TE OGH 2020/8/11 4Ob71/20z

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Veröffentlicht am 11.08.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** L*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W***** L*****, vertreten durch Dr. Michael Velik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen 408,91 EUR sA und Räumung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2019, GZ 39 R 219/19y-33, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 26. April 2019, GZ 22 C 213/16a-28, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihrem Ausspruch über das Zahlungsbegehren dahin abgeändert, dass die Entscheidung, die in ihrem Punkt 1 (Zurückweisung von 333,14 EUR sA) in Rechtskraft erwachsen ist, als Teilurteil nunmehr lautet:

„2. Die Aufrechnungseinrede der beklagten Partei wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 404,96 EUR samt jeweils 4 % Zinsen gemäß folgender Zinsstaffel binnen 14 Tagen zu zahlen:

aus EUR seit

8,38   06.06.2015

12,33 06.07.2015

12,33 06.08.2015

12,33 06.09.2015

12,33 06.10.2015

12,33 06.11.2015

12,33 06.12.2015

20,35 06.01.2016

20,35 06.02.2016

20,35 06.03.2016

20,35 06.04.2016

20,35 06.05.2016

20,35 06.06.2016

20,35 06.07.2016

20,35 06.08.2016

135,83 07.06.2016

7,99   06.06.2016

7,99   06.07.2016

7,99   06.08.2016.

4. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 3,95 EUR samt 4 % Zinsen seit 6. 6. 2015 zu zahlen, wird abgewiesen.

5. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen, also betreffend das Begehren, das Bestandobjekt ***** geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden insofern weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Wohnungseigentümerin einer 30 m² großen Wohnung, die sie seit 1. 4. 2012 an den Beklagten vermietet hat. Beide Parteien sind Verbraucher.

Der von beiden Parteien unterschriebene Mietvertrag wurde unter Verwendung einer vorgefertigten „Vertragsschablone“ von der Klägerin unter Einfügung der Namen der Vertragsparteien, des Mietgegenstandes, der Mietvertragsdauer und des Mietzinses erstellt. Viele Teile des Vertrages wurden nicht ausreichend ausgefüllt, „zumal notwendige Streichungen bzw Ankreuzen vergessen wurde?. Der Mietvertrag lautet auszugsweise:

„…

V. Mietzins

Der vereinbarte Mietzins errechnet sich aus: Miete € 350,- Aconto Betriebskosten Strom Warmwasser Heizung Haushaltsversicherung € 233,08 Am Ende der Mietdauer ist die Wohnung neu Ausgemahlt und Gereinigt zurückzugeben

zuzüglich Eigenverbrauch von , Telefon, Kabel-TV, etc.

Unter den Betriebskosten und laufenden öffentlichen Abgaben werden die in den §§ 21 bis 24 MRG (in der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Fassung) genannten Positionen verstanden. Zur Deckung der Betriebskosten und laufenden öffentlichen Abgaben wird der oben angeführte monatliche Pauschalbetrag eingehoben; die endgültige Abrechnung der jährlichen Betriebskosten erfolgt bis spätestens 31. August des Folgejahres. Bei der Beendigung des Mietverhältnisses innerhalb des Abrechnungsjahres verpflichtet sich der Mieter etwaige Nachzahlungen (BK, HK, WWK) anteilsmäßig nachzubezahlen.

Es wird ausdrücklich vereinbart, dass der Mieter gegenüber dem Vermieter allenfalls bestehende Gegenforderungen nicht mit dem Mietzins, den Betriebskosten oder sonstigen dem Vermieter zustehenden Ansprüchen aufrechnen darf (Kompensationsverbot).

...“

Zumindest ab März 2014 bezahlte der Beklagte an die Klägerin monatlich 110 EUR an Betriebskosten inklusive Heizung und Lift. Gegenüber den der Klägerin vom Verwalter vorgeschriebenen Bewirtschaftungskosten (Betriebskosten, Lift, Heizung) ergeben sich daraus monatliche Brutto-Fehlbeträge für den Zeitraum 7/2013 bis 3/2014 von je 5,85 EUR, für den Zeitraum 4/2014 bis 6/2015 in der Höhe von je 8,38 EUR, für den Zeitraum 7/2015 bis 12/2015 von je 12,33 EUR und für die Zeit ab 1/2016 von je 20,35 EUR; im gesamten Zeitraum Juli 2013 bis August 2016 betrugen die Fehlbeträge insgesamt 446,42 EUR.

Die von der Klägerin bezahlten monatlichen Haushaltsversicherungsprämien betrugen ab 1. 2. 2013 7,71 EUR, ab 1. 2. 2014 7,82 EUR, ab 1. 2. 2015 7,94 EUR und ab 1. 2. 2016 7,99 EUR; im Zeitraum Juli 2013 bis August 2016 betrugen die von der Klägerin gezahlten Prämien insgesamt 299,02 EUR.

Mit Anwaltsschreiben vom 24. 5. 2016 mahnte die Klägerin für den Zeitraum Jänner 2013 bis Mai 2016 Differenzbeträge für Betriebskosten von insgesamt 420,47 EUR sowie die Beiträge zur Haushaltsversicherung von insgesamt 319,60 EUR ein.

Die Klägerin hatte bereits früher eine Mietzins- und Räumungsklage gegen den Beklagten eingebracht, in dem neben offenen Kautionszahlungen auch Minderzahlungen des Mietzinses (Betriebskostenbeträge und Stromkosten für den Zeitraum April 2012 bis inklusive Mai 2015), auch offene Prämien der Haushaltsversicherung für das Jahr 2014 und von Jänner 2015 bis inklusive Mai 2015 waren. Dem Zahlungsbegehren wurde lediglich hinsichtlich ausständiger Stromkosten in der Höhe sowie ausständigen Ratenzahlungen zur Kaution stattgegeben. Die dort weiters geltend gemachten Prämienzahlungen zur Haushaltsversicherung für das Jahr 2013 bis Mai 2014 und für das Jahr 2015 wurden mangels Beweisen rechtskräftig abgewiesen. Die weiteren geltend gemachten Betriebskosten für Jänner 2013 bis inklusive Mai 2015 wurden ebenfalls rechtskräftig abgewiesen.

Der Beklagte leistete im Zeitraum 4/2012 bis 5/2015 an die Klägerin aus dem gegenständlichen Bestandverhältnis ungerechtfertigte Überzahlungen in der Höhe von insgesamt 2.307,73 EUR, die bis zum Schluss der Verhandlung von der Klägerin nicht zurückerstattet wurden.

Mit ihrer Klage vom 21. 6. 2016 begehrte die Klägerin zuletzt trotz qualifizierter Mahnung für den Zeitraum Juli 2013 bis August 2016 ausständige summierte Betriebskostenminderzahlungen von 446,42 EUR und weitere 295,63 EUR an summierten Haushaltsversicherungsprämien, zusammen 742,05 EUR sA, sowie die Räumung der Wohnung zufolge Aufhebung des Mietvertrags gemäß § 1118 ABGB. Im Mietvertrag sei ein Kompensationsverbot gültig vereinbart worden.

Der Beklagte wandte in Ansehung der geforderten Beträge bis zumindest Mitte Mai 2015 Streitanhängigkeit bzw entschiedene Sache ein. Es bestehe kein Mietzinsrückstand. Die Vereinbarung eines Kompensationsverbots widerspreche dem hier anwendbaren § 6 Abs 1 Z 8 KSchG; dem allenfalls zu Recht bestehenden Klagebegehren würden ungerechtfertigte konnexe Überzahlungen in der Höhe von insgesamt 2.307,73 EUR compensando entgegengesetzt.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang einerseits ein Begehren von 333,14 EUR (Betriebskosten von Juli 2013 bis Mai 2015 in Höhe von 197,31 EUR und Versicherungsprämien von Jänner 2014 bis Mai 2015 in Höhe von 135,83 EUR) wegen entschiedener Sache (neuerlich) zurück. Es sprach andererseits aus, dass das restliche Klagebegehren mit 408,91 EUR sowie die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht bestünden und wies das gesamte restliche Klagebegehren von 408,91 EUR sA sowie das Räumungsbegehren ab. § 6 Abs 1 Z 8 KSchG sei analog dahin anzuwenden, dass das Aufrechnungsverbot nur nicht konnexe Gegenforderungen umfasse. Die Kompensation mit der hier konnexen Gegenforderung gegen die zu Recht bestehende Klagsforderung sei daher zulässig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klagszurückweisung habe die Klägerin inhaltlich nicht angefochten, sie sei daher rechtskräftig. Der Beklagte habe sich zu Recht auf Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB berufen. Die Einzeltatbestände des § 6 KSchG könnten zur Auslegung der „gröblichen Benachteiligung“ iSd § 879 Abs 3 ABGB auch bei Verträgen herangezogen werden, die keine Verbrauchergeschäfte iSd § 1 KSchG seien, sofern eine vergleichbare Ungleichgewichtslage bestehe. Eine typisierte strukturelle Ungleichgewichtslage liege auch im Verhältnis des Mieters gegenüber dem regelmäßig „höhere Vertragsmacht“ aufweisenden Vermieter; um dies auszugleichen, seien Sondergesetze wie das MRG erlassen worden. Sei somit – wie hier – von der Anwendbarkeit des MRG auszugehen, sei „die Ungleichgewichtslage quasi gesetzlich vermutet, ganz egal, ob der Vermieter eine oder dutzende Wohnungen vermietet“.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob auch bei einem Mietverhältnis zwischen Verbrauchern eine typische Ungleichgewichtslage iSd § 879 Abs 3 ABGB angenommen werden könne, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Mit ihrer ordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Klagsstattgebung, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist teilweise berechtigt.

Die Klägerin führt ins Treffen, der Beklagte habe sich auf § 879 Abs 1 ABGB berufen. Das Kompensationsverbot sei nicht an sich sittenwidrig. § 6 Abs 1 Z 8 KSchG sei nicht anzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass – neben dem Räumungsbegehren – nach der teilweisen Klagszurückweisung von 333,14 EUR sA (197,31 EUR aus dem Titel Betriebskosten von Juli 2013 bis Mai 2015 sowie von 135,83 EUR aus dem Titel Versicherungsprämien von Jänner 2014 bis Mai 2015) nur noch ein Zahlungsbegehren von insgesamt 408,91 EUR sA (249,11 EUR aus dem Titel Betriebskosten von Juni 2015 bis August 2016 sowie von 159,80 EUR aus dem Titel Versicherungsprämien von Juli bis Dezember 2013 und von Juni 2015 bis August 2016) revisionsgegenständlich ist.

2.1. Aus den Feststellungen leiteten die Vorinstanzen das Zurechtbestehen der gesamten restlichen Klagsforderung ab. Berufungs- und Revisionsbeantwortung des Beklagten wenden sich nicht gegen die dies tragenden Feststellungen und argumentieren ausschließlich gegen das Kompensationsverbot.

2.2. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, der Beklagte habe gegenüber den geschuldeten Bewirtschaftungskosten (Betriebskosten, Lift, Heizung) im Zeitraum 7/2013 bis 3/2014 von je 5,85 EUR (brutto), für den Zeitraum 4/2014 bis 6/2015 je 8,38 EUR (brutto), im Zeitraum 7/2015 bis 12/2015 je 12,33 EUR (brutto) und ab 1/2016 je 20,35 EUR (brutto) pro Monat und damit insgesamt um 245,16 EUR zu wenig bezahlt, ist aus den Feststellungen ableitbar. Aus diesen folgt aber auch, dass die Minderzahlung des Beklagten im Juni 2015 um 3,95 EUR weniger als von den Vorinstanzen angenommen betrug (8,38 EUR statt 12,33 EUR). Woraus das Erstgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung erschloss, dieser Betrag sei „nunmehr insofern zu berichtigen“, als 12,33 EUR heranzuziehen seien, ist nicht ersichtlich.

2.3. Die von der Klägerin bezahlten und vom Beklagten zu zahlenden monatlichen Haushaltsversicherungsprämien betrugen nach den Feststellungen ab 1. 2. 2013 7,71 EUR, ab 1. 2. 2014 7,82 EUR, ab 1. 2. 2015 7,94 EUR und ab 1. 2. 2016 7,99 EUR; im Zeitraum Juli 2013 bis August 2016 betrugen die vom Beklagten zu zahlenden Prämien insgesamt 299,02 EUR, eingeklagt hatte die Klägerin in diesem Punkt 295,63 EUR. Abzüglich der zurückgewiesenen Teilbeträge von 135,83 EUR verblieben an nach den Feststellungen vom Beklagten zu zahlenden Prämien 165,71 EUR, wovon die Beklagte nur 159,80 EUR einklagte. Dieser Teil des Klagebegehrens bestand daher zur Gänze zu Recht.

2.4. Zusammengefasst schuldet der Beklagte der Klägerin 404,96 EUR; im Umfang von 3,95 EUR besteht das Klagebegehren nicht zu Recht.

3.1. Nach § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig.

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist nach § 879 Abs 3 ABGB jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.

3.2. Nach § 1 Abs 1 KSchG gilt dessen erstes Hauptstück für Rechtsgeschäfte, an denen einerseits jemand, für den das Geschäft zum Betrieb seines Unternehmens gehört (Unternehmer), und andererseits jemand, für den dies nicht zutrifft (Verbraucher) beteiligt sind.

Nach § 6 Abs 1 Z 8 KSchG sind für den Verbraucher besonders solche Vertragsbestimmungen iSd § 879 ABGB jedenfalls nicht verbindlich, nach denen das Recht des Verbrauchers, seine Verbindlichkeiten durch Aufrechnung aufzuheben, für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers oder für Gegenforderungen ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, die im rechtlichen Zusammenhang mit der Verbindlichkeit des Verbrauchers stehen, die gerichtlich festgestellt oder die vom Unternehmer anerkannt worden sind.

3.3. Als Unternehmer im Sinn des KSchG ist ein Vermieter anzusehen, wenn die Beschäftigung von dritten Personen (zB Hausbesorger), das Vorliegen einer Mehrzahl dauernder Vertragspartner (Mehrzahl von Mietverträgen, die eine nach kaufmännischen Grundsätzen geführte Buchhaltung erfordert) bestehen und sohin die Einschaltung von anderen Unternehmen oder Erfüllungsgehilfen erforderlich ist und auch längerfristige Vertragsbindungen bestehen (RIS-Justiz RS0065317). Als annähernde Richtzahl für die Mehrzahl von Vertragspartnern wird in der Rechtsprechung angenommen, dass der private Hauseigentümer (noch) als Verbraucher anzusehen ist, wenn in seinem Haus nicht mehr als fünf Mietgegenstände in Bestand gegeben werden (RS0065317 [T1]).

4.1. Der vertragsmäßige Ausschluss der Aufrechnung ist nach ständiger Rechtsprechung nicht sittenwidrig (RS0018102), weil der anderen Partei die abgesonderte Geltendmachung der Gegenansprüche im Weg der Klage oder Widerklage offen bleibt (vgl RS0018102 [T10]).

4.2. Dies gilt – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 6 Abs 1 Z 8 KSchG – auch zwischen Unternehmern, wenn der Kompensationsausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthalten ist, solange der Unternehmer, der diese verwendet, keine marktbeherrschende Stellung einnimmt und der schwächere Vertragsteil unter mehreren möglichen Vertragspartnern wählen kann (RS0117944; RS0018102 [T11]).

5.1. Im vorliegenden Fall stehen sich aber zwei Verbraucher gegenüber, sodass kein Verbrauchergeschäft im Sinn des KSchG vorliegt und § 6 Abs 1 Z 8 KSchG nicht unmittelbar anzuwenden ist (vgl 7 Ob 303/06v).

5.2. Die Vorschriften des ersten Hauptstücks des KSchG wollen der Tatsache Rechnung tragen, dass im rechtsgeschäftlichen Verkehr Parteien mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Stärke, Erfahrung oder sonstiger Qualifikation aufeinander treffen und die daraus für den schwächeren Vertragspartner resultierenden Gefahren ausschalten oder mindern; dabei wird aber darauf abgestellt, dass einerseits ein Unternehmer, andererseits ein Verbraucher beteiligt sind. Auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten im Einzelfall kommt es nicht an; dies mag zwar in Ausnahmefällen als unbillig empfunden werden, doch wurde die am Typus orientierte Abgrenzungsmethode einer Lösung vorgezogen, die zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führen müsste; es ist also unzulässig, in analoger Anwendung des § 1 KSchG ein Geschäft schlechthin dem ersten Hauptstück des KSchG zu unterstellen, weil zwischen den Parteien ein erhebliches Ungleichgewicht besteht; eine solche Vorgangsweise würde das Anliegen des Gesetzes, eine praktikable Lösung zu finden, vereiteln (RS0065327). Analogie oder teleologische Reduktion von Bestimmungen des KSchG kommt daher nicht allgemein in Betracht, um entgegen der Typisierung des Gesetzes auf eine Ungleichgewichtslage im Einzelfall abstellen zu können (RS0065288 [T1]).

5.3. § 6 Abs  1 KSchG hat zwar über die Verbraucherverträge hinaus Bedeutung, weil er erkennen lässt, welche Vertragsregelung der Gesetzgeber für ungültig erachtet, wenn ungleich starke Vertragspartner einander gegenüberstehen (RS0016850). Auch hier hält aber der Gesetzgeber das Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis für besonders schutzwürdig und sieht die Unterlegenheit des Verbrauchers als gravierender an als die Unterlegenheit, welcher eine Person ausgesetzt ist, der gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet werden (vgl RS0016850 [T2]).

5.4. Aus dem bloßen Umstand, dass zwischen einem Vermieter und einem Mieter ein wirtschaftliches Ungleichgewicht bestehen mag, ist daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht die analoge Anwendung von Bestimmungen des ersten Hauptstücks des KSchG abzuleiten (vgl schon 3 Ob 624/86). Auch im Zusammenhang mit der Verwendung eines Vertragsformblatts unter Verbrauchern ergibt sich keine vom Gesetzgeber als erheblich angesehene strukturelle Unterlegenheit des Beklagten, die zu seiner gröblichen Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB führen würde.

Nichts anderes folgt aus dem vom Berufungsgericht ins Treffen geführten Umstand, dass mit dem MRG Sondernormen zum Mieterschutz erlassen wurden. Aus dem Fehlen eines generellen Kompensationsverbots im MRG ist der Schluss zu ziehen, dass die Zulässigkeit von Kompensationsverboten (über die auch vor dem Inkrafttreten des KSchG anerkannten – hier nicht vorliegenden – Fälle der Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers und der Anerkennung oder rechtskräftigen Feststellung von Gegenforderungen [RS0033891] hinaus) nur im typisierten Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher eingeschränkt wurde. Eine planwidrige Lücke ist im Lichte der obigen Ausführungen nicht erkennbar.

5.5. Inwiefern die Klägerin als Vermieterin ihrer Wohnung eine marktbeherrschende Stellung einnähme, zumal ohne ihre Verbraucherstellung einzubüßen, oder warum der Beklagte nicht grundsätzlich auch andere Vermieter hätte wählen können, wurde von diesem nicht konkret vorgebracht und ist im Übrigen auch schon abstrakt nicht vorstellbar. Die in der Revision hierzu gerügten rechtlichen Feststellungsmängel liegen nicht vor.

5.6. Zusammengefasst gilt, dass im vorliegenden Fall eines unter Verbrauchern abgeschlossenen Mietvertrags das Kompensationsverbot auch für konnexe Gegenforderungen des Mieters gegen Mietzinsforderungen des Vermieters grundsätzlich zulässig ist.

Der Kompensationseinwand des Beklagten war daher abzuweisen (RS0018102 [T7]).

6.1. In einem wegen Räumung und Zahlung des Mietzinsrückstands geführten Rechtsstreit ist über den behaupteten Zahlungsrückstand zwingend mit Teilurteil zu entscheiden (RS0111942). Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinne eines Teilurteils über den wegen des gültig vereinbarten Kompensationsverbots bestehenden Zahlungsrückstand (oben Pkt 2.4) abzuändern.

6.2. Das Urteil über das Räumungsbegehren war demzufolge aufzuheben; über dessen Berechtigung ist erst nach Rechtskraft des Zahlungstitels zu entscheiden (§ 33 Abs 2 und 3 MRG).

7. Die Kostenentscheidung des Teilurteils beruht auf § 52 Abs 4 ZPO, der Kostenvorbehalt im Aufhebungsbeschluss gründet sich auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E129248

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00071.20Z.0811.000

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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