TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/11 W140 2228886-6

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2020
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Entscheidungsdatum

11.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch

W140 2228886-6/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl: XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Algerien, in Schubhaft zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.07.2020, W154 2228886-5/3E,
wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Das Bundesverwaltungsgericht führte u. a. Folgendes aus:

„Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) reiste spätestens am 21.12.2019 nach eigenen Angaben von Ungarn kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am selben Tag versuchte er wiederum illegal, mit dem Zug nach Deutschland weiterzureisen. Aufgrund fehlender Reisedokumente wurde der BF von den deutschen Behörden an der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gehindert und nach Österreich zurückgestellt.

2. Aufgrund unrechtmäßigen Aufenthaltes wurde der BF festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum XXXX eingeliefert.

3. Am 22.12.2019 wurde der BF zur Prüfung einer angemessenen Sicherungsmaßnahme zur Außerlandesbringung seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, von Ungarn kommend mit dem Zug in Österreich eingereist zu sein. Als Zweck des Aufenthaltes bzw. als Reiseziel gab der BF explizit die Weiterreise nach Frankreich, wo sich seine Verwandten aufhalten würden, an. Er gab an, nach Frankreich weiterreisen zu wollen. In Österreich oder in einem Mitgliedstaat habe er keinen Wohnsitz. Auch habe er in Österreich keine Familienangehörigen, er habe nur Verwandte in Frankreich. In Österreich befänden sich keine Personen, bei denen er während eines fremdenpolizeilichen Verfahrens wohnen könne. Er verfüge lediglich über Barmittel in der Höhe von € 15, einiger serbischer Dinar sowie ungarischer Forint in bar. Es gebe auch keine Personen, bei denen er sich während des fremdenpolizeilichen Verfahrens Geld ausleihen könne. Er habe in keinem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt. Auch besitze er keinen Aufenthaltstitel in einem anderen Mitgliedstaat. Die Frage, wo er sich nach Entlassung aus der Anhaltung hinbegeben würde, beantwortete der BF dahingehend, dass er sofort nach Frankreich weiterreisen würde. In Schubhaft möchte er nicht angehalten werden.

4. Mit Bescheid des BFA vom 22.12.2019, Zl. XXXX , wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde dem BF am 22.12.2019, um 12.20 Uhr, durch persönliche Übergabe zugestellt.

Die belangte Behörde stützte die Fluchtgefahr in ihrem Bescheid dabei auf § 76 Abs. 3 Z. 1 und 9 FPG. Die Anordnung eines gelinderen Mittels sei aufgrund der finanziellen Situation des Beschwerdeführers und des beträchtlichen Risikos des Untertauchens aufgrund der persönlichen Lebenssituation des BF sowie seines bisherigen Verhaltens zu versagen gewesen. Verhältnismäßigkeit sei in Hinblick auf die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers gegeben. Darüber hinaus sei von der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen gewesen.

5. Am 23.12.2019 stellte der BF im Stande der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde seitens des BFA ein Aktenvermerk zur Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufgenommen. Dabei wurde festgehalten, dass Gründe zur Annahme bestünden, dass der am 23.12.2019 gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei. Begründend führte die Behörde aus, dass der BF im Zuge der niederschriftlichen Befragung am 22.12.2019 im Polizeianhaltezentrum XXXX angab, nach Frankreich reisen zu wollen. Einen Asylantrag habe der BF nicht stellen wollen. Wäre der Zweck der nunmehrigen Asylantragsstellung nicht bloß die Verzögerungsabsicht, so hätte sich der BF vor seinem Aufgriff bei der Polizei gestellt bzw. spätestens im Zuge des Aufgriffs einen Asylantrag gestellt. Aufgrund von vorhandenen Reisepassdaten sei auch mit einer raschen Abschiebung des BF nach Abschluss des Asylverfahrens zu rechnen.

Der Aktenvermerk wurde dem BF durch persönliche Übergabe am 23.12.2019 zugestellt.

6. Mit Bescheid des BFA vom 24.01.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des abgewiesen und dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, wobei festgestellt wurde, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise des BF wurde nicht gewährt. Darüber hinaus wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Diese Entscheidung wurde dem BF am 10.02.2020 durch persönliche Übergabe zugestellt.

7. Gegen den Mandatsbescheid, die Schubhaftanordnung sowie die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhob der BF am 24.02.2020 Beschwerde. Dabei ging die Beschwerde davon aus, dass weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit vorliegen würden. In der Beschwerde wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.

8. Am 25.02.2020 legte die belangte Behörde die Verwaltungsakten vor. In der gleichzeitig erstatteten Stellungnahme wies die belangte Behörde zum Vorhalt der mangelhaften Begründung der Fluchtgefahr in der Beschwerde auf das bisherige Verhalten des BF im Umgang mit den Behörden sowie die Einhaltung bestehender Gesetzen und Normen hin. Die unrechtmäßige Einreise aus Ungarn kommend sowie die versuchte illegale Weiterreise über die Bundesrepublik Deutschland in das Zielland Frankreich würden ein sehr deutliches Verhalten sowie eine hohe Mobilität des BF aufzeigen, welches ausführlich im Schubhaftbescheid dargelegt worden sei. Hinsichtlich der Nichtanwendung des gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG wurde auf die Begründung im Schubhaftbescheid hingewiesen. Demzufolge liege in Anbetracht der Gesamtheit der individuellen Kriterien in diesem Einzelfall sowie dem Asylgesuch des BF nach Ansicht der belangten Behörde jedenfalls und mit gesteigertem Ausmaß auch weiterhin eine Notwendigkeit und Hinblick auf die erst relativ kurze Zeit der Anhaltung in Schubhaft und die für nach Rechtskraft des Antrages auf internationalen Schutz in weiterer Folge zu initiierende Abschiebung des BF in dessen Herkunftsstaat Algerien auch eine Verhältnismäßigkeit zur Sicherung der Abschiebung vor.

Am Ende der Stellungnahme beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde sowie den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft vorlägen, sowie den Ersatz der verzeichneten Kosten.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte im Schubhaftbeschwerdeverfahren am 28.02.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin (in Folge: RV) sowie ein Vertreter der belangten Behörde (in Folge: BehV) teilnahmen. Am Beginn der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer seitens des erkennenden Gerichtes zu seinem Gesundheitszustand befragt, worauf der BF antwortete, dass er gesund sei.

Die mündliche Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

„R: Wo genau sind Sie geboren?

BF: Ich bin in einer Stadt namens XXXX Algerien, geboren.

R: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?

BF: Algerien.

R: Welche Schul- bzw. Berufsausbildung haben Sie?

BF: Ich bin 15 Jahre in der Schule gewesen.

R: Was heißt das?

BF: Ich habe Matura und habe ein Jahr auf die Universität verbracht. Ich habe Fußball gespielt.

R: Haben Sie berufsmäßig Fußball gespielt?

BF: Nein, nur als Amateur, ich war nur Student.

R: Welche Studienrichtung?

BF: Betriebswirtschaft.

R: Wie haben Sie sich Ihren Lebensunterhalt in Algerien verdient?

BF: Ich war nur Student, mein Vater ist für alle Kosten aufgekommen, danach habe ich aufgehört zu studieren

und habe gearbeitet.

R: Wann haben Sie zum Studieren aufgehört?

BF: 2015 habe ich aufgehört zu studieren.

R: Als was haben Sie gearbeitet?

BF: Ich habe in einem Restaurant gearbeitet, von 2015 bis 2016. Und von 2016 bis 2017 habe ich Zivildienst

gemacht. Danach bin ich wieder zurück zum Restaurant und habe dort gearbeitet bis August 2019.

R: Haben Sie einen Reisepass, der Ihre Identität bestätigen kann?

BF: Nein, ich habe nichts.

R: Hatten Sie je einen Reisepass?

BF: Ja, ich habe schon einen.

R: Wo ist dieser?

BF: In der Türkei.

R: Warum in der Türkei?

BF: Ich hatte Angst ihn zu verloren, daher habe ich ihn in der Türkei gelassen.

R: Bei wem?

BF: Ich habe ihn bei einem algerischen Freund, der dort lebt, gelassen.

R: Sie reisen ohne Reisepass durch die Welt, durch Europa?

BF: Ich habe gehört, dass viele Leute ohne Pass reisen und deshalb habe ich das gemacht.

R: Wann haben Sie beschlossen aus Algerien wegzugehen?

BF: 11. August 2019.

R: Wohin wollten Sie?

BF: Ich wollte nur um Asyl ansuchen, in einem Land, das mir das erlaubt.

R: Als Sie aus Algerien ausreisten, wohin sind Sie gereist?

BF: In die Türkei.

R: Hatten Sie ein Reisedokument bei sich?

BF: Ich bin mit einem Reisepass ausgereist.

R: Warum sind Sie nicht ohne Reisepass ausgereist?

BF: Ich kann nicht ohne Reisepass aus Algerien ausreisen.

R: Warum nicht, Sie sind auch ohne Reisepass nach Österreich eingereist.

BF: Aus Algerien kann man nicht ohne Reisepass ausreisen, ich habe gehört, dass man nach Österreich ohne Reisepass einreisen kann. In Algerien habe ich versucht, ein österreichisches Visum zu bekommen, aber wurde leider abgelehnt.

R: Wann war das?

BF: 2016 habe ich es versucht.

R: Warum wollten Sie das?

BF: Ich wollte nur als Tourist herkommen.

R: Wie war Ihr Weg bis nach Österreich von der Türkei?

BF: Von der Türkei nach Griechenland, Albanien, Kosovo, Serbien, Ungarn und dann Österreich.

R: Sie wollten nur nach Österreich kommen?

BF: Ja, mein Ziel war Österreich.

R: Ausschließlich?

BF: Ja, nur Österreich.

R: Warum hatten Sie ein Zugticket von Wien nach München bei sich als man Sie festgenommen hatte?

BF: Als ich nach Wien gekommen bin, habe ich nicht gewusst, wohin ich soll, ich habe mit meiner Familie in Frankreich telefoniert und sie haben mir einfach geraten, nach Frankreich zu kommen, weil in Österreich würden sie mich verhaften. Deswegen hatte ich Angst und ich wollte zu ihnen und deshalb habe ich den Zug genommen.

R: Deswegen wollten Sie nach Deutschland?

BF: Mein Ziel war eigentlich Frankreich, das war nur die Durchreise.

R: Wie wollten Sie nach Frankreich reisen?

BF: Sie haben gesagt, ich sollte nach München gehen und sie würden mich von dort abholen.

R: Vorhin haben Sie gesagt, Sie wollten nur in ein Land, in dem Sie Asyl beantragen können. Bis nach Österreich reisten Sie durch viele Länder, in den Sie Asyl beantragen hätten können, das haben Sie nicht getan, warum?

BF: Diese Länder bei der Durchreise geben kein Asyl.

R: Sie sind nach Österreich gekommen, haben aber kein Asyl beantragt und wollten sofort nach Deutschland weiterreisen, warum?

BF: Weil meine Familie mir geraten hat, keinen Asylantrag in Österreich zu stellen.

R: Warum haben Sie doch in Österreich um Asyl beantragt?

BF: Als der Rechtsberater mich im Gefängnis besucht hat, hat er mir gesagt, dass ich Asyl in Österreich beantragen kann.

R: Vorher wollten Sie in Österreich kein Asyl beantragen?

BF: Meine Absicht war einfach einen Asylantrag in Österreich zu machen, als meine Familie in Frankreich mich davon abgeraten hat, habe ich das nicht gemacht.

R: Warum haben Sie den Asylantrag doch gestellt?

BF: Das habe ich gemacht, als der Rechtsberater im Gefängnis mich besucht hat.

R: Sie wollten in Österreich kein Asyl beantragen?

BF: Wie ich gesagt, als meine Familie mir davon abgeraten hat, habe ich keinen Asylantrag gestellt.

R: Welche Familienangehörigen leben in Frankreich?

BF: Eine Tante und ein Onkel.

R: Sie wollten 2016 oder 2017 schon einmal nach Österreich als Tourist kommen, was war der Grund dafür nach Österreich zu kommen?

BF: Ich habe viel von Österreich gelesen und gesehen und deshalb wollte ich es besuchen.

R: Damals wollten Sie keinen Asylantrag stellen?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Ich habe gut gelebt in Algerien, das war nicht notwendig.

R: Warum haben Sie jetzt einen gestellt?

BF: Ich habe jetzt Asyl beantragt, weil ich ein Problem in Algerien habe.

R: Damals nicht?

BF: Damals habe ich kein Problem gehabt.

R: Welches Problem hat sich mittlerweile ergeben?

BF: Ich habe ein Mädchen gekannt in Algerien.

R: Wann?

BF: Ungefähr Jänner 2019. Ihr Bruder hat davon erfahren und seitdem hat er mich bedroht. Er hat mich mit dem Tod bedroht. Er hat mich und meinen Vater auch bedroht. Mein Vater hat mir geraten, das Land zu verlassen.

R: Nennen Sie mir bitte Ihren Namen.

BF: XXXX

R: Wann sind Sie geboren?

BF: XXXX .

R: Bei Ihrer Visabeantragung haben Sie als Vorname angegeben „ XXXX “ und als Geburtsdatum „ XXXX “, was sagen Sie dazu?

BF: Es gab beim Geburtsdatum einen Fehler und mein Name schreibt man immer mit „a“ und nicht mit „e“.

R: Sind die Daten im Reisepass somit falsch?

BF: Ich habe nicht gewusst, dass im Reisepass mein Vorname mit „e“ geschrieben ist, das Geburtsdatum im Pass war falsch geschrieben, das habe ich gewusst.

R: Warum haben Sie das nicht ausbessern lassen, immerhin ein internationales Identitätsdokument?

BF: In Algerien, falls das Geburtsdatum falsch ist, muss man zum Gericht gehen und dass wollte ich mir ersparen.

R: Trotzdem konnten Sie mit Ihrem Reisepass ungehindert ausreisen?

BF: Ich bin ausgereist ohne Probleme mit dem Reisepass aus Algerien.

R: Ihrem Visaantrag, der übrigens aus dem Jahr 2017 stammt, wurde nicht stattgegeben, warum nicht?

BF: Weil gesagt wurde, dass ich keine ausreichende finanzielle Mittel für eine Einreise nach Österreich hätte. Ich wäre aber gerne nach Österreich gekommen.

R: Warum haben Sie nicht ausreichend finanzielle Mittel gehabt, wobei doch Ihr Vater Sie finanziert hat und Sie doch gearbeitet haben?

BF: Damals, als ich den Antrag stellte, hatten wir nicht genug Geld.

R: Waren Sie schon jemals in Österreich?

BF: Nein, ich wollte damals kommen, aber es ist mir nicht gelungen.

R: Haben Sie Verwandte in Österreich?

BF: Nein.

R: Verfügen Sie aktuell über Geldmittel?

BF: Nein.

R: Sie gehen auf Reisen quer durch Europa und haben kein Geld bei sich?

BF: Mein Geld ist ausgegangen.

R: Wo?

BF: All mein Geld habe ich ausgegeben von der Türkei nach Österreich.

R: Sie konnten sich aber noch ein Bahnticket kaufen.

BF: Ein bisschen Geld für das Bahnticket hatte ich noch.

BehV: Im Zuge Ihres Aufgriffes in Deutschland bzw. bei der weiteren polizeilichen Behandlung in Österreich, haben Sie den ersten Vornamen XXXX verschwiegen, warum?

BF: Ich weiß nicht warum ich ihn nicht genannt habe.

BehV: Dazu möchte ich anmerken: Im Rahmen der Niederschrift vom 22.12.2019 wurden die Personalien XXXX als Aliasdaten aufgenommen.

BF: Ich habe das nicht verstanden, warum das falsch sein könnte.

BehV: Sie haben heute angeführt Ihren Reisepass in der Türkei einem algerischen Freund übergeben zu haben, in Ihrer Erstbefragung zu Ihrem Asylantrag gab Sie in der Befragung an, dass Sie Ihren Reisepass in der Türkei verloren hätten, was entspricht der Wahrheit?

BF: Das stimmt, das habe ich bei einem Freund gelassen, als ich ihn angerufen habe, hat er mir gesagt, dass er ihn verloren hat.

BehV: Verfügen Sie über einen Nachweis eines identitätsbezeugenden Dokumentes, z. B. in elektronischer Form auf Ihrem Handy?

BF: Nein.

BehV: Haben Sie sich während Ihres Gastaufenthaltes in Österreich, jemals bemüht Beweismittel bezüglich Ihrer Identität zu besorgen?

BF: Ich habe nichts versucht, ich habe ihnen die Wahrheit gesagt, dass ich aus Algerien stamme.

BehV: Haben Sie es nie für notwendig erachtet, sich für Ihr weiteres Leben in Europa bzw. Österreich, Identitätsbezeugende Dokumente zu besorgen?

BF: In der Türkei hatte ich einen Reisepass, in Griechenland und Albanien haben sie uns als Asylanten Dokumente gegeben.

R: Wo haben Sie diese Dokumente?

BF: Die habe ich zurückgelassen in Serbien und Griechenland.

BehV: Haben Sie Familienangehörige in Algerien, falls ja, welche?

BF: Ich habe meinen Vater, meine Mutter und zwei Schwestern.

BehV: Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt zu Ihrer Familie in Algerien?

BF: In der Schubhaft habe ich sie telefonisch kontaktiert.

BehV: Sind Sie gewillt über den Kontakt mit Ihrer Familie in Algerien identitätsbezeugende Dokumente, sei es auch in Kopie, zu beschaffen?

BF: Das ist machbar.

BehV: Welche Dokumente können Sie dabei besorgen?

BF: Z. B. den Führerschein

BehV: Geburtsurkunde?

BF: Bei einer Geburtsurkunde muss ich in Algerien anwesend sein, trotzdem will ich es versuchen.

BehV: In welchem Zeitraum können Sie das beschaffen?

BF: Das kann ich nicht wissen. Ich habe kein Telefon, um sie zu kontaktieren. Wenn ich meinen Anwalt kontaktiere, gibt er mir sein Handy und ich kann mit meiner Familie telefonieren.

R an RV: Stimmt das?

RV bejaht.

BehV: Es gibt in der Schubhaft eine Schubhaftbetreuung, diese wird vom VMÖ wahrgenommen, diese könnte Sie auch dabei entsprechend unterstützen, allerdings haben Sie am 14.02.2020 im PAZ- XXXX , eine Schubhaftbetreuung verweigert, warum?

BF: Ich habe sie nicht gesehen.

BehV: Es ist in der Anhaltedatei vom Anhaltezentrum vermerkt.

BF: Ich habe nicht abgelehnt, ich habe sie nicht einmal gesehen.

BehV: Am 12.01.2020 haben Sie sich in PAZ- XXXX , im Stande der Schubhaft, einen Tag im Hungerstreik befunden, warum?

BF: Ich habe das gemacht, weil ich nie in meinem Leben im Gefängnis war, das hat mir nicht gepasst.

BehV: Keine weiteren Fragen.

RV: Besteht die Möglichkeit, dass Verwandte Sie hierher nach Österreich finanziell unterstützen?

BF: Die Familie in Frankreich könnte mir eventuell helfen.

RV: Keine weiteren Fragen an den BF.

R: Würden Sie aus der Schubhaft entlassen werden, wohin würden Sie sich begeben?

BF: Falls ich vom Gefängnis rauskomme, gehe ich zum „Camp“.

R: Was meinen Sie damit?

BF: Ich habe gehört, falls man einen Asylantrag in Österreich stellt, kommt man automatisch nach Traiskirchen ins „Camp“. Es wurde mir auch gesagt, man muss eine Adresse suchen, in irgendeiner Wohnung.

R: Wer hat Ihnen das gesagt?

BF: Die Leute, die mit mir in Schubhaft sind.

R: Bei Ihrer Befragung am 22.12.2019 haben Sie angegeben, dass Sie nicht in Österreich bleiben wollen, sondern sofort nach Frankreich weitereisen möchten.

BF: Das habe ich nicht gesagt. Sie haben mich nur gefragt, wohin ich reisen wollte und ich habe gesagt: „Nach Frankreich.“

R: Zu jenem Zeitpunkt am 22.12.2019 haben Sie noch keinen Asylantrag in Österreich gestellt, obwohl Sie sich vor einer österreichischen Behörde befunden haben, warum?

BF: Das habe ich nicht gewusst. Die deutschen Behörden haben mir gesagt, in Österreich würden sie mich nur einen Tag anhalten und mich dann freilassen. Ich habe nicht gewusst, dass ich in Österreich um Asyl ansuchen kann, das hat mir erst der Rechtsberater gesagt.

BehV und RV: Keine Fragen an den BF.

R an BF: Haben Sie noch etwas zu sagen?

BF: Ich will hier leben und ich wollte einfach die österreichische Gesellschaft kennenlernen, das konnte ich aber nicht, weil ich nur im Gefängnis war. Ich will normal leben, ich bitte Sie um Hilfe, dass Sie mir helfen.

R: Was wollen Sie in Österreich?

BF: Ich will nur arbeiten, um meine Ziele zu erreichen.

R: In Österreich wollen Sie arbeiten?

BF: Ich bin bereit jede Tätigkeit zu machen, ich will einen Beruf lernen, um zu arbeiten.

R: Sie sind im Dezember 2019 eigentlich nach Österreich gekommen, um nach Frankreich weiterzureisen, daher wurden Sie auch an der Grenze zu Deutschland festgenommen.

BF: Schuld daran ist meine Familie, die mir einfach Angst gemacht hat. Hätte ich Asyl in Österreich bekommen, wäre ich hiergeblieben.

R an RV und BehV: Welche Anträge möchten Sie stellen?

RV: Wie in der Beschwerde.

BehV: Nach Ansicht der Behörde hat diese Verhandlung nicht dazu beitragen können, die massive Erschütterung der Vertrauenswürdigkeit und die massive Fluchtgefahr zu entkräften, demzufolge wird die Abweisung der Schubhaftbeschwerde und die Feststellung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft, beantragt. Darüber hinaus wird der in der Stellungnahme vom 25.02.2020 beantragte Kostenersatz aufrechterhalten.“

10. Mit Erkenntnis vom 02.03.2020, W 154 2228886-1/9E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den die Schubhaft anordnenden Bescheid vom 22.12.2019 gemäß §76 Abs. 2 Z2 FPG und §76 Abs. 6 FPG ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen.

11. Im März 2020 erwuchs der negativ über den Antrag auf internationalen Schutz absprechende Bescheid vom 24.01.2020 in Rechtskraft.

12. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.04.2020, W279 2228886-2/2E, vom 19.05.2020, W154 2228886-3/3E, und vom 17.06.2020, W154 2228886-4/3E, wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

13. Am 08.07.2020 legte das BFA den Verwaltungsakt erneut gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft vor. In der erstatteten Stellungnahme führte das Bundesamt nach Darlegung des maßgeblichen Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass die bereits bei der Anordnung der Schubhaft festgestellten Fakten betreffend akuter Fluchtgefahr auch weiterhin vorliegen würden. Des Weiteren wurde auf die Nichtmitwirkung des BF bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten sowie die versuchte Verschleierung der wahren Identität durch den BF hingewiesen. Der BF könne deshalb noch nicht abgeschoben werden, weil dessen Identität noch nicht letztgültig habe geklärt werden können und demzufolge die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes noch nicht möglich gewesen sei. In der Stellungnahme wurde auch darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates am 16.06.2020 abermals eine Einzelurgenz an die algerische Botschaft seitens des BFA übermittelt worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang und die Entscheidungsgründe der genannten Vorentscheidungen werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihrer Stellungnahme anlässlich der Aktenvorlage getätigten Ausführungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates.

Auf der Tatsachenebene liegt keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.

Mit der Erlangung eines Heimreisezertifikates sowie einer zeitnahen Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu rechnen.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere der zitierten Vorentscheidungen.

Die Feststellungen zur Erlangung des Heimreisezertifikates sowie einer zeitnahen Abschiebung des BF ergeben sich darüber hinaus aus der ergänzenden Stellungnahme des BFA vom 08.07.2020. Das BFA hat dargelegt, dass das den BF betreffende Verfahren zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes nach wie vor zügig geführt wird.


3. Rechtliche Beurteilung: (…)

Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf die Vorerkenntnisse zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft keine Änderung ergeben, sodass aufgrund unveränderter Lage auf die dortigen Ausführungen verwiesen und diese auch zur gegenständlichen rechtlichen Beurteilung erhoben werden.

Die Schubhaft ist also weiterhin jedenfalls wegen erheblicher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des BF – siehe Darstellung im Rahmen des Verfahrensganges und der Feststellungen – mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der BF seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt.(…)

Gegenständlich ist jedenfalls der Tatbestand der Z.1 verwirklicht. Somit erweist sich die bisherige Anhaltung am soeben angeführten Maßstab als verhältnismäßig, da sie sich immer noch im unteren Rahmen des gesetzlich Erlaubten bewegt.

Der BF hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist vor dem Hintergrund, dass sich die Behörde zügig um ein Heimreisezertifikat bemüht hat, auch verhältnismäßig. Der Flugverkehr kam zwar aufgrund der COVID-19-Krise im März 2020 beinahe gänzlich zum Erliegen. Zwar ist der Flugverkehr und die transnationale Bewegungsfreiheit weiterhin sehr stark eingeschränkt. Anhaltspunkte, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten keine Abschiebung des BF möglich wäre, sind nicht gegeben. Weiters wird festgehalten, dass eine Abschiebung nicht die Wiederaufnahme des regulären, touristischen Flugbetriebes voraussetzt.

Das Verhalten des BF in der Vergangenheit schließt auch weiterhin die Anordnung gelinderer Mittel aus. Es besteht ein grundsätzliches öffentliches Interesse am effizienten Vollzug des Fremdenrechts. In diesem Sinne hat die Behörde sichergestellt, dass das Abschiebeverfahren (immer noch) zeitnah und zweckmäßig durchgeführt wird.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

3.4. Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihren Zukunftsbezug keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.“

Die Verwaltungsbehörde übermittelte am 05.08.2020 zum Zwecke der Überprüfung der Schubhaft im Sinne des § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verwaltungsakten womit "die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht gilt".


Mit E-Mail vom 05.08.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) folgende Stellungnahme:

„Mit Mandatsbescheid des BFA, Regionaldirektion Salzburg, vom 22.12.2019, Zl. XXXX , wurde über XXXX gemäß § 76 Abs. 2 Ziffer 2 FPG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Aufenthaltsbeenden Maßnahme sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Seit der der Anordnung der Schubhaft am 22.12.2019 wurden folgende relevanten Schriftstücke dem Verfahrensakt-Sicherungsmaßnahme hinzugefügt, folgende Verfahrensschritte gesetzt bzw. folgende Ermittlungsergebnisse erzielt:

02.03.2020: Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes Zl.: W 154 2228886-1/9E wurde festgestellt, dass I. Die Beschwerde gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 76 Abs. 6 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 6 FPG die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 887,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

10.03.2020: Rechtskraft I. Instanz im Asylverfahren.

Spruch des Bescheides:

I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 24.12.2019 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Algerien abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Absatz 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise.

VII. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz wird gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt.

13.03.2020: Eine Abfrage in der Visa-Datenbank gem. Art. 20 SDÜ ergab einen Treffer zu dem Fremden unter den Personalien: XXXX – Algerien.

13.03.2020: Dritte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne von § 80 Abs. 6 FPG zur Anhaltung im Stande der Schubhaft vom BFA EASt-West durchgeführt und mit Aktenvermerk dokumentiert.

17.03.2020: Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die algerische Botschaft. Die Botschaft wurde auf die dringende Notwendigkeit einer zeitnahen Identifizierung hingewiesen, da sich XXXX in Schubhaft befindet.

18.03.2020: Per E-Mail wurde die bei der algerischen Botschaft erneut um Ausstellung eines Heimreisezertifikates unter Vorlage weiterer Daten ersucht.

26.03.2020: Urgenzliste per Post an die algerische Botschaft übermittelt.

30.03.2020: Einzelurgenz per Post an die algerische Botschaft übermittelt.

29.04.2020: Einzelurgenz per Post an die algerische Botschaft übermittelt.

08.05.2020: Urgenzliste per Post an die algerische Botschaft übermittelt.

10.05.2020: Hr. XXXX tritt um 07:00 Uhr in den Hungerstreik.

12.05.2020: Hr. XXXX beendet um 10:00 Uhr seinen Hungerstreik.

13.05.2020: Einzelurgenz per Post an die algerische Botschaft übermittelt.

26.05.2020: Einzelurgenz an die algerische Botschaft übermittelt.

05.06.2020: Einzelurgenz an die algerische Botschaft übermittelt.

16.06.2020: Einzelurgenz an die algerische Botschaft übermitttelt.

08.07.2020: Eine Abfrage in der SIS-Datenbank mit den Fingerabdrücken des Fremden ergab kein Trefferbild.

17.07.2020: Einzelurgenz mit Reisepassnummer an die algerische Botschaft übermittelt.

23.07.2020: Weiterleitung eines schriftlichen Ansuchens per E-Mail des Hrn. XXXX an den zuständigen Referenten mit der Bitte um persönliche Vorsprache.

29.07.2020: E-Mail an den VMÖ-Schubhaftbetreuung durch den zuständigen Referenten, ADir Kastner Manuel, mit dem Ersuchen um weitere Veranlassung und Abklärung des Ansuchens des Fremden vom 23.07.2020.

30.07.2020: Antwortschreiben des VMÖ-Schubhaftbetreuung, dass Hr. XXXX über den aktuellen Stand seines Verfahrens bzw. über eine mögliche Entlassung informiert werden will. Des Weiteren berichtet der VMÖ, dass der Fremde regelmäßig durch den Verein besucht und betreut wird und das kein Interesse seitens des Fremden zu einer Rückkehr in dessen Heimatland bestünde.

02.08.2020: Hr. XXXX tritt mit 06:30 Uhr in seinen zweiten Hungerstreik.

Die weitere Anhaltung des betroffenen Fremden im Stande der Schubhaft stellt sich – in Anbetracht der Gesamtheit der individuellen Kriterien in diesem Einzelfall – nach Ansicht des BFA EASt-West zum gegenwärtigen Zeitpunkt unverändert als verhältnismäßig und als ultima – ratio – Situation dar, nachdem die bereits bei der Anordnung der Schubhaft festgestellten Fakten betreffend akuter Fluchtgefahr auch weiterhin vorliegen. Des Weiteren und im Besonderen darf auch auf die Nichtmitwirkung zur Beschaffung von Identitätsdokumenten sowie der Versuchten Verschleierung der wahren Identität durch den Fremden hingewiesen werden.

XXXX kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb noch nicht abgeschoben werden, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 Abs. 4 Ziffer 1 FPG (Identität ist bislang noch nicht letztgültig geklärt, demzufolge die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes noch nicht möglich) vorliegen.

Um Veranlassung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der Rechtsnorm nach § 22a Abs. 4 BFA-VG wird höflich gebeten.(…)“


Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:


1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang und die Entscheidungsgründe der genannten Vorentscheidungen werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihrer Stellungnahme anlässlich der Aktenvorlage angeführten Ausführungen u. a. zum Heimreisezertifikat.

Auf der Tatsachenebene liegt keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor. Es sind auch aktuell keinerlei Umstände aufgetreten, die zu einem von den Vorerkenntnissen abweichenden und für die Freilassung des Beschwerdeführers sprechenden Sachverhalt führen könnten.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere den zitierten Vorentscheidungen. Hinsichtlich der von den angeführten Vorerkenntnissen übernommenen Feststellungen ist auf die diesbezügliche Beweiswürdigung zu verweisen.

Die Feststellung, dass zwischenzeitlich keinerlei für den Beschwerdeführer sprechende Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist, ergibt sich als logische Konsequenz daraus. Eine Verhandlung war aufgrund des als geklärt anzusehenden Sachverhaltes nicht durchzuführen; anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die den Vorerkenntnissen zugrunde liegenden Feststellungen auf einer Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen einer am 28.02.2020 durchgeführten Verhandlung basieren.

Im Besonderen ist hervorzuheben, dass die Behörde dargetan hat, dass sie sich im vorliegenden Fall um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) bemüht und nach den Erfahrungswerten davon auszugehen ist, dass ein solches auch von der Algerischen Botschaft erlangt werden kann. Zuletzt wurde am 17.07.2020 die Ausstellung eines HRZ bei der Algerischen Botschaft urgiert.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. – Fortsetzung der Schubhaft

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Gemäß § 76 Abs 1 FPG idgF können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

Die Schubhaft darf gemäß § 76 Abs 2 FPG idgF nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

§ 76 Abs. 3 FPG idgF lautet:

Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

§ 80 FPG idgF lautet:

(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.


Zur Judikatur:

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung "... wenn dies notwendig ist, um ..." in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit dem Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe.“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Verwaltungsgerichthof führte in seiner Entscheidung vom 30.08.2018 (Ra 2018/21/0111) Folgendes aus: „In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG 2014, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“

Aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG liegt weiterhin Fluchtgefahr vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben. Insbesondere zu berücksichtigen ist, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Die Schubhaft ist jedenfalls wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Es ist zu betonen, dass bei Kooperation des Beschwerdeführers die Anhaltung in Schubhaft schon früher hätte beendet werden können. Dass sie noch andauert - und damit auch von den Maßnahmen hinsichtlich der Covid-19-Pandemie betroffen war/ist - hat der Beschwerdeführer zu verantworten. Die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftstaat - innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft - besteht weiterhin.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund - dass sich die Behörde um die Ausstellung eines HRZ bemüht / die Ausstellung eines HRZ wurde vom BFA bereits mehrfach urgiert, zuletzt am 17.07.2020 - auch verhältnismäßig. Da die Covid-19 Maßnahmen auf die Ausstellung des HRZ keine Auswirkung haben, da dieses elektronisch, postalisch und telefonisch betrieben werden kann, erweist sich die weitere Anhaltung als verhältnismäßig.

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit schließt auch die Anordnung gelinderer Mittel aus.

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine - die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft - ändernden Umstände erkennen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.


Zu Spruchpunkt II. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtspr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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