Entscheidungsdatum
19.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2184142-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 11.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2020, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die mj. Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischen moslemischen Glaubens und ledig gelangte mit ihren Eltern und ihrem Bruder (spätestens) am 07.10.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Mutter der Beschwerdeführerin gab im Rahmen der Erstbefragung sowie in der Einvernahme am 09.08.2017 vor der belangen Behörde zu ihrem Fluchtgrund an, dass das Leben in Afghanistan schwierig gewesen sei. Die Mutter der Beschwerdeführerin hätte gegen den Willen ihrer Familie, den Vater der Beschwerdeführerin geheiratet und so die Ehre der Großeltern der Beschwerdeführerin beschmutzt.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 11.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § Abs. 8 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asyl wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Es bestehe eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise.
Beweiswürdigend bezog sich die belangte Behörde auf das unglaubwürdige Vorbringen der Eltern der Beschwerdeführerin.
In der Beschwerde, welche fristgerecht am 10.01.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurde die Bescheide der Beschwerdeführerin, ihrer Eltern und ihrer Geschwister im vollen Umfang angefochten. Die belangte Behörde habe die Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie mangelhafte Länderfeststellungen zugrunde gelegt habe. Die Beschwerdeführer würden mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien erfüllen. Es seien die Beweise, besonders hinsichtlich der Steigerung des Fluchtvorbringens mangelhaft gewürdigt worden.
An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2020 nahmen die Eltern der Beschwerdeführerin, die Rechtsvertretung und eine Dolmetscherin teil. Die belangte Behörde war nicht erschienen.
Dem Vorbringen in der abschließenden Stellungnahme über eine drohende Zwangsverheiratung der 7-jährigen Beschwerdeführerin fehlt es an Aktualität.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:
Die Beschwerdeführerin ist minderjährige Staatsangehörige von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken angehörig, sunnitischen muslimischen Glaubens und ledig. Sie ist mit ihren Eltern und ihrem Bruder am 07.10.2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Bundesgebiet hält sie sich mit ihren Eltern und ihren zwei Geschwistern auf. Diese sind ebenso Staatsangehörige von Afghanistan.
Glaubhaft ist, dass die Mutter der Beschwerdeführerin eine westlich orientierte Frau ist, die seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben führt. Die Mutter der Beschwerdeführerin, der Vater der Beschwerdeführerin und die mj. Geschwister sind dabei sich in Österreich zu integrieren.
Der Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerin wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Beweis wurde erhoben:
Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Eltern der Beschwerdeführerin
- durch Beamte des Bezirkspolizeikommando XXXX am 07.10.2015 sowie
- durch das BFA, Regionaldirektion Kärnten am 09.08.2017,
- durch Befragung der Mutter der Beschwerdeführerin und ihres Vaters, im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2020 sowie durch Vorhalt des aktuellen LIB der Staatendokumentation zu Afghanistan durch das Bundesverwaltungsgericht.
2. Beweiswürdigung:
Der Mutter der Beschwerdeführerin wurde der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.
Aufgrund dieses Umstandes war es nicht erforderlich, eigene Länderfeststellungen zu treffen. Eigene asylrelevante und aktuelle Asylgründe wurden nicht vorgebracht.
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“ (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Es liegen keine eigenen aktuellen und asylrelevanten Verfolgungsgründe der 7-jährigen Beschwerdeführerin vor.
§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:
„Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.“
Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).
Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).
Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.
Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.
Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.
Mit ihrer Mutter führt die Beschwerdeführerin ein Familienleben. Sie und ihre Mutter sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.
Im Fall der Beschwerdeführerin liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil dem Antrag ihrer Mutter stattgegeben wurde. Das Ermittlungsverfahren ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mutter der Beschwerdeführerin eine „westliche Lebensweise“ angenommen hat. Sie konnte zum Entscheidungszeitpunkt eine entsprechende innere Wertehaltung glaubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vermitteln. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Mutter der Beschwerdeführerin vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.
Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach der Beschwerdeführerin ein Familienleben getrennt von ihrer Mutter und ihrer Familie in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.
Der Beschwerdeführerin war daher Asyl zu gewähren.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 07.10.2015 – und somit vor dem 15.11.2015 – gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall keine Anwendung finden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.
Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asylgewährung von Familienangehörigen FamilienverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2184142.1.00Im RIS seit
29.09.2020Zuletzt aktualisiert am
29.09.2020