TE OGH 2020/7/22 12Os58/20a

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Veröffentlicht am 22.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen David S***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. Februar 2020, GZ 154 Hv 50/19f-22, sowie über dessen Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Mössler zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B./, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Freisprüche enthaltenden Urteil wurde David S***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A./) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, nämlich

A./ außer dem Fall des § 206 StGB an einer unmündigen Person, und zwar

I./ im Sommer 2018 an dem am 5. Oktober 2008 geborenen A***** Ö*****, indem er diesen aufforderte, sich auf seinen Schoß zu setzen, ihn im Bereich des unteren Rückens und des Steißbeins oberhalb und unterhalb der Kleidung und im Bereich der Oberschenkel oberhalb der Kleidung massierte, mit den Händen in Richtung des Penis strich und diesen oberhalb der Kleidung berührte;

II./ zwischen Mai und Sommer 2018 an dem am 11. Jänner 2006 geborenen M***** Ö*****, indem er diesen aufforderte, sich auf seinen Schoß zu setzen und ihn dann im Bereich der Leiste massierte, in seine Hose fasste und unterhalb der Unterhose seinen Penis berührte;

B./ durch die zu A./II./ geschilderte Tat mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Jaqueline B***** und Franz Sc***** Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Diese Beweispersonen sollten darüber Auskunft geben, „dass es der Frau H***** darum gegangen ist, den Angeklagten aus dem Polizeidienst zu entfernen und dass auch ihnen gegenüber Äußerungen gefallen sind, wie es die Zeugin Sch***** heute geschildert hat“ (ON 21 S 25). Diesen Antrag hat der Schöffensenat schon deshalb zu Recht abgelehnt, weil er kein Beweisthema enthielt und ein solches auch aus der Antragsbegründung nicht zweifelsfrei ableitbar war (vgl RIS-Justiz RS0099301; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.111).

Das im Rechtsmittel nachgetragene Vorbringen unterliegt dem Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) kritisiert die zum Schuldspruch A./I./ getroffene Feststellung, der Angeklagte habe den Penis des A***** Ö***** oberhalb der Kleidung berührt, als undeutlich, weil Intensität, Dauer und Erheblichkeit dieser Berührung offen blieben. Dabei lässt sie die Konkretisierung außer Acht, wonach es sich – wie auch beim anderen Opfer – um keine vom Angeklagten ungewollten Berührungskontakte handelte, dieser sich mit Präzision und Zielsicherheit an das Geschlechtsteil „heranmassierte“ und die (kurze – US 11) Berührung des Penis mit zwei Fingern unterbrochen wurde, weil der Unmündige sich entfernte. Solcherart haben die Tatrichter eine die tatbestandliche Erheblichkeitsschwelle übersteigende Berührung konstatiert.

Die vermisste Auseinandersetzung mit ins Treffen geführten Details der – grundsätzlich erörterten (US 5 f) – Angaben des A***** Ö***** (wonach der Angeklagte „daneben ein bisschen angekommen“ sei – ON 7 S 3 f) begründet schon deshalb keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall), weil diese – teils isoliert hervorgehobene – Aussagepassage der Feststellung der Berührung des Penis nicht entgegenstehen.

Der gegen den Schuldspruch A./II./ gerichteten Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider musste sich der Schöffensenat – dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – nicht mit sämtlichen Details der Depositionen des M***** Ö***** zur Intensität der Berührung seines Geschlechtsteils auseinandersetzen. Darüber hinaus verfehlt die Rüge prozessordnungswidrig ihre Ausrichtung an der Gesamtheit der Erwägungen der Tatrichter (RIS-Justiz RS0119370). Diese haben sich nämlich auch damit auseinandergesetzt, dass es gerade Unmündigen schwerfällt, derartige Handlungen zu erklären und zu erfassen (US 6).

Der Einwand willkürlicher Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellung zur Berührung des Penis des Opfers trifft angesichts dessen, dass sich das Erstgericht auf die belastenden Angaben des M***** Ö***** stützte (US 5 f), nicht zu.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit den Hinweisen auf die (von der Beschwerde behauptete) Glaubwürdigkeit der leugnenden Einlassung des Angeklagten (wonach die Berührung versehentlich erfolgt sei) und auf dessen freundschaftliche Beziehungen zur Familie Ö***** keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.

Die gegen den Schuldspruch A./I./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) macht einen Rechtsfehler mangels Feststellungen betreffend das Vorliegen einer geschlechtlichen Handlung im Sinn des § 207 Abs 1 StGB geltend.

Nach Rechtsprechung und Lehre muss eine sexualbezogene Berührung ein unterschiedliches Ausmaß erreichen, je nachdem, ob das Opfer dünne oder feste Bekleidung trägt. In letzterem Fall hat die Berührung mit entsprechender (höherer) Intensität, Präzision und Zielsicherheit zu erfolgen (vgl RIS-Justiz RS0102141, RS0095194 [T1, T2], RS0094905 [T35], RS0095733 [T10] vgl auch 12 Os 106/13z, 11 Os 144/15h; Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 13; Hinterhofer SbgK § 202 Rz 29; für Betasten statt bloßer Berührung Schwaighofer PK-StGB § 202 Rz 2).

Die Tatrichter stellten vorliegend fest, dass der Angeklagte den Penis des Unmündigen im Zuge einer Massage im Bereich der Oberschenkel mit zwei Fingern oberhalb der Kleidung kurz berührte (US 4, 11). Das Erstgericht konstatierte weiters, dass der Angeklagte sich im Zuge des „Heranmassierens“ mit Präzision und Zielsicherheit dem Penis des Buben näherte, wobei die Massagen einzig dem Ziel dienten, den Penis berühren oder betasten zu können (US 4). Solcherart war die Berührung von einer Intensität, die auch bei einer bekleideten Person eine geschlechtliche Handlung darstellt.

Angesichts der festgestellten Berührung trifft auch der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall), es läge nur Tatversuch vor, nicht zu.

Die den Schuldspruch A./II./ betreffende Rechtsrüge (Z 9 lit a), die bloß pauschal das Fehlen von Konstatierungen zur „erforderlichen Intensität bzw. Dauer der Berührung“ kritisiert, versagt ebenfalls.

Nach den wesentlichen, dazu getroffenen Feststellungen massierte der Angeklagte M***** Ö***** mit beiden Händen an der Leiste unterhalb der Unterhose, wobei er die Hände an dessen Bauch in die Unterhose einführte. Er massierte dabei immer weiter hinunter, bis er schließlich mit der Hand den Penis des Opfers unmittelbar berührte (US 3). Genau darin ist aber ein – dem Begriff der geschlechtlichen Handlung unterfallender – nicht bloß flüchtiger sexualbezogener Kontakt (vgl RIS-Justiz RS0095739) zu erblicken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.

Zum Schuldspruch B./ überzeugte sich der Oberste Gerichtshof allerdings davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Urteil eine nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war:

§ 212 Abs 1 Z 2 StGB verlangt die Ausnützung des Autoritätsverhältnisses. Dieses – durch Feststellungen zu klärende – Tatbestandsmerkmal setzt ein gezieltes, für den Erfolg kausales Täterverhalten im Sinn eines Einsatzes dieser Autorität voraus (vgl RIS-Justiz RS0095185). Allein aus dem bloßen Bestehen eines Autoritätsverhältnisses kann nicht auf den missbräuchlichen Einsatz desselben geschlossen werden (Philipp, WK-StPO § 212 Rz 9 mwN).

Indem das Erstgericht in objektiver Hinsicht bloß darauf verwies, dass sich M***** Ö***** zur Tatzeit zwecks Nachhilfeunterrichts beim Angeklagten befand (US 3), darüber hinaus aber keine Konstatierungen zur erwähnten Tatbestandsvoraussetzung traf, erweist sich der Schuldspruch B./ als verfehlt.

Aufhebung des Schuldspruchs B./ ist – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Folge.

Mit seiner Berufung und seiner (impliziten) Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) war der Angeklagte auf den kassatorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.

         Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E129147

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00058.20A.0722.000

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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