TE Bvwg Beschluss 2019/12/18 L529 2226180-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.12.2019
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Entscheidungsdatum

18.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L529 2226183-1/2E

L529 2226184-1/2E

L529 2226180-1/2E

L529 2226181-1/2E

BESCHLUSS

1.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VIII. des bekämpften Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VIII. des bekämpften Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VIII. des bekämpften Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VIII. des bekämpften Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bzw. gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als "BF1" bis "BF4" bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Georgien und brachten nach Einreise in das Bundesgebiet am 20.06.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als nunmehr belangte Behörde (in weiterer Folge "bB") einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Der BF1 ist der Ehemann der BF2, die BF3 bis BF4 sind die minderjährigen Kinder.

I.2. Zur Begründung ihres Antrages brachten die BF zusammengefasst vor, dass sie wegen der medizinischen Behandlung der BF4 nach Österreich gekommen seien. Die BF4 leide an Hydrocephalie, sie sei zwar in Georgien behandelt worden, es sei aber nicht besser geworden und sie könne in Georgien nicht behandelt werden.

Zudem werde der BF1 von einem der Mörder seiner Mutter bedroht; dieser sei seit kurzer Zeit wieder in Freiheit.

I.3. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden folglich gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Republik Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Den Beschwerden wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde über die BF ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Die BF4 leide an Hydrocephalus und rezidiven epileptischen Anfällen. Sie werde medizinisch behandelt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass in ihrem Fall schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestünden. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine Rückkehr in ihr Herkunftsland eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zur Folge hätte (AS 160, 161, 163 zu BF4).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass ein Behandlungsbedarf, der nur in Österreich gegeben sei, nicht aber in Georgien, nicht bestehe. Es bestehe zwar Behandlungsbedarf wegen mehrerer unter Umständen lebensbedrohender Erkrankungen, aus den Angaben der gesetzlichen Vertreterin ergebe sich aber, dass die BF4 [in Georgien] medizinisch behandelt worden sei (AS 207 zu BF4).

I.4. Mit Schriftsatz vom 27.11.2019 erhoben die BF fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VIII. der angefochtenen Bescheide.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Die Diagnosen hinsichtlich der BF4 (St.p. Shunt OP bei Hydrcephalus, Epileptische Anfälle) sind aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen zu entnehmen, ebenso die derzeitige Medikation.

Ob weitere Maßnahmen notwendig sind, ergibt sich aus diesen Dokumenten nicht.

II.1.2. Vom BFA wurden zwar allgemeine Feststellungen zu Sozialbeihilfen und allgemeine Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Georgien, sowie zur Behandelbarkeit bestimmter aufgelisteter Krankheiten (Hepatitis C, Hepatitis B, HIV/AIDS, Tuberkulose, psychische Krankheiten, Nierentransplantation und Dialyse, Lebertransplantation, Drogensucht, Chemotherapie) getroffen. Feststellungen betreffend die Erkrankungen der BF4 - Hydrocephalie, Epilepsie - wurden vom BFA jedoch nicht getroffen und auch keine Erhebungen dazu geführt.

Dass die Erkrankung der BF4 zwar grundsätzlich in Georgien behandelt wird, ergibt sich schon aus den Aussagen der Eltern der BF4. Ob die notwendige Medikation dort zur Verfügung steht und konkret - insbesondere im Lichte der finanziellen Ausstattung der Familie - den BF auch offensteht, dazu traf das BFA keine Feststellungen, ebenso nicht, ob ev. dort verfügbare Medikamente ausreichend (und vergleichbar) sind.

II.1.3. Gleichfalls sind die Erhebungen zu den konkreten Vermögens- und Einkommensverhältnissen der BF und auch des familiären Umfeldes unzureichend.

II.1.4. Wenn das BFA hinsichtlich der BF4 ausführt, dass in ihrem Fall zwar wegen mehrerer unter Umständen lebensbedrohender Erkrankungen Behandlungsbedarf bestehe (AS 207 zu BF4), so erweisen sich die Feststellungen des entscheidenden Organwalters ["Es kann nicht festgestellt werden, dass in Ihrem Fall schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestehen" (AS 160 zu BF4) sowie "Nicht festgestellt werden kann, dass Sie aufgrund Ihrer körperlichen Erkrankungen, welche im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland eine unzumutbare Verschlechterung Ihres Gesundheits-zustandes zur Folge hätte." (AS 161 zu BF4)] - ohne entsprechende Expertise eines medizinischen Sachverständigen (über die der entscheidende Organwalter / die Organwalterin dem Akteninhalt nach nicht verfügt) - als reine Spekulation.

II.1.5. Zudem fehlen Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der BF2 (sie hatte angegeben, bei ihr seien Polypen in der Gebärmutter festgestellt worden - vgl. AS 109 zu BF2), ob die Erkrankung der BF2 in Georgien behandelbar ist und sie auch Zugang zu solcher Behandlung hat.

II.1.6. Fazit: Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht nicht fest; das Ermittlungsverfahren ist insoweit mangelhaft. Eine Sanierung innerhalb der kurzen Frist ist nicht möglich.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.

II.2.2. Die unter II.1.1. angeführten Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Dokumenten (AS 137 - 143 zu BF 4).ie Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.

III.3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

III.3.2. Zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: "Tatsachenbereich") (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar und soll von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,

- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder

- bloß ansatzweise ermittelt hat.

- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

In seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben. Der EuGH führte weiters aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten, ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.

III.3.3. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:

III.3.3.1. Zum Gesundheitszustand der BF4 (und BF2) ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).

III.3.3.2. Im gegenständlichen Fall brachten die gesetzlichen Vertreter der BF4 vor, dass dieser aufgrund des Zustandes des georgischen Gesundheitszustandes adäquate Behandlungen nicht zur Verfügung stehen. Dieses Vorbringen wurde im angefochtenen Bescheid nicht entsprechend behandelt und erfolgten sichtlich keinerlei Erhebungen zu diesem Vorbringen, sodass offen blieb, welche konkrete Behandlung die BF4 benötigt (ob außer der derzeitigen Medikation sonstige Maßnahmen erforderlich sind), ob diese Behandlungen in Georgien grundsätzlich bestehen, eine realistische Chance für die BF4 besteht, diese Behandlungen zu erhalten und falls dies nicht bzw. lediglich teilweise der Fall ist, welche konkreten Folgen sich hieraus ergeben.

Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen über Behandlungsnotwendigkeiten, ob diese in Georgien zur Verfügung stehen und die BF auch Zugang zu diesen haben.

III.3.3.3. Der angefochtene Bescheid enthält keine konkreten Feststellungen, wie sich eine mögliche Überstellung auf die BF auswirken wird, bzw. ob zu erwarten ist, dass diesfalls eine unzumutbare Verschlechterung eintritt.

III.3.3.4. Gleichfalls sind die Erhebungen zu Vermögensverhältnissen der BF und auch des familiären Umfeldes - wie oben angeführt - unzureichend.

III.3.3.5. Die von der belangten Behörde - sichtlich zu Gunsten eines raschen Verfahrensabschlusses unter Nichtbeachtung grundlegender Verfahrensregeln und sich damit einhergehenden versuchten Überwälzung ihrer Verpflichtung zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Richtung Beschwerdeinstanz - gewählte Vorgangsweise, obwohl dieser Sachverhalt im gegenständlichen Fall für eine Spezialbehörde, wie sie die bB darstellt (zu den einer Spezialbehörde zumutbaren Ermittlungen siehe die Erkenntnisse des VwGH vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, vom 6.7.1999, GZ. 98/01/0602 oder vom 4.4.2001, GZ. 2000/01/0348) durch ihr zumutbare Verfahrensschritte ermittelbar ist, stellt in der hier vorliegenden Form letztlich die qualifizierte Rechtsverletzung der Willkür durch die belangte Behörde dar (es ist auch auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zu verweisen, wonach willkürliches Verhalten der Behörde unter anderem im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes vorliegt [zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001]).

Ebenso ist die belangte Behörde vor dem Grundsatz der Maxime der amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht befugt im Wege der Beweiswürdigung den behauptetermaßen ausreisekausalen Sachverhalt nicht weiter zu berücksichtigen. Hierdurch -und durch die textbausteinartig und phrasenhafte Erledigung des Vorbringens maßt sich die belangte Behörde willkürlich ein im Gesetz nicht vorgesehenes Recht der Ablehnung der Behandlung eines Vorbringens an (VwGH 20.2.2009, 2007/19/0961 -0968). Besonders deutlich wird das durch die unter II.1.4. angeführten völlig konträren Aussagen der belangten Behörde.

Im gegenständlichen Fall wurde somit der maßgebliche Sachverhalt dermaßen qualifiziert mangelhaft ermittelt, dass von einem gänzlichen Ausbleiben der zur Entscheidungsfindung notwendigen Ermittlungen über weite Strecken iSd Erk. d. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 gesprochen werden muss. Ebenso hätte das ho. Gericht iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten, der es obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen.

Im Lichte der Ausführungen war der angefochtene Bescheid im Umfang der Spruchpunkte II. bis VIII. in Bezug auf den BF4 (und auch die BF2) zu beheben.

III.3.3.6. Da in Bezug auf die BF1 bis BF4 ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG zu führen ist, hat das Gericht in Bezug auf sämtliche BF spruchmäßig identisch zu entscheiden und waren somit auch die angefochtenen Bescheide in Bezug auf die weiteren BF zu beheben.

III.3.3.7. Im Lichte der dargelegten Überlegungen wird die belangte Behörde die entsprechenden einzelfallspezifischen Ermittlungen nachzuholen und darauf aufbauende individuelle Feststellungen zu treffen haben. In einem ersten Schritt werden die Behandlungsnotwendigkeiten festzustellen sein, in einem zweiten Schritt, ob diese in Georgien gegeben und für die BF auch verfügbar sind und in einem dritten Schritt wird festzustellen sein ob im Falle einer Rückreise nach Georgien unzumutbare Verschlechterungen zu erwarten sind; zu Schritt 1.) und 3.) ist aus ho. Sicht die Expertise eines medizinischen Sachverständigen heranzuziehen.

Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des BFA, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes der BF eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt.

III.3.3.8. Mit der Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde verkürzte die belangte Behörde die Entscheidungsfrist für das BVwG erheblich. Innerhalb dieser kurzen Frist erscheint eine Sanierung der Ermittlungsmängel nicht durchführbar.

III.3.3.9. Das BFA erließ (offenbar unter erheblichem Zeitdruck) den angefochtenen Bescheid - gestützt auf unzureichende Sachverhaltsgrundlagen - damit diese dann vom BVwG ermittelt werden, dies unter de facto Verkürzung der Entscheidungsfrist auf eine Woche.

Es ist daher anzunehmen, dass die Verwaltungsbehörde diese weiteren Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

III.3.4. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

III.4. Da in Bezug auf sämtliche BF spruchgemäß identisch entschieden wurde, ergibt sich auch aus dem Titel des zu führenden Familienverfahrens gem. § 34 AsylG keine anderslautende Entscheidung.

III.5. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung

§ 24 VwGVG lautet:

"(1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

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1.-der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.-die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Im Hinblick auf die gegenständliche Entscheidung - Behebung der Spruchpunkt II. bis VIII. - konnte eine mündliche Verhandlung entfallen, weil bereits aufgrund er Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid insoweit aufzuheben war.

Spruchpunkt I. (zu den BF 1 - 4) und Spruchpunkt IX. (zu BF 1) erwuchsen in Rechtskraft, weil dagegen keine Beschwerde erhoben wurde.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Beschluss entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG abgeht. Ebenso löst das ho. Gericht die Frage, ob eine Verhandlung stattzufinden hatte, im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur.

Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Asylverfahren Behandlung im Herkunftsstaat Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Familienverfahren Gesundheitszustand Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2226180.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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