TE OGH 2020/9/16 7Ob118/20h

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** D*****, vertreten durch Dr. Kurt Bayr und Dr. Marco Rovagnati, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** SE *****, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 2.779 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. April 2020, GZ 4 R 26/20x-17, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13. Jänner 2020, GZ 17 Cg 39/19f-11, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.242,26 EUR (darin enthalten 373,71 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1998 rechtsschutzversichert. Der Versicherungsvertrag umfasste ursprünglich den Privatrechtsschutz mit Verkehrsbereich für sämtliche Fahrzeuge, beinhaltend Schadenersatz-Rechtsschutz, Strafrechtsschutz, Beratungsrechtsschutz und allgemeinen Vertragsrechtsschutz (privat) sowie Versicherungsvertragsstreitigkeiten, und zwar umfassend sowohl den Privat- als auch den Berufsbereich. Dies blieb so auch für die der Erstversicherungspolizze vom 21. 1. 1998 nachfolgenden Polizzen vom 2. 4. 1998 und vom 1. 2. 2012. Dem Versicherungsvertrag wurden die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1994)“ zugrunde gelegt. Mit Polizze vom 4. 3. 2013 wurde der Versicherungsschutz um den Baustein „Arbeits- und Sozialgerichts-Rechtsschutz“ erweitert, beinhaltend den Rechtsschutz in Arbeits- und Dienstrechtssachen im Berufsbereich (sowie Sozialversicherungsrechtsschutz im Privat- und Berufsbereich).

Die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1994) lauten unter anderem:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Im Schadenersatz-Rechtsschutz (Artikel 17.2.1, Artikel 18.2.1, Artikel 19.2.1, und Artikel 24.2.3) gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses.

...

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?

(Zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

...

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

1.1. ...

1.2. in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit ...

Ereignissen, die in außergewöhnlichem Umfang Personen- oder Sachschäden bewirken (Katastrophen im Sinne des Kastastrophenhilfegesetzes), sowie mit Ereignissen, die auf allmähliche Einwirkungen zurückzuführen sind;

...

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat-, Berufs- und/oder Betriebsbereich.

1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?

1.1. Versicherungsschutz haben im Privatbereich der Versicherungsnehmer, ...

1.2. im Berufsbereich der Versicherungsnehmer und seine Angehörigen gemäß Pkt. 1.1. in ihrer Eigenschaft als unselbständig Erwerbstätige für Versicherungsfälle, die mit der Berufsausübung unmittelbar zusammenhängen oder auf dem direkten Weg von und zur Arbeitsstätte eintreten;

...

2. Was ist versichert?

2.1. Schadenersatz-Rechtsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens.

...

3. Was ist nicht versichert?

3.1. Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

...

3.1.2. die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (versicherbar in Artikel 20);

...

Artikel 20

Arbeitsgerichts-Rechtsschutz

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Berufs- und/oder Betriebsbereich

1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?

Versicherungsschutz haben

1.1. im Berufsbereich

- die Versicherungsnehmer ... in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinn des § 51 ASGG gegenüber ihrem Arbeitgeber;

...

2. Was ist versichert?

2.1. Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeits- oder Lehrverhältnissen in Verfahren vor österreichischen Gerichten als Arbeitsgerichte.

2.2. Bei öffentlich-rechtlichen Arbeits-verhältnissen besteht Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen bezüglich dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlicher Ansprüche sowie abweichend von Artikel 7.1.10. auch für Disziplinarverfahren.

...

3. Was ist nicht versichert?

3.1. Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutzbausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

3.1.1. im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß Artikel 17.2.1. und Artikel 18.2.1. sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen gemäß Artikel 17.2.4. (versicherbar in Artikel 17 und 18);

...

4. Wartefrist

Für Versicherungsfälle, die vor Ablauf von drei Monaten ab dem vereinbarten Versicherungsbeginn eintreten, besteht kein Versicherungsschutz. ...“

Der Kläger war bei der Berufsfeuerwehr der Stadt I***** als Beamter beschäftigt und wurde mit Ablauf Jänner 2015 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Zuvor befand er sich zumindest seit dem 25. 4. 2013 in psychiatrischer Behandlung und seit 24. 1. 2014 bis zu seiner Pensionierung im Krankenstand.

Der Kläger brachte am 14. 7. 2017 beim Landesgericht Innsbruck zu AZ 8 Cg 71/17t eine „Amtshaftungsklage“ gegen die Stadt I***** ein. Mit Beschluss vom 18. 8. 2017 sprach das Landesgericht Innsbruck aus, dass das Verfahren vor dem Landes- als Arbeits- und Sozialgericht (Innsbruck) zu führen ist. Seither ist dieses zu AZ 75 Cga 62/17g bzw sodann AZ 75 Cga 29/18f des Erstgerichts anhängig. Mit dem am 27. 11. 2018 präzisierten Klagebegehren begehrt der Kläger Schmerzengeld von 29.500 EUR, an entgangenem Verdienst seit der (Früh-)Pensionierung bis November 2018 94.177,66 EUR, ab November 2018 die Zahlung von (im Einzelnen angeführten) monatlichen Beträgen (sA) bis an sein Lebensende sowie schließlich die Feststellung der Haftung der dortigen Beklagten für sämtliche künftigen nachteiligen Folgen a) „aus der Verletzung der Fürsorgepflicht, Unterlassung geeigneter Gegenmaßnahmen, wie etwa entsprechende Mahnungen, Weisungen und weitere arbeitsrechtliche Sanktionen (zB die Einleitung von Disziplinarverfahren) gegenüber dem Leiter bzw Stellvertreter des für das Personalwesen zuständigen Magistratsbediensteten, gegenüber dem Branddirektor (Amtsleiter) und den sonstigen beteiligten Offizieren und Mitarbeitern der Berufsfeuerwehr I*****, zur Abstellung der von August 2010 bis einschließlich Jänner 2015 erfolgten Rufschädigungen, mündlichen Drohungen mit finanziellem und sozialem Ungemach, Beschränkungen der Möglichkeit, sich gegenüber Vorgesetzten zu diensterheblichen Fragen zu äußern (Isolation), Zurückhaltungen von dienstrelevanten Informationen, ungerechtfertigten und unangemessenen Diensteinteilungen, Verweigerungen von gebührenden Freistellungen, herabwürdigenden Beschimpfungen durch Vorgesetzte „vor versammelter Mannschaft“, ständige ungerechtfertigte Kritik an der Arbeit und ähnlichen Mobbing- und Bossinghandlungen gegenüber dem Kläger an seinem Arbeitsplatz bei der Berufsfeuerwehr I*****, woraus sich die Dienstunfähigkeit des Klägers ergeben hat, zu ergreifen“ und b) „aus den von August 2010 bis einschließlich Jänner 2015 erfolgten Rufschädigungen, mündlichen Drohungen und finanziellem und sozialem Ungemach, Beschränkungen der Möglichkeit, sich gegenüber Vorgesetzten zu diensterheblichen Fragen, aus welchen Handlungen der der dortigen Beklagten zuzurechnenden Personen sich die Dienstunfähigkeit des Klägers ergeben hat“, in eventu die Feststellung der Haftung für seine nachteiligen Folgen aus der Versetzung in den Ruhestand mit Bescheid vom 27. 1. 2015. Zur Begründung dieser Begehren brachte der Kläger zusammengefasst vor, dass er seit seiner Tätigkeit als Personalvertreter systematische Mobbing- und Bossinghandlungen durch Mitarbeiter und Vorgesetzte erdulden habe müssen. Im August 2010 sei es beispielsweise zur Einleitung eines unbegründeten Disziplinarverfahrens gegen ihn gekommen, das nach einem Jahr eingestellt worden sei. Im Verlauf der Jahre sei es zu weiteren Vorfällen gekommen. Konkret wurden „Mobbinghandlungen“ im Zeitraum vom 19. 9. 2011 bis 15. 7. 2013 und auch im zweiten Halbjahr 2013 und im Jahr 2014 angeführt. Diese Handlungen hätten beim Kläger psychische Beschwerden verursacht, worauf er sich im Jahre 2013 in psychiatrische Behandlung, ab 24. 1. 2014 in den Krankenstand begeben habe müssen. Die dargestellten Ereignisse hätten bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung samt einhergehender Berufsunfähigkeit verursacht.

Der (seinerzeitige) Rechtsvertreter des Klägers suchte am 8. 8. 2016 erstmalig bei der Beklagten um Deckungsschutz für das oben angeführte Verfahren an, welcher mit Anwortschreiben der Beklagten vom 23. 9. 2016 abgelehnt wurde.

Der Kläger begehrt 1. die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, ihm im Rahmen des Versicherungsvertrags Rechtsschutzdeckung für die gerichtliche Geltendmachung seiner Amtshaftungs- und Schadenersatzansprüche im Verfahren AZ 75 Cga 29/18f (vormals AZ 75 Cga 62/17g bzw AZ 8 Cg 71/17t) des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht zu gewähren, und 2. die Zahlung der in diesem Verfahren vorgeschriebenen Pauschalgebühr von 2.779 EUR sA.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Der Versicherungsfall unterstehe dem Arbeitsgerichts-Rechtsschutz, der erstmalig in der Polizze vom 4. 3. 2013 enthalten sei. In jenem Verfahren, zu welchem der Kläger Deckung begehre, gehe es aber nach dessen Vorbringen um Sachverhalte, die bis in das Jahr 2010 zurückreichten und beziehe sich auch das dort gestellte Feststellungsbegehren auf Mobbinghandlungen seit August 2010. Die Beklagte habe daher den Deckungsschutz zu Recht wegen Vorvertraglichkeit abgelehnt. Darüber hinaus komme auch die Allmählichkeitsklausel des Art 7.1.2. ARB 1994 zum Tragen. Die vom Kläger im zu deckenden Verfahren ins Treffen geführten Mobbinghandlungen mit Beginn im Jahr 2010 hätten erst im Laufe der Jahre zu dem geltend gemachten posttraumatischen Syndrom geführt. Diese psychische Erkrankung sei nicht auf eine einmalige oder plötzliche Ursache zurückzuführen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es würden nur Amtshaftungsansprüche geltend gemacht, für die das Amtshaftungsgericht zuständig sei. Daran ändere auch der – unrichtige – Besetzungsbeschluss des ursprünglich angerufenen Landesgerichts Innsbruck nichts. Amtshaftungsansprüche seien „Schadenersatzansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts“ im Sinn des Art 19 ARB. Schließlich komme auch die Allmählichkeitsklausel nicht zum Tragen. Zweck derselben sei der Ausschluss von Gefahrenlagen, deren Eintritt, Ablauf und Folgen unberechenbar seien und bei denen der Nachweis des Schadensursprungs wie der Verantwortlichkeit oft schwierig sei. Eine klare Definition, welche Ereignisse auf „allmähliche Einwirkung“ zurückzuführen seien, fehle.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Kläger sei Beamter der Stadt I***** gewesen und habe eine Amtshaftungsklage eingebracht. Beim geltend gemachten Anspruch handle es sich um einen Schadenersatzanspruch aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögenschaden nach Art 19.2.1. ARB. Der Beschluss des Gerichts nach § 37 Abs 3 ASGG mache eine „Nichtarbeitsrechtssache“ nicht zu einer solchen, selbst wenn in – objektiv – unrichtiger Gerichtsbesetzung entschieden werde. Der Risikoausschluss in Art 7.1.1. ARB sei als unklar aufzufassen. Diese Unklarheit gehe zu Lasten der Beklagten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur hier gegenständlichen Ausschlussklausel (Art 7.1.2. ARB 1994) nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Unstrittig ist, dass der Kläger als Beamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt I***** steht.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Streitigkeiten aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis von Beamten im Verwaltungsweg auszutragen (RS0086019). Soweit dem Beamten die Durchsetzung seiner Ansprüche nach den dienstrechtlichen Vorschriften nicht möglich ist, kann er gegen den Rechtsträger, der ihn ernannt hat, Amtshaftungsansprüche geltend machen; dies gilt auch für den Fall der Verletzung von Fürsorgepflichten aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis durch den Dienstgeber (9 ObA 84/12m, 8 ObA 65/15i; RS0021507 [T5, T8]). Die Wahrnehmung der Fürsorgepflichten in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ist nämlich ihrer Art nach hoheitlicher Natur. Dies entspricht dem Grundsatz, dass alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen sind, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit hoheitlichen Ansprüchen aufweisen (RS0049948; 9 ObA 84/12m, 8 ObA 65/15i je mwN).

2.2. Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der Kläger mit der beabsichtigten Klagsführung einen Amtshaftungsanspruch gegenüber seinem Dienstgeber geltend macht. Beim Amtshaftungsanspruch handelt es sich um einen (deliktischen) Schadenersatzanspruch.

3. Die Beklagte meint, dieser Anspruch des Klägers sei dem Arbeitsgerichts-Rechtsschutz nach Art 20.2.2. ARB zuzurechnen.

3.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, dh im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

3.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068).

3.3. Die allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1–16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17–25 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht umschreiben (7 Ob 115/19s).

3.4. Nach Art 20.2.2. ARB erstreckt sich der Versicherungsschutz bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen bezüglich dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlicher Ansprüche sowie abweichend von Art 7.1.10. auch für Disziplinarverfahren. Bereits nach dem insoweit klaren Wortlaut bezieht sich hier der Rechtsschutz auf Streitigkeiten aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis von Beamten, die im Verwaltungsweg auszutragen sind (RS0086019); keinesfalls kann der Bestimmung die Übernahme von Rechtsschutz für vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machenden Amtshaftungsansprüchen entnommen werden.

3.5. Die Frage, ob ein bestimmter Gerichtshof, als Arbeits- und Sozialgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat, ist – hier – ausschließlich eine Frage der (unrichtigen) Gerichtsbesetzung (RS0085489). Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der Umstand, dass das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss nach § 37 Abs 3 ASGG unbekämpft aussprach, dass die Rechtssache in der Besetzung eines arbeitsgerichtlichen Senats zu führen sei, keine bindende Aussage darüber trifft, welcher materiell-rechtliche Anspruch erhoben wurde.

4.1. Der vom Kläger geltend gemachte Amtshaftungsanspruch ist daher dem Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 19.2.1. ARB zuzuordnen. Als Versicherungsfall gilt demnach nach Art 2.3. ARB das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis (7 Ob 202/11y).

4.2. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass dieses – betreffend die geltend gemachten Verdienstentgangs- und Schadenersatzansprüche – jeweils innerhalb der Versicherungslaufzeit lag, wendet sich die Beklagte zu Recht nicht.

5.1. Die Beklagte gründet ihre Leistungsfreiheit weiters auf das Vorliegen des Risikoausschlusses nach Art 7.1.2. ARB. Nach dieser Bestimmung besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit Ereignissen, die auf allmähliche Einwirkung zurückzuführen sind.

5.2. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unvollständig abgefasst ist. Dieses sogenannte Transparenzgebot soll es dem Verbraucher ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen so gestaltet sein, dass der Verbraucher durch ihre Lektüre eine klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition erhält (RS0115217 [T14]). Insbesondere darf er durch die Formulierung einer Klausel nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten werden. Es soll verhindert werden, dass er über die Rechtsfolgen getäuscht oder dass ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird (RS0115219 [T1, T43]).

5.3. Die Allmählichkeitsklausel ist in der Haftpflichtversicherung gebräuchlich. Dort werden Schäden an Sachen ausgeschlossen, die durch eine allmähliche Einwirkung von Temperaturen, Gasen, Flüssigkeit, Dämpfen, Feuchtigkeit oder nichtatmosphärischen Niederschlägen wie auch Russ und Staub entstehen. Von der hier gegenständlichen Klausel unterscheidet sie sich dadurch, dass sie einerseits das Ereignis (Sachschaden) und andererseits die relevanten Einwirkungen konkret nennt.

5.4. In den vorliegenden Versicherungsbedingungen wird der Begriff „Ereignis“ nicht definiert. Er kommt lediglich in Art 2 ARB als Wortbestandteil des Schadenereignisses vor. Weiters wird er in Art 7 ARB verwendet (Kriegsereignisse [7.1.1.]; in der Definition einer Katastrophe [7.1.2.]; als nukleares oder genetisches Ereignis [7.1.3.]). Im hier interessierenden Zusammenhang erfährt der Begriff „Ereignis“ keine wie immer geartete Umschreibung, sodass für durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer völlig offenbleibt, was darunter zu verstehen sein soll. Auch der Begriff der Einwirkungen wird in keiner Weise konkretisiert, sodass insgesamt völlig unklar ist, welche Art von Einwirkung zu welchem Ereignis führen muss, um die Voraussetzungen des Risikoausschlusses zu erfüllen. Der Versicherungsnehmer kann damit auch nicht erkennen, welche Interessen, die er mit Rechtsschutz wahrzunehmen beabsichtigt, im ursächlichen Zusammenhang mit dem nicht weiter konkretisierten auf allmähliche Einwirkung zurückzuführenden Ereignis stehen und daher vom genannten Risikoausschluss umfasst sind. Die Klausel ist insoweit intransparent (vgl Hartmann Rechtsschutzversicherung Prüfung von Deckungsablehnungen 331 f).

6. Die Vorinstanzen haben daher zutreffend die Deckungspflicht der Beklagten bejaht, weshalb der Revision der Erfolg zu versagen ist. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E129552

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00118.20H.0916.000

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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