TE OGH 2020/1/31 30R6/20b

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Veröffentlicht am 31.01.2020
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Thunhart und den Kommerzialrat Scheiflinger in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei A*****, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 120.000,00) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 7.11.2019, 18 Cg 19/19m-7, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

         Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

         Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.364,92 (darin EUR 560,62 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,00.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1.12.2010 zu Polizze Nr. R753009477 rechtsschutzversichert. Auf den Versicherungsvertrag sind die ARB 2003 anwendbar. Die Deckungssumme beträgt pro Fall und Jahr EUR 120.000,00.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rechtsschutz für die gerichtliche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus der angeblichen Fehlerhaftigkeit eines im Finanzstrafverfahren des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu 13 Hv 93/14k am 27.1.2012 erstatteten Sachverständigengutachtens, in eventu die Abgabe einer entsprechenden Kostendeckungszusage.

Der Kläger brachte dazu vor, dass er seit 1.4.2004 in Pension sei und sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurück gezogen habe, weshalb er im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und auch gar keine Versicherung für den beruflichen oder betrieblichen Bereich abschließen hätte können.

Der Kläger sei seit 2002 Kommanditist, aber niemals Geschäftsführer oder Gesellschafter der T***** GmbH & Co KG gewesen und habe im November 2004 die zwischenzeitlich stillgelegte Gesellschaft veräußert. Die neuen Eigentümer hätten die Gesellschaft daraufhin in Scheinverträge eingebunden und Mehrwertsteuer in dreistelliger Millionenhöhe hinterzogen, woraufhin im November 2007 auch gegen den Kläger ein Finanzstrafverfahren eingeleitet worden sei.

Der im Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wien bestellte Sachverständige habe am 27.1.2012 ein Gutachten erstattet, welches unrichtig gewesen sei und den Kläger als Täter der Abgabenhinterziehung belastet habe. Die Staatsanwaltschaft Wien habe daraufhin Anklage gegen den Kläger eingebracht. Erst am 25.4.2018 habe das Landesgericht für Strafsachen Wien den Kläger von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen.

Der Kläger beabsichtige nunmehr die ihm aufgrund des unrichtigen Gutachtens entstandenen Schäden gegenüber dem Sachverständigen im Klageweg geltend zu machen, weshalb er die Beklagte am 18.10.2018 um Rechtsschutzdeckung ersucht habe, was aber abgelehnt worden sei. Eine früherer Versicherungsmeldung wäre dem Kläger nicht zumutbar gewesen, weil er erst aufgrund des Freispruchs gewusst habe, dass ihm ein Anspruch zustehe. Im April 2019 habe der Kläger neuerlich um Rechtsschutzdeckung ersucht und einen Klageentwurf übermittelt. Eine allfällige Verletzung von Obliegenheitspflichten habe keine Auswirkung auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Leistungsumfangs gehabt.

Die Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte vor, dass der Kläger bereits am 24.3.2016 den Versicherungsfall gemeldet habe, die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Fragen der Beklagten aber nicht beantwortet habe, weshalb er eine grob schuldhafte Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1. ARB 2003 verantworte.

Am 18.10.2018 habe der Kläger eine neuerliche Versicherungsmeldung erstattet, woraufhin die Deckung von der Beklagten abgelehnt worden sei, weil das Strafverfahren den Vorwurf der Abgabenhinterziehungen in den Jahren 1995 und 1996 betroffen habe, sodass der Versicherungsfall vor dem Deckungszeitraum eingetreten sei. Außerdem sei weder der Steuerrechtsschutz im Berufs- bzw Betriebsbereich noch die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer und Betriebsinhaber versichert.

Der Kläger habe einen Klageentwurf übermittelt, aus dem sich ergebe, dass die Ansprüche des Klägers verjährt seien, weil er zumindest seit 2015 Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt habe. Das Klagebegehren sei unschlüssig, insbesondere weil der Klagsbetrag von EUR 368.200,00 nicht aufgeschlüsselt und die Höhe der Vertretungskosten nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Klage keine Erfolgsaussichten habe.

Schließlich sei der Deckungsanspruch des Klägers verjährt, weil die erste Versicherungsmeldung am 24.3.2016 erfolgt sei, die gegenständliche Klage aber erst am 22.5.2019 eingebracht worden sei. Die Versicherungsmeldung stehe der Verjährung nicht entgegen, weil die Nachfrage der Beklagten unbeantwortet geblieben sei.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab, wobei es die auf Seite 7 bis 16 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen traf, auf die verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass das fehlerhafte Gutachten eines Sachverständigen zwar seine Haftung begründe, das Schadensereignis aber erst in der aufgrund dieses Gutachtens erhobenen Anklage gelegen sei und daher innerhalb des versicherten Zeitraums liege. Da die beabsichtigte Klagsführung auf das fehlerhafte Gutachten zurückzuführen sei und keinen Bezug zur unternehmerischen Tätigkeit des Klägers aufweise, liege der Versicherungsfall im privaten Lebensbereich, der von der Versicherung gedeckt sei.

Die Schadenersatzansprüche gegen den Sachverständigen seien noch nicht verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist erst mit Rechtskraft des Freispruchs im Mai 2018 begonnen habe. Auch der Deckungsanspruch gegen die Beklagte sei nicht verjährt, weil der Kläger den Anspruch erst nach dem Freispruch im Jahr 2018 geltend machen habe können.

Wenngleich der Kläger hinsichtlich der unbeantwortet gebliebenen Anfrage der Beklagten im Jahr 2016 eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung verantworte, habe dies keine Auswirkungen auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder des Leistungsumfangs gehabt, zumal damals eine zivilrechtliche Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs noch gar nicht möglich gewesen sei und die Beklagte auch später noch ausreichend Zeit zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Prozessführung gehabt habe.

Wohl aber habe die Beklagte den Kläger auf die Unschlüssigkeit seines Klageentwurfs hingewiesen, woraufhin der Kläger während des erstinstanzlichen Verfahrens einen weiteren Klageentwurf über EUR 537.636,08, nämlich EUR 50.000,00 an Schmerzengeld und EUR 487.636,08 an Vertretungskosten vorlegt habe, obwohl im vorherigen Klageentwurf nur EUR 368.200,00 an Vertretungskosten behauptet worden seien. Da die Verteidigung anscheinend auch einem Mitangeklagten zu Gute gekommen sei und nicht offengelegt werde, welche Honorare auf welcher Grundlage in Rechnung gestellt wurden, habe der Kläger seine Informationsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 verletzt, was zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers wegen Aktenwidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Zur Aktenwidrigkeit:

1.1. Der Kläger macht (auch) unter dem Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit geltend, dass das Erstgericht in seinen Feststellungen das mit Beilage ./8 vorgelegte Schreiben verkürzt wiedergebe, zumal der Kläger dort auch darauf hingewiesen habe, dass die Schadenshöhe noch nicht endgültig feststehe und der Klagsvertreter zu weiteren Auskünften bereit sei.

1.2. Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RS0043347). Demgegenüber kann eine unrichtige Feststellung nie den Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit begründen (RIS-Justiz RS0099547 [T6, T9, T18]). Dies gilt umso mehr für unvollständige Feststellungen, die nur unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung aufgegriffen werden können.

Zur Rechtsrüge:

2.1. Der Kläger bekämpft die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1. ARB 2003 vorliege, mit dem Argument, dass ihm keine Möglichkeit gegeben worden sei, weitere Auskünfte zu erteilen oder weitere Unterlagen vorzulegen. Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit sei erst anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer auch auf Nachfragen nicht reagiert. Spätestens nach der Ablehnung der Deckung durch die Beklagte habe keine Aufklärungsobliegenheit bestanden. Dabei macht der Kläger als sekundären Feststellungsmangel geltend, dass das Erstgericht den Inhalt der Korrespondenz nur verkürzt festgestellt habe.

2.2. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er nach Art 8.1.1. ARB 2003 verpflichtet, den Versicherer „unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen“. Es handelt sich dabei um eine auf die Bedürfnisse der Rechtsschutzversicherung zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit nach § 34 Abs 1 VersVG (RS0105784). Der Versicherer soll dadurch in die Lage versetzt werden, Art und Umfang seiner Leistungspflicht frühzeitig möglichst genau zu überblicken, um sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (RS0080783; RS0080205; RS0080203). Darüber hinaus hat die Aufklärungsobliegenheit auch den Zweck, den Versicherer vor betrügerischen Machenschaften zu schützen (RS0080833).

2.3. Entgegen den Ausführungen des Klägers in seiner Rechtsrüge muss der Versicherte, der Rechtsschutz beansprucht, diese Auskünfte nach der Rechtsprechung von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers geben (RS0105784 [T2 und T5]; ebenso Soriat in Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat, ARB 2007 [2008] 88 und Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung [2018] 135).

2.4. Im vorliegenden Fall hat der Kläger der Beklagten aber ohnehin bereits am 18.10.2018 mitgeteilt, dass ihm aufgrund des unrichtigen Sachverständigengutachtens neben gesundheitlichen Beeinträchtigungen Verteidigungskosten von circa EUR 450.000,00 entstanden seien. Damit war die Beklagte in der Lage, die Art und den Umfang ihrer Deckungspflicht abzuschätzen. Dass diese Auskunft inhaltlich unrichtig gewesen wäre, hat die Beklagte nicht behauptet, sondern statt dessen bloß kritisiert, die nachträglich übermittelten Klageentwürfe seien unschlüssig.

2.5. Richtig ist freilich, dass die Beklagte nach Art 8.1.1. ARB 2003 die Vorlage aller zur Aufklärung der Sachlage erforderlichen Unterlagen verlangen hätte können. Auch hätte die Beklagte nach § 34 Abs 1 VersVG verlangen können, dass der Kläger jede weitere Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs ihrer Leistungspflicht erforderlich ist. Tatsächlich hat die Beklagte aber dem Kläger keine Unterlagen abverlangt und auch keine weiteren Auskünfte verlangt, sondern schon am 22.10.2018 die Kostendeckung abgelehnt. Dadurch hat sie sich der Möglichkeit begeben, die Richtigkeit der Angaben des Klägers zu überprüfen, ohne dass dem Kläger eine Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit vorgeworfen werden kann.

3.1. Zum Einwand der Beklagten, dass die vom Kläger nachträglich vorgelegten Klageentwürfe unschlüssig seien, weil die beanspruchten Kosten seiner Verteidigung nicht nachvollziehbar seien, ist auszuführen, dass der Versicherer nach Art 9.2.3. ARB 2003 die Kostenübernahme zur Gänze ablehnen darf, wenn er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis gelangt, dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht.

3.2. In der Rechtsschutzversicherung ist hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klagsführung kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die Beurteilung, ob "keine Aussicht auf Erfolg" besteht, hat sich am Begriff der "offenbar aussichtslosen Rechtsverfolgung" nach § 63 ZPO zu orientieren, die einer Bewilligung der Verfahrenshilfe entgegensteht (7 Ob 47/02s; RS0116448). Offenbar aussichtslos ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffsmittel als erfolglos erkannt werden kann, wobei aber schon eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

3.3. Für die Schlüssigkeit einer Klage reicht es aus, wenn das Klagebegehren materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Der Umstand, dass im zweiten Klageentwurf EUR 487.636,08 an Verteidigungskosten beansprucht werden, obwohl im ursprünglichen Entwurf ein Kostenaufwand von EUR 368.200,00 behauptet worden war, macht die Klage nicht unschlüssig.

3.4. Auch dass die Verteidigung des Klägers mit jener eines weiteren Angeklagten „zusammen geführt“ worden sei und dass angeblich monatliche „Pauschalhonorare“ vereinbart wurden, macht die Klagsführung nicht aussichtslos. Dass das Vorbringen zu den Vertretungskosten möglicherweise zu unbestimmt ist, um beurteilen zu können, ob die erbrachten Leistungen zur zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich waren, steht dem Erfolg der Klagsführung nicht entgegen, weil dem Kläger im Prozess nach § 182 ZPO jedenfalls Gelegenheit zur Konkretisierung zu geben wäre.

3.5. Es wird am Kläger gelegen sein, seine Behauptungen im Haftungsprozess unter Beweis zu stellen, etwa indem die bezughabenden Honorarnoten und Zahlungsbelege vorgelegt werden, ohne dass der Klagsführung die Aussicht auf Erfolg deshalb von vornherein abgesprochen werden könnte. Richtig ist allerdings, dass der Kläger bislang keine Beweise vorgelegt hat, aus denen ersichtlich wäre, dass ihm tatsächlich Aufwendungen in der behaupteten Höhe entstanden sind. Dem Versicherer ist aber eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und der Ergebnisse des Haftpflichtprozesses grundsätzlich verwehrt, weshalb auch im Deckungsprozess keine Feststellungen zu den im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu treffen sind (RS0081927; RS0124256).

4.1. Damit ist für den Kläger aber letztlich nichts gewonnen. Die Beklagte hat nämlich auch vorgebracht, dass der Versicherungsfall dem nicht versicherten Berufs- bzw Betriebsbereich zuzuordnen und deshalb nicht vom Schutzbereich des Rechtsschutzversicherungsvertrags gedeckt sei.

4.2. Das Erstgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen, doch kann das Berufungsgericht den Inhalt jener Urkunden, die in den Feststellungen des Erstgerichts - wenn auch ohne wörtliche Wiedergabe – enthalten sind und deren Echtheit zugestanden wurde, ohne weiteres berücksichtigen (RS0121557). So ergibt sich aus der Versicherungspolizze in Beilage ./10, dass der allgemeine Schadenersatz-Rechtsschutz nur den „Privatbereich“ abdeckt, der nach Art 21.1.1. der ARB 2003 in Beilage ./1 lediglich Versicherungsfälle umfasst, die „den privaten Lebensbereich, also nicht den Berufs- oder Betriebsbereich oder eine sonstige Erwerbstätigkeit,“ betreffen.

4.3. Grundsätzlich können auch Versicherungsfälle, die nach Beendigung der selbständigen Tätigkeit eintreten, aber adäquat auf das betriebliche Risiko zurückzuführen sind, dem betrieblichen Bereich zuzuordnen sein (Obarowski in Hartbauer9 § 23 dARB Rn 29; Sixt in Looschelders/Paffenholz2 § 23 dARB Rn 47). Dies kann beispielsweise auf ein Strafverfahren wegen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen zutreffen (Waldeck in Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat, ARB 170).

4.4. Entscheidend ist, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Zusammenhang mit der früheren selbständigen Tätigkeit des Klägers steht (Hillmer-Möbius in Bühren/Plote3 § 25 dARB Rn 12). Ein bloßer ursächlicher Zusammenhang reicht aber nicht aus. Der Versicherungsfall ist nur dann nicht gedeckt, wenn die Klagsführung mit der selbständigen Tätigkeit des Klägers mindestens in einem inneren, sachlichen Zusammenhang von nicht nur untergeordneter Bedeutung steht (BGH IV ZR 1/77 VersR 1978, 816; IV ZR 302/93 VersR 1995, 166).

4.5. Im vorliegenden Fall betrifft die beabsichtigte Rechtsverfolgung das angebliche Fehlverhalten des im Finanzstrafverfahren bestellten Sachverständigen, der in seinem Gutachten Beilage ./M auf Seite 33 zum Ergebnis gelangte, dass der Kläger auch noch nach seinem Ausscheiden als Gesellschafter über Gelder der T***** GmbH & Co KG verfügte. In der Anklageschrift Beilage ./N Seiten 10 ff wird dem Kläger daraufhin zur Last gelegt, dass er schon in den 90er Jahren den Tatplan entwickelt habe, durch besondere Gesellschafts- und Vertragskonstrukte gewerbsmäßig Steuern zu hinterziehen, was bereits am 20.2.2002 zu einer Verurteilung des Klägers zu 123 Hv 1688/01h des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführt habe. Dennoch habe sich der Kläger im Jahr 2004/2005 dazu entschlossen, dieses „Geschäftsmodell“ weiterhin zur Anwendung zu bringen und unter Einbeziehung der „nunmehr funktionslos gewordenen“ T***** GmbH & Co KG Abgaben in Millionenhöhe zu hinterziehen.

4.6. Sowohl das Gutachten des Sachverständigen als auch das Finanzstrafverfahren betrafen also den Vorwurf, dass der Kläger als Verfügungsberechtigter über die Gelder der T***** GmbH & Co KG, deren Gesellschafter er bis zum 22.9.2004 gewesen war, Abgaben hinterzogen habe. Daraus ergibt sich ein starker innerer, sachlicher Zusammenhang mit der beruflichen bzw betrieblichen Erwerbstätigkeit des Klägers als Gesellschafter der T***** GmbH & Co KG. Der Versicherungsfall ist deshalb von der Rechtsschutzversicherung des Klägers, die sich auf den Privatbereich beschränkt, nicht gedeckt.

Zur Verfahrensrüge:

5. Schließlich macht der Kläger als Verfahrensmangel geltend, dass die von ihm beantragten Zeugen nicht einvernommen worden seien, obwohl dadurch erwiesen worden wäre, dass die angefallenen Vertretungskosten ausschließlich zur seiner Verteidigung im Strafverfahren dienten. Angesichts der fehlenden Rechtsschutzdeckung ist der behauptete Verfahrensmangel aber nicht mehr entscheidungswesentlich.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

7. Die Bewertungsausspruch ergibt sich aus dem mit der Rechtsschutzdeckung verbundenen wirtschaftlichen Interesse und der Versicherungssumme.

8. Der Umfang der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers und die Zugehörigkeit einer beabsichtigten Klagsführung zum privaten oder beruflichen Lebensbereich kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, weshalb die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zuzulassen war.

Textnummer

EW0001064

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2020:03000R00006.20B.0131.000

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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