TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/30 W116 2132065-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W116 2132065-2/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2018, Zl. 1066941103-150449315, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsbürger, Araber und sunnitischer Moslem, stellte nach illegaler Einreise am 03.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab er im Wesentlichen an, dass er gemeinsam mit seinem 2008 geborenen Neffen von der syrisch-türkischen Grenze nach Izmir gereist sei und von dort mit einem Schlauchboot auf die Insel Kos. Nach einigen Tagen in Griechenland seien sie schließlich versteckt in einem LKW über mehrere unbekannte Länder nach Österreich gereist. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er Syrien wegen dem Krieg verlassen habe. Abgesehen von den offensichtlichen Folgen gebe es in Syrien verschiedene religiös motivierte Kriegsparteien, welche ihre Gesetze der Bevölkerung aufzwingen würden. Außerdem hätten sie gewollt, dass er sich ihnen anschließe. Er habe deshalb aus Furcht seine Heimat verlassen.

1.2. Am 14.01.2016 brachte der BF über seinen rechtlichen Vertreter in der Angelegenheit eine Säumnisbeschwerde ein. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.11.2016 wurde dies gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG als unbegründet zurückgewiesen.

1.3. Mit Anlassbericht vom 03.02.2017 ersuchte die LPD NÖ die Staatsanwaltschaft St Pölten um Anordnung einer Durchsuchung, Sicherstellung und Festnahme des BF, weil laut vorliegender Zeugenaussage der BF verdächtigt werde, einer Terrororganisation anzugehören und bereit zu sein, strafbare Handlungen im Namen der Terrororganisation "JABAT AL NURSA FRONT" in Österreich vorzubereiten und zu begehen. Konkret werde der BF laut Zeugenaussage verdächtigt, dass er beginnend im Jahr 2011 bis zumindest Mai 2015 in einem Kriegsgebiet in Syrien als Mitglied der JABAT AL NURSA FRONT als gewaltverherrlichender islamischer Kämpfer an Kampfhandlungen teilgenommen und mit großer Wahrscheinlichkeit im Namen dieser Terrororganisation Leute umgebracht habe.

Mit Schriftsatz vom 13.02.2017 ordnete die StA St Pölten in der Strafsache wegen § 278b Abs. 2 StGB die Festnahme des BF an.

Am 16.02.2017 wurde der BF von der LPD NÖ zu diesen Vorwürfen als Beschuldigter einvernommen. Dabei gab er zu seiner Person an, dass er syrischer Staatsbürger und sunnitischer Moslem sei. Er sei in XXXX , Bezirk Latakia, geboren und habe dort 10 Jahre die Schule besucht. Er sei danach Landwirt gewesen und habe Land und Vieh besessen. Er sei mit einer namentlich genannten Frau verheiratet und habe mit dieser zwei Söhne, welche viereinhalb und eineinhalb Jahre alt seien. Diese würden sich aktuell in der Türkei befinden. Er sei in seiner Heimat gut situiert gewesen und es hätte seiner Familie an nichts gefehlt. Im Jahr 2012, vier Monate nach Kriegsbeginn, habe er gemeinsam mit seiner Familie Syrien verlassen und sei in die Türkei gereist. Sein mit ihm ins Bundesgebiet eingereister Neffe sei mit seiner Familie ebenfalls im Jahr 2012 in die Türkei nachgekommen. Der BF sei regelmäßig alleine wieder in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um die Felder und das Vieh zu bewirtschaften. Im Jahr 2014 sei er gemeinsam mit seinem Neffen von der Türkei nach Österreich gereist. Ihre Familien seien in der Türkei zurückgeblieben.

Zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gab der BF an, dass Anfang 2012 die FREIE SYRISCHEN ARMEE (in der Folge FSA) in seinem Dorf einmarschiert sei und er sich dieser habe anschließen müssen. Er sei bewaffnet gewesen und es gebe Fotos und Videos von ihm bei dieser Truppe. Er habe jedoch nie selbst an Kampfhandlungen mitgewirkt. Da er als Bauer einen Traktor besessen habe, hätte er die Versorgung der Truppe übernehmen müssen. Die Aufgabe der aus ca. 60 Personen bestehenden Truppe sei es gewesen, die offizielle syrische Armee und den Islamischen Staat "DAESH" zu bekämpfen. Als im Mai 2012 die Terrororganisation JABAT AL NURSA in ihr Dorf einmarschiert sei, sei er bereits in der Türkei gewesen. Diese Terrororganisation sei ein bis zwei Monate im Dorf geblieben und habe sich dann wegen der Luftangriffe der Regierung ins Hinterland zurückgezogen. Der Kampfverband der FSA, der auch sein namentlich genannter Cousin angehört habe, habe "KATIBET HATIN" geheißen. Diese Truppe habe im Umfeld des Dorfes mit der JABAT AL NURSA koexistiert, jedoch hätten sich die beiden Truppen seines Wissens bis 2014 nicht verbündet, aber auch nicht bekriegt. Ende 2012 sei es zwischen dem namentlich genannten Anführer der KATIBET HATIN und seinem Cousin zu einem Machtstreit gekommen. Der BF habe sich auf die Seite seines Cousins gestellt und sei zurück nach Syrien, um diesen zu unterstützen. Es sei zu einem bewaffneten Konflikt gekommen, den sein Cousin gewonnen habe. Ab diesem Zeitpunkt habe sein Cousin die Führung des Verbandes übernommen und der Name des Verbandes "KATIBET AL UKAB" gelautet. Er selbst habe nach der Machtübernahme mit dem Verband nichts mehr zu tun gehabt. Der Verband habe Ende 2012 drei Monate lang den IS bekämpft und sich der JABAT AL NURSA niemals angeschlossen. Er und sein Cousin hätten niemals unter der Flagge der AL NURSA gekämpft, weil sie Gegner von radikalen Moslemgruppierungen seien. Der Kampfverband KATIBET AL UKAB sei von der offiziellen FSA und der türkischen Regierung unterstützt worden. Das ihm vorgehaltene Video zeige seinen Cousin bei einer Ansprache der KATIBET AL UKAB, das ihm vorgehaltene Foto zeige ihn selbst mit Angehörigen der FSA. Die Personen würden alle aus seinem Dorf stammen.

Er habe nie an irgendwelchen Kampfhandlungen teilgenommen und sei während des Krieges nur vier Monate in Syrien aufhältig gewesen. Zu dieser Zeit habe es dort noch keine JABAT AL NURSA gegeben. Er habe in seinem Dorf auch niemals Leute gefoltert oder getötet.

Er gehöre zwar der sunnitischen Glaubensrichtung an, sei aber nicht streng gläubig. Er trinke Alkohol und rauche. Er gehe in keine Mosche und habe das auch in Syrien nicht gemacht. Er sei absolut gegen die Errichtung eines Kalifats und die Scharia. Der Jihad sei eine schlechte Ideologie. Sollte sich die Region wieder beruhigen und der IS und Assad besiegt werden, würde er wieder in das Land zurückkehren. Er habe Kontakt zu seiner Schwester in der Heimat, alle anderen Verwandten würden sich in der Türkei befinden. Er könne sich nicht vorstellen an bewaffneten Kriegshandlungen teilzunehmen, er sei vor dem Krieg geflohen. Als Jäger und aufgrund seines Militärdienstes kenne er sich mit Schusswaffen aus.

1.4. Laut Übersetzung der vom BF vorgelegten Dokumente (syrischer Führerschein, Wehrdienstbuch) stimmen die darin enthaltenen Personalien mit den vom BF zu seiner Person gemachten Angaben überein. Laut Wehrdienstbuch hat er von 12.04.2017 bis 01.02.2009 seinen Wehrdienst geleistet.

1.5. Mit Verfügung vom 10.04.2017 wurde das gegen den BF wegen des Verdachts der terroristischen Vereinigung nach § 278b StGB geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Abs. 2 StPO eingestellt, weil die Verdachtslage nicht von einer solchen Intensität und Dringlichkeit war, dass sie einen Tatnachweis mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit hätte erwarten lassen.

1.6. Am 11.01.2018 wurde der BF von einem Organ des BFA zu seinem Asylantrag niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in Österreich weder in einem Verein angehöre, noch Mitglied einer religiösen Gruppe sei. Er gehe - wie bereits in Syrien - auch in keine Moschee. Er besuche sogar eine Bar. In Österreich habe er bis auf seinen minderjährigen Neffen keine Verwandten. Er habe jedoch einige Freunde in Österreich. Er habe bereits mehrere Kurse belegt und spreche auch deutsch. Er sei zuckerkrank, sonst sei er gesund. Seinen Führerschein und sein Wehrdienstbuch habe er bereits vorgelegt, nun lege er seine Heiratsurkunde vor. Sein syrischer Personalausweis sei ihm in Ungarn abgenommen worden. In der Folge nannte er Namen und Geburtsdaten seiner Frau und der beiden Kinder. Er habe 2010 in Latakia geheiratet.

Syrien habe er 2012 verlassen, 2014 sei er zum letzten Mal für einen Tag in Syrien gewesen. Es sei nicht das einzige Mal gewesen, dass er für kurze Zeit von der Türkei nach Syrien gereist sei. Er habe Verwandte, welche nahe der Grenze zur Türkei leben würden. Es habe familiäre Probleme gegeben, deshalb habe er die Verwandten öfter besucht. Es gebe ein türkisches Gesetz, wonach syrische Flüchtlinge für 48 Stunden das Land verlassen dürfen. Er habe das gesamte Leben in seinem Heimatort verbracht, die Ortschaft bestehe aus 300 Häusern und es gebe keine Straßennamen. Er habe drei Brüder und zwei Schwestern. Er sei Bauer gewesen und habe im Familienbetrieb gearbeitet. Vor dem Krieg sei ihre finanzielle Situation mittelmäßig gewesen. Nach Beginn des Krieges sei alles vernichtet worden, im Dorf gebe es kein einziges Haus mehr, das könne im Internet überprüft werden. 2015 sei das Dorf von Einheiten des Assad-Regimes übernommen worden, zuvor sei es unter der Kontrolle der FSA gewesen. Sie seien gegen das Regime gewesen, weil sie kein System unterstützen würden, das Millionen der Bevölkerung töte.

Er habe an keinen Kampfhandlungen teilgenommen, keine Kriegsverbrechen begangen und keine Menschenrechte verletzt. Im Jahr 2012 sei in seiner Ortschaft die FSA gegründet worden, der er beigetreten sei. Seine Unterstützungsleistung sei gewesen, dass er für die Mitglieder Wasser transportiert habe. Er und die anderen aus dem Dorf seien gegen das Assad-Regime und die Terrororganisationen gewesen. Deshalb würden sie von beiden Kriegsparteien gesucht werden. Er und seine Familie würden sowohl vom Assad-Regime als auch von der AL NURSA FRONT gesucht. Er habe sechs Cousins im Krieg verloren; vier seien vom Regime und zwei von Terrororganisationen getötet worden. Sie seien nur für die Freiheit eingetreten und deshalb vom IS und der AL NURSA FRONT angefeindet worden, weil diese gegen eine gemäßigte Opposition seien, welcher auch die FSA angehöre. In seiner gesamten Familie gebe es niemanden, der bei einer Terrororganisation gewesen sei. Es gebe jedoch Familienmitglieder, welche auf der Seite des Regimes seien, und solche, die der FSA angehören. So gebe es auch Krieg innerhalb der Familie. Es gebe auch eine Feindschaft wegen Grundstücken.

Nach vier Monaten habe er die FSA wieder verlassen und sei in die Türkei gegangen. Das Leben im Dorf habe aufgehört zu existieren. Es habe Tag und Nacht Luftangriffe gegeben. Die Ortschaft sei nur eineinhalb Kilometer von dem Gebiet entfernt, welches unter der Herrschaft des Regimes gestanden sei. Seine Frau sei schwanger gewesen und keiner habe in dem Dorf mehr existieren können. Alle Bewohner seien Richtung Türkei geflohen. Anfang 2013 habe er in der Türkei als Holzfäller gearbeitet, syrische Flüchtlinge würden dort sehr ausgebeutet werden.

Der Grund für seine Flucht sei, dass er gesucht worden sei und alles im Feuer verloren habe. Sollte er vom Regime oder einer Terrororganisation erwischt werden, würde er getötet werden. Er betrachte den Krieg als Bürgerkrieg; ein Teil seiner Familie sei für das Regime und ein Teil würde auf der anderen Seite stehen. Einer seine Brüder sei ein Jahr und drei Monate unschuldig in einem Gefängnis des Regimes festgehalten worden. Auch er werde von den syrischen Behörden gesucht, sie hätten ihn aber nicht erwischt, weshalb er nicht im Gefängnis gewesen sei. Er wisse das, weil die syrischen Behörden Ende 2011 eine Suchkarte auf seinen Namen ausgestellt und an die örtlichen Behörden geschickt hätten. Es seien dann Männer zu ihm nachhause gekommen, ihm sei jedoch die Flucht gelungen. Sie hätten nur Freiheit und Reformen angestrebt und seien deswegen von den Behörden verfolgt worden. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er sofort getötet zu werden, weil er von der Al Assad Armee gesucht werde. Wenn sich die Lage in Syrien normalisiere und des System von Assad beseitigt sei, könne er sich durchaus vorstellen zurückzukehren.

2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, zugestellt am 28.02.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylg 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Mit Spruchpunkt V wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig erklärt. Mit Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage beträgt.

In der Begründung traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Darstellung des Verfahrensganges herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien und stellte die Identität des Beschwerdeführers auf Grundlage der vorleglegten Urkunden fest. Weiters stellte es fest, dass der BF 2012 zumindest vier Monate lang ein aktives und bewaffnetes Mitglied der FSA gewesen sei. Zu den Fluchtgründen stellte es fest, dass die Mitgliedschaft bei der FSA und eine damit einhergehende Gefährdung durch sonstige Kriegsparteien nicht als Anlassfall für das Verlassen des Heimatsstaates festgestellt habe werden können. Er habe Syrien wegen der allgemeinen Sicherheitslage und des herrschenden innerstaatlichen Konflikts verlassen. Sonstige asylrelevante Gründe hätten nicht festgestellt werden können. Aufgrund der aktuell instabilen Sicherheitslage liege in seinem Fall jedoch ein Abschiebehindernis vor.

Zu den Ausschlussgründen wurde festgestellt, dass der BF ab 2012 für ca vier Monate ein aktives Mitglied der FSA gewesen sei. Seine Tätigkeit habe sich dabei auf die Versorgung der Truppen mit Wasser beschränkt. Er sei zwar bewaffnet gewesen, habe sich jedoch selbst nie an Kampfhandlungen beteiligt. Nach seiner Flucht in die Türkei sei er Ende 2012 wieder nach Syrien zurückgekehrt, um seinen Cousin bei seinem Machtkampf innerhalb der FSA zu unterstützen. Seine Mitgliedschaft sei auf freiwilliger Basis erfolgt. Ein Ausschlussgrund liege vor, weil es eine bekannte Tatsache sei, dass die FSA Kriegsverbrechen und auch Menschenrechtsverletzungen in Syrien begangen habe und er in Kenntnis dieses Umstandes dieser Gruppierung beigetreten sei.

Beweiswürdigend führte das BFA zu den Fluchtgründen des BF aus, dass dieser im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA entgegen seiner Aussagen bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt habe, dass er dazu gezwungen worden wäre, sich dem IS anzuschließen. Eine Verfolgung durch den IS sei daher nicht nachvollziehbar. Auch sei seine Aussage, dass er bereits 2011 mittels Suchkarte von den syrischen Behörden gesucht worden wäre, deshalb nicht glaubwürdig, weil er im Rahmen seiner Beschuldigteneinvernahme angegeben habe, dass er niemals Probleme mit der Polizei und den Behörden gehabt hätte. Aufgrund dieser widersprüchlichen Aussagen seien die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft. Das BFA gehe deshalb davon aus, dass er Syrien ausschließlich wegen der allgemeinen Sicherheitslage verlassen habe, jedoch zum Fluchtzeitpunkt keiner konkreten Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Insbesondere schließe der Umstand, dass er Ende 2012 noch einmal nach Syrien zurückgekehrt sei, um seinen Cousin im Machtkampf innerhalb der FSA zu unterstützen, das Vorliegen einer asylrelevanten Bedrohung aus.

Betreffend den festgestellten Ausschlussgrund wurde beweiswürdigend ausgeführt, dass sich aus seinen diesbezüglich gleichbleibenden Aussagen unzweifelhaft ergebe, dass er vier Monate Mitglied der FSA und dabei für Wasserversorgung zuständig gewesen sei. Eine Tätigkeit in einer bewaffneten Gruppierung der FSA sei als sonstige Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, weil es eine offenkundige Tatsache sei, dass die FSA an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen sei. Dies sei durch Berichte von Human Rights Watch und Organisationen der UN aus 2012 belegt, welche vom Einsatz von Kindersoldaten, Folter und Exekutionen berichtet hätten.

Das BFA bezieht sich dabei auf zwei im Bescheid zitierte Berichte von Human Rights Watch (HRW) aus dem Jahr 2012. Dem Bericht vom 17.09.2012 mit dem Titel "Menschenrechtsverletzungen zeigen Notwendigkeit von Rechenschaftsbericht" ist zu entnehmen, dass bewaffnete Oppositionsgruppen für Misshandlungen und Folter von Gefangenen bzw. willkürliche Hinrichtungen in Aleppo, Latika und Idlib verantwortlich seien. Obwohl mehrere Oppositionsführer gegenüber HRW erklärt hätten, sie wollten die Menschenrechte achten und hätten bereits Maßnahmen ergriffen, um Verstöße zu unterbinden, seien die Äußerungen anderer Oppositioneller, welche außergerichtliche und willkürliche Handlungen dulden würden, besorgniserregend. Drei hochrangige Vertreter der Opposition, welchen HRW Belege für außergerichtliche Hinrichtungen vorgelegt hatte, hätten erklärt, die Opfer hätten es verdient, getötet zu werden und man lasse nur die schlimmsten Verbrecher exekutieren. Die zivilen und militärischen Führer der syrischen Opposition wurden aufgefordert, unverzüglich alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz von Folter und Hinrichtung durch oppositionelle Gruppen zu unterbinden, und entsprechende Praktiken ausdrücklich zu verbieten und zu verurteilen. Die Oppositionsführer sollen zudem dafür sorgen, dass Verstöße untersucht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und alle unter ihrer Kontrolle stehenden Hafteinrichtungen durch international anerkannte Beobachter inspiziert werden. Darüber hinaus wurde die Opposition aufgefordert, Verhaltensregeln für bewaffnete Oppositionsgruppen zu unterstützen, welche die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung internationaler Menschrechtsnormen fördern. Bei einem Treffen im Norden von Aleppo und in einem im August 2012 an mehrere Oppositionsführer versendeten Brief habe HRW diese mit den Rechercheergebnissen konfrontiert und detaillierte Empfehlungen ausgesprochen. Der Militärrat des Gouvernements Aleppo habe in seinem Antwortschreiben erklärt, er habe gegenüber den Gruppen der FSA angesichts der Erkenntnisse von HRW erneut betont, dass er sich zur Achtung des humanitären Völkerrechts verpflichtet habe. Der Rat wolle zudem Sonderausschüsse zur Kontrolle der Haftbedingungen einrichten und werde jeden, der die Richtlinien verletze, zur Verantwortung ziehen.

HRW habe in mehr als einem Dutzend Fällen außergerichtliche und willkürliche Hinrichtungen durch oppositionelle Kräfte dokumentiert. So hätten zwei FSA-Kämpfer aus dem Bataillon Ansar Mohammad in Latakia gegenüber HRW angegeben, das Bataillon habe nach dem Sturm einer Polizeiwache in Haffa im Juni 2012 vier Personen hingerichtet, zwei davon sofort, die anderen nach einem Verfahren. Sechs von zwölf von HRW befragten Häftlingen hätten von Misshandlungen und Folter durch Kämpfer und Gefängnispersonal der FSA berichtet. Die übrigen sechs Befragten, welche nach eigenen Angaben nicht gefoltert worden seien, hätten jedoch sichtbare Verletzungen aufgewiesen, welche auf Folter hindeuten würden. Darüber hinaus prüfe HRW mehr als 25 Youtube-Videos, in welchen Personen zu sehen seien, die sich angeblich im Gewahrsam von Oppositionsgruppen befinden und Spuren von körperlicher Misshandlung tragen würden.

Der Vorsitzende des Revolutionsrats des Gouvernements Aleppo habe gegenüber HRW gesagt, dass die Behörden weder Folter noch Hinrichtungen gegen Häftlinge einsetzen würden. Schläge auf die Fußsohlen seien jedoch zulässig. Nachdem HRW darüber aufgeklärt habe, dass Schläge auf die Fußsohlen eine Form der Folter und daher nach internationalem Recht verboten seien, habe dieser angekündigt, die Kämpfer der FSA und die Verantwortlichen der Hafteinrichtungen unter neue Anweisungen zu stellen, welche diese Praxis verbieten würden. Vertreter der lokalen Oppositionsbehörden hätten gegenüber HRW erklärt, sie hätten eigene Justizräte damit beauftragt, die Anschuldigungen zu prüfen und Strafen zu verhängen.

Alle an dem Konflikt in Syrien beteiligten bewaffneten Kräfte, auch die nichtstaatlichen Gruppen, seien verpflichtet, das humanitäre Völkerrecht zu achten. Die FSA sei zumindest in den Gebieten, in denen HRW recherchiert habe, offensichtlich ausreichend organisiert und überlegen, um mit ihren Kräften für die Einhaltung internationalen Rechts zu sorgen. Die bewaffnete syrische Opposition erhalte Finanz- und Militärhilfen aus einer Reihe von Staaten. HRW appelliere an alle Staaten, die syrischen Oppositionsgruppen zu unterstützen, die Menschenrechts- bzw. Völkerrechtsverletzungen dieser Gruppen öffentlich zu verurteilen.

HRW habe wiederholt die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte und Beamte der syrischen Regierung dokumentiert und verurteilt, darunter außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen von Zivilisten, Verschleppungen, Folter und willkürliche Inhaftierungen. HRW fordere den UN-Sicherheitsrat auf, die Lage in Syrien an den internationalen Strafgerichtshof zu überweisen. Dem Tribunal soll die Rechtsprechung über Verstöße sowohl der Regierungstruppen als auch der oppositionellen Kräfte übertragen werden.

Dem Bericht von HRW vom 29.11.2012 mit dem Titel "Syria: Opposition Using Children in Conflict" ist zu entnehmen, dass bewaffnete Oppositionsgruppen Kinder für Kampfhandlungen und militärische Belange verwenden würden. Kinder ab einem Alter von vierzehn Jahren seien zumindest von drei Oppositionsbrigaden für Transport von Waffen und Ausrüstung und als Späher eingesetzt worden. Kinder ab einem Alter von 16 Jahren seien zudem auch für Kampfhandlungen eingesetzt worden. HRW habe fünf Kinder zwischen 14 und 18 Jahren interviewt. Drei davon hätten angegeben Waffen transportiert zu haben. Einer habe angegeben, eine militärische Ausbildung erhalten und an einer Angriffsmission teilgenommen zu haben. Zwei Burschen hätten angegeben, gemeinsam mit anderen die Oppositionsbrigaden beim Waffentransport unterstützt zu haben. In einigen Fällen hätten die Burschen angegeben, dass sie sich gemeinsam mit Familienmitgliedern freiwillig gemeldet hätten, andere seien von Soldaten aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. In der Folge wird von weiteren Fällen berichtet, in welchen Jugendliche gegenüber HRW angegeben haben, dass sie auf Seite der Oppositionsgruppen am Konflikt teilgenommen hätten. Nach internationalem Recht sei das Mindestalter für die Teilnahme an direkten Feindseligkeiten 18 Jahre.

Rechtlich führte das BFA aus, dass im gegenständlichen Fall ein Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 (einer der in Art 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe) vorliege, weil der BF mit seiner Tätigkeit als Wasserträger die FSA aktiv unterstützt und so zu den von der FSA verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beigetragen habe. Art 1 Abschnitt F GFK erfordere keine strafgerichtliche Verurteilung, vielmehr würden ernsthafte Gründe für den Verdacht solcher Verbrechen ausreichen. Ein Ausschluss sei gerechtfertigt, wenn eine persönliche Verantwortung für solche Straftaten vorliege. Die Person müsse dafür die Verbrechen nicht persönlich begangen haben, es genüge die Teilnahme solchen Handlungen. Der Umstand, dass eine Person zu irgendeinem Zeitpunkt ein ranghohes Mitglied einer repressiven Regierung oder einer Organisation gewesen sei, begründe alleine noch keine persönliche Verantwortung für Straftaten, die unter Art. 1 F fallen würden. Eine Vermutung für die Verantwortung könne allerdings dann vorliegen, wenn die Person Mitglied der Regierung bleibe, die eindeutig Handlungen im Sinne von Art. 1 F begangen habe. Außerdem seien die Ziele, Aktivitäten und Methoden mancher Gruppen so außerordentlich gewalttätig, dass aus der freiwilligen Mitgliedschaft in solchen Gruppen auch die Vermutung einer persönlichen Verantwortung abgeleitet werden könne.

Dem BF müsse bereits bei seinem Beitritt zur FSA im Jahr 2012 bewusst gewesen sein, dass diese Gruppierung Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu verantworten habe. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass er zu diesem Zeitpunkt davon noch keine Kenntnis gehabt hätte, hätte er dies spätestens Ende 2012 mit größter Wahrscheinlichkeit wissen müssen. Denn der BF habe bei seiner Beschuldigteneinvernahme am 16.02.2017 angegeben, dass es Ende 2012 zu einem Machtkampf zwischen seinem Cousin und den Führer der lokalen FSA-Truppe gekommen und er nach Syrien zurückgekehrt sei, um seinen Cousin zu unterstützen. Der Umstand, dass er Ende 2012 seinen Cousin dabei unterstützt habe, um eine Machtposition innerhalb der FSA zu erlangen, also zu einem Zeitpunkt, als aufgrund der internationalen Berichterstattung bereits bekannt gewesen sei, dass die FSA Gegner foltere, Exekutionen durchführe und Kindersoldaten einsetze, lasse eindeutig erkennen, dass er nicht davor zurückgeschreckt habe, weiterhin für die FSA tätig zu sein.

2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 21.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

2.3. Gegen den oben genannten Bescheid brachte der BF über seine rechtliche Vertretung am 23.03.2018 rechtzeitig eine Beschwerde beim BFA ein. Darin wird im Wesentlichen inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht. Der BF stamme aus einem namentlich genannten Dorf in der Nähe der Stadt Latakia. Das Assad Regime habe auch viele Luftangriffe auf sein Heimatdorf geflogen. Zu Beginn des syrischen Aufstands im Jahr 2011 habe der BF an Demonstrationen gegen das Assad Regime teilgenommen, deshalb sei er von den syrischen Behörden gesucht worden. Im Jahr 2012 sei im Dorf des BF die FSA gegründet worden. Der BF sei dieser beigetreten und vier Monate lang beteiligt gewesen. Seine Tätigkeit habe sich dabei auf die Wasserversorgung beschränkt, an Kampfhandlungen habe er nie teilgenommen. Zwar möge es so sein, dass von einzelnen Personen innerhalb der FSA auch Menschenrechtsverletzungen begangen worden seien, jedoch keinesfalls sei es so, dass bei der FSA systematisch Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung gestanden hätten. Gerade zu Beginn des Bürgerkriegs sei die Lage in Syrien für viele Personen noch unklar gewesen und man habe vor allem dem syrischen Regime, das selbst viele Menschenrechtsverletzungen begangen habe, etwas entgegensetzen wollen. Müsste der BF nach Syrien zurückkehren, würde er wegen seiner Tätigkeit bei der FSA vom IS, der Al Nursa Front und dem syrischen Regime verfolgt werden, da die FSA zur gemäßigten Opposition gehöre. Selbst die belangte Behörde führe auf der Seite 10 des bekämpften Bescheides aus: "sie haben im Falle einer Rückkehr Verfolgung aus politischen Gründen zu befürchten, da sie Mitglied der FSA waren." Dass der BF aber tatsächlich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen ist, sondern nur eine äußerst untergeordnete Rolle gespielt habe, sei auch dadurch ersichtlich, dass das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der terroristischen Vereinigung gem. § 278b Abs. 2 StGB im Zeitraum von 2012 bis 2015 mit Verfügung vom 10.04.2017 gemäß 190 StPO eingestellt worden sei.

Der von der Behörde ins Treffen geführte Widerspruch zwischen der Aussage des BF im Zuge seiner Erstbefragung, wo er angegeben habe, dass er vom IS aufgefordert worden sei sich ihnen anzuschließen und seiner Aussage im Zuge seiner Einvernahmen, wo er dies nicht mehr erwähnt habe, sei zu beachten, dass die Erstbefragung in erster Linie der Ermittlung der Identität und der Fluchtroute diene. Deshalb werde dabei nicht immer alles detailliert protokolliert und es komme daher öfter zu kleineren Abweichungen. Im Falle des BF würde sich das Fluchtvorbringen aber im Großen und Ganzen mit jenem vor der belangten Behörde decken. Wenn die Behörde davon ausgehe, dass der BF bei seiner Beschuldigteneinvernahme angegeben habe, dass er keine Probleme mit der Polizei und den Behörden gehabt habe, sei auf seine Einvernahme vor dem BFA zu verweisen, wo er ausgesagt habe, dass er bereits 2011 mittels Suchkarte von den syrischen Behörden gesucht worden sei. Er sei wegen seiner Teilnahmen an Demonstrationen gegen die Regierung gesucht worden. Jedoch habe er vor dem Aufstand keine Probleme mit den syrischen Behörden gehabt. Wenn die Behörde die Ansicht vertrete, dass der BF zum Fluchtzeitpunkt keiner aktuellen Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sei, weil er Ende 2012 wieder nach Syrien zurückgekehrt sei, um seinen Cousin im Machtkampf innerhalb der FSA zu unterstützen, so sei zu entgegnen, dass er gegenüber dem BFA deutlich angegeben habe, dass er wegen Familienprobleme wieder in eine Grenzstadt zur Türkei zurückgekehrt sei. Nunmehr wäre eine legale Rückkehr ausschließlich über den Flughafen von Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befinde, und er würde einer intensiven Überprüfung unterzogen werden. Hinzu komme, dass der BF noch durchaus im wehrfähigen Alter und ihm damit als Reservist die Zwangsrekrutierung drohe. Vor dem Hintergrund der Aktuellen Rechtsprechung des VwGH liege demnach auch diesbezüglich die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des BF vor. Nach dem Zitat von länderkundlichen Feststellungen über den obligatorischen Militärdienst und die Zwangsrekrutierung von jungen Männern und Reservisten in Syrien wurde ausgeführt, dass der BF einer Zwangsrekrutierung zum Reservedienst gezwungen wäre, auf Zivilisten zu schießen und völkerrechtswidriges Verhalten zu setzten. Sein Gefährdungspotential werde zudem durch seine illegale Ausreise und den langen Auslandsaufenthalt während des staatlichen Ausnahmezustandes nochmals verstärkt. Es drohe ihm daher willkürliche Bestrafung bis hin zu extralegalen Tötung. Der BF stellte den Antrag, den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalem Schutz vom 03.05.2015 Folge gegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde.

3.1. Die gegenständliche Beschwerde wurde vom BFA samt dem Verwaltungsakt dem BVwG am 26.03.2018 zu Entscheidung vorgelegt.

3.2. Mit Eingabe vom 27.12.2018 übermittelte der BF über seine rechtliche Vertretung den Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23.11.2018, mit dem ihm die alleinige Obsorge für seinen mitgereisten, minderjährigen Neffen zur Gänze übertragen wurde. Mit Eingabe vom 03.07.2019 gab der BF über seinen neuen rechtlichen Vertreter die erteilte Vollmacht bekannt, stellte einen Beweisantrag zum Nachweis seiner Integrationsbemühungen und übermittelte bereits im Akt aufliegende Unterlagen erneut. Mit Eingabe vom 23.07.2019 brachte der BF über seinen rechtlichen Vertreter vor, dass er in seinem Heimatland von den syrischen Behörden verfolgt werde, weil er Mitglied der FSA gewesen sei. Zum Beweis legte er die Kopie eines Fotos und ein Videofile vor, welche den BF als Mitglied der FSA zeigen. Darüber hinaus wird die Zeugeneinvernahme von sechs namentlich genannten Personen beantragt. Mit Eingabe von 03.10.2019 gab der Verein Menschenrechte Österreich die Niederlegung der vom BF erteilten Vollmacht, wegen dessen neuer rechtlicher Vertretung bekannt. Mit Eingabe vom 20.03.2020 übermittelte der BF über seinen rechtlichen Vertreter Kopien zum Nachweis über eingelöste Dienstleistungschecks für den Zeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2019.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge seiner Erstbefragung und der gegen ihn geführten strafgerichtlichen Untersuchung wegen des Verdachts nach § 278b Abs. 2 StGB, sowie durch die Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu gegenständlichem Asylantrag, der vom BF vorgelegten Dokumente, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der nachträglichen Eingaben werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Araber und sunnitischer Moslem. Er ist in einem namentlich genannten Dorf nahe der syrischen Hafenstadt Latakia geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie (eine Frau und zwei Söhne) gewohnt. Er hat die Schule besucht und anschließend seinen Wehrdienst abgeleistet. Er ist im Reservestand und mit seinen 34 Jahren nach wie vor im wehrfähigen Alter. Er war Landwirt, hat Land und Vieh besessen und war damit in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Anfang 2012 marschierte die FSA in sein Dorf ein. Der BF, der wie die meisten Bewohner seines Dorfes von Beginn an gegen das Assad-Regime eingestellt war, schloss sich dieser an, um gegen die syrische Armee und den IS zu kämpfen. Er war bewaffnet, hat aber selbst an keinen Kampfhandlungen mitgewirkt, sondern war im Wesentlichen für die Versorgung der Truppe und den Wassertransport zuständig.

Das Heimatdorf des BF war, wie die gesamte Gegend rund um die Hafenstadt Latakia, Anfang Juni 2012 starken Angriffen durch Regierungstruppen ausgesetzt und wurde dabei weitgehend zerstört. Etwa vier Monate nach seinem Eintritt hat der BF die FSA wieder verlassen und ist mit seiner Familie in die nahe gelegene Türkei gereist. Bis 2014 kehrte der BF fallweise für einzelne Tage alleine von der Türkei aus in seine Heimat zurück; zB. Ende 2012 um seinen Cousin in einem Machtkampf mit dem lokalen Führer der FSA zu unterstützen, den dieser schließlich gewann, danach um Verwandte nahe der Grenze zu besuchen. Schließlich verließ er mit seinem minderjährigen Neffen die Türkei nach Griechenland und reiste mit diesem schließlich illegal in das Bundesgebiet ein, wo er am 03.05.2015 den gegenständlichen Asylantrag stellte.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr, dass er als ehemals aktiver Angehöriger der gegen die Regierungstruppen kämpfenden FSA von der syrischen Regierung als Oppositioneller verfolgt, festgenommen, gefoltert oder gar hingerichtet wird und wäre daher der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Und selbst wenn den syrischen Behörden die aktive Teilnahme des BF am Konflikt auf Seiten der Oppositionstruppen noch nicht bekannt sein sollte, ist auch nicht völlig auszuschließen, dass ihm von den syrischen Behörden alleine schon aufgrund seiner Herkunft eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird. Darüber hinaus ist auch seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam durchaus geeignet, den Beschwerdeführer zum Ziel von Verfolgungen zu machen. Der bewaffnete Konflikt wird nämlich zunehmend konfessionell und sunnitische Zivilisten sind aktuell das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Bürgerkriegssituation in Syrien ist darüber hinaus auch nicht damit zu rechnen, dass der syrische Staat - sollte von ihm selbst keine Verfolgungshandlung ausgehen - seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend schützen kann. Der Beschwerdeführer wäre allfälligen Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen von den anderen Kriegsparteien somit schutzlos ausgeliefert.

Festgestellt wird weiters, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 bis 42 Jahren besteht. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten werden zunehmend auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes zu einem bestimmten Maß an Willkür. Damit droht dem noch immer wehrpflichtigen BF in Syrien auch die reale Gefahr, als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und er wäre im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet. Bei Männern im wehrfähigen Alter wird überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Weiters besteht für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein (UK Home 8.2016). Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise nämlich besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Es liegt kein begründeter Verdacht vor, dass der BF in seiner Heimat an einer terroristischen Vereinigung beteiligt war oder dass er im Zuge seiner Angehörigkeit zur FSA Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder dazu maßgeblich beigetragen und sie so zumindest mit zu verantworten hätte.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

"Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt ("incommunicado") an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019).

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-

2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/2018 - The State of the Wolrd's Human Rights - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1425112.html. Zugriff 12.12.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Syria.

https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/ document/1422595.html. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Annual report on the human rights situation in 2018 - Syrian Arab Republic. https://www.ecoi.net/en/document/2002172.htm l. Zugriff 29.1.2019

- MOFANL - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation. per E-Mail am 27.8.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018. http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria's once teeming prison cells being emptied by

mass murder. https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/svria-bodies/?

noredirect=on&utm term=.6a8815bb3721. Zugriff 14.2.2019

- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/document/2004226.htm I . Zugriff 19.3.2019

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html. Zugriff 6.4.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf. Zugriff 1.2.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf. Zugriff 19.8.2019

- PAR - Webseite des Parlaments der Arabischen Republik Syrien (15.11.2017): /35/ ^ij jjjläJII2007/ ^l*J /30/ (vijj^l^JI pl*JI http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201 &nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=- 1 &Loc1 =&Key1 =&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1 &, Zugriff 7.12.2017

- SANA - Syrian Arab News Agency (8.11.2017): jj- JA jl*ii jjjli ßj. ^*^Jl ÄJJ Ä^AUJI SJJJJ ÄJJAJI ^UJl J-^Jl ^JJ J^IJ iuJjNi i. ojl'xill http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 15.1.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- SLJ - Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Kurznachricht vom 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320. Zugriff 15.1.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty.

https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf. Zugriff 19.2.2019

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).

Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598 1542722823 auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-November-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf. Zugriff 13.12.2018

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 1.2.2019

- Landinfo (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 20.2.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 19.2.2019

Rückkehr

Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen (CIA 3.4.2019).

Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen (UNHCR 30.9.2018). 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert (UNHCR 11.3.2019). 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS 14.12.2018). Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR (EIP 6.2019). Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse (ÖB 7.2019).

Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkeh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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