TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 W281 2227093-1

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AsylG 2005 §55
AVG §39 Abs2
AVG §69 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W281 2227095-1/8E

W281 2227093-1/11E

W281 2227096-1/7E

W281 2227094-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HALBARTH-KRAWARIK über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. am XXXX , 2. XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , 3. XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , 4. XXXX , geb. am XXXX , zu 2. bis 4. gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle Staatsangehörigkeit Serbien, diese vertreten durch: Dr. Wolfgang Mekis, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2019, Zl. Zu 1. XXXX , zu 2. XXXX , zu 3. XXXX , zu 4. XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerdeverfahren werden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Den Beschwerden wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: 1.BF), eine serbische Staatsangehörige, stellte am 06.06.2018 für sich und ihre Kinder, die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: 2.-4.BF), einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

In der Folge wurde den BF Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 erteilt.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes vom 02.12.2019 wurden die geführten Verfahren zur Erlangung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK hinsichtlich der mit 28.12.2018 entschiedenen Zuerkennungen und konstitutiven Aushändigungen der Aufenthaltsberechtigungen plus gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG als in 1. Instanz anhängige Verfahren wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.).

Begründend wurde ausgeführt, dass aus Sicht der Behörde erwiesen sei, dass der Mitarbeiter die Aktenzuteilung im vorgesehenen Organisations-und Verteilungsprinzip durch die Kanzlei der Regionaldirektion Wien umgangen sei, indem er im Juni zuerst die Daten nur im elektronischen System anlegt habe, ohne weitere Schritte zu setzen. Dies sei insofern auffällig, da die 1.BF bereits am 06.06.2018 einen Antrag eingebracht habe. Erst mit 05.12.2018 sei erfasst worden, dass und welche Art von Verfahren in Bezug auf die Personen der Antragsteller geführt werde. Die direkte Annahme von Anträgen durch Referenten/Entscheider sei nicht erlaubt und hätten diese Anträge immer durch die Kanzlei angenommen und gemäß dem Kanzleiorganisationssystem aliquot an verschiedene Teams aufgeteilt zu werden. Die Handlung des Mitarbeiters habe somit eine unerlaubte „Reservierung“ des Geschäftsfalles dargestellt, um sicherzustellen, dass der verfahrensgegenständliche Akt zu diesem Mitarbeiter gelange. Dem Akteninhalt sei zudem zu entnehmen gewesen, dass auch alle weiteren Abläufe nicht dem üblichen Prozedere entsprechen würden und auch Kontrollmechanismen gezielt umgangen worden seien. So sei die Entscheidung bzw. der dazu angelegte Aktenvermerk keinem Vorgesetzten vorgelegt worden. Es habe die Anträge betreffend auch keine Ermittlungstätigkeit festgestellt werden können. Im Laufe des nunmehrigen Ermittlungsverfahrens habe jedoch festgestellt werden können, dass die Antragsteller die Erteilungsvoraussetzungen am 28.12.2018 nicht erfüllt hätten. Das strafgerichtliche Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter sei noch nicht abgeschlossen. Weitere Aspekte wie zum Beispiel eine mögliche Geldleistung oder sonstige Vorteile durch ein pflichtwidriges Amtsgeschäft seien von den Strafverfolgungsbehörden noch abzuklären.

Gegen die oben genannten Bescheide richten sich die erhobenen, gleichlautenden Beschwerden. In diesen wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde vor Erlassung eines Bescheides ein ordentliches Ermittlungsverfahren zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nach den Bestimmungen des §§ 37 und 39 AVG durchzuführen habe. Dazu gehöre als zentraler Grundsatz eines fairen Verfahrens unter anderem die Wahrung des Parteiengehörs. In den gegenständlichen Bescheiden habe die belangte Behörde den Parteien begründungslos keine Gelegenheit gegeben, zum Ermittlungsverfahren Stellung zu nehmen. Fallbezogen hätte dies jedenfalls zu keiner Wiederaufnahme geführt, da in dieser Stellungnahme ausgeführt worden wäre, dass der herangezogene Wiederaufnahmegrund nicht vorliege. Die angefochtenen Bescheide seien daher schon wegen gravierender Verletzung des Parteiengehörs mit formeller Rechtswidrigkeit belastet. Fallbezogen sei weder den Feststellungen noch der Beweiswürdigung ein Substrat zu entnehmen, welches den Tatbestand des Deliktstypus nach § 302 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) unterstellt werden könnte. Auch lasse das die belangte Behörde völlig im Dunkeln, weshalb die Erteilungsvoraussetzungen für die Aufenthaltsberechtigungen plus zum Entscheidungszeitpunkt am 28.12.2018 nicht erfüllt gewesen sein sollten. Es werde nicht einmal behauptet, dass der Beamte das nach § 55 AsylG eingeräumte Ermessen pflichtwidrig ausgeübt hätte. Auch werde nicht dargelegt, welche konkreten Ermittlungen notwendig gewesen wären und von dem Beamten pflichtwidrig unterlassen worden seien. Es werde in den angefochtenen Bescheiden auch nicht behauptet, dass der fragliche Beamte zu einer solchen Amtshandlung überhaupt nicht befugt gewesen wäre. Die Verletzung von Zuständigkeits-oder Organisationsvorschriften oder eines Vier-Augen Prinzips sei für sich allein ebenso wenig geeignet, den Tatbestand nach § 302 Abs. 1 StGB zu erfüllen, wie die Tatsache einer bloßen Strafanzeige. Somit sei aus dem festgestellten Sachverhalt möglicherweise ein Disziplinardelikt, jedenfalls aber kein Amtsdelikt oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung ableitbar. Der festgestellte Sachverhalt könne nicht einmal zu einem Anfangsverdacht eines gerichtlich strafbaren Verhalten führen. Es fehle daher an der Tatbestandvoraussetzung des § 69 Abs. 1 AVG. Soweit die belangte Behörde an einer Stelle das „Erschleichen“ erwähne, sei vollständigkeitshalber zu erwidern, dass hierfür jegliche Feststellungen fehlen würden, die eine der drei vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) geforderten Voraussetzungen, nämlich 1. objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung, 2. ein Kausalzusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde, und 3. eine Irreführungsabsicht im Sinne einer Behauptung wider besseren Wissens in der Absicht, einen Vorteil zu erlangen (VwGH 20.09.2011, Ra 2008/01/0777), zu erfüllen. Die Darstellung der subjektiven und objektiven Tatseite basierend auf eindeutigen Feststellungen sei im gegenständlichen Fall streng zu prüfen, da mangels einer Anklageerhebung, geschweige denn einer gerichtlichen Verurteilung, die Unschuldsvermutung vagen Behauptungen und Spekulationen entgegenstehe. Insgesamt fehle es den angefochtenen Bescheiden somit an einem tauglichen Tatsachensubstrat für eine amtswegige Wiederaufnahme nach §§ 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG. Da die belangte Behörde rechtsirrig von einer im vorliegenden Fall nicht gegebenen Tatbestandsvoraussetzung nach § 69 Abs. 1 AVG ausgegangen sei, habe sie die angefochtenen Bescheide auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Beantragt werde die Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

Die Beschwerde ging am 02.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 29.04.2020 legte die belangte Behörde über ausdrückliche Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes ergänzende Unterlagen vor.

Mit Beschluss vom 15.06.2020 wurden die Verfahren gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zum Abschluss bei der Staatsanwaltschaft Wien geführten Verfahrens gegen den Sachbearbeiter der belangten Behörde ausgesetzt.

Mit 13.07.2020 langte die Benachrichtigung über die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Sachbearbeiter der belangten Behörde mit 01.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die 1.BF ist die Mutter der minderjährigen 2.-4.BF. Die BF sind Staatsangehörige der Republik Serbien und die 1.BF stellte am 06.06.2018 für sich und ihre Kinder einen Antrag auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005, die ihnen mit 28.12.2018 zuerkannt wurden.

Gegen die Zuerkennung vom 28.12.2018 ist ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig.

Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 02.12.2019 wurden die am 28.12.2018 abgeschlossenen Verfahren wiederaufgenommen.

Der Sachbearbeiter der belangten Behörde hat bei der Zuteilung der Anträge der Beschwerdeführer interne vorgesehene Organisations-und Verteilungsprinzip der Kanzlei der Regionaldirektion Wien umgangen, indem er eine „unerlaubte Reservierung“ des Geschäftsfalles vorgenommen und die Entscheidung bzw. den dazu angelegten Aktenvermerk keinem Vorgesetzten vorgelegt hat.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes

Die Feststellungen ergeben sich widerspruchsfrei aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) I. Verbindung der Verfahren

Das Bundesverwaltungsgericht kann gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG unter Bedachtnahme auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis mehrere in seine Zuständigkeit fallende Rechtssachen zur gemeinsamen Entscheidung verbinden, soweit dies im Rahmen der Geschäftsverteilung möglich ist.

Da die BF in Österreich in Familiengemeinschaft zusammenleben und in allen Beschwerdeverfahren die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungswesentlich sind, sind die Verfahren, die der selben Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen wurden, aus Zweckmäßigkeitsgründen zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

3.2. Zu A) II. Stattgabe der Beschwerden und ersatzlose Behebung der angefochtenen Bescheide

3.2.1. Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.

Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

3.2.2. Im gegenständlichen Verfahren stützte die belangte Behörde die amtswegige Wiederaufnahme auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG, da nach Ansicht der belangten Behörde die Bescheide über die Erteilungen der Aufenthaltsberechtigungen plus durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden seien.

3.2.2.1. Der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist, soweit der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt wurde, unabhängig davon erfüllt, ob die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigende gerichtlich strafbare Handlung von der dadurch begünstigten Partei gesetzt oder veranlasst wurde, oder ob sie zumindest davon Kenntnis hatte. Es kommt nicht darauf an, ob und gegebenenfalls welche Rolle die begünstigte Partei bei der strafbaren Handlung gespielt hat (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999), Rz 585). Wesentlich ist lediglich, dass der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt wurde, wobei die „gerichtlich strafbare Handlung“ auch nicht durch gerichtliches Urteil festgestellt worden sein muss; die Frage, ob eine "gerichtlich strafbare Handlung" vorliegt, ist von der zur Wiederaufnahme des Verfahrens berufenen Behörde, allenfalls als Vorfrage, zu beurteilen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1488 f).

Für einen Beschwerdefall bedeutet daher weder ein Freispruch noch das Fehlen eines Urteils, dass die sinngemäße Anwendung des § 69 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 AVG ausgeschlossen wäre (VwGH 18.02.2002, 99/10/0238).

3.2.3.2. Mit Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens vom 01.07.2020 teilte die Staatsanwaltschaft Wien mit, dass eine Einstellung des Verfahrens gegen den Sachbearbeiter gemäß § 190 Z 2 StPO erfolgte, da kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht und ein strafbares Verhalten nicht mit an der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar ist. Freisprüche der Strafgerichte entfalten zwar keine Bindungswirkung dahingehend, dass die Tat nicht als erwiesen angenommen werden darf (VwGH 03.09.2003, 2000/03/0369; zur Einstellung durch den Staatsanwalt nach § 90 Abs. 1 StPO vgl VwGH 24.01.2000, 99/17/0175; VwGH 19.07.2001, 99/20/0418), sind aber bei der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu würdigen.

3.2.3.3. Im gegenständlichen Fall führte die belangte Behörde zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens lediglich aus, dass gegen den Sachbearbeiter, der am 28.12.2018 über Zuerkennung und konstitutive Aushändigung der Aufenthaltsberechtigungen plus an die BF entschieden habe, ein strafgerichtliches Ermittlungsverfahren anhängig sei. Hinsichtlich der Beteiligung an diesen gerichtlich strafbaren Handlungen sei das Ermittlungsverfahren durch die Ermittlungsbehörden und des Gerichtes abzuwarten. Der Beamte habe die Aktenzuteilung im vorgesehenen Organisations-und Verteilungsprinzip durch die Kanzlei der Regionaldirektion Wien umgangen, eine „unerlaubte Reservierung“ des Geschäftsfalles vorgenommen und die Entscheidung bzw. den dazu angelegten Aktenvermerk keinem Vorgesetzten vorgelegt. Es habe die Anträge betreffend auch keine Ermittlungstätigkeit festgestellt werden können.

Damit übersieht die Behörde, dass die allgemeinen Ausführungen in den Bescheiden kein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinne des StGB aufzeigen, sondern lediglich disziplinäre Verfehlungen umschreiben und aus den angeführten Verletzungen interner Organisationsvorschriften keine Verhaltensweisen hervorgehen, die als Beweis für einen Missbrauch der Amtsgewalt des erwähnten Mitarbeiters herangezogen werden können.

3.2.3.4. Die im Einzelfall als erwiesen angenommene Tat muss so eindeutig umschrieben und bezeichnet sein, dass kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Beschuldigte zu bestrafen ist (VwGH 25.6.1998, 96/15/0167).

Die belangte Behörde hat bei ihren rechtlichen Erwägungen keinen genauen Straftatbestand anführt, sondern nur allgemein auf die Annahme einer gerichtlich strafbaren Handlung verwiesen, die für die belangte Behörde - auch ohne Vorliegen nachweisbarer Abklärungen vor dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens - als hinreichend beweisbar qualifiziert wird.

Diesen Behauptungen ist jedoch entgegenzuhalten, dass nur im Rahmen von Untersuchungen und Nachforschungen konkreten Hinweisen bezüglich einer etwaigen Vorteilsannahme bzw. der pflichtwidrigen Vornahme eines Amtsgeschäftes nachgegangen werden kann und aus der Feststellung der Verletzung interner dienstrechtlicher Regelungen nicht auch in weiterer Folge bereits eine pflichtwidrige Vornahme einer Amtshandlung ableitbar ist.

3.2.3.5. Es kann eine strafbare Handlung erst angenommen werden, wenn - in ebenso nachprüfbarer Weise - auch die subjektive Tatseite festgestellt ist. Im Grunde dieselben Überlegungen gelten für die Beurteilung der Frage, ob ein Amtsmissbrauch im Sinne des § 302 StGB begangen wurde, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass dieses Delikt nur in der Vorsatzform der Wissentlichkeit begangen werden kann.

Auch aus der über ausdrückliche Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2020, in der mitgeteilt wurde, dass andernfalls auf Basis der vorgelegten Verwaltungsakten entschieden werde, erfolgten Aktenvorlage vom 29.04.2020, konnte ein strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere zumindest Indizien für einen Vorsatz des Sachbearbeiters, nicht erkannt werden. So war dieser Aktenvorlage eine Vernehmung des Sachbearbeiters, die zumindest Indizien für einen Vorsatz hätte liefern können, nicht angeschlossen. Es mag allgemein disziplinäre Konsequenzen für die Nichtbefolgung des Organisations- bzw. Verteilungsprinzip geben, ein strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere ein Vorsatz der Wissentlichkeit kann aus den vorgelegten Verwaltungsakten auch nicht ansatzweise erkannt werden.

3.2.3.6. Das Rechtsinstitut der amtswegigen Wiederaufnahme eines Verfahrens kann jedoch nicht dafür herangezogen werden, dass sich die Behörde ohne Hinzutreten weiterer Umstände auf bloße Mutmaßungen und vage Annahmen stützt und dadurch die Rechtskraft vorangegangener Entscheidungen durchbricht.

Der Wiederaufnahmsgrund - insbesondere die strafbare Handlung - muss von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde aber auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden. Eine Verdachtslage kann zwar Anlass geben, der Frage nachzugehen, ob bestimmte Verfahren wiederaufzunehmen sind, aber keinen Wiederaufnahmegrund als solchen darstellen, der es rechtfertigen würde, die Rechtskraft von Bescheiden zu durchbrechen (VwGH 19.04.1994, 93/11/0271).

Bereits die vorgelegten Unterlagen lassen zumindest Indizien für einen Vorsatz des Sachbearbeiters nicht erkennen. Zusätzlich wurde das Strafverfahren gegen den Sachbearbeiter eingestellt und lassen sich auch dadurch zumindest Indizien für einen Vorsatz des Sachbearbeiters nicht erkennen.

Die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG liegen somit nicht vor.

Die angefochtenen Bescheide sind somit im vollen Umfang ersatzlos zu beheben, womit die mit der Verfügung der Wiederaufnahme außer Kraft getretenen Entscheidungen wiederhergestellt werden und die Verfahren in die Lage zurücktreten, in die sie sich vor der Erlassung dieser (Wiederaufnahme-)Bescheide befunden haben.

3.2.3.7. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens ausschließlich die Beurteilung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG umfasst, die im konkreten Fall aufgrund eines bloßen Verdachtes der Annahme eines amtswidrigen Vorgangsweise nicht erfüllt ist. Erst danach sowie nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, ist in einem darauffolgenden wiederaufgenommenen Verfahren zu prüfen, ob die Erteilungen der Aufenthaltsberechtigungen plus auch rechtmäßig waren.

2.4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Das Verwaltungsgericht (VwG) hat gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann gemäß Abs. 2 Z 1 entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das VwG - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Da im gegenständlichen Verfahren weder die dem BVwG vorgelegten Verwaltungsakten noch die Beschwerden erkennen lassen, dass eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung zu erwarten ist und die angefochtenen Bescheide zudem ersatzlos zu beheben sind, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten und vor dem Hintergrund der Einstellung des Strafverfahrens war die Aktenlage bereits als geklärt anzusehen, da keine Hinweise für einen - vom Gesetz geforderten - Vorsatz des Sachbearbeiters ersichtlich waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das VwG im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH zu den Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme eines Verfahrens ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht ist nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (siehe zB VwGH 19.04.1994, 93/11/0271; VwGH 25.6.1998, 96/15/0167). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Rechtskraftdurchbrechung Straftatbestand vage Mutmaßungen Verfahrensverbindung Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W281.2227093.1.01

Im RIS seit

27.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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