TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/20 L524 2227902-1

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Veröffentlicht am 20.04.2020
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Entscheidungsdatum

20.04.2020

Norm

BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z4
FPG §55

Spruch

L524 2227902-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA XXXX , gegen die Spruchpunkte I. bis IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2019, Zl. XXXX , betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.03.2020, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 24.05.2019 mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot beabsichtigt sei. Der Beschwerdeführer gab hierzu Stellungnahmen ab und beantragte die Einvernahme seiner Ehegattin als Zeugin.

2. Am 25.11.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Es wurde erneut die Einvernahme der Ehegattin des Beschwerdeführers als Zeugin beantragt, dem das BFA jedoch nicht nachkam.

3. Mit Bescheid des BFA vom 20.12.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG wurde ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt V.).

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

5. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.01.2020, L524 2227902-1/3Z, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Am 12.03.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an der der Beschwerdeführer und das BFA als Parteien teilnahmen. Die Ehegattin des Beschwerdeführers wurde als Zeugin einvernommen.

II. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde in XXXX (Türkei) geboren und ist dort aufgewachsen. Der Beschwerdeführer spricht Kurdisch und Türkisch. Der Beschwerdeführer besuchte in der Türkei das Gymnasium, schloss dieses mit Matura ab und absolvierte auch eine Aufnahmeprüfung für ein Studium.

Der Beschwerdeführer verließ ca. 2009 die Türkei und lebte bis 2016 in Italien. Seit 2016 lebt der Beschwerdeführer in Österreich.

Der Beschwerdeführer heiratete im April 2016 standesamtlich eine österreichische Staatsangehörige. Der Beschwerdeführer hatte einen bis 16.06.2018 gültigen Aufenthaltstitel als "Familienangehöriger" und stellte vor dessen Ablauf einen Verlängerungsantrag.

Im Juli 2016 war die traditionelle Heirat des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in XXXX , XXXX , in der Türkei. Bei der Hochzeit nahmen die Familien des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau sowie die Bewohner des Dorfes XXXX teil. Anlässlich der Hochzeit hielten sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau etwa zwei Wochen in der Türkei auf. Sie wohnten im Haus des Vaters der Ehefrau in XXXX , XXXX .

Im April 2018 wurde der Sohn des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau geboren. Der Sohn des Beschwerdeführers ist österreichischer Staatsangehöriger. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist erneut schwanger. Der errechnete Geburtstermin ist der XXXX .

Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde in XXXX (Türkei) geboren und lebt seit 2004 in Österreich. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau sprechen miteinander Kurdisch. Der Ehefrau wurde die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers arbeitet in der Wintersaison als Frühstückskellnerin in einem Hotel. Das restliche Jahr arbeitet sie nicht. Die Ehegattin erhält Kinderbetreuungsgeld und während der Inhaftierung des Beschwerdeführers bezog sie Mindestsicherung. Die gesamte Familie der Ehegattin, ihre Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten, leben in Österreich. Die Ehegattin hält sich etwa einmal im Jahr in der Türkei auf. Sie war zuletzt mit ihrer Familie von 21.07.2019 bis 17.08.2019 in der Türkei. Zu dieser Zeit war der Beschwerdeführer in Haft. Ihr Vater besitzt ein Haus in XXXX . Im oberen Stock dieses Hauses wohnt die Familie während ihrer Aufenthalte in der Türkei. Das Stockwerk ist unbewohnt, wenn die Familie nicht selbst dort ist.

Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Vorarlberg, eine weitere Schwester lebt in der Schweiz. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in Italien. Es leben auch Tanten, Onkel sowie Cousins des Beschwerdeführers in Österreich. Der Beschwerdeführer und seine Verwandte besuchen sich gegenseitig.

Die Eltern und ein Bruder des Beschwerdeführers leben in der Türkei. Die Eltern leben getrennt und der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinem Vater. Die Mutter und der Bruder leben in einem Haus in XXXX , XXXX . Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer hält sich mindestens einmal im Jahr in der Türkei auf. Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst noch nicht abgeleistet. Die Einberufung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst wird jährlich aufgeschoben.

Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich. Er hat in Österreich auch keine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen besucht. Er geht gewöhnlichen Freizeitaktivitäten nach. Der Beschwerdeführer besucht einen Sprachkurs, A1.1 Deutsch Grundstufe. Der Beschwerdeführer arbeitet im Winter als Koch und im Sommer auf Baustellen. Er verfügt über eine Einstellungszusage vom September 2019, wonach er bei entsprechender Auftragslage bei dem Unternehmen XXXX zu arbeiten beginnen kann. Er bezog nur kurze Zeit Arbeitslosengeld.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.09.2019, ZI. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen mehrerer Verbrechen der Schlepperei zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum von zumindest 12.05.2018 bis 27.03.2019 gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, der auch seine Ehefrau angehörte, Schlepperfahrten organisiert und auch als Fahrer bei den Schleppungen fungiert. Die kriminelle Vereinigung war auf längere Zeit, zumindest mehrere Monate, angelegt und darauf ausgerichtet, dass von mehreren Mitgliedern der Vereinigung mehrere Verbrechen nach dem FPG, also qualifizierte Schleppereien, begangen werden. Dem Beschwerdeführer und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung kam es darauf an, sich durch eine wiederkehrende Tatbegehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu erwirtschaften, wobei im Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung bereits zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant waren und es kam dem Beschwerdeführer und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung darauf an, sich durch für die Schleppertätigkeit erlangtes Entgelts unrechtmäßig zu bereichern. Für die Organisation der Schleppungen wurde vom Beschwerdeführer eine auf die Ehefrau des Beschwerdeführers registrierte Mobiltelefonnummer verwendet und die Ehefrau stellte einen auf sie zugelassenen PKW für die Schleppungen zur Verfügung. Der Beschwerdeführer hat zumindest zwölf Schlepperfahrten organisiert und dabei als Fahrer fungiert. Bei dem überwiegenden Teil der Fahrten wurden zumindest drei Fremde, idR türkische Staatsangehörige, geschleppt. In einem Fall wurden 17 türkische Staatsangehörige geschleppt.

Der Beschwerdeführer befand sich von 27.03.2019 bis 23.09.2019 in Untersuchungshaft und im Anschluss daran bis 27.11.2019 in Strafhaft. Er wurde aus der Strafhaft bedingt entlassen. Die Probezeit wurde mit drei Jahren bestimmt.

Zur Lage in der Türkei:

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf,

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf,

IHD - Human Rights Association - Insan Haklari Dernegi (1.2.2017): IHD's 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/

IHD - Human Rights Association - Insan Haklari Dernegi (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf,

IHD - Human Rights Association - Insan Haklari Dernegi (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf,

ICG - Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey's PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer,

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019, vgl. USDOS 13.3.2019). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019, vgl. USDOS 13.3.2019, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 13.3.2019). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Die Jandarma beaufsichtigt die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Koruculari], die vormaligen "Dorfschützer", eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK. Der Geheimdienst MIT ist der Präsidentschaftskanzlei unterstellt und für das Sammeln von Informationen über bestehende und potenzielle Bedrohungen verantwortlich (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst MIT haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei ("Emniyet Genel Müdürlügü" - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (Istihbarat Dairesi Baskanligi" - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst ("Millî Istihbarat Teskilâti"- MIT), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den MIT abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MIT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MIT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem MIT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MIT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).

Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf,

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf,

ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf,

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html,

Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert (ÖB 10.2019).

Laut Menschenrechtsinstitutionen seien Fälle von Folterungen und rechtswidrigen Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden. Zudem mehrten sich Berichte über Entführungen von Personen und die Existenz informeller Anhaltezentren, in denen es auch zu Fällen von Folter komme. Vertreter des Europarates in Ankara konnten die Existenz solcher Anhaltezentren jedoch nicht bestätigen. Folter bleibt, insbesondere wegen der Abschaffung von Garantien im Zuge des Ausnahmezustands sowie wegen der Nichtdurchführung von effektiven Untersuchungen, in vielen Fällen straflos, wenngleich es vereinzelt Anklagen und Verurteilungen gibt. Von systematischer Anwendung der Folter kann nach hiesigem Wissensstand dennoch nicht die Rede sein (ÖB 10.2019).

Gemeinsame Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 und acht internationaler Medien, koordiniert von dem gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben, dass ein Entführungsprogramm, bei dem der Geheimdienst MIT nach politischen Gegnern, meist Gülen-Anhängern, sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und gefoltert werden, um etwa belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF11.12.2018, vgl. Correctiv 11.12.2018, Ha'aretz 11.12.2018). Laut einem Bericht der Tageszeitung Cumhuriyet soll eine Frau wegen Terrorismus inhaftiert worden sein. Die Frau behauptete bei einer Anhörung am 5.2.2019, dass sie sechs Monate lang in einem geheimen Zentrum in Ankara gefoltert wurde, welches vom türkischen Geheimdienst MIT betrieben wird (IPA 14.6.2019). Der Vorfall führte im März 2019 zu einer diesbezüglichen parlamentarischen Anfrage im Europaparlament an die Europäische Kommission (EP 11.3.2019).

Berichte über Folter und Misshandlungen hielten auch 2019 an. So wurden infolge bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der PKK in Urfa beispielsweise 47 Personen verhaftet. Nach Angaben ihrer Rechtsbeistände und ausgehend von vorliegenden Fotografien wurden einige der erwachsenen Inhaftierten in der Gendarmerie-Wache von Bozova Yaylak in der Provinz Urfa von Angehörigen der Polizei gefoltert oder anderweitig misshandelt (AI 13.6.2019). Die Rechtsanwaltsvereinigung Ankara berichtete auf der Basis von Interviews mit einigen der 249 ehemaligen türkischen Diplomaten, die wegen Terroranschuldigungen im Zuge einer Razzia verhaftet wurden, dass diese gefoltert oder misshandelt wurden (ABA/HRD 26.5.2019, vgl. WE 3.6.2019). Die Anwaltsvereinigung Diyarbakir berichtete auf der Basis von Interviews mit Betroffenen, dass vermeintlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elazig durch das Wachpersonal systematisch gefoltert wurden. Statt auf Beschwerden gegen das Wachpersonal Untersuchungen vorzunehmen, wurden gegen 40 Häftlinge Untersuchungen wegen Disziplinarverstöße eingeleitet (SCF 19.8.2019).

Quellen:

ABA - Ankara Bar Association Center For Attorney Rights, Penal Institution Board And Center For Human Rights (26.5.2019): Report Regarding Claims Of Torture In Ankara Provincial Police Headquarters Investigation Department Of Financial Crimes, in: HRD - Human Rights Defenders (29.5.2019): Bar Association Report: Former diplomats sexually abused with batons and tortured, https://humanrights-ev.com/bar-association-report-former-diplomats-sexually-abused-with-batons-and-tortured/,

AI - Amnesty International (13.6.2019): Nicht mehr in Foltergefahr; UA-Nr: UA-074/2019-1 [EUR 44/0525/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-06/074-1_2019_DE_T%C3%Bcrkei.pdf,

Corrective - Recherchen für die Gesellschaft (11.12.2018): BlackSitesTurkey, https://correctiv.org/top-stories/2018/12/06/black-sites/,

EP - European Parliament (11.3.2019): Parliamentary questions - Question for written answer E-001287-19 to the Commission Rule 130 Costas Mavrides (S&D), http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-8-2019-001287_EN.html,

Ha'aretz (11.12.2018): Kidnapped, Escaped, and Survived to Tell the Tale: How Erdogan's Regime Tried to Make Us Disappear, https://www.haaretz.com/middle-east-news/turkey/.premium.MAGAZINE-how-erdogan-s-loyalists-try-to-make-us-disappear-1.6729331,

IPA News (14.6.2019): Detained Turkish woman alleges horrific torture by state agents, https://ipa.news/2019/06/14/detained-turkish-woman-alleges-horrific-torture-by-state-agents/,

ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf,

SCF - Stockholm Center for Freedom (19.8.2019): Tortured inmates investigated instead of prison guards: bar association, https://stockholmcf.org/tortured-inmates-investigated-instead-of-officers-bar-association/,

WE - Washington Examiner (3.6.2019): A new phase in Turkey's crackdown: Torturing diplomats, https://www.washingtonexaminer.com/opinion/op-eds/a-new-phase-in-turkeys-crackdown-as-recep-tayyip-erdogan-tortures-diplomats,

ZDF - Zweiten Deutsches Fernsehen (11.12.2019): Kidnapping im Auftrag Erdogans, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/die-verschleppten-kidnapping-im-auftrag-erdogans-100.html,

In den Artikeln 2, 25 und 26 des türkischen Wehrgesetzes heißt es, dass jeder Mann in der Türkei zur Einberufung verpflichtet ist und sich ab dem 1. Januar des Jahres, in dem er zwanzig Jahre alt wird, anmelden muss. Der Militärdienst gilt nicht für Frauen. Wehrpflichtiger bleibt man bis zum 1. Jänner des Jahres, in dem man 41 wird. Im Falle einer Mobilmachung können Männer bis zu ihrem 65. Lebensjahr zum Militärdienst einberufen werden. Türkische Staatsbürger, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Ausland haben, sind ab dem Jahr, in dem sie 19 Jahre alt werden, bis zum Ende des Jahres, in dem sie 38 Jahre alt werden, verpflichtet, der Einberufung zu folgen. Männer, die sich freiwillig zur Teilnahme an den Streitkräften melden, können dies ab dem Alter von 18 Jahren tun. Die türkischen Gesetze und Verordnungen sehen nur für Kranke oder Behinderte und für Einberufungspflichtige, deren Bruder während des Militärdienstes im Kampf gestorben ist, eine Ausnahme vom Militärdienst vor. Darüber hinaus ist es in der Praxis möglich, eine Ausnahmeregelung zu erhalten, indem man erklärt, dass man homosexuell ist. Die Verschiebung des Militärdienstes kann auf Grundlage des Gesetzes 1111, Artikel 35, erfolgen: Ein diesbezüglicher Antrag kann aus Gründen der Unentbehrlichkeit für jemanden eingereicht werden, der für die Regierung, die (Verteidigungs-)Industrie oder als Berufssportler arbeitet; wenn die Person noch studiert (Universitäten übermitteln eine standardisierte Aufschiebung für ihre Studenten); wenn die Person im Ausland arbeitet; und bei schlechter Gesundheit (mit ärztlicher Bestätigung). Eine Verschiebung des Militärdienstes kann auch wegen Inhaftierung beantragt werden. In der Regel wird eine Verschiebung um ein Jahr gewährt. Diese kann bei Vorlage der richtigen Unterlagen um ein Jahr verlängert werden. Das türkische Wehrgesetz erlaubt es Studenten, die zum Militärdienst einberufen werden, zunächst ihre Universitätsausbildung (bis zu dem Jahr, in dem sie 30 Jahre alt werden) oder ihre Postdoc-Ausbildung und Forschung (bis zu dem Jahr, in dem sie 36 Jahre alt werden) abzuschließen (MFA-NL 11.7.2019). Der Einsatzort für den Wehrdienst wird weiter durch das Los bestimmt (ÖB 10.2019).

Am 25.6.2019 trat ein neues Wehrgesetz in Kraft. Die Wehrpflicht wird von zwölf auf sechs Monate verkürzt. Gemäß dem neuen Gesetz müssen männliche türkische Staatsbürger im Alter von über 20 Jahren (bis 41) eine einmonatige militärische Ausbildung absolvieren. Von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes können sie sich unter Zahlung von 31.000 Lira (ca. 4.755 ?) freikaufen. Männer, die gerade ihren Wehrdienst ableisten, haben die Chance auf eine vorzeitige Entlassung. Über 100.000 Soldaten werden nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes vorzeitig entlassen [da sie bereits sechs oder mehr Monate gedient haben], während etwa 460.000 Männer berechtigt sind, sich frei zu kaufen. Das Gesetz sieht überdies vor, dass Wehrpflichtige nach den sechs Monaten ihren Militärdienst freiwillig gegen ein monatliches Gehalt von 2.000 Lira verlängern können. Leisten die Betreffenden ihre zusätzlichen sechs Monate in den südöstlichen und östlichen Provinzen wie Gaziantep, Sirnak und Hakkari ab, erhalten sie zusätzlich monatlich 1.000 Lira. Der Staatspräsident ist befugt, die Dauer der Wehrpflicht zu ändern, wobei die gegebenen sechs Monate nicht unterschritten werden dürfen (HDN 25.6.2019, vgl. DS 25.6.2019, IPA News 26.6.2019). Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, und Deserteure sind von der neuen Regelung ausgeschlossen (Connection e.V. 11.7.2019).

Die Freikaufsregelung bzw. Ableistung eines stark verkürzten Militärdienstes gegen die Zahlung eines Geldbetrages wird im neuen Rekrutierungsgesetz (Kanun 7179) für zwei Gruppen neu gefasst: Artikel 9 definiert unter der Bezeichnung "Bezahlter Militärdienst" die Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die in der Türkei leben; Artikel 39 definiert unter der Bezeichnung "Militärdienst mit Devisenzahlung" (Dövizle Askerlik) Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die auf Dauer im Ausland leben bzw. die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Mit dem neuen Gesetz ist die Freikaufsumme nun auch in Höhe von 31.000 Türkische Lira nach dem jeweiligen Devisenkurs vom 1.1. des Jahres zu zahlen, und zwar auf einmal (Connection e.V. 11.07.2019). Es gibt keine Altersbegrenzung für die Zahlung. Es ist auch kein Militärdienst in der Türkei abzuleisten. (Connection e.V. 11.7.2019, vgl. MFA-NL 11.7.2019). Jedoch müssen im Ausland lebende Wehrpflichtige einen Online-Kurs beim türkischen Verteidigungsministerium absolvieren, bevor sie sich freikaufen können (MFA-NL 11.7.2019, vgl. ÖB 10.2019).

Es wurden keine Änderungen am militärischen Disziplinarsystem oder an den medizinischen Vorschriften vorgenommen, die Homosexualität als "psychosexuelle Störung / Krankheit" definieren. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass "abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (EC 29.5.2019). Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle konnten unter der Bezeichnung "psycho-sexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Im Gesundheitsgesetz der türkischen Streitkräfte vom 12.11.2015 wird Homosexualität wie folgt beschrieben: "Sexuelle Verhaltensweisen und Einstellungen, die im militärischen Umfeld die Harmonie und Funktionalität beeinträchtigen könnten." Homosexualität führte daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch bis zum gescheiterten Putschversuch vom 15.7.2016 durch ärztliches Gutachten in Militärkrankenhäusern festgestellt werden musste. In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt. Die medizinische Versorgung der türkischen Streitkräfte obliegt seitdem dem türkischen Gesundheitsministerium, sodass die Untersuchungen seither durch den Familienarzt am Wohnort oder durch die nächstgelegene Gesundheitseinrichtung durchgeführt werden (AA 3.8.2018).

Neu hinzugekommen ist die Regelung, dass für türkische Doppelstaatsangehörige die Ableistung eines Grundwehrdienstes oder Wehrersatzdienstes außerhalb der Türkei nicht mehr anerkannt wird und damit die Dienstpflicht durch die Türkei als nicht erfüllt angesehen wird (ÖB 10.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf,

Connection e.V. (27.7.2018): Freikaufsregelung, Ausbürgerung, Ausmusterung und Asyl, https://de.connection-ev.org/article-1609,

DS - Daily Sabah (25.6.2019): New military service law approved, https://www.dailysabah.com/turkey/2019/06/25/parliament-adopts-bill-reducing-conscription-making-paid-military-service-exemption-permanent,

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf,

HDN - Hürriyet Daily News (25.6.2019): Parliament adopts bill reducing conscription, making paid military service exemption permanent, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-parliament-ratifies-new-military-service-law-144475,

MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN+Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf,

Das Gesetz in der Türkei macht keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Dies gilt auch für die Vorschriften über den Militärdienst und die Rekrutierung (MFA-NL 11.7.2019). Es gibt keine Hinweise darauf, dass kurdisch-stämmige Rekruten alleine wegen ihrer Abstammung anders behandelt werden (VB 4.6.2019). Daher ist es möglich, dass ein türkischer Wehrpflichtiger kurdischer Herkunft in einer Provinz eingesetzt wird, in der die Mehrheit der Bevölkerung kurdisch ist. Es gibt keine politische Intention, türkisch-kurdische Wehrpflichtige gegen türkisch-kurdische Kämpfer einzusetzen. Die Armee hat vor einigen Jahren den Einsatz von Wehrpflichtigen im Kampf eingestellt (MFA-NL 11.7.2019).

Nach vorliegenden Informationen besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder die kurdische, noch die alevitische Minderheit betreffend. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2019). So wurde ein kurdischsprachiger Wehrpflichtiger von seinen Vorgesetzten in der Provinz Van im Mai 2018 schwer missbraucht, nachdem er auf Kurdisch gesungen hatte. Er erlitt schwere Verletzungen an seinem Gesicht und seinen inneren Organen. In einem weiteren Vorfall in der Provinz Gaziantep wurde ein Soldat von anderen Soldaten angegriffen, weil er ein Foto auf seinem Smartphone von Selahattin Demirtas hatte, dem inhaftierten Führer der pro-kurdischen HDP (MFA-NL 11.7.2019). In einer Anfrage an den türkischen Verteidigungsminister anlässlich der Misshandlungsfälle erklärte der HDP-Parlamentarier Lezgin Botan, dass Wehrpflichtige Gefahr laufen, festgenommen, inhaftiert, Gewalt ausgesetzt, schikaniert, beleidigt oder diskriminiert zu werden, nur weil sie kurdische Musik hören, auf Kurdisch singen oder sprechen oder mit Familienmitgliedern telefonieren, die kein Türkisch sprechen (MFA-NL 11.7.2019, K24 10.5.2018).

Quellen:

K24 - Kurdistan 24 (10.5.2018): Middle East Conscript in Turkish army 'lynched' for singing in Kurdish, MPs say, https://www.kurdistan24.net/en/culture/e9b13521-081d-402b-9ea4-20f41eea9bb5,

MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN+Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, VB des BM.I für die Türkei (4.6.2019): Auskunft des VB per Mail

ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf,

Nach zwei Jahren der rapiden Verschlechterung der Menschenrechtslage endete der Ausnahmezustand am 18.7.2018. Dies ging jedoch nicht mit konkreten Schritten zur Verbesserung der Menschenrechte im Land einher. Stattdessen bleiben viele der während des Ausnahmezustands eingeführten Maßnahmen bis heute in Kraft. Diese haben nach wie vor tiefgreifende und verheerende Auswirkungen auf die türkischen Bürger (EC 29.5.2019, vgl. HRW 17.1.2019). Die Behörden haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf der Grundlage unterschiedlicher rechtlicher Bestimmungen im Visier, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen und ein Klima der Angst aufrecht zu erhalten. So wurde gegen Menschenrechtsanwälte und Gewerkschaftsvertreter in aufeinanderfolgenden Verhaftungswellen vorgegangen (AI 1.2.2019).

Zwar umfasst der Rechtsrahmen allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, dieser muss aber noch mit der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR bzgl. Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte in Einklang gebracht werden. In den Bereichen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie Verfahrens- und Eigentumsrechten gab es weiterhin schwere Rückschritte (EC 29.5.2019, vgl. EP 13.3.2019). Einschränkungen der Tätigkeit von Journalisten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen auf breiter Ebene wirken sich negativ auf die Ausübung dieser Freiheiten aus und führen zu Selbstzensur. Die Durchsetzung der Rechte wird durch die Zersplitterung und eingeschränkte Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zuständig sind, und das Fehlen einer unabhängigen Justiz behindert (EC 29.5.2019).

Gemäß der Verfassung besitzt jede Person mit seiner Persönlichkeit verbundene unantastbare, unübertragbare, unverzichtbare Grundrechte und Grundfreiheiten. Diese können gemäß Art. 13 der Verfassung nur durch Gesetz und mit der Maßgabe eingeschränkt werden, dass ihr Wesenskern unberührt bleibt. Die Beschränkungen dürfen nicht gegen Wortlaut und Geist der Verfassung, die Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaftsordnung und der laizistischen Republik sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Diesen Grundsätzen steht der Kampf gegen den Terrorismus als zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte gegenüber (ÖB 10.2019).

Die Türkei hat eine weit gefasste Definition von Terrorismus, die auch Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere und äußere Sicherheit des Staates umfasst, die die Regierung regelmäßig einsetzt, um die legitime Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu kriminalisieren (USDOS 1.11.2019, vgl. ÖB 10.2019). Dieser Terrorismusbegriff ist mit dem Grundrechtsschutz unvereinbar (ÖB 10.2019). Das Europaparlament sieht die Antiterrormaßnahmen als Missbrauch zur Legitimation der Verstöße gegen die Menschenrechte und fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen (EP 13.3.2019).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch in der Regel am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern (AA 14.6.2019). Im Jahr 2018 stellte der (EGMR Verstöße gegen die EMRK in 142 Fällen (von 146) fest, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren (41), die Meinungsfreiheit (40), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (29), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (11), unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (11) und das Verbot von Folter (10) bezogen (EC 29.5.2019, vgl. ECHR 1.2019a). Im Berichtszeitraum 2018 wurden vom EGMR 6.717 neue Anträge registriert (ECHR 1.2019b, vgl. EC 29.5.2019). Auf dem Höhepunkt 2017 waren es 25.978 (ECHR 1.2019b). Im Rahmen des verstärkten Überwachungsverfahrens gibt es derzeit 410 Verfahren gegen die Türkei (EC 29.5.2019). Mit Stand 31.10.2019 waren 8.700 Verfahren aus der Türkei, das waren 14,5% aller Fälle, am EGMR anhängig (ECHR 12.11.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf,

AI - Amnesty International: Turkey (1.2.2019): Amnesty International's brief on the human rights situation: Turkey's state of emergency ended but the crackdown on human rights continues [EUR 44/9747/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/1457405/1226_1549275543_eur4497472019english.PDF,

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf,

ECHR - European Court of Human Rights (1.2019a): Statistics by year 2018: Violations by Article and by State, https://echr.coe.int/Documents/Stats_violation_2018_ENG.pdf,

ECHR - European Court of Human Rights (1.2019b): Analysis of statistics 2018, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_analysis_2018_ENG.pdf,

ECHR - European Court of Human Rights (12.11.2019): Pending Applications Allocated To A Judicial Formation 31/10/2019, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2019_BIL.pdf,

EP - European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2019-0200+0+DOC+PDF+V0//EN,

HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Turkey: State of Emergency Ends, but Not Repression, https://www.hrw.org/news/2019/01/17/turkey-state-emergency-ends-not-repression,

USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019168.html, 19

Die Türkei schaffte 2004 die Todesstrafe für alle Straftaten ab. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1984 (AI 7.2018). Obwohl die Türkei dem Protokoll 13 der EMRK beigetreten ist, werden weiterhin von Regierungsvertretern, einschließlich des Präsidenten, Erklärungen zur Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe abgegeben (EC 29.5.2019).

Quellen:

AI - Amnesty International (7.2018): Abolitionist and Retentionist Countries as of July 2018, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5066652017ENGLISH.pdf,

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf,

Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).

Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).

Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).

Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

Quellen:

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/,

OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf?expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295ED4460FC22E0,

WB - World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/Turkey-Economic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf?cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511,

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seinen Sprachkenntnissen, zu seinem Schulbesuch, zur Ausreise aus der Türkei, zum Aufenthalt in Italien, zum Aufenthalt in Österreich, zum Aufenthaltstitel und zum diesbezüglichen Verlängerungsantrag ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und einem IZR-Auszug.

Die Feststellungen zur standesamtlichen Heirat mit einer österreichischen Staatsangehörigen und zur traditionellen Heirat in der Türkei und zum Aufenthalts anlässlich der Heirat in der Türkei ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau und der Heiratsurkunde (AS 227). Die Feststellungen zur Herkunft der Ehefrau, zu ihrer Staatsangehörigkeit, zu ihrer Berufstätigkeit, zum Bezug von Kinderbetreuungsgeld und Mindestsicherung, zu ihren Familienangehörigen, zu ihren Aufenthalten in der Türkei und ihrer erneuten Schwangerschaft ergeben sich aus ihren Angaben und den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung sowie einer ärztlichen Bestätigung.

Die Feststellung zum Aufenthalt der Ehegattin in der Türkei als der Beschwerdeführer in Haft war, ergibt sich aus den eigenen Angaben der Ehefrau in der mündlichen Verhandlung und den Ein- und Ausreisestempeln in ihrem Reisepass.

Die Feststellungen zum Geburtsort des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ergeben sich aus ihren Reisepässen. Die Feststellungen zum Sohn des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen Reisepass (AS 229) und Geburtsurkunde (AS 251).

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich, der Schweiz und in der Türkei ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer nicht Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation ist und in Österreich auch keine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen besucht hat, ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA (AS 346) und in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zum Besuch eines Deutschkurses ergibt sich aus der diesbezüglichen Bestätigung des Kursanbieters. Die Feststellung zur Berufstätigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen Angaben, einer Gehaltsabrechnung und einer Bestätigung des Arbeitsgebers. Die Feststellung zur Einstellungszusage ergibt sich aus ebendieser (AS 213). Die Feststellung zum Bezug von Arbeitslosengeld ergibt sich aus einem Versicherungsdatenauszug (AS 215ff).

Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer mehrmals im Jahr in der Türkei aufhält, ergibt sich aus den zahlreichen Ein- und Ausreisestempeln in seinem Reisepass. Dieser Reisepass wurde im Juli 2012 ausgestellt und enthält Ein- und Ausreisestempel ab dem Jahr 2013 bis zum Jahr 2018. Anhand dieser Stempel ist ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer mindestens einmal im Jahr, in einigen Jahren auch mehr als einmal, in der Türkei aufhält.

Die jährliche Aufschiebung der Einberufung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst ergibt sich aus den diesbezüglichen Schreiben des Generalkonsulats Salzburg an die Wehrdienstbezirksdirektion in XXXX .

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung ergeben sich aus dem diesbezüglichen Urteil (AS 263ff). Die Feststellungen zur Untersuchungshaft und zur Strafhaft ergeben sich aus einer Vollzugsinformation (AS 335). Die bedingte Entlassung aus der Strafhaft unter Bestimmung einer Probezeit ergibt sich aus dem Beschluss des Landesgerichts (AS 219f).

Die Feststellungen zur Situation bei Rückkehr in die Türkei beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Den Feststellungen zur Situation in der Türkei wurde nicht substantiiert entgegengetreten.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

1. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§ 52 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lautet auszugsweise:

"Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) - (3) ...

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. - 3. ...

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. ...

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) - (8) ...

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist."

§ 11 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) lautet auszugsweise:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7. in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) ...

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. ...

(5) - (7) ..."

§ 9 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

2. Der Beschwerdeführer hatte einen bis 16.06.2018 gültigen Aufenthaltstitel als "Familienangehöriger" und stellte vor dessen Ablauf einen Verlängerungsantrag. Er ist daher gemäß § 24 Abs. 1 NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Ein solcher Versagungsgrund liegt nach §11 Abs. 2 Z 1 NAG vor, wenn der Aufenthalt des Fremden öffentlichen Interessen widerstreitet. Dieses Kriterium ist gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dann erfüllt, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Es ist daher zu prüfen, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062 unter Hinweis auf VwGH 14.04.2011, 2008/21/0257).

Der Wohlverhaltenszeitraum des Fremden in Freiheit ist üblicherweise umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0027 unter Hinweis auf VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009).

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.09.2019, ZI. XXXX , wegen des Verbrechens der Schlepperei zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum von zumindest 12.05.2018 bis 27.03.2019 gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, der auch seine Ehefrau angehörte, Schlepperfahrten organisiert und auch als Fahrer bei den Schleppungen fungiert. Die kriminelle Vereinigung war auf längere Zeit, zumindest mehrere Monate, angelegt und darauf ausgerichtet, dass von mehreren Mitgliedern der Vereinigung mehrere Verbrechen nach dem FPG, also qualifizierte Schleppereien, begangen werden. Dem Beschwerdeführer und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung kam es darauf an, sich durch eine wiederkehrende Tatbegehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu erwirtschaften, wobei im Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung bereits zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant waren und es kam dem Beschwerdeführer und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung darauf an, sich durch für die Schleppertätigkeit erlangtes Entgelts unrechtmäßig zu bereichern. Für die Organisation der Schleppungen wurde vom Beschwerdeführer eine auf seine Ehefrau registrierte Mobiltelefonnummer verwendet und die Ehefrau stellte einen auf sie zugelassenen PKW für die Schleppungen zur Verfügung. Der Beschwerdeführer hat zumindest zwölf Schlepperfahrten organisiert und dabei als Fahrer fungiert. Bei dem überwiegenden Teil der Fahrten wurden zumindest drei Fremde, idR türkische Staatsangehörige, geschleppt. In einem Fall wurden 17 türkische Staatsangehörige geschleppt.

Die vom Beschwerdeführer begangene gewerbsmäßige Schlepperei über einen Zeitraum von zumindest zehn Monaten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und in Bezug auf zahlreiche Fremde aus dem Heimatland des Beschwerdeführers indiziert eine große Wiederholungsgefahr (vgl. VwGH 10.04.2014, 2013/22/0314).

Der Wohlverhaltenszeitraum des Beschwerdeführers in Freiheit beträgt erst fünf Monate und ist damit noch zu kurz. Auch wenn der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erklärte, er habe "einen Fehler" gemacht, vermag dies nicht zu überzeugen, da der Beschwerdeführer nämlich andererseits vermeint, er sei dazu "überredet" worden, womit er im Ergebnis die Verantwortung für sein eigenes Handeln nicht übernehmen will. Zudem ist der Wohlverhaltenszeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat. Der Beschwerdeführer hat eine gewerbsmäßige Schlepperei über einen Zeitraum von zumindest zehn Monaten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und in Bezug auf zahlreiche Fremde begangen. Auf Grund dieser Umstände muss von einer nachdrücklichen Manifestierung der Gefährlichkeit ausgegangen werden und es kann daher nach einem Wohlverhaltenszeitraum von erst fünf Monaten noch von keinem Gesinnungswandel ausgegangen werden.

Sofern in der Beschwerde auf die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft hingewiesen wird, ist diesbezüglich auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118 unter Hinweis auf VwGH 08.09.2009, 2008/21/0600, mwN, und daran anschließend beispielsweise auch VwGH 29.04.2010, 2010/21/0096).

Bei der Schlepperei handelt es sich um ein die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens besonders schwer beeinträchtigendes Fehlverhalten. Bei der Schlepperkriminalität besteht - insbesondere bei der gewerbsmäßigen Vorgangsweise über einen Zeitraum von mehreren Monaten - Wiederholungsgefahr (vgl. VwGH 07.02.2008, 2006/21/0343).

Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers würde daher die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden. Damit widerstreitet der Aufenthalt des Beschwerdeführers öffentlichen Interessen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG.

Der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels steht somit ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG entgegen, weshalb gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist.

3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Ges

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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