TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/8 95/21/0375

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Veröffentlicht am 08.10.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des QK (geboren am 2. Jänner 1973), vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 26. Mai 1994, Zl. Fr-5451/94, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien, Ungarn und in die Slowakei,

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, der Beschwerdeführer sei im Sinne des § 37 Abs. 2 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (FrG), in "Jugoslawien" sowie im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG in der Slowakei und Ungarn bedroht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben;

2. im übrigen beschlossen:

Das Verfahren wird hinsichtlich der Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, der Beschwerdeführer sei im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG in "Jugoslawien" bedroht, eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg wurde im Hinblick auf den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsbürgers der Bundesrepublik Jugoslawien, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Jugoslawien oder Ungarn oder in der Slowakei gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behauptet habe, er sei Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien und zudem Angehöriger der von den Serben extrem verfolgten und unterdrückten ethnischen Gruppe der Albaner aus der Provinz Kosovo. Für Wehrdienstverweigerung oder "Refraktion" könnten nach dem serbischen Republikstrafrecht strengste Strafen bis zu 15 Jahren Freiheitsentzug verhängt werden. Serbien befände sich nach wie vor - wenn zwar nicht offiziell, so jedoch eindeutig de facto - im Kriegszustand, sodaß er im Falle einer Zurückbringung nach Serbien entweder sofort verhaftet, unter Anklage und möglicherweise sogar der Todesstrafe unterworfen oder zur Armee eingezogen, in ein Kriegsgebiet abkommandiert und dort im Rahmen von Todeskommandos eingesetzt und so sicherlich in den Tod geschickt würde. Im Falle einer Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien würde er dort Gefahr laufen, wegen Kriegsdienstverweigerung unter Anklage nach dem serbischen Republikstrafrecht gestellt zu werden, wegen seiner albanischen Volkszugehörigkeit mißhandelt, inhaftiert und unmenschlich behandelt und bestraft zu werden, wegen seiner albanischen Volkszugehörigkeit sowie wegen der Tatsache, daß er den Kriegsdienst verweigert hätte, zwangsweise zur serbischen Armee eingezogen, dort zu Kriegseinsätzen abkommandiert und sohin auch insoweit einer unmenschlichen Behandlung und unmenschlichen Bestrafung unterworfen zu werden sowie überhaupt aufgrund seiner albanischen Volkszugehörigkeit und der Tatsache, daß sein Rechtsfall in Österreich in der Öffentlichkeit breites Aufsehen erregt habe und damit den Staatsinteressen Jugoslawiens geschadet worden sei, von unmenschlicher Behandlung, Mißhandlung, Folterung und Bestrafung sowie Inhaftierung bedroht. Albanische Rekruten in der serbischen Armee seien besonders gefährdet, weil sie überwiegend in Kriegsgebieten eingesetzt würden und sich Fälle von nicht mehr von der Armee zurückgekehrten, und einfach verschwunden gebliebenen jungen Albanern aus dem Kosovo bereits ereignet hätten.

Der Beschwerdeführer habe weiters angegeben, vor seiner Einreise nach Österreich mit einem Reisebus von Suhareke aus über Mazedonien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn in die Slowakei gefahren zu sein. Dort habe er sich einige Tage aufgehalten und sei illegal nach Österreich eingereist. Im Falle seiner Abschiebung in die Slowakei würde er Gefahr laufen, in die Jugoslawische Föderation oder in einen Staat, welcher ihn dorthin weiter abschiebe, insbesondere nach Ungarn weitergeschoben bzw. abgeschoben zu werden; er habe in der Slowakei keinerlei Möglichkeiten und realistische Aussichten, als Flüchtling anerkannt zu werden sowie effektiven Schutz vor Weiterabschiebung und Verfolgung zu erlangen. Der Beschwerdeführer sei aufgrund folgender Umstände bei einer Abschiebung in die Slowakei gefährdet, genau jene persönlichen Nachteile zu erleiden, welche er auch bei einer Direktabschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien zu gewärtigen habe: In der Slowakei würde die Genfer Flüchtlingskonvention nicht angewendet, sie sei auch innerstaatlich nicht entsprechend durch Gesetze umgesetzt worden; in der Slowakei hätte er keinerlei Möglichkeit und Aussicht, einen Asylantrag zu stellen oder sonst durch individuellen Verwaltungsakt oder auf gleichwertige Art und Weise effektiven Schutz vor Verfolgung und Weiterabschiebung zu erlangen; es sei damit zu rechnen, daß er in der Slowakei sofort in Haft genommen und dann weiter abgeschoben würde; es wäre auch damit zu rechnen, daß diese Weiterabschiebung entweder direkt auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Jugoslawien vorgenommen werde, oder auf dem Landwege über Ungarn nach Subotica; eine derartige Weiterabschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien würde dem Beschwerdeführer vor allem deshalb unmittelbar drohen, weil die Slowakei eine Übernahme davon abhängig mache, daß Dokumente vorliegen, welche eine Weiterabschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien ermöglichten; schließlich seien bisher keinerlei Fälle bekannt geworden, in denen Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Slowakei als Asylberechtigte anerkannt oder sonst durch individuellen Verwaltungsakt Schutz vor Verfolgung und Abschiebung gefunden hätten.

Auch bei einer Abschiebung nach Ungarn - so brachte der Beschwerdeführer weiters vor - würde der Beschwerdeführer wegen der Gefahr einer Weiterabschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien oder in einen Staat, der ihn in diese weiter abschiebe, genauso bedroht werden, als ob er direkt in die Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben würde. Aufgrund von Auskünften des UNHCR stehe fest, daß ihm bei einer Abschiebung nach Ungarn die sofortige Inhaftierung drohen würde. Nachdem der Beschwerdeführer bereits in Österreich mehrere Monate in Schubhaft angehalten worden sei, wäre eine weitere Inhaftierung seiner Person in Ungarn als unmenschliche Behandlung zu werten. Außerdem gewähre Ungarn Kriegsdienstverweigerern aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie Kosovo-Albanern kein Asyl und gewähre diesen Menschen keinen effektiven Schutz vor Weiterabschiebung. Vielmehr würde Ungarn aufgrund der von der österreichischen Behörde selbst eingeholten Rückreisepapiere seinerseits sofort die Weiterabschiebung nach Jugoslawien veranlassen. Der Beschwerdeführer hätte daher keine Möglichkeit in Ungarn verbleiben zu dürfen.

Der Beschwerdeführer habe am 21. Februar 1994 beim Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, einen Asylantrag gestellt und als ersten Grund, warum er von zu Hause weggegangen sei, die Tatsache angegeben, daß er zwei Jahre die Polizeischule besucht hätte und jetzt die Kosten dafür zurückzahlen solle. Dieser Vorfall habe sich im Jahre 1990 ereignet. Er hätte aber nicht bereits damals seine Heimat verlassen, weil er damals keine Möglichkeit hiezu gehabt habe. Am 15. Jänner 1993 - er sei damals zu Hause gewesen - hätte er eine Ladung bekommen. Sein Bruder, der unterschrieben hätte, daß er nicht zu Hause gewesen sei, hätte gewußt, daß es sich um einen Einberufungsbefehl gehandelt habe. Seit diesem Zeitpunkt habe sich der Beschwerdeführer bei Verwandten versteckt gehalten. Er habe keinen Militärdienst leisten wollen, weil man die ganze Zeit gehört und gesehen hätte, was mit den Soldaten passiere. Am 27. September 1993 sei er von zwei Polizisten zu Hause gesucht worden.

Die belangte Behörde qualifizierte das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der in der Bundesrepublik Jugoslawien drohenden Behandlungen oder Verfolgungen als nicht glaubwürdig. Er habe in allen bisherigen Verfahren keine Bescheinigungsmittel und nicht einmal Unterlagen vorgelegt, aus denen sich Hinweise auf seine Identität oder Staatsangehörigkeit ergeben würden. Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, daß er in keinem Durchreisestaat, aber auch anläßlich seiner Einreise nach Österreich und in den Wochen nach seiner Rückstellung aus der Bundesrepublik Deutschland (von welcher er nach einer illegalen Einreise nach Österreich zurückgeschoben worden sei) keinen Schutz gesucht habe, lasse seine nunmehr gemachten Angaben unglaubwürdig erscheinen. Der gesamte Kontext seiner Angaben deute darauf hin, daß er keine Handlungen in seiner Heimat gesetzt habe, welche die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 37 FrG nach sich zögen.

Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991 besagten, daß Albaner aus dem Kosovo kaum mehr einberufen würden, da die Armeeführung damit rechne, daß sie im Falle eines Einsatzes ohnehin desertieren oder gar auf ihre (nichtalbanischen) Vorgesetzten schießen würden. Inbesondere aufgrund der bezweifelten Loyalität und Zuverlässigkeit würden Angehörige der albanischen Volksgruppe in der Armee lediglich in der "Etappe" eingesetzt. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß kosovo-albanische Reservisten oder Rekruten in den Kriegsgebieten in Bosnien-Herzegowina oder in der kroatischen Krajina eingesetzt würden. Ebenso würden Kosovo-Albaner nur mehr in technischen Einheiten eingesetzt und nicht an Waffen ausgebildet. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Gründe vorgebracht, weshalb diese generelle Praxis für ihn im Falle einer Einberufung nicht zutreffen solle. Der Beschwerdeführer habe für den Fall seiner Desertion oder "Refraktion" keine besondere Gefährdung, die in seinem Fall ethnisch motiviert wäre und die von § 37 FrG gezogene Grenze überschritte, glaubhaft machen können. In der "Jugoslawischen Föderation" habe ein "Zustand der allgemeinen Mobilmachung" vom 4. Oktober 1991 bis Ende April 1992 geherrscht; dieser Zustand sei somit vor dem Zeitpunkt der vom Beschwerdeführer behaupteten Stellungsflucht zu Ende gegangen. In der Folge sei aufgrund der in diesem Zeitraum vorgekommenen Desertionen und "Refraktionen" (damit meint die belangte Behörde offensichtlich Stellungsflucht) nach den den österreichischen Behörden vorliegenden Informationen zwar in mehreren tausend Fällen formal Anklage erhoben worden. Mit der Durchführung von Gerichtsverhandlungen sei jedoch vielfach gezögert worden. Die festgestellten Höchststrafen für Desertion - "Refraktion" werde generell milder beurteilt - hätten eine Dauer von ein bis höchstens zwei Jahren nicht überstiegen. Wesentlich häufiger seien bedingte Strafen und Freisprüche. Die Strafsanktion für eine Verletzung dieser Pflicht sei für alle Staatsbürger der Jugoslawischen Föderation gleich.

Weshalb die Erörterung des Falles des Beschwerdeführers in der Öffentlichkeit, in welcher nie sein Name genannt worden sei, ihn der Gefahr unmenschlicher Behandlung, Mißhandlung, Folterung und Bestrafung sowie Inhaftierung ausgesetzt haben solle, sei nicht nachvollziehbar und durch nichts untermauert. Es lägen somit keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, daß der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in die jugoslawische Föderation gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. Auch im Falle einer Abschiebung nach Ungarn sei er im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG nicht bedroht. Ungarn sei nämlich Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sowie des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967 und somit verpflichtet, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fielen, gegen die Rückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Ungarn habe beide Verträge innerstaatlich umgesetzt. Alleine aus diesem Grunde sei gewährleistet, daß in diesem Staate Abschiebungsschutz bestehe. Die Behauptung, daß der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach Ungarn von einer Weiterabschiebung nach Jugoslawien oder in einen Staat, der nach Jugoslawien weiter abschiebe, bedroht sei, sei eine Vermutung, welche durch keine auf seinen Fall bezogenen Angaben belegt sei. Daß ihm im Falle einer Abschiebung nach Ungarn die sofortige Inhaftierung drohen könnte, sei nicht als unmenschliche Behandlung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG zu werten.

Auch im Falle einer Abschiebung in die Slowakei sei der Beschwerdeführer im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG deswegen nicht bedroht, weil auch dieser Staat Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sowie des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967 sei und verpflichtet sei, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fielen, gegen Zurückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Die Slowakei habe beide Verträge innerstaatlich umgesetzt. Alleine aus diesem Grunde sei gewährleistet, daß in diesem Staat ein Abschiebungsschutz bestehe. Der Beschwerdeführer habe keine auf seinen individuellen Fall bezogene Angaben dahingehend, daß er von der Slowakei in die Jugoslawische Föderation weitergeschoben würde, gemacht. Auch eine allfällige Inhaftierung in der Slowakei sei für sich allein genommen nicht als unmenschliche Behandlung im Sinne des § 37 FrG zu werten.

Weshalb der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung in jene Staaten, welche er nach seiner Ausreise aus der Bundesrepublik Jugoslawien durchreist habe, die dort bereits gewonnene Sicherheit nicht wiedererlangen solle, sei weder einsichtig, noch würden dafür konkrete Argumente vorgebracht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der angefochtene Bescheid ist vom Beschwerdeführer auch mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bekämpft worden, welcher ihn mit Erkenntnis vom 4. Oktober 1994, B 1109/94, insoweit aufhob, als damit festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in "Jugoslawien" im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG bedroht ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Teilaufhebung des angefochtenen Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof hat zur Folge, daß der Beschwerdeführer im angeführten Teilumfang (soweit damit festgestellt wurde, es bestünden keine stichhältigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG bedroht sei) klaglos gestellt wurde und insoweit das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen ist.

Der Verfassungsgerichtshof begründete die Teilaufhebung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen damit, daß sich die belangte Behörde in ihrer Entscheidung vom Mai 1994 primär auf "Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991" gestützt habe. Angesichts der sich laufend veränderten Verhältnisse in Restjugoslawien, welches der EMRK nicht beigetreten sei, genüge eine Beurteilung der Frage des Vorliegens des Refoulement-Verbotes anhand von vor drei Jahren erhaltenen "Informationen" - deren Quellen überdies im Dunkeln geblieben seien und sich deshalb einer Überprüfung entzögen - hinsichtlich der Feststellung, es lägen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG vor, den Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht.

Diese Beurteilung ist für den Verwaltungsgerichtshof insoferne von Bedeutung, als auch hinsichtlich der Feststellung gemäß § 37 Abs. 2 FrG bezüglich der Bundesrepublik Jugoslawien mit dieser Begründung nicht auch bereits auf das Nichtvorliegen einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 2 FrG geschlossen werden kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. September 1997, Zl. 95/21/0137). In dieser Hinsicht sind noch folgende Überlegungen maßgeblich:

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt zwar die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - worunter sowohl die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst, als auch nach dessen Antritt die Desertion zu verstehen ist - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, was auch in den Fällen gilt, in denen in dem betreffenden Heimatstaat ein Bürgerkrieg oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattfindet. Allerdings kann die Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit der Ableistung des Militärdienstes dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der in der Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen - in Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A).

Der Beschwerdeführer hat sowohl in seiner Berufung im Verwaltungsverfahren, als auch in der Beschwerde vorgebracht, daß die Volksgruppe der Albaner im Kosovo unterdrückt werde und er auch deshalb "Repressalien" und ein besonders hartes Vorgehen der Behörden gegen ihn befürchte. Er habe im Zusammenhang mit seiner Desertion wegen seiner albanischen Volkszugehörigkeit mit seiner Inhaftierung und mit einer "unmenschlichen Behandlung" zu rechnen.

Damit hat der Beschwerdeführer einen erkennbaren Zusammenhang zwischen einer befürchteten härteren Bestrafung wegen Desertion und einem asylrechtlich relevanten Merkmal im Sinne des oben genannten Erkenntnisses vom 29. Juni 1994 hergestellt. Indem die belangte Behörde unter Verletzung des Parteiengehörs des Beschwerdeführers und unter Heranziehung nicht ausreichend aktueller Beweisquellen von der Sachverhaltsannahme ausging, daß die auf Desertion und Stellungsflucht stehende Strafsanktion auf sämtliche Staatsangehörige gleich - somit undifferenziert in bezug auf die albanische Volkszugehörigkeit des Beschwerdeführers und insoweit also in einer ihn nicht diskriminierenden Weise - angewandt werde, hat sie dadurch ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 10. September 1997, Zl. 95/21/0137, m.w.N.).

Sofern weiter im angefochtenen Bescheid das Vorliegen stichhaltiger Gründe für die Annahme verneint wurde, daß der Beschwerdeführer in der Slowakei und in Ungarn im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, wurde der angefochtene Bescheid ausschließlich damit begründet, daß diese Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention sowie des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und somit verpflichtet seien, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fallen, gegen die Rückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Beide Staaten hätten diese Verträge innerstaatlich umgesetzt und es ergebe sich alleine aus diesem Grunde, daß dort ein Abschiebungsschutz bestehe.

Diese Begründung steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Nach dieser ist nämlich nicht nur die unmittelbare Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat, in welchem die Gefahren gemäß § 37 Abs. 1 und FrG drohen unzulässig, sondern auch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in einen Staat, in welchem die konkrete Gefahr besteht, daß er auch von dort in einen derartigen Staat weitergeschoben würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0151). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß die allein aus dem Beitritt eines Staates zur Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitete Annahme, einem Fremden drohten dort nicht die Gefahren gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG, unschlüssig ist (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0151, sowie auch das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, m.w.N.). Beruft sich vielmehr ein Fremder im Verfahren gemäß § 54 FrG auf eine ihm in einem Drittstaat drohende konkrete Gefahr einer Weiterschiebung in einen Staat, in welchem ihm eine Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG drohe, so ist die Behörde auch in einem solchen Fall gehalten, sich mit der konkreten und aktuellen Praxis des betreffenden Staates hinsichtlich Einhaltung des Refoulement-Verbotes hinsichtlich der in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren auseinanderzusetzen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. September 1997, Zl. 95/21/0137, m.w.N.).

Dies hat die belangte Behörde jedoch verabsäumt und den angefochtenen Bescheid daher auch insoferne mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Insoweit war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995210375.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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