TE OGH 2020/11/11 14Os91/20v

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen Dr. ***** K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB, AZ 64 Hv 101/15x des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des ***** O***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

***** O***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016, GZ 64 Hv 101/15x-433, (rechtskräftig mit 4. März 2019) freigesprochen (vgl zum Anklagevorwurf 12 Os 86/17i).

Er beantragte gemäß § 393a Abs 4 StPO, ihm einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung zu leisten, und zwar in Höhe von 115.178,84 Euro zu den Barauslagen und von 480.925,17 Euro zu den Kosten des Verteidigers (ON 490).

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2019 (ON 511) verpflichtete das Landesgericht Klagenfurt den Bund zu einem Kostenbeitrag von 110.457,60 Euro (darin enthalten 105.457,60 Euro Beitrag zu den Barauslagen).

Der dagegen gerichteten Beschwerde des O***** gab das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 4. März 2020, AZ 10 Bs 386/19v (ON 525), nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Nunmehr beantragt O***** gemäß § 363a StPO die Erneuerung des zuvor bezeichneten Beschwerdeverfahrens wegen behaupteter Verletzung mehrerer Grundrechte (nominell Art 6 Abs 3 lit c MRK, Art 1 1. ZPMRK [jeweils teils iVm Art 14 MRK] sowie Art 17, 21 und 47 GRC) durch die Beschwerdeentscheidung.

Der Antrag vermag nicht schlüssig darzulegen, wie der Antragsteller durch die kritisierte Entscheidung in seinem von Art 6 Abs 3 lit c MRK garantierten Recht tangiert worden sei, war er doch im oben bezeichneten Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt (bis zu dessen rechtskräftiger Beendigung) durchgehend von einem Verteidiger seiner Wahl vertreten. Dass er (erfolglos) einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gestellt habe, behauptet er nicht.

Im Übrigen gewährt Art 6 Abs 3 lit c MRK keinen Anspruch auf (vollen) Ersatz der von einem (rechtskräftig) Freigesprochenen aufgewendeten Verteidigerkosten (vgl EGMR 1. 4. 2004, 69169/01, Reinmüller/Österreich; 26. 1. 1999, 38087/97, Hibbert/Niederlande; 26. 3. 1996, 17314/90, Leutscher/Niederlande; VfSlg 20.156; Peukert in Frowein/Peukert, EMRK3 Art 6 Rz 272).

Ebenso wenig schlüssig wird ein Eingriff, geschweige denn eine Verletzung in Art 1 1. ZPMRK dargetan. In Ermangelung eines anderen staatlichen Eingriffs käme vorliegend – unter Zugrundelegung des autonom auszulegenden Eigentumsbegriffs (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 25 Rz 3; Meyer-Ladewig/von Raumer in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg], EMRK4 Art 1 1. ZP Rz 9; Kriebaum, IntKomm EMRK Art 1 1. ZP Rz 14) – lediglich ein Eingriff in eine Forderung (hier: einen Ersatzanspruch gegen den Bund), auf deren Bestehen der Antragsteller legitimerweise hätte vertrauen können, in Betracht. Voraussetzung für eine solcherart grundrechtlich geschützte Rechtsposition wäre jedoch ein nach geschriebenem staatlichen Recht oder gesicherter Rechtsprechung existierender, durchsetzbarer Anspruch (näher dazu [jeweils mit Verweisen auf die Rechtsprechung des EGMR] Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 25 Rz 3 und 6; Meyer-Ladewig/von Raumer in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg], EMRK4 Art 1 1. ZP Rz 12 f und 17; Kriebaum, IntKomm EMRK Art 1 1. ZP Rz 59, 70, 73, 75 und 77), den der Antragsteller jedoch gerade nicht behauptet. Vielmehr beklagt er die Verfassungswidrigkeit der vom Beschwerdegericht – im Übrigen auch im Einklang mit oberstgerichtlicher Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0101439) und Kommentarliteratur (Lendl, WK-StPO § 393a Rz 5) – angewendeten Gesetzesbestimmung (§ 393a StPO).

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zu Art 14 MRK erstatteten Vorbringen erübrigt sich, weil der Antragsteller insoweit den Instanzenzug – mangels inhaltlich entsprechenden Vorbringens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss – nicht (horizontal) erschöpft hat (RIS-Justiz RS0122737 [T13]). Im Übrigen handelt es sich dabei bloß um ein akzessorisches Grundrecht, dessen Anwendung voraussetzt, dass der einer möglichen Diskriminierung zugrunde liegende Sachverhalt in den Regelungsbereich eines Konventionsrechts fällt (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 26 Rz 4; Meyer-Ladewig/Lehner in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg], EMRK4 Art 14 Rz 5).

Außerhalb der MRK und ihrer Zusatzprotokolle normierte Grundrechte bilden seit der zu AZ 13 Os 49/16d ergangenen Entscheidung eines verstärkten Senats keinen Prüfungsmaßstab eines auf § 363a StPO gestützten Antrags (RIS-Justiz RS0132365), weshalb sich eine Antwort auf die Ausführungen zu solchen Grundrechten (insbesondere der GRC) erübrigt.

Zu einem – vom Antragsteller angeregten (vgl RIS-Justiz RS0130514) – Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG sah sich der Oberste Gerichtshof schon mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 20.156; vgl auch VfSlg 13.455) nicht veranlasst.

Der Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

Textnummer

E129979

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00091.20V.1111.000

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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