TE OGH 2020/10/13 10ObS102/20b

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Veröffentlicht am 13.10.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Rehabilitationsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2020, GZ 7 Rs 13/20s-13, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Dezember 2019, GZ 43 Cgs 296/19w-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob ein Ruhen des Rehabilitationsgeldes während des dem Bezug einer Urlaubsersatzleistung entsprechenden Zeitraums eintritt.

[2]       Der Kläger stand vor Eintritt der Berufsunfähigkeit in einem Arbeitsverhältnis. Ab 1. 5. 2018 bezog er wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit Rehabilitationsgeld, das sich nach dem monatlichen Entgelt von zuletzt 1.732,27 EUR bemaß. Während des Bezugs des Rehabilitationsgeldes vereinbarte der Kläger mit seiner Arbeitgeberin die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. 7. 2019. Zur Abgeltung seines offenen Urlaubsanspruchs von 45 Tagen erhielt der Kläger für den Zeitraum von 1. 8. bis 31. 8. 2019 eine Urlaubsersatzleistung in Höhe von 1.550,19 EUR brutto.

[3]       Mit Bescheid der beklagten Partei vom 27. 9. 2019 wurde der Antrag des Klägers auf Auszahlung des Krankengeldes (Punkt 1) sowie auf Auszahlung des Rehabilitationsgeldes (Punkt 2) jeweils für den Zeitraum von 1. 8. bis 31. 8. 2019 abgewiesen.

[4]       In der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger ausschließlich gegen Punkt 2 dieses Bescheids mit dem Vorbringen, er habe für den Zeitraum von 1. 8. bis 31. 8. 2019 zumindest Anspruch auf Teilrehabilitationsgeld gemäß § 143a Abs 4 ASVG.

[5]       Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und wendete ein, das Rehabilitationsgeld ruhe zur Gänze. § 143a Abs 4 ASVG betreffe den Anspruch auf Teilrehabilitationsgeld, der dann gegeben sei, wenn Rehabilitationsgeld mit einem Erwerbseinkommen aus einer anderen Tätigkeit als jener zusammentreffe, die für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich sei. Demgegenüber stelle § 143a Abs 3 ASVG auf das Zusammentreffen des Rehabilitationsgeldes mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit ab und ordne an, dass die Ruhensbestimmung des § 143a Abs 1 Z 3 ASVG für das Krankengeld sinngemäß anzuwenden sei. Die Urlaubsersatzleistung, die der Kläger erhalten habe, falle unter den Begriff der Entgeltfortzahlung im Sinne des § 143a Abs 3 ASVG.

[6]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich folgte es dem Standpunkt der beklagten Partei.

[7]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Ab Inkrafttreten des § 15b AVRAG am 1. 1. 2016 (nach dieser Bestimmung wird das Arbeitsverhältnis für die Dauer des Bezugs von Rehabilitations- oder Umschulungsgeld karenziert) verbleibe als möglicher Anwendungsfall des § 143 Abs 3 ASVG die Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld. Dabei handle es sich zwar nicht um eine Entgeltfortzahlung im arbeitsrechtlichen Sinn. Ausgehend von einem weiten Verständnis dieses Begriffs sei aber auch die dem Kläger gewährte Urlaubsersatzleistung als Fortzahlung des für den Urlaub gebührenden Entgelts aus der für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit zu verstehen. Das gänzliche Ruhen des Rehabilitationsgeldes sei systemkonform, weil Doppelleistungen verhindert werden.

[8]       Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob der Bezug einer Urlaubsersatzleistung als Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 143a Abs 3 ASVG oder als Anspruch auf Erwerbseinkommen nach § 143a Abs 4 ASVG zu qualifizieren sei.

[9]       Die Revision des Klägers ist zulässig, weil zur Frage des Ruhens des Rehabilitationsgeldes beim Zusammentreffen mit einer Urlaubsersatzleistung noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht. Sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10]     1.1 Das mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2012, BGBl 2013/3, geschaffene Rehabilitationsgeld, das die wegfallende befristete Invaliditätspension ersetzt (ErläuRV 2000 BlgNR 24. GP 20) ist dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18). Nach seiner Zweckrichtung soll das Rehabilitationsgeld nur vorübergehend gebühren, bis die Minderung der Arbeitsfähigkeit durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wieder beseitigt ist (10 ObS 142/15b SSV-NF 30/26).

[11]     1.2 Der Zugang zum Rehabilitaionsgeld steht trotz eines aufrechten Dienstverhältnisses offen. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit stellt kein Anfallhindernis dar (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4).

[12]     2.1 § 143a Abs 3 ASVG regelt das Zusammentreffen eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit und ordnet an, dass die Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG sinngemäß anzuwenden ist.

[13]     2.2 Damit kommt es bei Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1 ASVG) vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu einem gänzlichen Ruhen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld, bei Anspruch auf Weiterleistung von 50 vH zu einem Ruhen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld zur Hälfte. Folgeprovisionen gelten nicht als weitergeleistete Bezüge.

[14]     3. Bei der Urlaubsersatzleistung handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubs in Geld. Im sozialversicherungsrechtlichen Sinn wird die Urlaubsersatzleistung als beitragspflichtiges Entgelt behandelt, das aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gebührt. Es ist daher als Erwerbseinkommen im leistungsrechtlichen Sinn nach § 91 Abs 1 Z 1 ASVG anzusehen (RS0107809, RS0110088).

[15]     4. Daraus wurde in der Rechtsprechung gefolgert, dass bei Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung der Krankengeldanspruch nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG wegen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als der Hälfte der Geldbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ruht. Durch das Ruhen soll eine Doppelversorgung des Arbeitnehmers für denselben Zeitraum sowohl durch Urlaubsersatzleistung als auch Krankengeld vermieden werden (10 ObS 146/97m SSV-NF 11/72; 10 ObS 154/08g SSV-NF 22/83; Felten in Tomandl, SV-System [34. Lfg] 2.2.4; Sonntag in Sonntag ASVG11 § 143a Rz 23).

[16]     5.1 Mit dem ARÄG 2015, BGBl I 2015/152, wurde § 15b ins AVRAG eingefügt. Diese mit 1. 1. 2016 in Kraft getretene Regelung ordnet an, dass im Fall des Bezugs von Rehabilitations- und Umschulungsgeld während des aufrechten Dienstverhältnisses das Arbeitsverhältnis (ex lege) karenziert ist und die Arbeitspflicht und die Entgeltpflicht als Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis sowie die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Entgelts ruhen.

[17]     5.2 § 143a Abs 3 ASVG blieb auch nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG unverändert aufrecht.

[18]           6. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

[19]           6.1 Für die Frage, ob ein Ruhen des Rehabilitationsgeldes bei gleichzeitigem Bezug einer Urlaubsersatzleistung eintritt, ist maßgeblich, ob auch der Bezug der Urlaubsersatzleistung unter den Begriff der „Entgeltfortzahlung“ in § 143a Abs 3 ASVG fällt.

[20]           6.2 Den Gesetzesmaterialien lässt sich dazu nichts entnehmen (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5).

[21]           6.3 Dem Wortsinn nach ist jedenfalls der arbeitsrechtliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall erfasst (§ 2 Abs 1 EFZG bzw § 1154b ABGB; § 8 AngG). Dass daneben auch vertragliche Ansprüche auf Fortbezug des Entgelts (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) erfasst sind (Schober in Sonntag, ASVG11 § 143 Rz 3), ergibt sich nicht nur aus dem Verweis auf § 143 Abs 1 Z 3 ASVG („solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge hat ...“). Dieses Verständnis entspricht auch der systematischen Auslegung, weil andernfalls nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG für § 143 Abs 3 ASVG kein Anwendungsbereich mehr verbliebe (Wolligger in ZellKomm3 § 15b AVRAG Rz 5). Sind zwei Auslegungsvarianten vom Wortlaut gedeckt, ist der Auslegungsvariante, die der Norm einen eigenen Anwendungsbereich belässt, der Vorzug zu geben (RS0010053 [T1]).

[22]           7. Der Begriff der „Entgeltfortzahlung“ in § 143 Abs 3 ASVG ist daher dahin zu verstehen, dass als möglicher Anwendungsfall die Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld verbleibt (Födermayr in SV-Komm § 143a ASVG [249. Lfg] Rz 19/1; siehe auch Windisch-Graetz, Arbeitsrechtliche Konsequenzen des Bezugs von Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld, ZAS 2016/11, 65 [66 f]), die davon ausgeht, dass seit Inkrafttreten des § 15b AVRAG die Regelung des § 143 Abs 3 ASVG – soweit darin sinngemäß für das Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung und Rehabilitationsgeld ein Ruhen vorgesehen ist – „weitgehend“ obsolet geworden ist). Da dieses Begriffsverständnis der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers Rechnung trägt, steht es auch nicht im Widerspruch dazu, dass Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruchs anordnen, nicht ausdehnend auszulegen sind (RS0086755). Weiters wird dem Zweck der Ruhensbestimmungen entsprochen, eine sozialversicherungs-rechtlich unerwünschte Doppelversorgung des Versicherten zu verhindern (10 ObS 135/17a SSV-NF 31/61).

[23]     8. Dass sich der Kläger für seinen Standpunkt auf § 143 Abs 4 ASVG beruft, führt zu keinem anderen Ergebnis:

[24]     8.1 § 143 Abs 4 ASVG regelt den Fall, dass der Versicherte trotz vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit weiterhin ein Erwerbseinkommen bezieht. Trifft ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Erwerbseinkommen zusammen, das den Betrag nach § 5 Abs 2 ASVG übersteigt, gebührt Teilrehabilitationsgeld. Dieses wird nach den Regeln des § 254 Abs 7 ASVG berechnet.

[25]     8.2 Voraussetzung für den Anspruch auf Teilrehabilitationsgeld nach § 143a Abs 4 ASVG ist jedoch, dass der Versicherte das Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit bezieht, die nicht für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist. Die Einkünfte müssen also aus einer „daneben“ ausgeübten Erwerbstätigkeit resultieren, die nicht deckungsgleich mit jener Tätigkeit ist, die für die Bemessung des Rehabilitatsionsgeldes ist (ErläuRV 321 BlgNR 25. GP 6; Wolligger in ZellKomm3 § 15b AVRAG Rz 7; Felten in Tomandl SV-System [34. ErgLfg] 2.2.6.C). Der Kläger hat aber (unstrittig) neben seiner Erwerbstätigkeit, die für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist, keine weitere Erwerbstätigkeit ausgeübt.

[26]           8.3 Zusammenfassend ist § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG dahin zu verstehen, dass bei Gewährung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld der Anspruch auf Rehabilitationsgeld während des der Urlaubsersatzleistung entsprechenden Zeitraums ruht.

[27]     8.4 Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[28]     9. Dem Kläger steht kein Kostenersatz zu, da er zu berücksichtigende Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die trotz seines vollständigen Unterliegens einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 ASGG rechtfertigen könnten, nicht dargelegt hat; solche Umstände ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RS0085829 [T1]).

Textnummer

E129906

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00102.20B.1013.000

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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