TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/8 W196 2150098-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §58 Abs5
AsylG 2005 §58 Abs8
AsylG 2005 §60 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AVG §64 Abs1
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W196 2150098-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, diese vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2017, Zl. 1142065109-170149826, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF, stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 vorliegen.

III. Der Beschwerde wird gemäß § 10 AsylG 2005, § 52 Abs. 9 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG stattgegeben und die entsprechenden Spruchteile und -punkte des angefochtene Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

IV. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird zurückgewiesen.

V. Der Antrag auf Erteilung eines "Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" wird gemäß § 56 sowie § 58 Abs. 5 und 8 AsylG 2005 zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, gelangte schlepperunterstützt ins österreichische Bundesgebiet und brachte am 03.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung am selben Tag gab sie an, aus einem Ort in XXXX in der Ukraine zu stammen, christlich-orthodoxen Glaubens zu sein sowie nach 10 Jahren Grundschule 2 Jahre die Universität besucht zu haben und von Beruf Buchhalterin zu sein. Neben Ukrainisch beherrsche sie auch noch gut Russisch. Sie sei geschieden, ihr Vater und ihr Bruder seien bereits verstorben, ihre Mutter, ihre Tochter sowie zwei Schwestern würden noch im Herkunftsstaat leben. In der EU habe sie keine Angehörigen. Sie leide an keinen Krankheiten, welche sie an einer Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden. Den Herkunftsstaat habe sie Ende Dezember 2016 legal mit ihrem ukrainischen Reisepass, welcher vom Schlepper zerrissen und weggeworfen worden sei, samt Visum verlassen und sei über Polen und Tschechien am 02.01.2017 nach Österreich gelangt. Die Reise habe 1.000.- US Dollar gekostet. Als Fluchtgrund gab sie an, für eine Firma mit einem Firmenauto Autoteile nach Doniezk transportiert zu haben und plötzlich angegriffen und beschossen worden zu sein. Sie habe das Auto sofort verlassen, welches dann in die Luft gesprengt worden sei. Ihr Chef habe dann Geld für das Auto von ihr verlangt. Da sie kein Geld gehabt habe, sei sie von ihm mitsamt ihren Schulden an eine andere Firma bzw. die Mafia verkauft worden, nachdem ihr Ehemann diesen ihr Versteck verraten habe. Danach habe er sich scheiden lassen. Sie habe nachts 18 Stunden lang alles putzen und reinigen müssen, sei geschlagen und misshandelt und als Sklavin gehalten worden. Ein Mann, welcher zur Autowäsche gekommen sei, habe Mitleid mit ihr gehabt und ihr zur Flucht verholfen. Im Fall der Rückkehr befürchte sie umgebracht zu werden.

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.02.2017 brachte die Beschwerdeführerin auf Befragen vor, gesund zu sein. In Österreich nehme sie gegen Schmerzen Tramadol 1 Pharma 50 mg 1x täglich vor dem Schlafengehen, Mefenam 500 mg 3x täglich gegen Kopfschmerzen und Nitroglycerin 0,5 Tabletten bei Schmerzanfällen. Außer ihrer Tochter habe sie in der Ukraine noch zwei Söhne, welche jetzt im Krieg seien. Sie habe den gegenständlichen Antrag aus Angst unter ihrem Mädchennamen eingebracht. Die letzten 3 Jahre habe ihr Ehemann sie an Banditen verkauft. Sie sei eingesperrt gewesen und habe nächtelang gearbeitet (geputzt, ausgemalt, aufgeräumt). Sie sei eingesperrt gewesen - in einem Club oder Hotel - sie sei zur Arbeit mitgenommen und wieder zurückgebracht worden, es sei ein kleiner Raum gewesen - irgendwo in der Nähe von XXXX . Sie habe vor 14 Jahren - als ihre Tochter, welche an Kinderlähmung leide, geboren worden sei- begonnen, als Fahrerin zu arbeiten und habe zB. Autoteile transportiert. Sie habe beladene Autos übernommen und sei damit gefahren. Dies sei nicht offiziell gewesen, es sei ein Automarkt gewesen. Sie habe die Ware abgeliefert und das Auto wieder zurückgebracht, immer für verschiedene Auftraggeber. Manchmal habe sie die Ware gesehen, manchmal sei sie schon eingepackt und versperrt gewesen. Sie habe jeweils Papiere bekommen und unterschrieben, dass sie für die Ware verantwortlich sei. Auch seien immer verschiedene Begleitpersonen dabei gewesen. Als sie zuletzt Waren nach Doniezk hätte bringen sollen, sei die Straße beschossen worden, der Begleiter sei verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden, sie sei bei der Explosion bewusstlos geworden und dort liegen geblieben. Ihr Wohnhaus in XXXX sei verkauft worden, um den Wert der Ware zu ersetzen. Da es nicht ausgereicht habe, habe man sie selbst "genommen" und an einer anderen Adresse in XXXX angemeldet. Die Dokumente habe ihre Schwester bekommen, damit ihre Tochter eine Invalidenpension erhalte. Ihre Schwester habe die Obsorge für ihre Tochter, welche sich in einem kleinen Dorf befinde. Die Beschwerdeführerin sei geschieden. Ihr Mann habe sich aus Angst im März 2016 scheiden lassen und sie den Banditen übergeben. Ihr Ex-Mann sei wieder verheiratet und habe kaum gearbeitet, weil er Invalide sei. Die Beschwerdeführerin habe das Geld verdient und die Familie ernährt. Außer ihrer Tochter habe sie zwei Söhne, deren Aufenthalt sie seit drei Jahren nicht kenne. Damals seien junge Männer von der Straße in den Krieg mitgenommen worden. Ihre Schwester habe ihr zuletzt im Dezember (2016) berichtet, dass diese Leute nach der Beschwerdeführerin suchen würden und sie ihnen gesagt hätte, sie würde zur Polizei gehen, und dass diese dann verschwunden wären. Die Beschwerdeführerin habe sich bereits das Leben durch Erhängen nehmen wollen, als ihr damit gedroht worden sei, dass man ihr Hände, Füße und Knochen brechen würde und sie trotzdem weiterarbeiten werde müssen. Sie sei gezwungen worden, ihr Haus zu verkaufen. Sie hätten den Erlös und Schmuck genommen, was nicht gereicht habe, weil ihr 10 % Zinsen pro Monat verrechnet würden. Sie habe beim Notar nur unterschreiben müssen, das Geld habe sie nie gesehen. Sie habe immer wieder Ausfälle im Langzeitgedächtnis, sie erinnere sich nur an die 3 Jahre (Gefangenschaft) und nicht an das, was davor gewesen sei. Nach der Explosion habe sie die Kopfschmerzen bekommen und in der Gefangenschaft sei ihr bei Anfällen kaltes Wasser über den Kopf geschüttet worden und es seien ihr Handschellen angelegt worden. Sie spreche Ukrainisch, aber besser Russisch. In der EU habe sie keine Angehörigen. Sie sei am 27.12.2016 aus der Ukraine schlepperunterstützt ausgereist und habe einen Monat in XXXX in einer Wohnung auf die Weiterreise nach Deutschland oder Italien warten müssen. Da sie kein Geld dafür gehabt habe, sei sie einfach aus dem Auto geschmissen worden und aus Angst vor der Polizei noch eine Nacht durch die Stadt gelaufen. Jetzt wolle sie nicht mehr weiter reisen sondern einfach hier bleiben und arbeiten. Sie habe sich noch nie im Ausland befunden oder irgendwo Asyl beantragt. Sie habe dem Mann, welcher ihr geholfen habe, namens XXXX 1.000.- US-Dollar für die Reise gegeben, weil er ihr gesagt habe, dass diese Leute vorhätten, sie zu entstellen, damit sie mit ihrer Tochter als Bettlerin arbeiten könne, daher habe sie ihre Tochter gleich versteckt. XXXX sei immer wieder gekommen, er habe etwas geholt oder gebracht und wahrscheinlich habe sie ihm leid getan. Er habe erfahren, dass sie sich habe umbringen wollen. Sie habe auch für XXXX geputzt, sie sei gegen Geld vermietet worden, und sie habe ihm gesagt, wo sie das Geld versteckt hätte. Dieses habe sich im verkauften Haus im Dach eines unterirdischen Stauraums für Gemüse befunden.

Zum Fluchtgrund brachte sie auf Befragen vor, dass bei der letzten Fahrt das Auto zerschossen und zerstört worden sei und sie den Wert selbst habe bezahlen müssen, weil sie (dafür) unterschrieben hätte. Die Zinsen seien sehr hoch und sie könne das nicht bezahlen. Sie wäre das ganze Leben eingesperrt worden und hätte dafür arbeiten müssen. Sie habe diese Fahrt für einen Unternehmer gemacht, welcher die Schulden an die Banditen verkauft habe. Sie hätten sie auch zuletzt als Fahrerin ins Kriegsgebiet schicken wollen, weil sonst niemand hinfahren habe wollen. Der letzte Auftraggeber habe XXXX geheißen. In den Papieren sei jedes Mal etwas Anderes gestanden, um nicht steuerpflichtig zu werden, und sie hätten viele Waffen gehabt. Sie habe ein einziges Mal mit XXXX gearbeitet, es seien jedes Mal andere Auftraggeber gewesen. Sie sei früher auch nie nach Doniezk gefahren, dies sei ihre erste Fahrt dorthin gewesen. Ein junger etwa 25 Jahre alter Mann habe sie begleitet und sei sehr nervös gewesen. Sie habe das schon beladene Auto auf einem Markt in XXXX erhalten und in den Papieren sei XXXX (bei XXXX ) gestanden. Sie seien nicht die normale Straße, sondern auf Feld- und Schotterstraßen, also Nebenstraßen gefahren. Sie seien nicht in Doniezk angekommen. Nach der Explosion könne sie sich an kaum etwas erinnern. Sie wisse nicht mehr, bei welchem Ort dies gewesen sei. Sie vergesse so viele Sachen und schreibe sich sofort auf, woran sie sich erinnere, damit sie es rekonstruieren könne. Der Vorfall habe sich etwa um 10 Uhr abends ereignet, im Frühling vor 3 Jahren - 2014. Sie und ihr Beifahrer seien verletzt gewesen und zu Fuß zu einem Dorf gegangen. Die Auftraggeber seien gekommen und hätten sie abgeholt. Sie wisse nicht genau, womit sie beschossen worden seien, es seien mehrere Explosionen gewesen. Sie sei bewusstlos gewesen und habe eine Kopfverletzung (Platzwunde) gehabt und zeigte im Bereich der Augenbrauen über der Nase eine 4 cm lange Narbe. Sie könne sich nicht erinnern, ob diese Verletzung genäht worden sei. Vor 3 Jahren im Winter, ca. vor 2,5 Jahren wahrscheinlich im Frühling sei sie in XXXX bei ihrer Schwester gewesen, als sie gekommen seien und gesagt hätten, dass noch etwas zu klären sei. Sie sei mitgefahren und seither in Gefangenschaft gewesen. Das mit dem Auto sei im Frühling passiert, sie habe noch einen Verband gehabt, als sie nach Hause gekommen sei, und am gleichen Tag seien sie gekommen. Sie habe nicht einmal Zeit gehabt mit ihrer Schwester zu sprechen, bei welcher sie sich habe verstecken wollen. Davon habe sie ihrem damaligen Ehemann am Telefon erzählt. Für das Auto und die Ware seien 100.000.- USD verlangt worden. Mit einer Fahrt habe sie 300.- USD verdient, das sei viel Geld in der Ukraine. Durchschnittlich habe sie 200.- USD monatlich verdient. Sie sei mit einem Minibus gefahren und habe 2 bis 3 Fahrten im Monat gehabt. Währenddessen sei ihre Tochter bei ihrer Schwester gewesen. In der Gefangenschaft habe sie Geschirr abgewaschen, Boden gewischt, Swimmingpools gereinigt, Autos gewaschen, an vieles könne sie sich nicht mehr erinnern, sie sei ständig geschlagen worden. Anfangs habe sie in einem Club oder geschlossenen Hotelanlage gearbeitet, später sei sie an Private vermietet worden und sei immer in Begleitung gewesen. Nachts sei sie im Club, tagsüber bei Privaten gewesen. Befragt, wie sie habe entkommen können, gab sie an, dass XXXX sie regelmäßig (2 Mal im Monat) nach Hause geholt habe und sie daher ohne Begleitperson dorthin habe kommen dürfen. Er habe gesagt, dass er sie zum Bahnhof bringen und sagen werde, dass sie weggelaufen sei. Er habe sie spät abends dorthin gebracht und ihr alle Unterlagen samt Tickets gegeben. Sie sei in XXXX nicht zur Polizei gegangen, weil diese ihr sicher nicht geholfen hätte. Nach Folterspuren befragt, gab die Beschwerdeführerin an, zuletzt nur am Kopf geschlagen worden zu sein, weil sie Anfälle bekommen habe - sie sei mit kaltem Wasser übergossen worden. Davor sei sie mit Eisenstangen und Winkeln geschlagen worden. Am Bein (linker Oberschenkel außen) habe sie eine Narbe, es sei eine Platzwunde gewesen. Weil sie sich anfangs geweigert habe, sei sie stark geschlagen worden. Sie sei mit einem wassergefüllten Schlauch am Rücken geschlagen worden, das ergebe keine blauen Flecken aber höllische Schmerzen. Da sie gewusst habe, dass es dort auch Prostituierte gegeben habe, hätte sie gesagt, sie habe Hepatitis, und sei sonst nicht angerührt worden. Mit den ukrainischen Behörden habe sie niemals Schwierigkeiten gehabt. Sie gehöre keiner politischen Partei an, weder sei ein Gerichtsverfahren anhängig noch sei sie jemals festgenommen worden oder habe sich in Haft befunden Zu den ihr zur Kenntnis gebrachten Länderberichten wollte sie nicht schriftlich Stellung nehmen. Ferner brachte sie vor, nicht freiwillig zurückkehren zu wollen, sie würden sie dort finden, sie würde dort sterben und bitte um Schutz. Nach Rückübersetzung gab sie an, nur für diese (eine) Fahrt 300 USD erhalten zu haben, sonst zwischen 50 bis 100 USD je Fahrt. Ihre Tochter bekomme 50 USD Invalidenpension, bräuchte für Medikamente und Behandlungen aber mehr Geld. Ferner gab sie an, nur dieses eine Mal ohne Begleitperson dorthin (zu XXXX ) gedurft zu haben. Abschließend bestätigte sie ihren richtigen Namen. Die Reisepässe habe XXXX gehabt. Einmal sei sie bei ihm gewesen und sie seien schnell beim Visa-Amt vorbeigefahren, um ihre Fingerabdrücke für das Visum abzugeben. Den Reisepass habe XXXX für sie ausstellen lassen samt Visum. Der "Innenpass" sei mit dem Geld unterm Dach versteckt gewesen. XXXX habe im November, als er ihr das Leben gerettet habe, beschlossen ihr zu helfen und im Dezember habe sie wegfahren können.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dieser Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Ferner wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Dabei führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin keine staatliche Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht habe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass sie ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch Banditen/Mafia verlassen habe. Ihre Fluchtgründe seien insgesamt nicht glaubhaft. Dazu wurde beweiswürdigend ausgeführt, dass weder ihr Vorbringen zur Flucht mit Hilfe von XXXX , noch der Umstand, dass sich ihre Schwester wegen ihrer jahrelangen Gefangenschaft nicht an die ukrainischen Behörden gewendet hätte, schlüssig nachvollziehbar seien, da vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der ukrainischen Behörden ausgegangen werde. Auch seien ihre Angaben darüber widersprüchlich, von wem sie an die Banditen verkauft worden sei, vom letzten Auftraggeber oder ihrem nunmehr geschiedenen Ehemann. Auch zur Scheidung von ihrem Ehemann habe sie widersprüchliche Angaben gemacht, welche einerseits vor drei Jahren und andererseits im März 2016 erfolgt sei. Widersprüchlich seien auch ihre Angaben zur Flucht gewesen, wonach sie nur einmal unbewacht bei XXXX hätte arbeiten dürfen, aber andererseits vorbrachte, sie wären zuvor auch einmal schnell bei der Visabehörde vorbeigefahren. Die Behörde ging demzufolge nicht davon aus, dass die Beschwerdeführerin sich in Gefangenschaft befunden und unbezahlt für Banditen habe arbeiten müssen. Vielmehr erblickte die Behörde in ihrer Ausreise wirtschaftliche Gründe. Eine individuell gegen sie gerichtete Bedrohung oder Verfolgung habe sie nicht vorbringen können. Eine darüber hinaus gehende, aktuelle und individuell drohende Verfolgung im Herkunftsstaat habe nicht festgestellt werden können. Dass ihr im Fall der Rückkehr eine Gefährdung durch die Polizei, staatliche Organe, Behörden oder Private drohe, habe nicht festgestellt werden können. Sie würde im Fall der Rückkehr nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten und verfüge über ein soziales Netzwerk im Herkunftsstaat. In Österreich habe weder ein Familienleben noch ein schützenswertes Privatleben festgestellt werden können.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihren bevollmächtigten Rechtsberater fristgerecht vollumfängliche Beschwerde. Sie brachte vor, die Behörde habe das Verfahren mit einem mangelhaften Ermittlungsverfahren belastet, da die Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig seien. Die Behörde habe es zur Gänze unterlassen, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen und entsprechenden Berichten auseinanderzusetzen, wonach ua. in den vergangenen zwei Jahren die Zahl der Opfer von Menschenhandel in der Ukraine gestiegen sei und speziell Frauen generell keinen Schutz finden könnten. Die angebotene Zeugin sei nicht befragt worden, weshalb die Befragung der Schwester der Beschwerdeführerin beantragt werde. Auch habe die Behörde es verabsäumt, ein fachärztliches Gutachten einzuholen, obwohl die Beschwerdeführerin in psychisch äußerst schlechter Verfassung und daher nicht in der Lage gewesen sei, die Vorfälle chronologisch und nachvollziehbar zu schildern. Die Beschwerdeführerin spreche unzusammenhängend, weine immer wieder, verwechsle einfache Namen und Situationen, schreibe einfache Begebenheiten auf, um sie nicht zu vergessen. Ein solches Verhalten sei von einem fachlich qualifizierten Sachverständigen zu beurteilen, dies habe die Behörde unterlassen. Eine Beurteilung einer von der Beschwerdeführerin gezeigten Narbe durch einen männlichen Organwalter sei nicht nur unprofessionell, sondern auch absolut nicht notwendig, da es sich dabei um keinen medizinischen Sachverständigen handle. Zum Beweis dafür, dass die von der Beschwerdeführerin beschriebenen Verletzungen tatsächlich auf die geschilderte Art und Weise zustande gekommen seien und ihr psychischer Zustand derart schlecht sei und sie ihr Fluchtvorbringen nicht chronologisch schildern könne, werde die Einholung fachärztlicher Gutachten empfohlen. Die Behörde habe auch das Parteiengehör verletzt, weil die Beschwerdeführerin nicht ausreichend Zeit gehabt habe, auf die Feststellungen zur Ukraine zu reagieren und ihr Vorbringen hinsichtlich Schutzfähigkeit und Kriegszustand in der Ukraine zu präzisieren. Sie habe ihre Fluchtgeschichte äußerst umfassend und detailliert vorgebracht. Die Behörde habe die Beschwerdeführerin ohne sie von den vorläufigen Beweisergebnissen in Kenntnis zu setzen, plötzlich pauschal für unglaubwürdig befunden, sodass sie keine Gelegenheit gehabt habe, der Beweiswürdigung entgegenzutreten, wodurch ihr Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Ferner sei die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme beim Bundesamt nicht auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht worden, von einer Organwalterin einvernommen zu werden. Die Beweiswürdigung wurde weiteres als unschlüssig gerügt und ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin sich geweigert habe, sich zu prostituieren und daraufhin vergewaltigt und gefoltert worden sei. Die Beschwerdeführerin sei über 2,5 Jahre gefangen gehalten worden, sei nie ohne Bewacher gewesen und habe nicht flüchten können. Nach einem Suizidversuch in der Gefangenschaft habe einer der Männer, an welche sie verkauft worden sei, ihre Dienste regelmäßig in Anspruch genommen und anscheinend das Vertrauen der Bewacher gewonnen und die Beschwerdeführerin schließlich ohne Bewachung zu sich nehmen dürfen. Dieser Mann namens XXXX habe der Beschwerdeführerin in der Folge zu einem Reisepass, einem Visum und Fahrkarten für die Flucht verholfen. Ein Abgleich mit den Länderberichten sei der Beweiswürdigung nicht zu entnehmen gewesen und habe die Behörde dementsprechend keine Aussagen zur Plausibilität des Vorbringens treffen können, ansonsten hätte die Behörde zum Ergebnis gelangen müssen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Da die Beschwerdeführerin der Gruppe der Frauen, welche Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind, angehöre, treffe auf sie die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zu und wäre ihr daher Asyl zu gewähren gewesen. Wie aus den Länderberichten und Aussagen der Beschwerdeführerin hervorgehe, drohe ihr auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung durch Kriminelle bzw. der Tod, weshalb ihre Abschiebung auch gemäß Art. 3 EMRK unzulässig sei. Das Bundesamt sei auch für die Erteilung besonderen Schutzes gemäß § 57 AsylG 2005 zuständig. Weshalb die Behörde den eindeutigen Hinweisen, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sei, in keiner Weise nachgegangen sei, erscheine nicht nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin habe bereits bei der Erstbefragung angegeben, in der Ukraine als Sklavin gefangen gehalten worden zu sein und habe bei der Behörde auch Folterspuren gezeigt. Im Lichte der zitierten Artikel erscheine das Vorbringen höchst glaubhaft. Wie die Behörde zu dem Schluss gelangt sei, dass die Beschwerdeführerin die Ukraine aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe, sei der Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar und schlüssig zu entnehmen. Vielmehr wäre die Beschwerdeführerin im Fall einer Rücküberstellung erneut diesen Kriminellen ausgeliefert und ohne Unterstützung der Gefahr der Zwangsprostitution ausgesetzt. Es fänden sich mehrere Anhaltspunkte für ein organisiertes Netzwerk für Zwangsprostitution (Verkauf ihrer Schulden, Organisation durch ihren ehemaligen Dienstgeber). Die Behörde habe in diesem Zusammenhang keine weiteren Ermittlungsschritte gesetzt., wozu sie im gegenständlichen Fall verpflichtet gewesen wäre. Entgegen den Ausführungen der Behörde über die Möglichkeit der Beschwerdeführerin, sich an die ukrainischen Behörden zu wenden, habe der angefochtene Bescheid keine Feststellungen über den effektiven Schutz vor Zwangsprostitution enthalten. Dieser Auffassung würden auch in der Folge zitierte Berichte widersprechen, wonach "nach dem Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit Opfer selten Schutz vor Gewalt erfahren könnten" und "in der Ukraine keinerlei Schutzeinrichtungen für Opfer von (sexueller) Gewalt existierten". Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 seien zum Entscheidungszeitpunkt gegeben gewesen. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin (in Österreich) sei zur Gewährleistung der Strafverfolgung bzw. der Geltendmachung und Durchsetzung samt zivilrechtlichen Ansprüchen notwendig. Demzufolge hätte eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen. Auch sei der dafür wesentliche Sacherhalt nicht erhoben worden, insbesondere habe die Behörde Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin unterlassen, welche sich seit dem 01.03.201 in der geschlossenen Abteilung eines LKH befinde, weshalb eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung samt Zeugeneinvernahme, die Zuerkennung aufschiebender Wirkung und in eventu die Erteilung eines "Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" beantragt.

Am 20.03.2017 wurde die Beschwerdeführerin wegen länger dauernder Abwesenheit aus der staatlichen Grundversorgung entlassen.

Der Beschwerdeergänzung vom 02.06.2017 ist zu entnehmen, dass die Behörde das Parteiengehör verletzt habe, sodass die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit gehabt habe, den vorläufigen Beweisergebnissen entgegenzutreten und vermeintliche Widersprüche aufklären zu können. So habe sie mit der Formulierung, dass ihr Ehemann sie "verkauft" habe, gemeint, er habe sie verraten. Auch habe sie zum Zeitpunkt der Scheidung anlässlich ihrer Erstbefragung keinen Zeitpunkt genannt. Diese sei schließlich im März 2016 vollzogen worden. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit hätte die Behörde ferner zu beachten gehabt, dass bereits ein glaubhafter Verdacht auf Menschenhandel erhöhte Abklärungs- und Schutzpflichten auslöse (EGMR Rantsev gegen Zypern und Russland, 07.01.2010, 25965/04). Bei Beachtung dieser Verpflichtung hätte sie infolge einer mängelfreien Beweiswürdigung die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen. Es lägen zahlreiche Indikatoren für Menschenhandel vor (Zwangsaufenthalt an der Arbeitsstätte ohne Einkommen, Gewalt, massive Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, schlechter Gesundheitszustand und sichtbare Narben). Allein die Bereitschaft der Beschwerdeführerin im Gastland arbeiten zu wollen, könne die Schlussfolgerung, sie hätte die Ukraine aus wirtschaftlichen Gründen verlassen keinesfalls stützen. Zur rechtlichen Beurteilung wurde vorgebracht, dass nach der jüngeren Rechtsprechung sich aus der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von systematisch organisiertem Frauenhandel eine Asylrelevanz ergeben könne (etwa VwGH 23.02.2011, 2011/23/0064 ua.). Jedenfalls bestehe die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr erneut in die Hände der Menschenhändler gerate und ihr weitere Zwangsarbeit zur Tilgung der vermeintlich noch ausständigen Schulden sowie erneute Gewalt sowie Vergeltungsmaßnahmen für ihre Flucht drohten (Hinweis auf UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 7: Anwendung der Flüchtlingsdefinition auf Opfer von Menschenhandel). Wegen der deutlichen Hinweise auf einen Fall von Menschenhandel wäre die Behörde zur Verständigung des Landes- oder Bundeskriminalamtes verpflichtet gewesen. Zu den Feststellungen der Behörde betreffend die Situation im Fall der Rückkehr sei darauf zu verweisen, dass die Beschwerdeführerin sich in ärztlicher Behandlung befinde (posttraumatische Belastungsstörung) und habe sich auf Grund von Suizidäußerungen 13 Tage im geschlossenen Bereich der Psychiatrie befunden. Dazu wurde ein Kurzarztbrief vom 14.03.2017 eines österreichischen Krankenhauses über den stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin vom 01.03.2017 bis zum 14.03.2017 mit den Diagnosen "posttraumatische Belastungsstörung, chronische Cephalea, Levomycetinallergie, Knotenstruma (anamnestisch), St.p. Poliomyelitis (anamnestisch), St.p. Knöchelfraktur rechts (anamnestisch), Narbe linker Oberschenkel (anamnestisch nach Misshandlung)" vorgelegt, welchem zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine über 3 Jahre in einer Halle gefangen gehalten und schwer misshandelt worden sei. Außerdem ergibt sich daraus eine medikamentöse Behandlung der bei der Entlassung psychisch und physisch stabilen Beschwerdeführerin ohne Hinweis auf eine Fremd- oder Eigengefährdung. Ferner wurde vorgebracht, dass zur Beurteilung des Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin, welche für ein krankes Kind zu sorgen habe, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen gewesen wäre. Außerdem sei sie nicht illegal, sondern mit einem Visum nach Österreich eingereist.

Am 26.09.2017 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher die Beschwerdeführerin mit ihrem bevollmächtigten Vertreter teilnahm. Ein Vertreter des Bundesamtes ist entschuldigter Weise nicht erschienen. Dabei gab sie auf Russisch Folgendes an:

"R befragt die Partei, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hinderungsgründe vorliegen. Ferner wird die Partei befragt, ob bei ihr (chronische) Krankheiten und/oder Leiden vorliegen. Diese Frage wird von der Partei dahingehend beantwortet, dass keine Hinderungsgründe sowie (chronische) Krankheiten und Leiden bei ihr vorliegen.

Die Partei hat keine Bescheinigungsmittel bei sich und verweist im Übrigen auf die bereits im bisherigen Verfahren vorgelegten Bescheinigungsmittel.

[...]

R: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie diese Autofahrten übernommen haben?

BF: Mein Kind war krank und ich konnte sie nicht für lange Zeit alleine lassen. Sie war paralysiert (Kinderlähmung) sie konnte nicht laufen. Ich habe einen PKW gehabt und habe sie immer mit dem Auto gefahren. Anfangs im selben Auto habe ich auch Sachen transportiert. Ich habe meine Sachen transportiert und dann auch Sachen von der Familie, die für meine Tochter die Taufpatin gestellt hat. Mein Ex-Mann war mit dem Mann der Taufpatin befreundet. Sie war Businessfrau und sie hatte ihr eigenes Business. Sie hat manchmal Bestellungen gemacht und auch bezahlt und ich habe für sie die Ware transportiert gegen Bezahlung. Sie hat mit Autoteilen gehandelt, für alle Automarken. Ich habe dann eine Prüfung abgelegt, damit ich die größeren Autos (Mikrobusse "Gazelle") fahren kann. Ich habe die Ware von XXXX übernommen und XXXX übergeben und umgekehrt. Der Bus war von XXXX , er hat viele Autos gehabt auch LKWs. Ich habe dann auch Fahrten von XXXX übernommen. Ich habe eingekauft. Sie habe von XXXX und XXXX Telefonnummern bekommen, ich wurde von ihnen weitervermittelt an andere Geschäftsleute. XXXX wusste, dass ich mein Kind nicht lange alleine lassen kann, deswegen hat sie auch immer angerufen und gefragt, ob ich Zeit habe. XXXX hat mich angerufen und gefragt, ob ich Ware fahren kann.

Sieben Jahre ist das problemlos gegangen. Ungefähr vor sechs Jahren musste ich dafür bürgen, dass ich dieses Auto fahren kann. Es war ein Vertrag, dass ich verantwortlich für diesen Bus und die Ware bin. Mein Haus war die Sicherheit. Nach dem Tod der Taufpatin meines Kindes bin ich einige Male wieder gefahren. Als ich mit dem Bus nach Donezk gefahren bin, bin ich in einen Bombenanschlag geraten. Ich hatte einen Mitfahrer im Bus. Ich weiß nicht, wie er heißt. Es war ein Bekannter von XXXX . Ich war verletzt, ich erinnere mich jetzt nicht genau, das Auto stand in Flammen. Dieser Mann hat mich aus dem Bus gezerrt und in das nächstliegende Dorf gebracht. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Ich habe Verbände bekommen. Derselbe Mann hat mich zurück nach XXXX (Stadt) gebracht. Als ich zu Hause war, wollte XXXX , dass ich meine Schulden bezahle für das Auto und die Ware. Wenn ich das jetzt nicht bezahle, werde ich mein Kind verlieren. Wenn ich nicht bezahle, wird mir und meinem Kind Schlechtes widerfahren. Ich bin zur Polizei, ich wollte eine Anzeige machen, aber die Polizisten haben mich ausgelacht. Ich wollte XXXX anzeigen. Die Polizisten haben gesagt, so lange nichts passiert ist, können sie nichts machen. Ich habe eine Art Erklärung abgegeben, dass ich das Auto gefahren habe, dann das Auto zerbombt wurde. Ich habe gesagt, dass ich Angst vor XXXX habe, weil er mich bedroht. XXXX und drei andere Männer sind um Mitternacht nach der Anzeige zu mir gekommen. Sie haben das Auto aufgemacht, ich habe gesehen, dass dort Waffen lagen. Sie haben gesagt, sei dankbar, dass wir dir keine Granate ins Fenster werfen. Wir wollen mit dir nur sprechen. XXXX sagte, "Du bist blöd, dass du zur Polizei gegangen bist". Einer der Herren hat seinen Ausweis gezeigt, er hat gesagt, dass er über der Polizei steht, er war bei der SBU. Sie lachten mich aus. Ich habe verstanden, dass niemand mir helfen kann. Am nächsten Morgen habe ich meine Tochter zu meiner Schwester gebracht, damit sie sie versteckt.

XXXX hat ein Datum festgelegt und gesagt, wenn du bis dahin nicht zahlst, und er hat gesagt, nach einem Monat wird es um 10 % mehr. Ich musste im Laufe des Monats diese gesamte Summe zurückzahlen.

R: Hätten Sie das Geld gehabt? Wieso hat XXXX geglaubt, dass Sie das zahlen können?

BF: Sie haben, weil ich ja gebürgt habe mit dem Haus, das Haus verkauft. Das war aber nicht genug. Ich musste von meinen Bekannten und Familie Geld ausborgen, aber ich konnte nicht, weil ich verstanden habe, dass ich nach dem Treffen in dieser Nacht, dass das das Ende ist. Meine Familie ist arm, meine Mutter ist 80 Jahre alt, meine Schwester ist verkrüppelt. Ich habe immer wieder von meiner Familie Geld ausgeborgt für meine Tochter, jetzt konnte ich nicht mehr.

Er hat gesagt, dass ich dafür arbeiten muss. 50.000 Dollar kostete das Auto und die Ware. Ich weiß nicht wieviel das Haus gebracht hat. Sie wollten von mir 100.000 Dollar. Anfangs hieß es 50.000, dann aber 100.000 Dollar. Meine Schwester hat meine Tochter bei der Tante versteckt. Ich selbst wollte nicht wissen, wo das Kind ist. Er hat er mir gedroht, ich wollte mein Kind beschützen, ich wollte nicht wissen, wo es ist.

Ich habe meinen Ex-Mann gesagt, dass ich zur Schwester gehe, um mich einige Zeit zu verstecken, bis ich einige Fragen lösen kann. Als ich zu meiner Schwerster kam, konnte ich nur fünf Minuten mit ihr sprechen, es kam ein Auto hinterher, sie verlangten, dass ich rauskomme. Sie haben gelacht und gesagt, es war so leicht von deinem Mann deinen Aufenthaltsort herauszufinden. Sie haben verlangt, dass ich mit ihnen wegfahre. Ich sollte meiner Schwester sagen, dass sie nicht zur Polizei gehen darf und keine Anzeige machen darf. Ich habe mir Sorgen gemacht und habe sie gebeten, dass sie nirgendwohin fährt. Ich habe ihr mein Kind anvertraut. Ich habe meiner Schwester gesagt, ich fahre weg, weil ich muss meine Schulden abarbeiten. Sie haben mich in einen Keller gebracht und mich eingesperrt. Lange Zeit war ich eingesperrt.

R: Wie kam es, dass XXXX Ihnen geholfen hat?

BF: Ich wurde sehr schwer geschlagen, sie wollten mir Angst einjagen. Dann wurde ich jede Nacht zur Arbeit gefahren. Ich konnte aus dem Fenster im Keller sehen, dass ungefähr fünf bis sieben Männer waren, irgendwie kam es dazu, dass sie sich gegenseitig geschlagen haben. In diesem Keller gab es einen Korridor. XXXX wurde zusammengeschlagen und im Korridor liegen gelassen. Ich habe ihm geholfen. Der Korridor war im Raum, wo ich eingeschlossen war. Außerhalb war er versperrt. Im Hof war die Schlägerei. Ich konnte das durch das Fenster beobachten. XXXX hat geblutet und war bewusstlos, ich habe ihn mit Wasser gereinigt. Als ich sah, dass er sein Bewusstsein erlangt hat, bin ich wieder zurück in mein Zimmer gegangen. Als ich raus durfte, um Autos zu waschen, habe ich XXXX gesehen, aber ich habe nie mit ihm gesprochen. Mein Fenster war verschlossen, aber ich konnte schon sehen, wer kommt im Hof. Auch als ich in Hotels gereinigt habe. Die anderen haben mich geschlagen und gesagt, "mach schneller". XXXX hat uns nicht geschlagen und hat höchstens gesagt, "macht schneller".

Einer der Männer hat immer gelacht, es war wahrscheinlich angenehm für ihn, als er mich auf den Kopf schlug.

Immer hat man mich mit dem Wasserschlauch geschlagen, ich war so verzweifelt, dass ich versucht habe, mich aufzuhängen. Als ich wieder das Bewusstsein erlangte, war XXXX bei mir und zwei andere Männer. Einer sagte, was denkst du, dass du dich so leicht von uns befreien kannst. Wenn du es nochmal versucht, werden wir dich zusammenschlagen, dass du nie mehr aufstehen kannst. Wir werden dich nicht umbringen, wir werden dich so zusammenschlagen, dass du dir wünschst, dass du stirbst. Dann haben sie mich zusammengeschlagen und ans Bett gefesselt. Ich weiß nicht wie viele Tage vergingen. Ich erinnere mich, dass einige Tage später XXXX kam und Mitleid mit mir hatte. Er hat gesagt, dass ich ihn an seine Mama erinnere und er würde mir helfen. XXXX hat mir gesagt, dass er mich nicht umbringen könnte, obwohl er schon mehrere Leute umgebracht hat. Er hat gesagt, er hilft mir. Das nächste Mal, als ich putzen musste, hat er mir Dokumente gegeben. Einen Reisepass und noch ein Dokument, vielleicht war das ein Touristenvisum. Ich habe niemals vorher einen Auslandspass gehabt. Er gab mir ein Busticket. Ich sollte mit dem Zug bis XXXX fahren und dann von dort mit dem Bus nach XXXX fahren. In XXXX sollte ich andere Männer treffen, die mich nach Italien bringen sollten. Aber diese Männer haben gesagt, es ist nicht genug Geld, sie haben mich nicht mehr nach Italien gebracht. XXXX hat gemeint, dass ich Polen nicht aus dem Bus aussteigen darf, weil dort könnten mich die Leute von dieser Organisation finden.

XXXX hat seine Schulden an eine Organisation verkauft, die mich zum Arbeiten gezwungen hat. Ich bin aus dem Bus nicht ausgestiegen.

R: Wieso hat Ihnen XXXX Dokumente besorgt?

BF: Ich habe 1.000 Dollar auf die Seite gelegt gehabt und meinen ukrainischen Pass. Ich sagte ihm, wo diese Sachen liegen. Nachdem er mir gesagt hat, dass er mir hilft, habe ich ihm von diesem Geld erzählt. Er hat mich zum Bus gebracht und gesagt, dass er alles bezahlt hat, ich werde nach Italien gebracht. Es stellt sich heraus, dass es ein Jahr gedauert hat, bis er mir geholfen hat. Andere Passagiere haben mich gefragt, weil ich hatte eine leichte Jacke, obwohl Winter war und es lag Schnee.

R: Wieso Italien?

BF: Ich weiß nicht, das hat er vorgeschlagen. Ich war niemals im Ausland, nur in der Ukraine. Er hat gesagt, ich werde von XXXX abgeholt und nach Italien gebracht.

Als mich der unbekannte Mann abholen kam vom Maria Theresia-Denkmal, er fragte, ob ich XXXX bin, ich sagte ja. Ich habe lange gewartet. Er nahm meine Dokumente und hat sie zerrissen. Ich bin ins Auto gestiegen, in eine Wohnung gefahren. Da waren ein junger Mann und eine junge Frau, dieser andere Mann hat gesagt, sie haben ein Problem, ich soll einige Zeit in dieser Wohnung bleiben. Es gab noch einen weiteren jungen Mann, der sollte mit mir nach Italien fahren.

R: Wieso wurde der Reisepass zerrissen?

BF: Er sagte, du wirst ihn nicht mehr brauchen. Nachdem der Schlepper weitere 500 Euro verlangt hat, und ich nicht bezahlen konnte, haben sie mich aus dem Auto rausgeschmissen und gesagt, ich bin jetzt frei. Ich bin dann die ganze Nacht hin- und hergewandert und habe Angst vor der Polizei gehabt.

R: Wieso haben Sie Angst vor der Polizei gehabt?

BF: Weil bei uns in der Ukraine wissen die Banditen immer alles, was bei der Polizei passiert und ich dachte, das ist in XXXX auch so. Man kann die Polizei bestechen.

BFV: Wenn Sie sich erinnern, XXXX ist mit drei Männern gekommen, haben diese auch konkret Ihre Tochter bedroht?

BF: Sie haben gesagt, was denkst du, dass du dein Kind vor uns verstecken kannst, weil invalide Kinder zum Betteln gut geeignet sind.

R: Aber Ihre Tochter ist jetzt auch gefährdet, weil sie ja wissen, dass sie bei Ihrer Schwester ist.

BF: Ich habe in XXXX meine Schwester angerufen und sie hat gesagt, dass das Kind im Dorf versteckt ist.

R: Wieso denken Sie, dass Sie nicht im Norden der Ukraine in Sicherheit sind?

BF: Sie werden mich finden. XXXX hat gesagt, ich soll von XXXX nach XXXX fahren, um meine Spur zu verwischen. In jeder Stadt, wo ich melden würde, würde ich gefunden werden. Vor der Polizei hier in Österreich habe ich meinen Mädchennamen angegeben.

R: Wieso würden Sie in jeder Stadt gefunden werden?

BF: Als ich im Keller war, habe ich ihnen zugehört. Sie haben über alles gesprochen. Sie haben sogar Sklaven gehabt. Zwei von ihnen waren sogar angekettet. Sie haben überall eigene Leute. Diese Menschen haben sehr große Macht und sehr viel Geld. Deswegen glaube ich, dass sie mich auf jeden Fall finden würden. XXXX hat mich extra nicht mit dem Flugzeug weggeschickt, weil man mich finden könnte. Sie haben jede Information. Sie sind von der SBU (=Sicherheitskräfte). Sie werden mich überall finden können.

BFV: Wenn ich richtig verstehe, hat diese kriminelle Organisation Kontakte zu den Sicherheitskräften?

BF: Die Automatikwaffen lagen einfach so im Auto. Sie werden mich finden."

Mit Schreiben vom 20.11.2017 legte die Beschwerdeführern einen weiteren ärztlichen Befundbericht eines sozialpsychiatrischen Ambulatoriums vom 03.10.2017 vor, wonach sie sich laufend wegen einer "posttraumatischen Belastungsstörung" in Behandlung befinde und eine weiterführende fachärztlich-psychiatrische Behandlung als indiziert erachtet wurde.

Mit Schriftsatz vom 13.07.2018 teilte die Vertreterin der Beschwerdeführerin mit, dass sich kürzlich in der Ukraine neue Verfolgungshandlungen gegen die Beschwerdeführerin und ihre Familienangehörigen ereignet hätten. Die Beschwerdeführerin habe über eine Kurskollegin Kontakt mit ihrem Sohn in der Ukraine aufgenommen, welchen dieser aus Sicherheitsgründen abgebrochen habe. Kurz darauf sei der Sohn der Beschwerdeführerin von den Verfolgern der Beschwerdeführerin bedroht worden. Diese hätten auch den geschiedenen Ehemann der Beschwerdeführerin aufgesucht und ihm und der Beschwerdeführerin gedroht. Einer dieser Männer habe behauptet, Kontakte zum ukrainischen Geheimdienst zu haben, und gedroht, dass er der Beschwerdeführerin und ihrer Familie im Fall ihrer Rückkehr etwas antun werde. Dieses Gespräch sei vom Sohn der Beschwerdeführerin aufgezeichnet worden. Er habe diese Aufzeichnung an die Beschwerdeführerin übermittelt. Dadurch habe die Beschwerdeführerin eine Retraumatisierung erlebt und befinde sich in engmaschiger psychotherapeutischer Betreuung durch XXXX und psychiatrischer Behandlung. Aktuell nehme sie Truxal 50 mg 3x täglich, Zolpidem Hexal, Sertralin 100 mg, Parkemed 500 mg.

Mit weiterer Stellungnahme vom 24.07.2018 brachte die Beschwerdeführerin durch ihre Vertreterin vor, dass die Beschwerdeführerin in Österreich eine polizeiliche Anzeige wegen § 104a Abs.1 und § 201 StGB erstattet habe und am 18.07.2017 als Opfer von Menschenhandel beim Bundeskriminalamt einvernommen sowie als besonders schutzbedürftiges Opfer gemäß § 66a StGB geführt werde. Das diesbezügliche Verfahren sei bei der XXXX unter der Zahl XXXX anhängig, wobei das Ermittlungsverfahren derzeit abgebrochen sei. Für den Fall der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sei jedenfalls eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu erteilen, wie bereits in der Beschwerde beantragt. Nach der auszugsweise zitierten Judikatur des BVwG sei auch bei abgebrochenem Strafverfahren die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung zur weiteren Gewährleistung der Strafverfolgung erforderlich. Der Ausgang des Verfahrens sei für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nicht beachtlich, da es nur auf den Beginn des Verfahrens ankomme.

Der Zeugenvernehmung beim Bundeskriminalamt am 18.07.2017 zu dieser Anzeige ist ua. zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin gelegentlich bei der im Verkauf von Autoteilen selbständig erwerbstätigen Taufpatin ihrer Kinder namens XXXX und deren Geschäftspartner XXXX gearbeitet und diese Autoteile an verschiedene Kleinunternehmen und private Personen ausgeliefert habe. Eines Tages habe sich ein Anschlag ereignet, bei dem das Auto und die Ware zur Gänze beschädigt worden seien und auch sie selbst leicht verletzt worden sei. XXXX habe dann dafür eine Entschädigung von insgesamt 100.000.- USD plus 10 % verlangt, was sie "ihr" aber nicht bezahlen habe können. Es sei ihr dann ihr Haus weggenommen worden und - weil dies offenbar nicht gereicht habe- sei sie von fremden Männern mitgenommen und zwei Jahre lang alleine in einem Keller eingesperrt worden. Dieser sei vermutlich außerhalb von XXXX gewesen. Sie sei jeden Abend von einem der Männer aus dem Keller geholt worden und sie habe in Restaurants oder Hotels putzen müssen, um das Auto und die Ware abzuarbeiten. Sie glaube es seien ungefähr fünf Männer gewesen. Sie hätten ihr gedroht, ihrer Familie etwas anzutun, wenn sie nicht gehorche. Anfangs sei sie von ihnen auch öfter vergewaltigt worden. Sie habe schon so stark geblutet, dass sie im Krankenhaus habe behandelt werden müssen, habe sich aber aus Angst um ihre Familie nicht getraut, dort etwas zu sagen. Außerdem hätten diese Männer sie oft mit einem Wasserschlauch geschlagen. Aus Verzweiflung habe sie sogar versucht, sich umzubringen. Daraufhin hätten ihr die Männer gedroht, Hände und Füße so zu verstümmeln, dass sie lebenslänglich als Bettlerin für sie arbeiten müsse. Unter den Aufpassern, welche sie jeden Abend zur Arbeit begleiten hätten müssen, sei ein junger Mann namens XXXX gewesen, der offensichtlich einmal eine Auseinandersetzung mit den Männern gehabt habe, weil diese ihn zusammengeschlagen und zu ihr in den Keller gesteckt hätten. Sie habe sich um ihn gekümmert, weil er ihr leidgetan habe. Im Gegenzug habe er ihr dann geholfen, aus dem Keller zu entkommen. Sie habe ihm gesagt, dass sie in ihrem Haus 1.000.- USD versteckt hatte und damit habe er ihr einen Reisepass mit einem Visum nach Österreich und ein Zugticket nach Lemberg besorgt. An einem Abend, an dem er sie zur Arbeit begleiten habe müssen, sei er zum Bahnhof gefahren und habe ihr den Reisepass und dem Schaffner das Geld für das Ticket gegeben. Von XXXX sei sie mit dem Bus nach XXXX gereist, wo ein russisch sprechender Mann auf sie zugekommen sei und ihren Reisepass zerrissen und ihr gesagt habe, dass sie keine Dokumente mehr brauche. Er habe sie in eine Wohnung gebracht, wo bereits ein junges Paar auf die Weiterreise nach Italien gewartet habe. Dort seien sie etwa einen Monat lang eigesperrt worden und sie habe dort ständig panische Zustände bekommen. Für die Weiterreise nach Italien hätte sie 500.- USD bezahlen sollen. Mangels Geld sei sie zurückgelassen und für frei erklärt sowie ihr mitgeteilt worden, dass sie nun zur Polizei gehen könne. Sie habe einige Tage auf der Straße verbracht, bis eine Frau sie in eine Kirche gebracht habe. Danach habe sie bei der Polizei Asyl beantragt. Aus Angst habe sie dies unter ihrem Mädchennamen gemacht und auch ihrer Schwester nicht mitgeteilt, dass sie nicht in Italien sei. Sie fürchte sich sehr vor diesen Männern, befinde sich in psychiatrischer Behandlung und habe ständig Panikattacken wegen der Grausamkeiten, welche ihr in der Ukraine zugefügt worden seien.

Mit Schreiben vom 19.07.2018 legte die Vertreterin der Beschwerdeführerin den zum aufgenommenen Gespräch zwischen dem Sohn der Beschwerdeführerin und einem Mann, welcher sich als XXXX vorgestellt habe, angekündigten Tonträger vor. Danach habe ein Anrufer nach der Beschwerdeführerin gefragt, da sie ihm und anderen Personen hohe Summen Geld schulde, jedoch verschwunden sei. Der Anrufer habe nach der Antwort des Sohnes der Beschwerdeführerin, dass er von der Sache nichts wisse, auf eine Lösung im Guten gdrängt, da es auch andere Möglichkeiten gebe. Der Sohn der Beschwerdeführerin frage den Anrufer, wieso er seiner Schwester mit dem Verbrennen gedroht habe, worauf dieser entgegnet habe, dass er sehr wohl über die Probleme informiert sei und eine Woche Zeit habe, diese zu lösen. Weiters habe der Anrufer gemeint, dass die Familie der Beschwerdeführerin seiner Familie Geld schulde, worauf der Sohn der Beschwerdeführerin entgegnet habe, dass sie das Geld schon an XXXX bzw. XXXX (vermutlich Schwester des Anrufers, welche im Hintergrund zu hören sei) zurückgezahlt hätten. Der Anrufer habe entgegnet, dass dies nur ein Teil der Schulden gewesen sei und es noch offene Forderungen gebe. Auch sei er darüber informiert, dass sich der Sohn der Beschwerdeführerin in die Westukraine begeben habe, um die Polizei zu kontaktieren. Der Sohn der Beschwerdeführerin schlage dem Anrufer vor, er solle den Rechtsweg beschreiten und die offene Summe einklagen, worauf dieser entgegnet haben soll, dass seine Frau bei der Polizei arbeite und er zwei Bekannte beim SBU (ukrainischer Geheimdienst) habe., welche ihm helfen würden, dieses Problem zu lösen. Auch diese beiden Personen sollen sich beim Gespräch im Hintergrund aufgehalten haben. Daraufhin habe der Sohn der Beschwerdeführerin das vom Anrufer geforderte Treffen mit ihm und den SBU-Mitarbeitern abgelehnt. Der Anrufer habe darauf den Sohn der Beschwerdeführerin informiert, dass er seine Wohnadresse kenne und es auch andere Wege zur Lösung des Problems gebe. Die Telefonnummer des Anrufers würde noch diese Woche deaktiviert werden und ein Treffen werde es nicht mehr geben, der Sohn der Beschwerdeführerin solle seine Probleme nun selbst lösen. Aufgrund dieses Gesprächsinhaltes bestünden keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr in die Ukraine Verfolgung drohe und sei wegen der Kontakte des Verfolgers zu den ukrainischen Sicherheitsbehörden nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ausreichenden staatlichen Schutz erhalten würde.

Mit Schriftsatz vom 16.08.2018 legte der bevollmächtigte Vertreter einen psychotherapeutischen Befundbericht von HEMAYAT vom 10.08.2018 für die Beschwerdeführerin vor, wonach diese nach mehrjähriger Gefangenschaft, in der sie massiver psychischer und sexueller Gewalt sowie Folter ausgesetzt gewesen sei, ihren Herkunftsstaat verlassen habe. Als Diagnose wird darin eine "posttraumatische Belastungsstörung als Opfer von Verbrechen, Terrorismus und Folterung sowie eine mittelgradige depressive Episode" angeführt. Auf Grund neuer Informationen aus dem Herkunftsstaat sei es zusätzlich zu einer Retraumatisierung gekommen. Bei Zwangsmaßnahmen sei mit einer Retraumatisierung (Verschlechterung der Erkrankung mit Suizidrisiko) zu rechnen, bei einer Nichtbehandlung sei mit einer Chronifizierung im Sinne einer Persönlichkeitsveränderung zu rechnen.

Am 20.09.2018 wurde für die Beschwerdeführerin ein fachärztlicher Befundbericht eines sozialpsychiatrischen Ambulatoriums vom 29.08.2018 vorgelegt, wonach diese in aufrechter psychiatrisch-fachärztlicher Behandlung stehe. Danach sei es nach Etablierung einer psychopharmakologischen Therapie ab Herbst 2017 zu einer langsamen Stabilisierung des psychopathologischen Zustandsbildes gekommen und sie eine Psychotherapie in Anspruch habe nehmen können. Im Juli 2018 sei es nach einem Wohnortwechsel zu einer dramatischen Destabilisierung ua. mit Suizidgedanken gekommen. Das Risiko einer Retraumatisierung sei bei Zwangsmaßnahmen als sehr hoch anzunehmen. Als Diagnose wurde "posttraumatische Belastungsstörung, chronische Cephalea, anamnestisch Knotenstruma, anamnestisch Z.n. Poliomyelitis" festgehalten und eine medikamentöse Behandlung vermerkt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist ukrainische Staatsangehörige aus XXXX in der Westukraine und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Die Beschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Ukrainer und der orthodoxen Glaubensrichtung an. Sie ist geschieden, ihr Vater und ihr Bruder sind bereits verstorben. Ihre Mutter und zwei Schwestern sowie ihre drei Kinder leben noch in der Ukraine. Die Beschwerdeführerin spricht Ukrainisch, aber besser Russisch. Sie ist in der Ukraine geboren und hat dort die Schule und die Universität besucht und ist von Beruf Buchhalterin. Ihre Identität steht nicht fest.

Sie befindet sich vermutlich bereits seit Jänner 2017 in Österreich und stellte am 03.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin, wegen Schulden beim Geschäftspartner der Taufpatin ihrer Kinder von diesem im Frühling 2014 an Kriminelle verkauft und unter Misshandlungen gezwungen wurde, die nach dem zwangsweisen Verkauf ihres Hauses noch verbliebenen Schulden in Gefangenschaft abzuarbeiten, ehe ihr nach 2,5 Jahren mit Hilfe eines jungen Mannes namens XXXX die Flucht gelang.

Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin und ihrer Familie von diesen Männern danach im Jahr 2018 über ihren noch in der Ukraine aufhältigen Sohn telefonisch gedroht wurde.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die (West-)Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich Anzeige gemäß § 104a Abs. 1 (Menschenhandel) und § 201 (Vergewaltigung) StGB erstattet und wurde dazu am 18.07.2017 von der Polizei einvernommen. Zu § 104a StGB ist ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft anhängig, welches derzeit abgebrochen ist.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, chronischen Cephalea, anamnestisch Knotenstruma sowie anamnestisch Z.n. Poliomyelitis und nimmt Medikamente. Festgestellt wird, dass in der Ukraine sowohl die medizinische Grundversorgung als auch der Erhalt von Medikamenten gewährleistet ist.

Die Beschwerdeführerin befindet sich im berufsfähigen Alter und hat familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Es steht ihr die Möglichkeit offen, sich wieder im Westen ihres Herkunftsstaates niederzulassen und wieder einer Beschäftigung nachzugehen bzw. Leistungen aus der Sozialversicherung zu beanspruchen. Dabei liefe sie auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie hat im Fall einer ihr von Seiten Dritter drohenden Gefahr aktuell die Möglichkeit, sich an die (west-)ukrainischen Behörden zu wenden, von deren Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit -jedenfalls seit 2018- auszugehen ist.

1.2. Zur Lage der Ukraine:

Länderfeststellungen einfügen

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin (Staats-, Volksgruppen-, Religionszugehörigkeit), zu ihrem Familienstand, zu ihren Familienangehörigen und zu deren Aufenthaltsorten, zu ihren Sprachkenntnissen, zu ihrer schulischen und Berufsausbildung ergeben sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zuge des bisherigen Verfahrens. Die Feststellungen zu ihren persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus ihren diesbezüglichen Angaben im Zuge der Befragungen sowie in der Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht.

Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zur Antragstellung zweifelsfrei aus dem Akteninhalt. Der Zeitpunkt ihrer Einreise ins österreichische Bundesgebiet wurde entsprechend ihren Angaben mit Jänner 2017 festgestellt. Da sie angab, keine ukrainischen Dokumente zu besitzen, steht auch ihre Identität nicht fest.

Das Bundesverwaltungsgericht geht -so wie bereits das Bundesamt - selbst bei Bedachtnahme auf die psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin davon aus, dass ihr hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt.

Die Beschwerdeführerin konnte ihre Fluchtgründe nicht gleichbleibend schildern. Es gab erhebliche Abweichungen in ihren Angaben in Bezug auf die ihren Fahrten zu Grunde liegenden Geschäftsbeziehungen, ihrer Rückkehr nach der Zerstörung des Autos, die Identität der Verfolger bzw. Kriminellen, ihre Unterbringung in der Gefangenschaft und nicht zuletzt zu ihrer Flucht aus der Gefangenschaft und dem Herkunftsstaat. All diese Angaben der Beschwerdeführerin sind eher undeutlich und zielen offenbar darauf ab, möglichst unkonkrete und nicht schlüssig nachvollziehbare Angaben im Verfahren zu machen. Dies widerspricht der Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin am Verfahren (§ 15 AsylG 2005) und dieses Verhalten ist - unter Beachtung der zahlreich vorgelegten ärztlichen Befunde - dennoch entsprechend zu würdigen.

Die Beschwerdeführerin gab auf Befragen jeweils an, die Einvernahmen absolvieren zu können (As 5, 52, Seite 2 des Verhandlungsprotokolls). Auch den vorgelegten Befunden ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen wäre, nachvollziehbare Angaben zu ihren Erlebnissen zu machen, insbesondere auch weil sie bereits ab Herbst 2017 eine Psychotherapie in Anspruch nehmen konnte. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde ist auch eine "Beurteilung" der von der Beschwerdeführerin auf die Frage nach Folterspuren von sich aus gezeigten Narbe (am Oberschenkel) nicht erfolgt. Dieser Vorgang wurde vielmehr protokolliert (§§ 14, 15 AVG).

Die Beschwerdeführerin hat von sich aus keine Befunde vorgelegt, aus welchen hervorgeht, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, ihr Fluchtvorbringen chronologisch bzw. widerspruchsfrei zu schildern, weshalb der "Empfehlung" in der Beschwerde zur Einholung eines zusätzlichen fachärztlichen Gutachtens nicht nähergetreten wird.

Die Beschwerdeführerin brachte zunächst beim Bundesamt nur vor, sie habe für verschiedene Auftraggeber als Fahrerin Autoteile transportiert. Im Verlauf der Einvernahme brachte sie vor, diese Fahrt für einen Unternehmer gemacht zu haben und dass der letzte Auftraggeber XXXX geheißen habe, aber in den Papieren jedes Mal etwas Anderes gestanden sei, um nicht steuerpflichtig zu werden. Mit XXXX habe sie ein einziges Mal gearbeitet, es seien jedes Mal andere Auftraggeber gewesen. Dies stellte sie jedoch beim Bundesverwaltungsgericht anders dar und gab zusammengefasst an, dass sie Ware von der Taufpatin ihres Kindes übernommen und an XXXX geliefert habe und umgekehrt und dass das Auto (Bus) XXXX gehört habe. Beide hätten sie auch an andere Geschäftsleute weitervermittelt. Dies habe sieben Jahre problemlos funktioniert. Nach dem Tod der Taufpatin ihres Kindes sei sie wieder einige Male gefahren. Beim Bundeskriminalamt hatte sie angegeben, mit der Taufpatin ihres Kindes und deren Geschäftspartner XXXX gearbeitet und Autoteile an verschiedene Kleinunternehmen und private Personen ausgeliefert zu haben. Die Beschwerdeführerin war damit aber nicht einmal in der Lage, ihr Tätigkeitsumfeld gleichbleibend und nachvollziehbar zu beschreiben.

Auch dazu, wie sie von dem Ort, an dem das Auto zerstört wurde, in ihren Heimatort zurückgelangt sei, machte sie keine gleichlautenden Angaben. So hat sie beim Bundesamt angegeben, dass die Auftraggeber gekommen seien und sie abgeholt hätten. Beim Bundesverwaltungsgericht gab sie an, dass ihr Begleiter sie zurück in die Heimatstadt gebracht habe, wo XXXX ihr gedroht habe, falls sie den Schaden nicht ersetze.

In widersprüchlicher Weise gab sie außerdem zunächst bei der Erstbefragung an, ihr Chef habe sie samt ihren Schulden verkauft, nachdem (ihm) ihr Ehemann ihr Versteck verraten habe, brachte aber beim Bundesamt vor, ihr damaliger Ehemann habe sie an die Banditen verkauft, er habe sich im März 2016 aus Angst scheiden lassen und sie den Banditen übergeben.

Sie brachte beim Bundesverwaltungsgericht auch vor, dass sie anfangs auch Sachen für die Familie, welche die Taufpatin für ihre Tochter gestellt habe, transportiert hätte und dass ihr geschiedener Mann mit dem Mann der Taufpatin befreundet sei. Schließlich brachte sie vor, dass XXXX von ihr Geld für das zerstörte Auto und die Ware verlangt und ihr gedroht habe. Es wird aus ihren Angaben insgesamt nicht klar, ob bzw. von wem sie verfolgt bzw. verkauft wurde.

Dazu kommt, dass zu dem am 19.07.2018 vorgelegten Tonträger zur angeblich aktuellen Verfolgung behauptet wird, dass die Taufpatin des Kindes der Beschwerdeführerin darauf zu hören sei. Dies steht aber im Widerspruch zu den früheren Angaben der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht über den Tod der Taufpatin ihres Kindes. Auch geht aus dem wiedergegeben Gespräch hervor, dass der Anrufer offenbar zur Familie der Taufpatin ihres Kindes gehört und die Beschwerdeführerin dieser noch Geld schulde sowie dass ihr Sohn dem Anrufer entgegnet habe, dass die Schulden bei XXXX bereits beglichen worden sein sollen. Insofern sind auch ihre Angaben über eine ihr im Fall der Rückkehr aktuell drohende Verfolgung nicht schlüssig nachvollziehbar und daher nicht glaubhaft.

Schließlich konnte die Beschwerdeführerin auch nicht genau angeben, von wem sie gefangen gehalten worden sei bzw. wer sie dazu gezwungen habe, "ihre Schulden" abzuarbeiten. Während sie bei der Erstbefragung von einer anderen Firma bzw. der Mafia sprach, bezeichnete sie diese Männer beim Bundesamt als Banditen. Beim Bundesverwaltungsgericht schilderte sie, dass sie von XXXX bzw. von Männern des ukrainischen Geheimdienstes (SBU) bedroht bzw. gefangen gehalten worden sei. Beim Bundeskriminalamt brachte sie vor, dass XXXX Geld von ihr verlangt habe und sie von fremden Männern mitgenommen worden sei.

Während sie im Asylverfahren und beim Bundeskriminalamt stets vorbrachte, in einem kleinen Raum bzw. im Keller eingesperrt gewesen zu sein, ist dem vorgelegten Befund eines österreichischen Krankenhauses vom 14.03.2017 zu entnehmen, dass sie dort angegeben hatte, in der Ukraine 3 Jahre in einer Halle gefangen gehalten worden zu sein und sie daher eine derartige Unterbringung in Österreich belaste.

Schließlich gab sie beim Bundesamt am 17.02.2017 ausdrücklich an, nicht vergewaltigt worden zu sein, weil sie vorgegeben habe, an Hepatitis zu leiden. Jedoch brachte sie im Widerspruch dazu erstmals in der Beschwerde vor, dass sie ihre Vergewaltigung im bisherigen Verfahren nicht habe vorbringen können, weil sie von einem männlichen Organwalter nicht auf die Möglichkeit der Einvernahme durch einen weibl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten