TE Lvwg Erkenntnis 2017/1/31 VGW-151/032/13418/2016

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2017
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Entscheidungsdatum

31.01.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Asylrecht

Norm

NAG §28
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §53 Abs5
BFA-VG §9

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des Ü. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. Juni 2016, Zl. MA35-9/3020136-02, mit welchem festgestellt wurde, dass das unbefristete Niederlassungsrecht gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, beendet ist,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 68/2013, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 1 NAG fest, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers beendet sei. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit folgenden Ausführungen:

"Mit Ihrem Antrag vom 06.07.2015 welchen Sie persönlich bei der hieramtlichen Behörde eingebracht haben, begehrten Sie die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt EU'.

lm Ermittlungsverfahren wurde festgestellt, dass folgende Verurteilungen vorliegen:

01) LG F.STRAFS.WIEN

Rechtskräftig seit: 15.09.2006

PAR 83/1 84/1 105/1 106 ABS 1/1 15 StGB

Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

02) LG F.STRAFS.WIEN

Rechtskräftig seit: 06.09.2010

PAR 105/1 StGB

PAR 27 ABS 1/1 SMG

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

03) LG F.STRAF8.WIEN

Rechtskäftig seit: 08.04.2013

§§ 27 (1) Z1 9. Fall, 27 (2) SMG

§§ 27 (1)21 1.2. Fall, 27 (2) SMG

§ 28a (3) 1. Fall, § 28a (1) 5. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat: 30.01.2013

Freiheitsstrafe 15 Monate, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

04) BG H.

Rechtskäftig seit: 18.12.2015

§ 133 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat: 24.06.2014

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Nach dem derzeitigen Stand der Strafregistereintragungen ist der Tilgungszeitraum zurzeit nicht errechenbar.

Mit Schreiben vom 09.03.2016 wurden Sie vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt.

Es wurde lhnen zur Kenntnis gebracht, dass die hieramtliche Behörde beabsichtigt mit einer Rückstufung Ihres Aufenthaltstitels vorzugehen, sofern Ihre Stellungnahme nichts anderes erfordert.

Es wurde lhnen eine Frist von vier Wochen für die Einbringung eines Schriftsatzes eingeräumt. Am 21.03.2016 übermittelte uns Ihr rechtsfreundlicher Vertreter eine Vollmachtsbekanntgabe sowie einen Antrag auf Akteneinsicht. Von Ihrem Recht auf Akteneinsicht machten Sie am 11.04.2016 durch Ihren rechtsfreundlichen Vertreter und am 25.05.2016 persönlich in Begleitung Ihres rechtsfreundlichen Vertreters Gebrauch.

Die Frist zur Einbringung einer Stellungnahme verstrich ungenutzt.

Gemäß § 28 Abs. 1 NAG hat die Behörde, liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt — EU' (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, wenn diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden, das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel ,'Rot-Weiß-Rot — Karte plus' auszustellen (Rückstufung).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

2.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die – rechtzeitig erhobene – Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids und die "Erteilung des unbefristeten Aufenthaltsrechts" begehrt. Die Beschwerde wird im Wesentlichen mit folgenden Ausführungen begründet:

"[…]

Die Erstbehörde stellt zwar fest, dass Verurteilungen im strafrechtlichen Sinne vorliegen, unterlässt aber, die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 NAG konkret zu prüfen. Dort ist normiert, dass Drittstaatsangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, dieser entzogen werden kann, wenn gegen sie eine rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung (Aufenthaltsverbot) eines anderen EWR—Mitgliedstaates vorliegt, der mit einer akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder nationale Sicherheit begründet wird und das Aufenthaltsverbot auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten vorsätzlichen Straftat beruht.

Zunächst ist festzuhalten, dass keine vollstreckbare Rückführungsentscheidung (Aufenthaltsverbot) eines anderen EWR-Mitgliedstaates vorliegt. Weiters ist auch zu prüfen, ob eine akute Gefahr für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung oder nationale Sicherheit vorliegt. Dies hat die Erstbehörde aber unterlassen.

[…] Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist am ...1974 in Österreich geboren und seit damals hier aufhältig und gemeldet. Die gesamte Familie des Beschwerdeführers lebt in Österreich, die Eltern seit ca. 50 Jahren, auch die 2 Brüder und die Schwester des Beschwerdeführers leben in Österreich. Der Schwager des Beschwerdeführers betreibt gastronomische Betriebe im ... und am ... und hat Arbeitsplätze geschaffen. Zusammengefasst ist die gesamte Familie des Beschwerdeführers und auch dieser selbst in Österreich sozial fest integriert. Der Beschwerdeführer verfügt über keinerlei bzw. sehr schwache Kenntnisse der türkischen Sprache.

Der Beschwerdeführer ist weiters dem österreichischen Staat niemals zur Last gefallen, war stets selbständig (freiberuflich als Musiker, DJ, Veranstalter) tätig und hat keinerlei soziale Zuwendungen (Arbeitslosengeld, Mietzuschüsse, Sozialgeld, ...) bezogen.

Die im Bescheid genannten Verurteilungen basieren allesamt auf Dummheit und Unwissenheit, sind als Vergehen zu qualifizieren und zeigen keineswegs eine besondere kriminelle Energie des Beschwerdeführers auf.

Der Beschwerdeführer hat nach seiner Verurteilung von 2013 eine Suchtgift-therapie gemacht, diese erfolgreich abgeschlossen und ist seit 2 1/2 Jahren Nichtraucher.

Der Beschwerdeführer hat bei vielen Charityprojekten (bspw. ..., etc.) und bei sozialen Projekten für Kinder und Jugendliche mitgewirkt.

Weiters hätte dem Beschwerdeführer vor der Deliktsetzung im Jahr 2016 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können, der Beschwerdeführer ist aufenthaltsverfestigt im Sinne des § 9 Abs 4 Z 1 und 2 BFA-VG.

[…] unrichtige rechtliche Beurteilung der Grundlage für die Verhängung der Ruckstufung:

Auch wenn es sich um zwei getrennte Verfahren handelt, hängt das NAG - Verfahren in diesem Fall inhaltlich eng mit dem FPG - Verfahren zusammen. Eine Rückstufung kann nur dann verfügt werden, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtlich möglich ist, also die Voraussetzungen dafür vorliegen. Das bedeutet, existieren im Gesetz Gründe, absolute Gründe, wonach keine Rückkehrentscheidung mehr verhängt werden kann, liegen auch keine Voraussetzungen für eine Rückstufung vor. Daher ist die Prüfung der Aufenthaltsverfestigung nach dem FPG relevant dafür, ob die Maßnahme 'Rückstufung' zur Anwendung kommt oder nicht. Diese Prüfung ist aber nicht vorgenommen worden. Der Umstand, dass man nach 5 Jahren einen gewissen Grad der Aufenthaltsverfestigung erreicht, spielt im NAG z.B. eine Rolle bei der Beurteilung, ob eine Ausweisung aufgrund fehlender Unterhaltsmittel möglich ist. Der Beschwerdeführer stützt sich auf die gegebene Aufenthaltsverfestigung gem. § 9 Abs 4 BFA—VG, wonach die Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unzulässig ist, was für die Beurteilung, ob rückgestuft werden darf, relevant ist.

Auf Grund der Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers (sowohl nach § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG als auch nach § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG) ist die Verhängung eines Einreiseverbots unzulässig. Trotzdem verfügt die Erstbehörde eine Rückstufung. Jene Fälle, in denen die Verhängung eines Einreiseverbots aus Gründen der absoluten Aufenthaltsverfestigung unzulässig sind, fallen aber nicht unter § 28 NAG, da – wie in § 28 Abs 1 vorgesehen ist – für eine Rückstufung die Voraussetzungen nach § 52 Abs. 5 FPG vorliegen müssen, die aber genau in den Fällen der absoluten Aufenthaltsverfestigung nach § 9 Abs 4 BFA-VG gar nicht vorliegen können, weil die Verhängung eines Einreiseverbots schon rechtlich nicht möglich ist. § 28 NAG bezieht sich inhaltlich nämlich nur auf jene Fälle, in denen eine Verhängung eines Einreiseverbots nach lnteressensabwägung nicht möglich ist. (§ 9 Abs 1-3 BFA-VG entspricht § 61 FPG alte Rechtslage).

[…]

Aufgrund dessen und der teleologischen Interpretation muss geschlossen werden, dass der geltende § 28 NAG inhaltlich so zu sehen ist wie die davor geltenden Fassungen. Demnach darf eine Rückstufung nur verfügt werden, wenn ein Einreiseverbot zwar grundsätzlich verhängt werden kann, jedoch in Hinblick auf § 9 (§ 9 Abs 1—3 BFA-VG im Sinne des § 61 FPG alt und § 66 FPG alt) nicht verhängt wird. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass mit der Gesetzesänderung auch eine inhaltliche Veränderung einhergehen soll, wäre es in den Erläuterungen zum FNG ersichtlich.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung mehrfach festgestellt, dass, um eine Prüfung nach § 28 NAG vornehmen zu können kein Aufenthaltsverbot-Verbotstatbestand vorliegen darf (siehe dazu VwGH 31.3.2008, 2007/21/0533; VwGH 17.12.2009, 2008/22/0491). Auch nachzulesen ist dies im Kommentar Bichl/Schmid/Szymanski 'Das neue Recht der Arbeitsmigration' zu § 28 NAG (K2) und bei Schuhmacher/Peyerl/Neugschwendtner 'Fremdenrecht', das ebenfalls die Unzulässigkeit einer Rückstufung bei absolut aufenthaltsverfestigten Personen (Aufenthaltsverbot-Verbot) im Sinne des § 9 Abs 4 BFA-VG vorsieht.

Der Beschwerdeführer verfügt über einen unbefristeten Aufenthalt. Die Verhängung des Aufenthaltsverbots auf Grund der Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers ist sowohl nach § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG als auch nach § 9 Abs 4 Z 2 BFA-VG unzulässig. Trotzdem hat die Erstbehörde eine Rückstufung verfügt. Jene Fälle, in denen die Verhängung eines Einreiseverbots aus Gründen der Aufenthaltsverfestigung unzulässig sind, fallen aber nicht unter § 28 NAG, da - wie in § 28 Abs 1 vorgesehen ist - für eine Rückstufung die Voraussetzungen nach § 52 Abs. 5 FPG vorliegen müssen, die aber genau in den Fällen der Aufenthaltsverfestigung gar nicht vorliegen können, weil die Verhängung eines Aufenthaltsverbots schon rechtlich nicht möglich ist. § 28 NAG bezieht sich inhaltlich nämlich nur auf jene Fälle, in denen eine Verhängung eines Einreiseverbots aufgrund der lnteressensabwägung nach Art 8 EMRK nicht möglich ist. (§ 9 Abs 1-3 BFA-VG entspricht der § 61 FPG bzw. § 66 FPG frühere Rechtslage – Abwägungskriterien für die Prüfung nach Art. 8 EMRK)

§ 52 Abs. 5 FPG sieht vor, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des Sachverhalts über den Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt EU' verfügt, eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 beziehen sich dabei auf Verurteilungen und die Annahme einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. Wenn aber die Verhängung des Einreiseverbotsverbots auf Grund der Aufenthaltsverfestigung gesetzlich gar nicht möglich ist, ist eine Prüfung einer möglichen Gefährdung nicht mehr vorgesehen. Würde man jedoch diese Prüfung vornehmen, liegt konkret keine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr vor. Im konkreten Fall liegen daher die Voraussetzungen für ein Einreiseverbot, und damit auch für eine Rückstufung nicht vor.

Abgesehen von der Aufenthaltsverfestigung, die eine Rückstufung rechtlich nicht zulässt, liegt auch die von der Behörde zu prüfende Voraussetzung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht vor. Im konkreten Fall wäre – wenn keine Aufenthaltsverfestigung vorliegen würde — gemäß § 52 Abs 5 in Verbindung mit § 53 Abs 3 FPG als Prüfmaßstab die gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit heranzuziehen. Der Beschwerdeführer lebt seit seiner Geburt in Österreich und weist vier minderschwere Verurteilungen auf.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot (und das gilt auch für das Einreiseverbot) zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände Annahme einer Gefährdung gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Das heißt, dass bei der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme und natürlich auch bei den Voraussetzungen dafür konkret der Einzelfall zu beurteilen ist und von der den Bescheid erlassenden Behörde eine Rückfallsprognose angestellt werden muss. Es muss im Einzelfall eine Voraussage über die Gefährlichkeit des Täters möglich sein. Dafür muss eine reale, konkrete zu begründende Wiederholungsgefahr vorliegen. Somit ist von der Behörde anhand der Sachlage im Entscheidungszeitpunkt zu prüfen, ob im konkreten Fall eine reale Wiederholungsgefahr vorliegt, bzw. ob von der betreffenden Person die Gefahr erneuter Straffälligkeit ausgeht. Erst wenn eine solche Prüfung zum Ergebnis führt, dass ein Aufenthalts- oder Einreiseverbot konkret verhängt werden könnte, ist eine Rückstufung rechtlich möglich. Diesbezügliche Feststellungen und Prüfergebnisse sind aber der Bescheidbegründung nicht zu entnehmen. Die Behörde hat sich ausschließlich nur auf die Tatsache der Verurteilung gestützt.

Der Beschwerdeführer hat einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenfhalt-EG', mit dem die Rechte eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verbunden sind. In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer auch auf Art 12 der hiesigen Richtlinie, wonach eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur verfügt werden darf, wenn der Betreffende eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, was im konkreten Fall nicht vorliegt.

Weiters liegt eine Verletzung des Art. 6 EMRK vor, weil die Rückstufung den personenrechtlichen Status des Beschwerdeführers im Hinblick auf mögliche zivilrechtliche Ansprüche verletzt, der durch die Rückstufung verloren wird.

Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer im konkreten Fall auch die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie verliert und damit eine massive Schlechterstellung in Hinblick auch auf zivilrechtliche Ansprüche (z.B. soziale Rechte, Mietzinsbeihilfe, Zugang zu Gemeindewohnung, Kreditwürdigkeit...) verbunden ist. Dies steht jedoch in keinem Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Verurteilung und wird somit auch eine Mehrfachbestrafung verwirklicht.

[…]"

3.        Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

4.       Das Verwaltungsgericht Wien führte am 14. Dezember 2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Partei und weitere von ihm stellig gemachte Personen als Zeugen einvernommen wurden.

5.       Mit Schriftsatz vom 31. Jänner 2017 erstattete die belangte Behörde eine schriftliche Stellungnahme.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsbürger. Er wurde am ...1974 in Österreich geboren und lebt seither im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer spricht fließend Deutsch, seine Türkischkenntnisse sind rudimentär. In der Türkei war er zuletzt vor ca. zehn Jahren auf Urlaub, er hat keine besonderen Bindungen zur Türkei. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben in Österreich, sein uneheliches fünfjähriges Kind in Be.; zu diesem Kind besteht nur unregelmäßiger loser Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist derzeit freiberuflich als Musiker tätig und bezieht aus dieser Tätigkeit ein regelmäßiges Einkommen ohne auf Zuwendungen von Dritten angewiesen zu sein. Der Beschwerdeführer erhielt in der Vergangenheit immer wieder finanzielle Zuwendungen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, er hat jedoch niemals Sozialhilfeleistungen bezogen.

Der Beschwerdeführer hat ab dem Jahr 2005 regelmäßig Kokain konsumiert und im kleinen Ausmaß auch mit dieser Substanz gehandelt. Er hat dabei eine Suchterkrankung entwickelt und begann ab dem Jahr 2013 auf gerichtliche Anordnung eine Entzugstherapie. Dieser Therapie wurde bis Ende 2014 erfolgreich abgeschlossen, derzeit besteht kein Suchtverhalten. Der Beschwerdeführer hat während dieser Therapie auch mit dem Rauchen aufgehört.

Gegen den Beschwerdeführer liegen folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen vor:

Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. September 2006, Zl. ..., wegen schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB, wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB und versuchter schwerer Nötigung gemäß §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB; Strafmaß: bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten.

Mit diesem Urteil wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, im Jahr 2003 einem Taxilenker mehrere Faustschläge versetzt zu haben, wodurch dieser mehrere Knochenbrüche im Kieferbereich sowie weitere schwere Verletzungen erlitt; weiters dafür, diesen Taxifahrer mit dem Tod bedroht zu haben, sollte er eine Strafanzeige erstatten oder die Polizei verständigen. Außerdem dafür, dass er im Jahr 2014 eine Frau durch mehrere Faustschläge und Würgen am Auge, an der Lippe und am Hals verletzt hat.

Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. September 2010, Zl. ..., wegen Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB und unerlaubtem Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs. 1 SMG; Strafmaß: bedingte Freiheitsstrafe von drei Monaten.

Mit diesem Urteil wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, im Jahr 2009 einen Bekannten durch Androhung körperlicher Gewalt zur Übergabe eines iPhones genötigt zu haben; weiters dafür, in den Jahren 2005 und 2006 geringe Mengen Kokain erworben und besessen zu haben.

Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. April 2013, Zl. ..., wegen Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 3 erster Fall iVm § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG, wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 neunter Fall und Abs. 2 SMG; Strafmaß Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 bedingt. Der Vollzug des unbedingten Teils dieser Freiheitsstrafe ist derzeit noch aufgeschoben.

Mit diesem Urteil wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, in den Jahren 2011 bis 2013 immer wieder kleine Mengen von Kokain verkauft oder unentgeltlich weitergegeben zu haben; sowie dafür, in den Jahren 2006 bis 2013 wiederholt Kokain erworben und zum eigenen Gebrauch besessen zu haben.

Urteil des Bezirksgerichts H. vom 15. Dezember 2015, Zl. ..., wegen Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB; Strafmaß: bedingte Freiheitsstrafe von drei Monaten.

Mit diesem Urteil wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, sich im Jahr 2014 einen ihm anvertrauten Geldbetrag in der Höhe von € 2.500,— mit dem Vorsatz zugeeignet zu haben, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er den Geldbetrag übernommen und für eigene Zwecke verwendet hat.

Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Zukunft weitere Straftaten begehen wird.

Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung "Daueraufenthalt – EU".

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und der von den jeweiligen Strafgerichten eingeholten Strafakten, deren Inhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch verlesen wurde.

Die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seinen Anknüpfungspunkten zum Inland, seinen Sprachkenntnissen und seinem fehlenden Bezug zum Herkunftsstaat ergeben sich aus den eigenen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt dieser Strafverfahren, insbesondere aus den in den Strafakten enthaltenen Urteilsausfertigungen. Aus diesen Strafakten ergibt sich auch eine Beschreibung des Verlaufs der vom Beschwerdeführer absolvierten Therapie zur Behandlung seiner Suchterkrankung; diese Beschreibung deckt sich mit den eigenen Angaben des Beschwerdeführers.

Die Prognoseentscheidung, dass auch in Hinkunft strafrechtswidriges Verhalten des Beschwerdeführers zu erwarten ist, ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass er mehrfach für Delikte gegen dasselbe Rechtsgut verurteilt wurde und ihn in diesen Fällen eine Verurteilung nicht von der Begehung weiterer Straftaten gegen dasselbe Rechtsgut abhalten konnte. Weiters daraus, dass diese Verurteilungen eine über zehn Jahre reichende kontinuierliche Aneinanderreihung von Straftaten erkennen lassen (so wurde der Beschwerdeführer etwa für Taten in den Jahren 2003, 2004, 2005, 2006, 2009, 2012, 2013 und 2014 rechtskräftig verurteilt); für das Verwaltungsgericht Wien liegt kein Anhaltspunkt vor, weshalb sich in der Zukunft die kriminelle Energie des Beschwerdeführers nicht in der Begehung weiterer Straftaten äußern sollte. Nicht zuletzt ergibt sich diese Prognoseentscheidung aber aus dem Verhalten des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien. Dort hat der Beschwerdeführer jene Taten, für die er rechtskräftig verurteilt wurde, teilweise geleugnet (etwa die Todesdrohung gegen den Taxilenker 2003) bzw. grob verharmlost (so hat er die Körperverletzung 2004 als "Wegstoßen" einer Person bezeichnet). Er hat sich in seiner Darstellung dieser Straftaten teilweise selbst als Opfer dargestellt und vor dem Verwaltungsgericht Wien kaum Reue oder Einsicht gezeigt. Für das Verwaltungsgericht Wien ist daraus abzuleiten, dass dem Beschwerdeführer das Unrecht seines Handelns zum Teil gar nicht bewusst ist und dass ihm dieses Unrechtsbewusstsein auch in der Zukunft fehlen wird.

Sowohl die belangte Behörde als auch der Beschwerdeführer gehen davon aus, dass der Beschwerdeführer derzeit Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" ist. Zwar finden sich im vorgelegten Verwaltungsakt diesbezüglich keine Hinweise, angesichts der langen Aufenthaltsdauer (der Beschwerdeführer lebt von Geburt an in Österreich) ist jedoch davon auszugehen, dass er – wie unstrittig von allen Verfahrensparteien angenommen – dauerhaft aufenthaltsberechtigt ist. Zudem hat die belangte Behörde am 31. Jänner 2017 bekannt gegeben, dass laut Auskunft des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer ein "unbefristeter Sichtvermerk" ausgestellt worden sei.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 68/2013, lauten:

"Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt – EU' (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, kann diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' auszustellen (Rückstufung).

(2) Drittstaatsangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, kann dieser entzogen werden, wenn gegen sie eine rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung (Aufenthaltsverbot) eines anderen EWR-Mitgliedstaates vorliegt, der mit einer akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder nationale Sicherheit begründet wird und das Aufenthaltsverbot

         1. auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten vorsätzlichen Straftat beruht;

         2. erlassen wurde, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass der Drittstaatsangehörige Straftaten nach Z 1 begangen habe oder konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Straftaten im Hoheitsgebiet eines EWR-Mitgliedstaates plante, oder

         3. erlassen wurde, weil der Drittstaatsangehörige gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Entscheidungsstaates verstoßen hat.

(3) Die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 ist unzulässig, wenn durch die Vollstreckung der Rückführungsentscheidung Art. 2 und 3 EMRK, das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985, oder das Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005, verletzt würde.

(4) Würde durch die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werden, so ist diese Entziehung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt.

(6) Aufenthaltstitel gemäß §§ 41 und 42 sind überdies zu entziehen, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die jeweiligen Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c AuslBG nicht länger vorliegen."

Die §§ 52 und 53 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 70/2015, lauten (auszugsweise):

"1. Abschnitt

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige

Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) – (4) […]

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

[…]

Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

[…]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

         1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

         2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

         3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

         4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

         5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

         6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

         7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

         8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

[…]

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

[…]"

§ 9 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

         1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

         2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

         3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

         4. der Grad der Integration,

         5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

         6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

         7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

         8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

         9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

         1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

         2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

2.       Die belangte Behörde stellte im Zuge einer vom Beschwerdeführer beantragten Ausstellung der seinen Aufenthaltstitel dokumentierenden Karte amtswegig gemäß § 28 Abs. 1 NAG fest, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers erloschen sei und stützte sich dabei auf vier rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers.

2.1.    Das Beschwerdevorbringen geht insoweit ins Leere, als es sich auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 NAG bezieht. Diese Bestimmung wurde von der belangten Behörde gar nicht angewendet und findet im Beschwerdefall auch vor dem Verwaltungsgericht Wien keine Anwendung, weil eindeutig – allenfalls – ein Anwendungsfall des § 28 Abs. 1 NAG vorliegt.

2.2.    Für die Anwendung des § 28 Abs. 1 NAG ist zunächst erforderlich, dass sich ein solcher Ausspruch gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" richtet. Dieses Erfordernis ist im Beschwerdefall gegeben.

2.3.    In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob gegen den Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die (nach der früheren Rechtslage) in § 60 Abs. 1 FPG (nunmehr: § 52 Abs. 5 FPG) umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zugrunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Dabei ist also nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. unter vielen VwGH 17.12.2009, 2008/22/0491). Dabei ist auch auf ein Wohlverhalten seit Begehung der zugrundeliegenden Straftat Bedacht zu nehmen (VwGH 31.3.2008, 2007/21/0533).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG im Lichte der Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG nicht bereits zu berücksichtigen, ob eine Rückkehrentscheidung aus in § 9 Abs. 4 BFA-VG normierten Gründen ausscheidet. Die Anwendung des § 9 BFA-VG ist erst in einem zweiten Schritt zu beurteilen, wenn die Anwendung des § 52 Abs. 5 FPG (grundsätzlich) zu bejahen ist. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass nach der Rechtslage vor dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG, BGBl. I 87/2012, durch den Verweis in § 28 Abs. 1 NAG auf die Bestimmungen des (damaligen) Fremdenpolizeigesetzes auch das Vorliegen eines Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestandes (iSd § 61 FPG aF) zu prüfen war und bei Vorliegen eines solchen Verbotstatbestands eine Rückstufung nicht auszusprechen war (vgl. dazu aus der früheren Rechtsprechung VwGH 3.3.2011, 2008/22/0306).

Der Wortlaut der geltenden Fassung des § 28 Abs. 1 NAG bietet für eine solche Auslegung jedoch keine Grundlage mehr und lässt eine Differenzierung im Prüfschema zwischen einer absoluten Aufenthaltsverfestigung iSd § 9 Abs. 4 BFA-VG und einer Abwägung nach den § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG nicht zu. In beiden Fällen ist zunächst das Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG zu prüfen und erst bei deren Bejahung in einem weiteren Schritt ein Entgegenstehen aufenthaltsbeendender Maßnahmen gemäß § 9 BFA-VG zu beurteilen. Auch wenn § 9 Abs. 4 BFA-VG einer Rückkehrentscheidung entgegensteht, können die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG erfüllt sein und kommt eine Rückstufung gemäß § 28 Abs. 1 NAG in Betracht. Ob sich dieses Auslegungsergebnis auch in den Gesetzesmaterialien widerspiegelt ist angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts unerheblich; im Übrigen finden sich in den Materialien zu § 28 Abs. 1 NAG idF BGBl. I 87/2012 zu dieser Frage überhaupt keine Ausführungen.

2.4.    Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG und eine konkrete Gefährdungsprognose führen im Beschwerdefall zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung vorliegen:

§ 52 Abs. 5 FPG verweist auf § 53 Abs. 3 FPG. Nach dessen Z 1 stellt der Aufenthalt eines Fremden insbesondere eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, wenn er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall vor. Der Beschwerdeführer wurde 2013 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Zudem wurde er durch die Urteile in den Jahren 2010 und 2013 wegen Suchtmitteldelikten und durch die Urteile in den Jahren 2006 und 2010 wegen Nötigung, also wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Verhaltens, verurteilt. Auf Grund der wiederholten Verurteilungen sind diese gemäß § 4 Tilgungsgesetz noch nicht getilgt, § 53 Abs. 5 FPG steht einer Berücksichtigung der in den Feststellungen genannten Verurteilungen daher nicht entgegen.

Wie bereits in der Beweiswürdigung (Pkt. II.2.) näher dargelegt, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft weitere Straftaten begehen wird. Für das Verwaltungsgericht Wien ist aus dem Verhalten des Beschwerdeführers seit seiner letzten Verurteilung prognostisch nicht abzuleiten, dass er nicht wieder straffällig werden wird. So mag er zwar erfolgreich eine Therapie zur Entwöhnung von seinem Substanzkonsum absolviert und mit dem Rauchen aufgehört haben, der überwiegende Teil der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen stand jedoch mit seinem Substanzkonsum in keinem Zusammenhang. Welche Rolle eine vom Beschwerdeführer nicht näher substantiierte Mitwirkung an "Charity-Projekten" für die Gefährdungsprognose haben soll, ist für das Verwaltungsgericht Wien nicht ersichtlich.

Es ist daher im Zuge einer Gesamtabwägung des Verhaltens des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt und die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG erfüllt sind.

2.5.    In weiterer Folge ist zu prüfen, ob der Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme § 9 BFA-VG entgegensteht:

Der Beschwerdeführer geht davon aus, absolut aufenthaltsverfestigt iSd § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG zu sein, weil er seit seiner Geburt in Österreich lebe und keinen nennenswerten Bezug zur Türkei habe.

In diesem Punkt ist dem Beschwerdeführer zu folgen. Gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig rechtmäßig auf Grundlage des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" im Inland aufhältig (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0050, wonach es bei diesem Erfordernis auf eine gegenwartsbezogene Betrachtung ankommt). Er ist in Österreich geboren und seither durchgehend rechtmäßig niedergelassen. Ungeachtet der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob ihm vor seiner Straffälligkeit die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen hätte werden können, liegt damit jedenfalls ein Fall des § 9 Abs. 4 BFA-VG vor, der aufenthaltsbeendende Maßnahmen unzulässig machen würde.

3.       Somit sind alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 NAG erfüllt und erweist sich die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung als rechtmäßig. In der Folge wird die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 28 Abs. 1 letzter Halbsatz NAG von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" auszustellen haben.

4.       Die ordentliche Revision ist zulässig, da im Beschwerdefall eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit für das Verwaltungsgericht Wien ersichtlich, liegt nämlich noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 28 Abs. 1 NAG in der Fassung des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz, BGBl. I 87/2012, und der Frage vor, ob in Fällen der absoluten Aufenthaltsverfestigung iSd § 9 Abs. 4 BFA-VG die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 NAG ausgeschlossen ist.

Schlagworte

Rückstufung, Voraussetzungen zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose, Prüfungsreihenfolge gemäß § 28 Abs. 1 NAG, Aufenthalt als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, Aufenthaltsverfestigung

Anmerkung

VwGH v. 4.11.2020, Ro 2017/22/0010; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.032.13418.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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