TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/5 95/21/0984

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Veröffentlicht am 05.11.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §6 Abs3;
AsylG 1991 §7 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FlKonv;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 95/21/0940 E 12. Februar 1998

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ungersböck, über die Beschwerde des N V (geboren am 1. Jänner 1965), vertreten durch

Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. April 1995, Zl. Fr 3683/95, betreffend Ausweisung und Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wird, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, soweit aber sein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Iran zurückgewiesen wird, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. April 1995 wurde der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsbürger, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 und Abs. 3 des Fremdengesetzes (FrG) ausgewiesen und sein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Iran zurückgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer am 2. Oktober 1994 gemeinsam mit seiner Ehegattin zu Fuß über die grüne Grenze illegal in das Bundesgebiet eingereist sei, ohne im Besitz eines Reisedokumentes und einer Aufenthaltsberechtigung zu sein. Am 3. Oktober 1994 habe er einen Asylantrag eingebracht, welcher mit Bescheid vom 12. Oktober 1994 abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich vor seiner Einreise in Slowenien aufgehalten. Slowenien sei Mitgliedstaat des Europarates und der EMRK und habe auch die Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge ratifiziert. Der Beschwerdeführer sei daher in Slowenien vor Verfolgung sicher gewesen. Er sei nicht gemäß § 7 des Asylgesetzes 1991 zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen, weil er nicht direkt aus dem Staat, in welchem er Verfolgung behaupte, nach Österreich eingereist sei, weshalb ihm auch keine Bescheinigung gemäß § 7 Abs. 4 Asylgesetz 1991 über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung ausgestellt worden sei. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers unterliege somit uneingeschränkt den Bestimmungen des FrG.

Eine gerechtfertigte Annahme einer Gefährdung maßgebender öffentlicher Interessen im Sinne des § 17 Abs. 2 FrG liege dann vor, wenn der Fremde den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen in der Lage sei. Wolle er diese Rechtsfolgen vermeiden, so liege es an ihm, von sich aus initiativ zu beweisen, daß er über die für seinen Unterhalt erforderlichen Mittel verfüge. Seine Ausführung, daß er von der Evangelischen Kirche betreut und untergebracht werde und daher nicht mittellos im Sinne des Fremdengesetzes sei, reiche für die Erbringung des Nachweises der Mittel zu seinem Unterhalt nicht aus. Eine nicht bloß vorübergehende Sicherung des künftigen Unterhaltes könne daraus mangels eines durchsetzbaren Rechtsanspruches nicht abgeleitet werden.

Über Anträge auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 54 FrG habe die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, zu entscheiden. Dem Berufungsantrag (gemeint wohl: der Berufungsbehörde) komme vorerst keine Entscheidungskompetenz zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof wie folgt erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Grunde des § 7 Asylgesetz 1991 im Besitz einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gewesen sei. Vor seiner - unmittelbar vor der Stellung seines Asylantrages erfolgten - Einreise nach Österreich habe er sich in Slowenien aufgehalten, und die belangte Behörde habe sich mit der Frage seiner Verfolgungssicherheit in Slowenien im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend auseinandergesetzt. Sie habe bezüglich dieser Frage lediglich auf die formale Mitgliedschaft Sloweniens beim Europarat und der EMRK hingewiesen und betont, daß Slowenien die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ratifiziert habe. Auf den Einwand des Beschwerdeführers in seiner Berufung vom 31. Oktober 1994, in welcher er auf eine Stellungnahme des UNO-Hochkommissariates vom 19. Oktober 1994 betreffend Verfolgungssicherheit in Slowenien Bezug genommen habe, sei die belangte Behörde jedoch mit keinem Wort eingegangen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. In seiner Berufung hatte der Beschwerdeführer nämlich folgendes vorgebracht:

"Ich verweise darauf, daß ich zunächst durchaus legal auf dem Luftwege nach Wien gekommen bin, dann aber vom Schlepper nach Slowenien weitergebracht wurde. In diesem Lande war ich jedoch vor Verfolgung nicht sicher, sodaß ich wieder nach Österreich zurückflüchten mußte.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahme des UNO-Hochkommissariats vom 19.10.1994 betreffend Verfolgungssicherheit in Slowenien:

Das UNO-Hochkommissariat weist darauf hin, daß die slowenischen Behörden derzeit zwar etwa 35.000 Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina temporären Schutz gewähren; für Asylwerber anderer Staatsangehörigkeit könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der Verfahrenszugang im ausreichenden Maße gewährleistet sei und ein effektiver Schutz vor Abschiebung bestehe.

Bisher sei noch kein Asylgesetz verabschiedet worden; die asylrelevanten Regelungen seien im Fremdengesetz enthalten; nach dem Fremdengesetz sei jedoch bisher noch in keinem der Fälle eine Anerkennung erfolgt.

Der Zugang zum Asylverfahren sei nicht immer gewährleistet; Anträge seien wiederholt nicht entgegengenommen bzw. nicht bearbeitet worden. Der flüchtlingsrelevante Sachverhalt werde nicht ausreichend erhoben. Das Interview werde nicht von besonders geschulten Beamten durchgeführt. Eine rechtliche Beratung und Information über den Verfahrensablauf sei nicht vorgesehen. Der aufenthaltsrechtliche Status des Asylwerbers während des Verfahrens sei ungeklärt. Asylwerber seien wiederholt in Haft genommen und willkürlicher Behandlung seitens slowenischer Staatsorgane ausgesetzt worden.

"In dieser Rechtsunsicherheit", heißt es weiters im Bericht des UNHCR, "liegt zweifellos ein erhebliches Maß an Risiko für den auf Schutz angewiesenen Flüchtling. Im Einzelfall könnte daher eine Verweigerung asylrechtlichen Schutzes in Österreich nur dann erwogen werden, wenn bezüglich eines konkreten Falles positiv festgestellt werden konnte, daß er die verfahrensmäßigen Hürden in Slowenien tatsächlich bereits erfolgreich überwunden hatte und dort tatsächlich ausreichend Schutz erlangt hatte sowie dorthin auch zurückkehren und den schon einmal gewährten Schutz wieder effektiv in Anspruch nehmen kann."

Dies trifft auf mich keineswegs zu; ich habe daher in Slowenien keinen Schutz vor Verfolgung gefunden.

Ich nehme daher für mich in Anspruch, daß ich (im Sinne des Asylgesetzes und der GFK) direkt nach Österreich gekommen bin, sodaß ich berechtigt bin, den Schutz des Asylrechts und der Flüchtlingskonvention in Anspruch zu nehmen."

Bezüglich der Frage, ob ein Asylwerber zum vorläufigen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 berechtigt - und daher eine Ausweisung gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unzulässig - ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch maßgeblich, ob der Betroffene in den Durchreisestaaten verfolgt oder von einer Rückschiebung bedroht war oder ob er wegen des Vorliegens der in § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gründe bei seiner Einreise nicht zurückgewiesen hätte werden dürfen und ihm die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 zu gestatten gewesen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. September 1995, Zl. 95/21/0005, vom 24. Jänner 1996, Zl. 95/21/1170, vom 29. Februar 1996, Zl. 94/18/0746, vom 19. Juni 1996, Zl. 96/21/0403, und vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0701). Nach dem Auftrag dieser Gesetzesstelle ist solchen Fremden in Beachtung des Refoulement-Verbotes die Einreise zu gestatten, und stellt das Gesetz hinsichtlich der Erlangung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nicht darauf ab, ob die Einreise gestattet wurde. Daher kommt auch solchen Asylwerbern, die triftige Gründe für ihre illegale Einreise vorbringen können, die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 zu, wenn sie unverzüglich nach Wegfall entgegenstehender Hindernisse innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 den Wunsch oder die Absicht erkennen lassen, einen Asylantrag zu stellen (vgl. § 6 Abs. 3 des Asylgesetzes 1991; Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0229).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß die allein aus dem Beitritt eines Staates zur Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitete Annahme, einem Fremden drohten dort nicht die Gefahren gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG, unschlüssig ist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0151, vom 8. Oktober 1997, Zl. 95/21/0375, sowie auch das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, m.w.N.). Beruft sich vielmehr ein Fremder auf eine ihm in einem Drittstaat drohende Gefahr einer Weiterschiebung in einen Staat, in welchem ihm eine Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG drohe, so ist die Behörde auch in einem solchen Fall gehalten, sich mit der konkreten und aktuellen Praxis des betreffenden Staates hinsichtlich der Einhaltung des Refoulement-Verbotes in bezug auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren auseinanderzusetzen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. September 1997, Zl. 95/21/0137, und vom 8. Oktober 1997, Zl. 95/21/0375).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bezüglich der Situation im Drittstaat nicht nur "weder auf seinen konkreten Fall noch auf ein konkretes Land bezogene Behauptungen aufgestellt" (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1997, Zl. 96/21/0821); vielmehr hat er in ausreichend konkretem Maße auf die zum Zeitpunkt seiner Durchreise durch Slowenien in diesem Staate herrschende Situation und damit auf eine für ihn bestehende aktuelle Gefahr hingewiesen. Daher durfte sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall über dieses Vorbringen mit der bloßen Begründung nicht hinwegsetzen, der Beschwerdeführer sei deswegen zum vorläufigen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nicht berechtigt, weil Slowenien Mitgliedstaat des Europarates sowie Vertragsstaat der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Die belangte Behörde hätte sich im Sinne der genannten Rechtsprechung vielmehr mit der konkreten und aktuellen Praxis von Slowenien hinsichtlich der Einhaltung des Refoulement-Verbotes in bezug auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren auseinandersetzen müssen. Weil sie dies in Verkennung der Rechtslage verabsäumt hat, war der angefochtene Bescheid, soweit damit die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Auch soweit die Beschwerde gegen die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Zurückweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Iran gerichtet ist, ist sie berechtigt. Zur Entscheidung über diesen - im übrigen mit eigenem Schriftsatz an die Bezirkshauptmannschaft Baden gerichteten - Antrag war jedenfalls nicht die belangte Behörde, sondern die Bezirkshauptmannschaft Baden berufen. Die belangte Behörde war zu einer Zurückweisung dieses Antrages nicht befugt, sie hätte ihn vielmehr der Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 6 AVG weiterleiten müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0041, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Hinsichtlich des Ausspruches der Zurückweisung des Antrages gemäß § 54 FrG war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Verhältnis zu anderen Materien und Normen AVG Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995210984.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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