TE OGH 2020/8/6 2Ob67/20x

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Veröffentlicht am 06.08.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** K*****, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter P***** K*****, dieser vertreten durch Dr. Stefan Stastny, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen die beklagten Parteien 1. G***** A*****, 2. J***** A*****, beide *****, 3. O***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Heimo Jilek und Dr. Martin Sommer, Rechtsanwälte in Leoben, wegen 110.821,77 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 58.271,81 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. März 2020, GZ 7 R 57/19k-53, mit welchem infolge Berufungen beider Seiten das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 2. Oktober 2019, GZ 5 Cg 3/18g-47, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird im Ausspruch über das Feststellungsbegehren dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils als Teilurteil lautet:

„Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 14. Jänner 2015 in ***** im Ausmaß von drei Vierteln haften, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei auf die Versicherungssumme beschränkt ist.

Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

Im Ausspruch über die teilweise Abweisung des Zahlungsbegehrens und im Kostenpunkt wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben, und die Rechtssache wird insofern zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Am 14. Jänner 2015 ereignete sich gegen 17:15 Uhr ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Fußgängerin und der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Pkw beteiligt waren.

[2]       Die 77-jährige, leicht bis mittelgradig demente Klägerin, die an Orientierungslosigkeit litt, hatte ihre Wohnung verlassen, um einen Spaziergang zu machen. Sie betrat, mit zwei Krücken gehend, von einem Gehweg eine Landesstraße und ging in Richtung der anderen Straßenseite. Dort gab es allerdings weder einen Gehweg noch sonst eine Möglichkeit für Fußgänger, sich abseits der Fahrbahn zu bewegen. Die Klägerin ging zunächst über die Fahrbahnmitte, dann wieder zurück, dann über die Fahrbahnmitte. Sie hielt sich über einen längeren Zeitraum in einem Verwirrtheitszustand auf der Fahrbahn auf und ging mehrfach hin und her. Der Erstbeklagte übersah die Klägerin aufgrund eines Beobachtungsfehlers und stieß sie mit seinem Fahrzeug zu Boden. Er reagierte mindestens sechs Sekunden zu spät.

[3]       Die Klägerin wurde schwer verletzt (Schädel-Hirn-Trauma mit Blutungen im Gehirn und im umgebenden Gewebe, Lungenquetschung mit folgendem Atemwegsinfekt, Rissquetschwunde am linken Scheitelbein). Weiters führte der Unfall zu einer akuten Verschlechterung der Demenz, die einen Heimaufenthalt erforderlich machte. Dafür hatte die Klägerin für die Zeit von März 2015 bis Dezember 2017 (34 Monate) insgesamt 148.546,64 EUR zu zahlen. Sie ersparte sich durch die Heimunterbringung Aufwendungen („Sowiesokosten“) von 550 EUR monatlich, das sind insgesamt 18.700 EUR. Verwandte der Klägerin hatten unfallbedingte Aufwendungen (insb Fahrtkosten) von 4.000 EUR.

[4]       Vor dem Unfall hatte die Klägerin Pflegegeld der Stufe 3 bezogen. Dieses Pflegegeld wurde unfallbedingt ab 1. Juli 2015 auf Stufe 5 und ab 1. März 2016 auf Stufe 7 erhöht. Insgesamt bezog die Klägerin von März bis Dezember 2017 Pflegegeld von 46.145,80 EUR, der Unterschied zwischen dem tatsächlich bezogenen Pflegegeld und dem Pflegegeld der Stufe 3 betrug nach ihrem unbestrittenen Vorbringen 30.432 EUR.

[5]       Der Pkw der Zweitbeklagten wurde beim Zusammenstoß beschädigt. Die Reparaturkosten betrugen 2.500,98 EUR, die Zweitbeklagte hatte davon nur den Kaskoselbstbehalt von 300 EUR zu tragen. Ihre Aufwendungen zur Schadensbeseitigung betrugen 70 EUR.

[6]       Im Revisionsverfahren strittig sind ausschließlich die Mitverschuldensquote und (im Rahmen des Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers) die Frage, in welchem Umfang der Anspruch auf Ersatz der Heimaufenthaltskosten aufgrund des gewährten Pflegegeldes auf den Sozialversicherungsträger überging (§ 16 BPGG).

[7]       Die Klägerin begehrte zunächst 119.632 EUR samt Zinsen und Feststellung der Haftung der Beklagten für drei Viertel ihrer zukünftigen Schäden; das Zahlungsbegehren schränkte sie in der letzten Verhandlung auf 110.821,77 EUR ein. Zwar treffe sie mangels subjektiver Vorwerfbarkeit kein Mitverschulden, sie lasse aber aus Vorsichtsgründen den Mitverschuldenseinwand zu einem Viertel gegen sich gelten. Die Höhe des Begehrens ergebe sich aus einem angemessenen Schmerzengeld von (ungekürzt) 70.000 EUR, den Kosten der Heimunterbringung von 63.164,93 EUR für die Zeit von März 2015 bis Juni 2016 und von 85.381,71 EUR für die Zeit von Juli 2016 bis Dezember 2017 (insgesamt also 148.546,64 EUR), sowie aus unfallbedingten Aufwendungen naher Verwandter von 4.000 EUR. Bei den Kosten der Heimunterbringung seien von ihr zugestandene „Sowiesokosten“ von 550 EUR vom vollen Betrag abzuziehen. Das Ergebnis sei um die Mitverschuldensquote zu kürzen und davon jener Teil des Pflegegeldes abzuziehen, für den der Unfall kausal gewesen sei, also die Differenz zwischen dem tatsächlich bezogenen Pflegegeld der Stufen 5 und 7 und dem schon vor dem Unfall bezogenen Pflegegeld der Stufe 3.

[8]       Die Beklagten begehren die Abweisung der Klage. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Klägerin. Jedenfalls seien „Sowiesokosten“ von monatlich 1.100 EUR und das gesamte von der Klägerin bezogene Pflegegeld anzurechnen. Als Gegenforderung würden der Kaskoselbstbehalt von 300 EUR und Aufwendungen zur Schadensbehebung von 70 EUR geltend gemacht.

[9]       Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung mit 78.010,22 EUR und die Gegenforderung mit 185 EUR zu Recht bestehe, und verpflichtete die Beklagten daher zur Zahlung von 77.825,22 EUR samt Zinsen. Weiters stellte es die Haftung der Beklagten für die Hälfte der zukünftigen Schäden der Klägerin fest. Die Mehrbegehren wies es ab.

[10]     Beide Seiten treffe ein gleichteiliges Verschulden, weil sich die Klägerin „wohl wegen ihres Verwirrtheitszustands und ihrer örtlichen Desorientiertheit“ entgegen § 76 StVO auf der Fahrbahn aufgehalten und der Beklagte zu spät reagiert habe. Dass die Klägerin aufgrund ihres Geisteszustands nicht in der Lage gewesen sei, die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens zu erkennen, habe sie nicht vorgebracht. Daher stünden ihr nur die halben Kosten der Heimunterbringung zu. Diese Kosten setzte das Erstgericht aufgrund eines Rechenfehlers um etwa 20.000 EUR zu hoch an. Von dieser Hälfte seien die „Sowiesokosten“ von monatlich 550 EUR und das gesamte Pflegegeld abzuziehen. Weiters gebührten der Klägerin die Hälfte des angemessenen Schmerzengeldes von (ungekürzt) 70.000 EUR und die Hälfte des unfallbedingten Aufwands von nahen Verwandten. Auch die Gegenforderung bestehe mit dem halben Betrag zurecht.

[11]     Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es die Klageforderung mit 55.777,81 EUR und die Gegenforderung mit 335 EUR feststellte und die Beklagten daher zur Zahlung von 55.442,81 EUR samt Zinsen verpflichtete. Die ordentliche Revision ließ es mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zu.

[12]     Die Annahme gleichteiligen Mitverschuldens sei durch höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 76 StVO gedeckt. Die Ausführungen der Klägerin zur „subjektiven Zurechenbarkeit“ seien „nicht recht verständlich“, da sie doch selbst von einem Mitverschulden ausgehe. Sie habe in erster Instanz nicht behauptet, dass es ihr an der Einsicht in die Gefahren des Straßenverkehrs überhaupt gefehlt habe. Festgestellt sei nur eine leichte bis mittelgradige Demenz, allein das hohe Alter könne ihr verkehrswidriges Verhalten nicht entschuldigen. In Bezug auf die Höhe der Klageforderung sei der Rechenfehler des Erstgerichts richtigzustellen, weiters seien die „Sowiesokosten“ schon von den ungekürzten Heimaufenthaltskosten abzuziehen; erst dann sei der Betrag um die Mitverschuldensquote zu kürzen. Vom Ergebnis sei aufgrund des Quotenvorrechts des Legalzessionars das gesamte Pflegegeld abzuziehen. Eine Berücksichtigung nur der jeweiligen Differenz komme nicht in Betracht, weil das Pflegegeld den Zweck habe, „pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten (RS010655)“. Als Gegenforderung stehe der Zweitbeklagten aufgrund des Quotenvorrechts des Versicherungsnehmers der gesamte Kaskoselbstbehalt und die Hälfte der weiteren Aufwendungen zu.

[13]     In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin geltend, dass beim Mitverschulden auch die subjektive Vorwerfbarkeit des beanstandeten Verhaltens zu berücksichtigen sei, weswegen ihr nur das zugestandene Viertel zur Last falle. Die Legalzession sei nur im Umfang der unfallbedingten Erhöhung des Pflegegeldes eingetreten.

[14]     Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die Verschuldensteilung entspreche der ständigen Rechtsprechung. Das Pflegegeld sei aufgrund seines „Pauschalcharakters“ zur Gänze abzuziehen. Selbst wenn man die in der Revision vorgeschlagene Differenzierung vornähme, wäre das Pflegegeld in jener Höhe, die schon vor dem Unfall bezogen worden sei, „im Rahmen der Sowieso-Kosten zu berücksichtigen“.

Rechtliche Beurteilung

[15]     Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht das fehlende (subjektive) Verschulden der Klägerin nicht beachtet und die Legalzession nach § 16 BPGG unrichtig beurteilt hat. Sie ist, teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags, berechtigt:

[16]     1. Der Klägerin fällt kein Mitverschulden zur Last, das über das von ihr ohnehin zugestandene Viertel hinausginge.

[17]     1.1. Da es sich beim Mitverschulden um eine Frage der subjektiven Zurechnung des Schadens handelt, müssen dieselben subjektiven Voraussetzungen wie für die Zurechnung bei der Schädigung eines Anderen gelten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht4 I [2020] 473). Daher ist der Schaden dem Geschädigten grundsätzlich – wie auch im umgekehrten Fall der Fremdschädigung (RS0026200, RS0026214) – nicht zuzurechnen, wenn ihm der Beweis gelingt, dass er entgegen der Vermutung des § 1297 ABGB im maßgebenden Zeitpunkt die gewöhnlichen Fähigkeiten, die ihn an sich zur Vermeidung des Schadens in die Lage versetzt hätten, nicht hatte oder dass ihm die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt nicht möglich war (2 Ob 117/16v mwN). In diesem Fall sind die Regelungen zur ausnahmsweisen Haftung eines deliktsunfähigen Schädigers (§ 1310 ABGB) entsprechend anzuwenden (2 Ob 117/16v mwN; allgemein zur Anwendbarkeit von § 1310 ABGB in Fragen des Mitverschuldens RS0027020; Koziol aaO; Karner in KBB6 § 1304 Rz 2; Schacherreiter in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1304 Rz 15).

[18]     1.2. Auch wenn nicht vollständige Deliktsunfähigkeit vorliegt, muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß der Betroffene die Tragweite des konkreten Verhaltens einsehen und dementsprechend handeln konnte (Koziol, Haftpflichtrecht4 I 356). Das ist hier ohne Zweifel zu verneinen: Es steht fest, dass die Klägerin aufgrund ihrer Demenzerkrankung an Orientierungslosigkeit und Verwirrtheit litt. Ihr Herumirren auf der Landesstraße war offenkundig Folge dieser Krankheitssymptome. Ein subjektives Verschulden im Sinn der Vorwerfbarkeit dieses Verhaltens ist auf dieser Grundlage nicht einmal ansatzweise erkennbar. Der Fall ist nicht anders zu beurteilen als eine unverschuldete Fahruntüchtigkeit aufgrund der Einnahme von Medikamenten (vgl 2 Ob 117/16v). Die Klägerin hat sich schon in erster Instanz auf mangelndes subjektives Verschulden berufen; dass sie sich dennoch ein Viertel Mitverschulden anrechnen ließ, fällt ihr insofern nicht zur Last.

[19]     1.3. Der von der Klägerin erlittene Schaden könnte ihr daher nur nach den Kriterien des § 1310 ABGB zugerechnet werden. Denkbar wäre hier – mangels Verschuldens im konkreten Fall – nur die Vermögensabwägung nach § 1310 Fall 3 ABGB. Insofern haben die Beklagten kein Vorbringen erstattet. Zudem besteht auf Seiten der Beklagten Versicherungsdeckung, sodass die Klägerin auch bei entsprechendem Vermögen (Versicherungsdeckung) keinesfalls mehr als die Hälfte jenes Schadens tragen müsste, den sie bei subjektiver Vorwerfbarkeit zu tragen hätte (vgl 2 Ob 117/16v). Diese allenfalls denkbare Variante ist durch das Einräumen eines Mitverschuldens von einem Viertel abgedeckt.

[20]     2. Die Legalzession nach §  16 BPGG tritt nur im Umfang der unfallbedingten Erhöhung des Pflegegeldes ein.

[21]     2.1. § 16 BPGG ordnet eine – § 332 ASVG entsprechende (2 Ob 230/18i) – Legalzession an. Pflegegeld ist dabei sachlich kongruent zum Anspruch auf Ersatz der Pflegekosten (2 Ob 190/07s SZ 2007/178; 10 Ob 34/10p). Davon werden auch die Kosten für die stationäre Pflege in einem Pflegeheim erfasst, da dort grundsätzlich jene Leistungen gewährt werden, zu deren Abgeltung das Pflegegeld dient (2 Ob 230/18i). Bei Mitverschulden des Geschädigten kommt dem Sozialversicherungsträger daher auch hier das Quotenvorrecht zu: Er kann vom Schädiger im Umfang des Forderungsübergangs vollen Ersatz für seine Leistungen verlangen, soweit diese in dem um die Mitverschuldensquote gekürzten Schadenersatzanspruch gedeckt sind. Für den Anspruch des Geschädigten folgt daraus, dass der Schaden zunächst ohne Bedachtnahme auf die Leistungen des Legalzessionars zu ermitteln und um die Mitverschuldensquote zu kürzen ist. Von dem so errechneten Betrag sind die auf den Legalzessionar übergegangenen Ansprüche in voller Höhe abzuziehen (2 Ob 230/18i mwN).

[22]     2.2. Der Forderungsübergang erfolgt allerdings nur insofern, als das Pflegegeld aufgrund des haftungsbegründenden Ereignisses gewährt wird. Wurde schon davor Pflegegeld bezogen und führt das Ereignis zu einem höheren Pflegebedarf und damit zu höherem Pflegegeld, ist nur der Differenzbetrag von der Legalzession umfasst (Pfeil, Bundespflegegeldgesetz [1996] 177; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 [2017] Rz 4.33). Das folgt schon aus dem eindeutigen Wortlaut von § 16 Abs 1 BPGG. Denn der auf dem schädigenden Ereignis beruhende Schadenersatzanspruch geht danach nur „insoweit auf den Bund oder den Träger der Sozialversicherung über, als dieser aus diesem Anlass Pflegegeld zu leisten hat“ (Hervorhebung durch den Senat). Schon dieser Wortlaut schließt es im vorliegenden Fall aus, einen Übergang im Umfang des gesamten Pflegegeldanspruchs – also auch im Umfang des schon vor und daher unabhängig vom Unfall bestehenden Anspruchs – anzunehmen.

[23]     2.3. Eine solche Ansicht ließe sich auch nicht mit dem Zweck der Legalzession begründen. Er liegt darin, einerseits eine doppelte Befriedigung des Geschädigten (durch Kumulation der Leistungen), andererseits aber auch eine Entlastung des Schädigers (durch Anrechnung der Versicherungsleistung als Vorteil) zu verhindern (Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek4 § 332 ASVG Rz 6 mwN; RS0085212; RS0085230RS0122868). Aus diesem Grund kann die Legalzession nur solche Ansprüche erfassen, die der Deckung eines Schadens dienen, den auch die Sozialversicherungsleistung abdecken soll (Kongruenz; Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek4 § 332 ASVG Rz 37 mwN). Damit fehlt aber jede Grundlage dafür, dass der Schädiger dem Sozialversicherungsträger eine Leistung ersetzen müsste, die dieser auch unabhängig vom schädigenden Ereignis zu erbringen hätte. Solchen Leistungen mangelt von vornherein jede Kongruenz mit dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten.

[24]     2.4. Weshalb sich aus dem Charakter des Pflegegeldes als „pauschalierter“ Abgeltung des Pflegeaufwands etwas anderes ergeben soll, ist nicht erkennbar. Die insofern vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung (richtig RS0106555) hat keinen erkennbaren Bezug zur Legalzession. Dass das Pflegegeld danach der „pauschalierten“ Abgeltung eines pflegebedingten „Mehraufwands“ dient, bezieht sich ausschließlich darauf, dass bei der Bemessung des Pflegegeldes für Kinder jene Pflegeleistungen nicht zu berücksichtigen sind, die altersbedingt ohnehin zu erbringen wären. Im konkreten Fall war das Pflegegeld demgegenüber aufgrund des Gesamtzustands der Klägerin neu festzusetzen, wobei sich dieser Zustand einerseits aus der Vorerkrankung und andererseits aus der unfallbedingten Verschlechterung ergab. Die nach Wortlaut und Zweck von § 16 BPGG zwingende Differenzierung bei der Legalzession wird dadurch keinesfalls ausgeschlossen.

[25]     2.5. Für die (erstmals) in der Revisionsbeantwortung angestrebte Berücksichtigung des nicht von der Legalzession erfassten Teils des Pflegegeldes im Rahmen der „Sowiesokosten“ fehlt erstinstanzliches Vorbringen. Zudem steht fest, dass sich die Klägerin durch die Heimunterbringung (nur) einen – von den Vorinstanzen ohnehin berücksichtigten – Betrag von monatlich 550 EUR erspart hat.

[26]     3. Damit hat die Klägerin mit beiden Punkten der Revision Erfolg. Dennoch kann die Sache derzeit nicht zur Gänze abschließend erledigt werden:

[27]     3.1. Schon jetzt möglich ist ein Teilurteil über das Feststellungsbegehren. Denn insofern kommt es nur auf den abschließend erledigten Umfang des Mitverschuldens an.

[28]     3.2. Hingegen ist die Entscheidung über das Leistungsbegehren im Umfang der Abweisung aufzuheben. Denn insofern ist die Klage derzeit unschlüssig:

[29]     (a) Macht ein Kläger nur einen Teil des (behaupteten) Gesamtschadens geltend und können dabei einzelne Schadenspositionen unterschieden werden, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben, hat er klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen. Die Aufteilung des Pauschalbetrags auf die einzelnen Schadenspositionen kann nicht dem Gericht überlassen werden (RS0031014 [T17, T22, T25]).

[30]     (b) Ein solcher Fall liegt hier vor: Ausgehend von den Feststellungen und dem Revisionsvorbringen beträgt der Schaden der Klägerin 122.452,98 EUR. Er setzt sich wie folgt zusammen:

Heimkosten

148.546,64 EUR

Abzüglich Haushaltsersparnis

- 18.700,00 EUR

Ergibt

129.846,64 EUR

Davon drei Viertel

97.384,98 EUR

Abzüglich unfallbedingtes Pflegegeld

- 30.432,00 EUR

Ergibt

66.952,98 EUR

Zuzüglich drei Viertel des Schmerzengeldes von 70.000

52.500,00 EUR

Zuzüglich drei Viertel des Aufwandes von 4.000

3.000,00 EUR

Summe

122.452,98 EUR

[31]           Eingeklagt hatte die Klägerin zunächst 119.632 EUR. Dieses Begehren schränkte sie in der letzten Verhandlung auf 110.821,77 EUR ein. In der Revision erkennt sie zutreffend, dass die Klageforderung daher nur mit dem letztgenannten Betrag festgestellt werden kann. Damit könnte aber nicht mehr beurteilt werden, welche Schadenspositionen von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst wären. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Einschränkung des Zahlungsbegehrens in Bezug auf den Ersatz der Heimkosten erfolgte. Denn auch dann bleibt noch ein Betrag von 2.820,98 EUR, um den der behauptete Anspruch das (eingeschränkte) Klagebegehren übersteigt.

[32]     (c) Dies führt zur Aufhebung in die zweite Instanz. Denn bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Berufungsgericht die dargestellte Problematik in einer Verhandlung erörtern und der Klägerin die Möglichkeit zum Schlüssigstellen geben müssen. Eine Aufhebung in die erste Instanz wäre nicht in Betracht gekommen, da die Durchführung einer Berufungsverhandlung weder die Erledigung verzögert noch einen erheblichen Mehraufwand an Kosten verursacht hätte (§ 496 Abs 3 ZPO). Sollten sich die Parteien daher nicht außergerichtlich einigen, wird das Berufungsgericht der Klägerin Gelegenheit zur Klarstellung geben müssen, auf welche Schadenspositionen der ihr jedenfalls zustehende Betrag von 110.821,77 EUR zu entfallen hat. Alle weiteren Fragen sind auch beim Zahlungsbegehren abschließend erledigt.

[33]     4. Die Kostenentscheidung gründet sich für das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und für den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

Textnummer

E129242

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00067.20X.0806.000

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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