TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 W282 2233596-2

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Veröffentlicht am 02.11.2020
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Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch

W282 2233596-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein indischer Staatsangehöriger, begab sich nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet aus eigenem zu einer Polizeiinspektion und stellte dort am 03.04.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Trotz Belehrung über seine Meldepflichten und Mitwirkungspflichten verließ der Beschwerdeführer am 26.05.2020 die Unterkunft der Grundversorgung ohne dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort bekanntzugeben. Der Beschwerdeführer war von 29.05.2020 bis 09.06.2020 ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet. Von 09.06.2020 bis 08.07.2020 war der Beschwerdeführer obdachlos gemeldet, obwohl er an einer Adresse Unterkunft genommen hatte. Der BF war somit in diesem Zeitraum untergetaucht und für die Behörde nicht greifbar.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.06.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Dem Beschwerdeführer wurde eine 14tägige Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt. Aufgrund des unbekannten Aufenthaltsorts des Beschwerdeführers wurde dieser Bescheid am 02.06.2020 durch Hinterlegung im Akt hinterlegt; diese Entscheidung erwuchs mangels Bekämpfung am 01.07.2020 in Rechtskraft.

3. Am 02.07.2020 wurde durch das Bundesamt ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) eingeleitet. Am 08.07.2020 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle in einer Wohnung in Wien kontrolliert, festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum (PAZ) überstellt. Am XXXX .2020 wurde der BF vom Bundesamt ebendort einvernommen und über ihn mit Bescheid vom selben Tag zur
Zl. XXXX die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Seit dem XXXX .2020 befindet sich der BF in Schubhaft in einem PAZ in Wien.

4. Mit (neuerlichem) Bescheid des Bundesamtes vom 10.07.2020 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine neuerliche Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Indien zulässig ist. Der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, weiters wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von 3 Jahren verhängt. Dieser Bescheid wurde dem BF im PAZ ausgefolgt.

5. Am 16.07.2020 wurde der Beschwerdeführer der indischen Vertretungsbehörde vorgeführt, wobei er an der Feststellung seiner Identität nicht mitwirkte, weil er unrichtige bzw. unwahre Angaben machte.

6. Am 31.07.2020 erhob der BF durch seine von Amts wegen beigegebene Rechtsberatung eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG gegen den Schubhaftbescheid vom XXXX .2020 und die weitere Anhaltung in Schubhaft. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte eine mündliche Verhandlung durch und wies die Beschwerde mit am 06.08.2020 mündlich verkündetem und am 26.08.2020 über Antrag schriftlich ausgefertigten Erkenntnis zur GZ W283 2233596-1/22E als unbegründet ab. Unter einem wurde gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen. Dieses Erkenntnis blieb unbekämpft.

7. Am 28.10.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der fortgesetzten Anhaltung des BF in Schubhaft ab dem vierten Monat der Anhaltung vor und erstatte eine Stellungnahme. Darin brachte das Bundesamt vor, es bestehe unverändert Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf. Der BF habe sich seinem Verfahren bereits durch Untertauchen entzogen und auch an die Feststellung seiner Identität bei der Vorführung vor die indische Botschaft durch Tätigung falscher Angaben zu einer Person behindert. Nach mehrmaliger Urgenz hätte die indische Botschaft aber am 22.10.2020 die Zusage zur Ausstellung eines HRZ für den BF erteilt. Die Buchung eines Abschiebeflug nach Indien werde im November 2020 erfolgen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist indischer Staatsbürger, er ist volljährig und grds. gesund. Der BF ist nicht Asylwerber oder subsidiär Schutzberechtigter. Der BF erhält aufgrund einer Suchtmittelabhängigkeit in der Schubhaft eine Substitutionstherapie, er ist psychisch und physisch stabil und haftfähig. Der BF wird derzeit in Polizeianhaltezentrum in Wien in Schubhaft angehalten. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum sozialen Umfeld:

Der BF in Österreich in keiner Form integriert, er verfügt über keine substanziellen sozialen, beruflichen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Zudem verfügt er über keine gesicherte Unterkunft, über kein Barvermögen und über keinen gesicherten Wohnsitz.

1.3. Zum Vorverfahren:

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.06.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung nach Indien wurde für zulässig erklärt. Diese Entscheidung ist mangels Bekämpfung am 01.07.2020 in Rechtskraft erwachsen.

Über den BF ist mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX .2020 die Schubhaft zur Sicherung der Sicherung der Abschiebung angeordnet worden. Er wird seit XXXX .2020 in Schubhaft angehalten.

Mit (neuerlichem) Bescheid des Bundesamtes vom 10.07.2020 wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Indien zulässig ist. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, weiters wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von 3 Jahren verhängt. Es liegt daher eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den BF vor. Mit am 06.08.2020 mündlich verkündetem und am 26.08.2020 über Antrag schriftlich ausgefertigten Erkenntnis zur GZ. W283 2233596-1/22E wies das BVwG eine vom BF erhobene Schubhaftbeschwerde als unbegründet ab. Unter einem wurde hiermit gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen. Dieses Erkenntnis blieb unbekämpft.

Prüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG fanden durch das Bundesamt am 03.09.2020, 29.09.2020 und am 28.10.2020 statt.

1.4 Zum fortgesetzten Bestehen von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf:

Der BF hat bis dato nicht am Verfahren zur Durchsetzung seiner Ausreise nicht mitgewirkt, er hat kein Reisedokument vorgelegt. Der BF hat sich schon zuvor seinem Verfahren durch Untertauchen entzogen. So verließ der Beschwerdeführer am 26.05.2020 die Unterkunft der Grundversorgung ohne dem Bundesamt seinen weiteren Aufenthaltsort bekanntzugeben. Der BF war von 29.05.2020bis 09.06.2020 ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet. Von 09.06.2020 bis 08.07.2020 war der Beschwerdeführer obdachlos gemeldet, obwohl er an einer Adresse Unterkunft genommen hat. Weiters hat der BF bei seiner Vorführung vor die indische Botschaft falsche bzw. unrichtige Angaben zu seiner Identität gemacht, um seine Identifizierung und somit seine Abschiebung zu behindern. Der BF ist nicht ausreisewillig.

Festgestellt wird, dass das Bundesamt nachhaltige und angemessene Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF vorgenommen hat. Nach Urgenz durch das Bundesamt hat die indische Botschaft am 22.10.2020 die Zustimmung zur Ausstellung eines HRZ für den BF erteilt. Die endgültige Ausstellung erfolgt nach Buchung eines Abschiebefluges durch das Bundesamt. Die Buchung dieses Fluges wird durch das Bundesamt noch im November 2020 in Aussicht genommen. Festgestellt wird, dass eine Abschiebung innerhalb der gesetzlichen Schubhafthöchstdauer realistisch und wahrscheinlich ist.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die Vorverfahrenshistorie sowie die getroffenen Feststellungen zur Nicht-Kooperation und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem genannten Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes insbesondere aus dem Vorerkenntnis des BVwG zur GZ W283 2233596-1/22E. Die Haftfähigkeit wurde letztmalig am 29.10.2020 von einer Amtsärztin des Polizeianhaltezentrums überprüft und der BF für hafttauglich befunden (Gutachten OZ 4).

Die Negativ-Feststellungen zu familiären Beziehungen, zum Wohnsitz und zur Erwerbstätigkeit und Barmitteln des BF basieren auf dem Bescheid des Bundesamtes vom 10.07.2020 sowie auf dem zitierten Vorkenntnis des BVwG und den Daten der Anhaltedatei des BMI. Jener Bescheid des Bundesamtes, mit dem letztmalig gegen den BF eine (durchsetzbare) aufenthaltsbeende Maßnahme erlassen wurde, liegt im Verwaltungsakt ein (AS 32).

Die Feststellungen zum Untertauchen des BF während seines Verfahrens ergeben sich aus dem Verwaltungsakt (AS 29) und dem eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Im Besonderen ist hervorzuheben, dass das Bundesamt darlegt hat, dass es sich im vorliegenden Fall um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nach Kräften bemüht hat und letztlich durch entsprechende Urgrenzen auch am 22.10.2020 die Zusage der indischen Botschaft zur Ausstellung eines HRZ erwirken konnte, wie sich aus der glaubwürdigen Stellungnahme des Bundesamtes vom 28.10.2020 sowie aus dem hiermit vorgelegten E-Mail der Abteilung BII/1-Rückkehrvorbereitung des Bundeamtes vom 22.10.2020 (beides OZ 1) ergibt.

Im Hinblick auf das Bestehen von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf ist auf der Sachverhaltsebene seit Ergehen des zitierten Vorerkenntnisses keine maßgebliche Änderung im Hinblick auf einen Wegfall der Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf begründenden Umstände ersichtlich. Im Gegenteil ist aufgrund der mittlerweile erteilten Zustimmung der indischen Botschaft zur Ausstellung eines HRZ und somit durch die wahrscheinlich zeitnahe Abschiebung eine gesteigerte Fluchtgefahr und erhöhter Sicherungsbedarf anzunehmen.

Zur Möglichkeit einer baldigen Abschiebung ist festzuhalten, dass die Maßnahmen zur Beschränkung des Reiseverkehrs durch die COVID-19 Pandemie mittlerweile weitestgehend zurückgenommen sind. Bei Einsichtnahme in Internetportale zur Flugrecherche ergibt sich, dass Flüge von Wien nach Delhi und nach Mumbai mit Umsteigeverbindungen in Dubai oder Istanbul tagesaktuell buchbar sind. Es ist damit noch deutlich innerhalb der in diesem Fall zulässigen Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten mit der Durchführung der Abschiebung zu rechnen. Weiters ist zu berücksichtigen, dass der BF durch seine mangelnde Kooperationsbereitschaft zur Vorlage eines Reisedokuments bzw. durch Angabe von falschen Identitätsdaten vor der indischen Botschaft für eingetretene Verzögerungen bei seiner Abschiebung und somit auch für die nun längere Anhaltung in Schubhaft zu einem guten Teil mitverantwortlich ist.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A):

3.1 Gesetzliche Bestimmungen und Judikatur:

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

§§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (§ 76 FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (§ 77 FPG)

„§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Dauer der Schubhaft (§ 80 FPG)

„(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (§§ 22a BFA-VG)

„§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.2. Zum konkret vorliegen Fall:

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Nach rezenter Judikatur des VwGH (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0099, Rn. 14f) ist die Frist für das viermonatige Überprüfungsintervall nach § 22a Abs. 4 S 1 BFA-VG unter Außerachtlassung des § 32 Abs. 2 AVG unter Einrechnung des Tages der Inschubhaftnahme zu berechnen. Der BF wurde am XXXX .2020 in Schubhaft genommen und wird seitdem durchgehend in Schubhaft angehalten. Jener Tag an dem die Schubhaftdauer von vier Monaten im Sinne des ersten Satzes des § 22a Abs. 4 BFA-VG „überschritten“ wird ist somit der 08.11.2020. Die ggst. Überprüfung hat spätestens am Tag danach, also spätestes am 09.11.2020 zu ergehen. Gleichzeitig verbleibt dem BVwG ein Spielraum zur Entscheidung von einer Woche vor diesem Termin (VwGH aaO. Rn. 15). Die gegenständliche Entscheidung kann bzw. muss daher zwischen dem 02.11.2020 und dem 09.11.2020 ergehen.

Gemeinsamt mit der Vorlage hat das Bundesamt darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Verwaltungsgerichthof führte hierzu Folgendes aus: „In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG 2014, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“ (VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111)

Aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und Z 9 FPG liegt beim BF fortgesetzt Fluchtgefahr vor und ist auch fortgesetzt Sicherungsbedarf gegeben. Es ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Die Schubhaft ist jedenfalls wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers – insbesondere der Angabe von falschen Identitätsdaten beim Botschaftstermin - mit höchster Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass der BF seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt (§ 76 Abs. 3 Z 1 leg. cit.). Weiters besteht gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme (§ 76 Abs. 3 Z 3 leg. cit.), was für sich allein genommen noch keine Fluchtgefahr begründet. In Zusammenhang damit, dass sich der BF aber bereits seinem Verfahren über internationalen Schutz entzogen hat, in dem er untergetaucht ist und für das Bundesamt nicht greifbar war, begründet auch dieser Umstand fortgesetzt Fluchtgefahr. Zu Guter Letzt ist der BF im Bundesgebiet weiterhin auf keine Weise sozial ober beruflich verankert, da er keine Familienangehörigen und keinen festen Wohnsitz hat oder je hatte, weiters im Bundesgebiet nie legal erwerbstätig war und er über keine Mittel zur Sicherung seines Unterhalts verfügt (§ 76 Abs. 3 Z 9 FPG).

Es sind iSd oben dargelegten Judikatur des VwGH zu § 80 FPG weiterhin keine Umstände ersichtlich, die darauf hindeuten, dass eine zeitnahe Abschiebung des BF nicht möglich sein sollte. Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr durch die COIVD-19 Pandemie wurden weitgehend zurückgenommen und sind Flüge sowohl nach Delhi sowie auch nach Mumbai (mit Umstieg in Ankara oder Dubai) jederzeit über Internetportale buchbar, weshalb mit der Möglichkeit der Durchführung der Abschiebung des BF noch vor Jahresende – und somit deutlich innerhalb der möglichen Schubhafthöchstdauer - zu rechnen ist. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das Bundesamt auch angemessene Anstrengungen unternommen hat, um ein Heimreisezertifikat zu erlangen, was letztlich zu der Zusage der Ausstellung desselben für den BF am 22.10.2020 geführt hat. Die tatsächliche Ausstellung eines HRZ erfolgt aufgrund dessen beschränkter Gültigkeitsdauer iaR erst wenn der genaue Abschiebetermin feststeht.

Der Beschwerdeführer hat demgegenüber fortgesetzt keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund - dass sich die Behörde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erfolgreich bemüht hat, auch verhältnismäßig. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit – insbesondere, dass er sich bereits einmal seinem Verfahren durch Untertauchen entzogen hat und bei seiner Vorführung vor die Botschaft falsche Angaben gemacht hat - schließt auch die Anordnung gelinderer Mittel fortgesetzt aus.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese verhältnismäßig ist.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es finden sich im keine schlüssigen Hinweise auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der in der Begründung zitierten (jüngsten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Ausreisewilligkeit Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Identität Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2233596.2.00

Im RIS seit

14.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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