 02.06.2014 ab und begründete diese Entscheidung damit, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund vager und zum Teil widersprüchlicher Angaben als unglaubhaft erwiesen habe.

1.3.2. Mit nachfolgendem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.11.2016 wurde gegenüber dem Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen.

1.3.3. Am 06.12.2016 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass sich an seinen Fluchtgründen seit seinem vorangegangenen Verfahren nichts geändert habe. Nach Tschetschenien könne er auch deshalb nicht zurück, weil vom dortigen Machthaber Ramzan Kadyrow Jugendliche in den Krieg nach Syrien geschickt werden würden. Überdies sei ein Verwandter des Beschwerdeführers führender Widerstandskämpfer in den Bergen Tschetscheniens und werde als Terrorist eingestuft. Aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses drohe dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Verfolgung.

Dem Beschwerdeführer wurde seitens des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl keine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 ausgestellt; dieses dokumentierte im Verwaltungsakt auch nicht, dass das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom 06.12.2016 zugelassen sei.

Mit dem angefochtenen und unter Pkt. I.1.2. dargestellten Bescheid entschied das Bundesamt über den genannten Antrag auf internationalen Schutz.

1.4. Zu den bestehenden Verbindungen bzw. Verwandtschaften in der Russischen Föderation:

1.4.1. In Tschetschenien wohnen die beiden volljährigen Schwestern des Beschwerdeführers mit jeweils einer eigenen Familie. Der Beschwerdeführer hatte zu diesen zuletzt vor seiner derzeitigen Strafhaft Kontakt. Der Vater des Beschwerdeführers wohnt in Moskau; seit 2016 hält dieser keinen Kontakt mehr zum Beschwerdeführer, weil er sich gegen dessen zum damaligen Zeitpunkt bestehende Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin stellte. Auch die Mutter des Beschwerdeführers lebt in der Russischen Föderation und hatte mit ihm zuletzt vor seiner Strafhaft Kontakt. Die Großmutter des Beschwerdeführers wohnt nach wie vor in seinem Heimatdorf XXXX und bezieht eine staatliche Pension. Der Beschwerdeführer hatte stets ein gutes Verhältnis zu ihr und hielt mit ihr telefonisch bis zum Antritt seiner derzeitigen Strafhaft Kontakt. Informationen über seine im Herkunftsstaat lebenden Verwandten erhält der Beschwerdeführer über seinen in Wien lebenden Onkel.

1.4.2. Der Großvater des Beschwerdeführers (väterlicherseits) ist der Bruder des Vaters von XXXX . Der Beschwerdeführer hat vage Kindheitserinnerungen an diesen Verwandten, als er bei unterschiedlichen Gelegenheiten mit ihm spielte; XXXX .

1.5. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, US DOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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