TE Vwgh Beschluss 2020/12/2 Ra 2020/02/0220

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Veröffentlicht am 02.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52 Abs2
AVG §76 Abs1
AVG §8
B-VG Art133 Abs4
VStG §24
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §46 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des G in B, vertreten durch Dr. Robert Müller, Rechtsanwalt in 3170 Hainfeld, Hauptstraße 28, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. Juli 2020, LVwG-S-337/001-2020, betreffend Übertretungen tierschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber arbeitet in einem landwirtschaftlichen Unternehmen, das u.a. eine Ferkelzucht betreibt. Unbekannte Personen fertigten im Stall des genannten Betriebes Video- und Lichtbildaufnahmen an, die mit Anzeigen eines näher genannten Vereins an die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde übermittelt wurden und zur Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens sowie zur Erlassung des Straferkenntnisses gegen den Revisionswerber wegen Übertretungen tierschutzrechtlicher Bestimmungen führten.

2        In der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde wandte sich der Revisionswerber u.a. gegen die Richtigkeit des den Videoaufnahmen hinzugefügten Aufnahmedatums, weil die vorgeworfenen Handlungen verjährt seien und er zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gearbeitet habe.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis befand das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den Revisionswerber nach Verhandlung mehrerer, zu vier konkret angegebenen Tatzeitpunkten begangener Übertretungen des Tierschutzgesetzes sowie des Bundesgesetzes zur Durchführung unmittelbar anwendbarer unionsrechtlicher Bestimmungen auf dem Gebiet des Tierschutzes (TSchG) schuldig, verhängte über ihn Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen und verpflichtete ihn zur Zahlung näher bestimmter Beiträge zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens, der Barauslagen und der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass dagegen eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Zu der die Tatzeitpunkte betreffenden Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, dass „eine Verurteilung nicht notwendig objektivierbarer Beweise“ bedürfe. Nach dem gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG sei eine Tatsache nämlich nicht erst dann als erwiesen anzunehmen, wenn sie mit „absoluter Sicherheit“ erweislich sei, es genüge vielmehr, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich habe und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließe oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lasse (Hinweis auf VwGH 27.3.2015, 2013/02/0005). Im konkreten Fall ergebe sich aus dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten, dass den Videos zwar kein technisch unbestreitbar „echtes“ Aufnahmedatum zu entnehmen sei, die eingeblendeten Datumsangaben seien erst später hinzugefügt worden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nur ein paar Millisekunden nach dem Aufnahmezeitpunkt. Es sei naheliegend, dass die wohl aus Tierschutzgründen angefertigten Aufnahmen rasch den Behörden übergeben würden. Der Revisionswerber habe im gerichtlichen Strafverfahren den Tatzeitraum nie in Abrede gestellt und ein Alibi für einen konkreten Tatzeitpunkt nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dargelegt (Hinweis auf VwGH 27.2.2007, 2007/02/0029).

5        Rechtlich ging das Verwaltungsgericht von Verstößen des Revisionswerbers gegen §§ 5 Abs. 1 iVm 38 Abs. 1 Z 1 TSchG und gegen Art. 4 Abs. 1 iVm Anhang 1 Tabelle 1 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (im Folgenden: VO 1099/2009) iVm § 4 Abs. 3 TSchDG aus, wobei die Voraussetzungen für eine Nottötung iS Art. 2 Buchst. d VO 1099/2009 nicht vorgelegen seien und selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Nottötung jedenfalls die Anwendung der vorgesehenen (nicht aufwändigen) Tötungsmethode möglich und zumutbar gewesen wäre.

6        Die im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens erwachsenen Barauslagen seien vom Revisionswerber zu ersetzen, weil der Anzeiger keine Pflicht verletzt habe und ihn somit kein Verschulden iS des § 64 Abs. 3 VStG treffe.

7        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision legte das Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde liegenden Rechtsfrage, dass eine Verurteilung nicht notwendig objektivierbarer Beweise bedürfe.

12       Was das Verwaltungsgericht damit ausdrücken wollte, ergibt sich aus den unmittelbar daran anschließenden - und das davor Geschriebene erklärenden (arg.: nämlich) - Rechtsausführungen zum Beweismaß mit Hinweis auf ein dort zitiertes hg. Erkenntnis. Demzufolge ist nach § 45 Abs. 2 AVG, der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, eine Tatsache nicht erst dann als erwiesen anzunehmen, wenn sie mit „absoluter Sicherheit“ erweislich ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (VwGH 27.3.2015, 2013/02/0005, mwN). Damit gibt es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Beweismaßes, das alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente umfasst (vgl. auch die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 2 zitierte hg. Judikatur), sodass die vom Revisionswerber angesprochene Rechtsfrage über das Beweismaß betreffend den Tatzeitpunkt in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend geklärt ist.

Die Formulierung im angefochtenen Erkenntnis, dass eine Verurteilung nicht notwendig objektivierbarer Beweise bedürfe, stellt somit keine Beweisregel dar. Davon, dass das Verwaltungsgericht tatsächlich eine Verurteilung ohne objektivierbare Beweise vorgenommen hätte, kann angesichts der für die Feststellungen herangezogenen und schlüssig gewürdigten Beweisergebnisse ohnedies keine Rede sein.

13       Nicht ersichtlich ist, dass und inwiefern dem Revisionswerber - wie er es in seinem weiteren Zulässigkeitsvorbringen behauptet - die Möglichkeit genommen worden wäre, sich zu den Tatzeitpunkten zu erklären, war doch dieses Thema ein wesentlicher Inhalt seiner Beschwerde gegen das Straferkenntnis.

14       Dem in der Revision angesprochenen Abgehen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ermittlungsgrundsatz lässt sich nicht entnehmen, welche weiteren Beweise über die Tatzeitpunkte noch aufzunehmen gewesen wären.

15       Entgegen der Behauptung des Revisionswerbers gibt es auch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verwertung außerhalb der Verhandlung abgelegter (früherer) Aussagen im Rahmen des § 46 Abs. 3 VwGVG (vgl. VwGH 6.7.2015, Ra 2014/02/0152, mwN). Dabei ist es unerheblich, in welchem Verfahren die verlesene Niederschrift aufgenommen wurde (VwGH 6.3.2008, 2007/09/0232, 0378 und 0379). Auf die im anderen (Straf-)Verfahren verfolgten Tatvorwürfe kommt es somit nicht an (vgl. etwa das zuletzt zitierte Erkenntnis betreffend Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zur Verlesung einer vor dem Landesgendarmeriekommando wegen des Verdachtes auf Verletzung des Suchtmittelgesetzes aufgenommenen Niederschrift).

16       Vor allem wendet sich der Revisionswerber der Sache nach gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung über die Tatzeitpunkte. Der Verwaltungsgerichtshof ist als reine Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 16.9.2020, Ra 2019/16/0219, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung in der durch das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommenen Beweiswürdigung wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht dargetan.

17       Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit weiters geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob dem Revisionswerber gemäß § 64 Abs. 3 VStG der Ersatz der Sachverständigengebühren aufzuerlegen sei, wenn der anzeigende Verein seiner Auskunftspflicht nach § 49 Abs. 5 AVG zur Bekanntgabe, wer die Videodateien erstellt habe, nicht nachgekommen sei.

18       Damit wird nicht aufgezeigt, welche vom Verwaltungsgericht als Zeuge geladene Person die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht oder zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen im Sinn des § 49 Abs. 5 AVG verletzt hätte, sodass daraus ein Verschulden einer vom Bestraften verschiedenen Person nach § 64 Abs. 3 VStG nicht abgeleitet werden kann und die Revision nicht von der gestellten Rechtsfrage abhängt.

19       Soweit der Revisionswerber als grundsätzliche Rechtsfrage anspricht, ob auch Nottötungen außerhalb von Schlachthöfen nur mit den in Art. 4 VO 1099/2009 geregelten Methoden erlaubt seien, hängt die Revision nicht von der Lösung dieser Frage ab, weil nach den Sachverhaltsannahmen im angefochtenen Erkenntnis die Voraussetzungen für eine Nottötung nicht abgeleitet werden können und ein Feststellungsmangel nicht behauptet wird.

20       Der - zur Zulässigkeit der Revision relevierte und vom Verwaltungsgericht angewendete - Indizienbeweis ist im Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgeschlossen (vgl. VwGH 28.1.1992, 91/04/0224) und eine diesen ausschließende Möglichkeit der direkten Beweisführung (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236) wird nicht releviert.

21       Eine Verletzung des Parteiengehörs wird schon insofern nicht aufgezeigt, als der Revisionswerber gegen das Straferkenntnis Beschwerde erhob und nicht dargetan wird, dass dem Verwaltungsgericht mehr oder andere Informationen über die Ergebnisse der Beweisaufnahmen (vgl. dazu grundsätzlich Hengstschläger/Leeb AVG § 37 Rz 11 ff, mwN) zur Verfügung gestanden wären als dem Revisionswerber.

22       Schließlich macht die Revision noch als grundsätzliche Rechtsfrage geltend, die zweifellos von der Behörde dem Sachverständigen tatsächlich bezahlte Gebühr sei ihr nicht erwachsen, weil sie gegenüber dem Revisionswerber nicht gemäß § 53a AVG bescheidmäßig festgesetzt worden sei. Er habe sie daher nicht zu ersetzen.

23       Die Revision hängt auch nicht von dieser Rechtsfrage ab, weil ein Bescheid (bzw. ein Beschluss), mit dem Kosten eines Sachverständigengutachtens festgesetzt werden, zwar allein das Verhältnis zwischen Behörde (bzw. Verwaltungsgericht) und Sachverständigen betrifft und der Partei, die im Allgemeinen gemäß § 76 Abs. 1 AVG für Barauslagen aufzukommen hat, in dem Verfahren betreffend die Festsetzung der Kosten eines Sachverständigen keine Parteistellung zukommt, sie ihre Rechte jedoch umfassend in dem Verfahren betreffend die Vorschreibung von Barauslagen gemäß § 76 AVG geltend machen kann (vgl. etwa VwGH 28.1.2016, 2013/07/0134, mwN). Die vom Revisionswerber allein vermisste Zustellung eines die Sachverständigengebühr festsetzenden Bescheides an ihn steht demnach seiner Ersatzpflicht nicht entgegen.

24       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. Dezember 2020

Schlagworte

Beweise Beweismittel Indizienbeweise indirekter Beweis freie Beweiswürdigung Gebühren Kosten Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020220.L01

Im RIS seit

18.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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