TE OGH 2020/10/19 5Ob175/20a

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Veröffentlicht am 19.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin M*****, vertreten durch die Gottgeisl & Leinsmer Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die Antragsgegnerin A*****, vertreten durch Mag. Rudolf Siegel, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. Juli 2020, GZ 38 R 4/20z-31a, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin war aufgrund mehrerer befristeter Verträge in der Zeit von August 2005 bis Februar 2017 Mieterin einer 26,7 m² großen Wohnung im dritten Stock eines 4-geschossigen Gründerzeithauses, das um das Jahr 1902 errichtet worden war und nicht mit einem Lift ausgestattet ist. Die Antragsgegnerin war Vermieterin dieser Wohnung; ein Kellerabteil war der Wohnung nicht zugeordnet.

Gegenstand des außerstreitigen Mietrechtsverfahrens ist die Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses und die Feststellung der Überschreitung des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses durch die Vorschreibungen der Antragsgegnerin zu bestimmten Zinsterminen. Das Erstgericht stellte die Höhe des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses zu den relevanten Stichtagen, die Tatsache sowie das Ausmaß der

Überschreitung des gesetzlich zulässigen Mietzinses fest und verpflichtete die Antragsgegnerin zur Rückzahlung der von der Antragstellerin geleisteten Überzahlung. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

In ihrem außerordentlichen Rechtsmittel behauptet die Antragsgegnerin, dass die Entscheidung des Rekursgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweiche, weil das Fehlen eines Lifts und das Nichtvorhandensein eines Kellerabteils typischerweise der mietrechtlichen Normwohnung entspreche, weswegen dieser Umstand keinen Abschlag vom Richtwert rechtfertige, sondern das Vorhandensein solcher Räume bzw Einrichtungen lediglich als Zuschlag zu berücksichtigen seien. Damit zeigt sie keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Für die Berechnung des Richtwertmietzinses nach § 16 Abs 2 MRG sind im Vergleich zur mietrechtlichen Normwohnung entsprechende Zuschläge zum oder Abstriche vom Richtwert für werterhöhende oder wertvermindernde Abweichungen vom Standard der mietrechtlichen Normwohnung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens vorzunehmen. Die Orientierung an der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens erfordert eine Gesamtschau, weil auch der Wert einer Wohnung nur insgesamt erfassbar ist oder erlebt wird. Die Auflistung und Bewertung einzelner Faktoren kann nur ein Kontrollinstrument sein (RIS-Justiz RS0117881). Die Berechtigung und die Höhe von Abschlägen beziehungsweise Zuschlägen zum Richtwertmietzins hängen damit stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0116132 [T2]; RS0117881 [T1]) und begründen daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung.

2. § 16 Abs 2 Z 1 bis 5 MRG zählt die Umstände, die zu Zuschlägen oder Abstrichen vom Richtwert führen können, taxativ auf (5 Ob 164/09t). Nach Z 2 leg cit gehört dazu (zuschlagsbegründend) die Ausstattung der Wohnung (des Gebäudes) mit den in § 3 Abs 4 RichtWG angeführten Anlagen, Garagen, Flächen und Räumen, wobei die jeweiligen Zuschläge mit den bei der Ermittlung des Richtwerts abgezogenen Baukostenanteilen begrenzt sind. Daraus folgt aber nur, dass die jeweiligen Zuschläge mit den bei der Ermittlung des Richtwerts abgezogenen Baukostenanteilen begrenzt sind (RS0120496). Schon zu 5 Ob 296/02v billigte der Fachsenat daher einen Abzug für die Stockwerkslage einer Wohnung ohne Aufzug. Er führte in dieser Entscheidung unter Verweis auf Vorjudikatur aus, dass bei der mietrechtlichen Normwohnung zwar Maß an einer Altbauwohnung genommen wurde, diese jedoch im Wesentlichen der Ausstattungskategorie A entsprechen muss (§ 2 Abs 1 RichtWG) und sich der Richtwert (die Ausgangsbasis für Zuschläge [und Abschläge]) an den Herstellungskosten einer gut ausgestatteten geförderten Neubaumietwohnung zu orientieren hat (§ 3 Abs 1 RichtWG). Daran hielt der Fachsenat erst jüngst fest: In der Entscheidung zu 5 Ob 198/18f führte der Senat aus, ein Abschlag von 8 % wegen Fehlens eines Lifts im 3. Stock entspreche nicht nur der Beiratsempfehlung (ab dem zweiten Stock pro Stock 4 %), sondern sei auch im Einzelfall angemessen (vgl auch Karauscheck/G. Strafella, Der Mietzins [2014] 80). Zu 5 Ob 4/20d sah der Fachsenat mit Verweis auf die Vorjudikatur (5 Ob 296/02v) einen Abzug für die Stockwerkslage einer Wohnung ohne Lift als nicht korrekturbedürftig an. In beiden Fällen war die Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses für Wohnungen in Häusern aus der Gründerzeit zu beurteilen.

3. Die von der Antragsgegnerin zitierte Entscheidung zu 5 Ob 316/98a hat sich mit der Frage der (vorübergehenden) Unbenützbarkeit einer Liftanlage auseinandergesetzt. Aus ihr lässt sich ebenso wenig wie aus den Gesetzesmaterialien (AB 1268 BlgNR 18. GP 1 f, 18 f) der von ihr gezogene Schluss ableiten, Abschläge wegen des Nichtvorhandenseins einer im typischen Althaus üblicherweise fehlenden Anlage seien grundsätzlich ausgeschlossen. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Zuerkennung eines Zuschlags für die Stockwerkslage bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines Abzugs für das Fehlen einer Aufzugsanlage mindert letztlich bloß die durch die Stockwerkslage bewirkte Veränderung des Wohnwerts und ist bei gebotener Gesamtbetrachtung im Einzelfall nicht zu beanstanden.

4. Nach § 16 Abs 2 Z 1 MRG ist die über oder unter dem Durchschnitt liegende Ausstattung der Wohnung unter anderem mit Kellerräumen zu berücksichtigen und ein entsprechender Zuschlag oder Abstrich vom Richtwert vorzunehmen. Der Fachsenat hat in seiner Judikatur daher einen Abschlag wegen des Fehlens eines Kellerabteils bereits als vertretbar erachtet (5 Ob 77/17k). Das dagegen vorgetragene Argument der Revisionsrekurswerberin, dass „die im Altbau liegende mietrechtliche Normwohnung über Einlagerungsräume im Keller schon aus bautechnischen Gründen nicht verfügen konnte“, weswegen ihr Fehlen auch keinen Abschlag rechtfertige, findet im Gesetz keine Deckung, weil der Umstand, dass Kellerräumlichkeiten in der Aufzählung jener Gebäudeteile, die dem typischen Althausbestand nicht entsprechen, in § 3 Abs 4 RichtWG fehlt, nur den Schluss erlaubt, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine durchschnittliche Altbauwohnung typischerweise mit einem Kellerabteil ausgestattet ist. Der von den Vorinstanzen vorgenommene Abstrich von 2,5 % entspricht der Empfehlung des Beirats und wird von der Antragsgegnerin der Höhe nach auch nicht bemängelt.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E129854

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00175.20A.1019.000

Im RIS seit

25.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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