TE OGH 2020/6/15 3Ob69/20y

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Veröffentlicht am 15.06.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, als gerichtlicher Erwachsenenvertreter, gegen die beklagte Partei N*****, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 62.450 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. April 2020, GZ 16 R 38/20f-19, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist der Vater des Beklagten. Der Beklagte war vom 14. September 2016 bis 4. Mai 2018 für das Pensionskonto des Klägers zeichnungsberechtigt. Zudem unterfertigte der Kläger am 1. Jänner 2017 eine Vollmacht, die den Beklagten ermächtigte, im Namen des Klägers „Erklärungen abzugeben, Anträge einzubringen und abzuändern, Dokumente persönlich einzureichen und abzuholen, sowie alle erforderlichen Behördenwege, Versicherungen, SVA, ÖBB, Banken und Ärzten vorzunehmen“. Im Zeitraum von 10. Oktober 2016 bis 1. Dezember 2017 wurden durch den Beklagten vom Pensionskonto des Klägers insgesamt 62.450 EUR in bar behoben und dem Kläger überlassen (Mahnklage S 5). Der Verbleib des Geldes ist nicht zu eruieren. Dafür, dass der Beklagte sich das Geld selbst zugeeignet hat, gibt es keine Hinweise. Der Kläger ist zumindest seit einem Sturz am 30. November 2017 hochgradig dement. Mit Wirksamkeit vom 4. Dezember 2017 übernahm der Beklagte für den Kläger die gesetzliche Angehörigenvertretung nach § 284b ABGB aF. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 29. März 2019 wurde der Klagevertreter zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des Klägers bestellt.

Der Kläger begehrt als Schadenersatz 62.450 EUR sA wegen der vom Beklagten vom Pensionskonto im Zeitraum vom 10. Oktober 2016 bis 1. Dezember 2017 behobenen Beträge. Die Behebungen seien nicht durch die Vollmacht gedeckt gewesen, der Beklagte habe vollmachtswidrig gehandelt. Der Kläger leide seit Jahren an hochgradiger Demenz und sei aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten in sachgerechter Weise zu erfüllen. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht sei der Kläger bereits geschäftsunfähig gewesen. Mit Wirksamkeit vom 4. Dezember 2017 habe der Beklagte die gesetzliche Angehörigenvertretung übernommen. In Verletzung seiner Fürsorgepflicht als Angehörigenvertreter seines demenzkranken Vaters habe er diesem die Bargeldbeträge überlassen, obwohl ihm die Erkrankung seit Jahren bekannt gewesen sei, und die Verwendung nicht kontrolliert. Der Verbleib des Geldes sei nicht zu eruieren, wobei der Kläger wegen seiner schweren Demenz dazu naturgemäß keine Angaben machen könne.

Der Beklagte stellte die Abhebungen des Geldes außer Streit und wandte ein, dass der Kläger zur Zeit der Abhebungen geistig fit gewesen sei und er den Beklagten dazu beauftragt habe. Erst seit einem Sturz am 30. November 2017 habe sich der geistige Zustand des Klägers deutlich verändert. Die abgehobenen Beträge seien nicht dem Beklagten zugeflossen. Der Kläger habe die Beträge für sich selbst verwendet bzw auch für seine (Ur-)Enkelkinder.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens wegen Unschlüssigkeit ab. Für das Revisionsverfahren noch von Relevanz, stützte das Erstgericht die Abweisung ua auch auf den Umstand, dass ein Schadenseintritt dem klägerischen Vorbringen nicht schlüssig zu entnehmen sei. Die Behebung von Giralgeld vom Konto des Klägers und die Ausfolgung der behobenen Bargeldbeträge an den Kläger selbst stelle für sich allein noch keine Vermögensminderung dar. Der Umstand, dass der Verbleib des Geldes derzeit ungeklärt sei, bedeute nicht zwingend, dass ein Vermögensschaden eingetreten ist, zumal allenfalls vom geschäftsunfähigen Kläger getroffene Verfügungen über die Geldbeträge unwirksam wären und wieder rückgängig gemacht werden könnten. Aus dem klägerischen Vorbringen ergebe sich jedenfalls nicht, wofür das Geld tatsächlich verwendet wurde, sodass auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass über das Geld entgegen den Interessen des Klägers oder zu seinem Nachteil verfügt worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es qualifizierte die Klage zwar hinsichtlich der Behauptung eines rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten als schlüssig. Ebenso wie das Erstgericht ging es im Ergebnis aber davon aus, dass das Vorliegen eines Schadens nicht schlüssig behauptet worden sei. Die Schlüssigkeit des behaupteten Schadens scheitere zwar entgegen der Einschätzung des Erstgerichts nicht schon daran, dass eine Zahlung an Dritte wieder rückgängig gemacht werden könnte. Allerdings habe der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren bloß behauptet, der Verbleib des Geldes sei nicht zu eruieren. Die fehlende Eruierbarkeit des Verbleibes des Geldes beinhalte etwa auch ein Vergessen, Verlegen oder Verstecken. Diesfalls wäre keine Vermögensverminderung des Klägers eingetreten. Dass das Geld nicht mehr vorhanden sei, behaupte der Kläger in Verstoß gegen das Neuerungsverbot erstmals in der Berufung.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil der Eintritt einer Vermögensverminderung nicht schlüssig behauptet worden sei, sodass sich die Frage der Rechtswidrigkeit des behaupteten Verhaltens des Beklagten im Ergebnis nicht stelle.

In seiner dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, kommt im Allgemeinen – vom hier nicht vorliegenden Fall auffallender Fehlbeurteilung abgesehen – keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0116144).

2. Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537).

2.1 Nach der ausdrücklichen Ansicht des Erstgerichts, der die Berufungsinstanz im bestätigenden Urteil nicht entgegengetreten ist und somit erkennbar gebilligt hat, wurden die Ausführungen des Klägers zum Schaden deshalb als unschlüssig qualifiziert, weil nicht behauptet worden sei, dass über das Geld entgegen den Interessen des Klägers oder zu seinem Nachteil verfügt worden sei. Die dieser Begründung zugrundeliegende Rechtsansicht, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Geld zum Vorteil oder im Interesse des Klägers verwendet wurde, damit also kein Zustand behauptet worden sei, der rechtlich als Nachteil (Schaden) aufzufassen sei, deckt sich mit dem klaren Wortlaut des § 1293 ABGB und der dazu zitierten Rechtsprechung. Nach dem Klagsvorbringen bleibt nämlich das weitere Schicksal der Geldbeträge unklar.

2.2 Die Klagsabweisung entspricht im Ergebnis auch den der Entscheidung 7 Ob 246/09s zugrundeliegenden Beurteilungen. Dort war für die Genehmigungsfähigkeit einer Klage einer unter Sachwalterschaft stehenden Person ua die Frage zu klären, ob deren Anwalt schadenersatzpflichtig sei, weil er die Aushändigung von Vermögenswerten (Wertpapierbons, Inhabersparbücher) an die Betroffene nicht verhindert habe. Vom Obersten Gerichtshof wurde die Rechtsansicht der Vorinstanzen gebilligt, dass nicht schon deshalb ein dem Anwalt zuzurechenbarer Schaden vorliege, weil die Vermögenswerte von der Sachwalterin nicht mehr aufgefunden wurden und ungeklärt blieb, was damit geschehen sei. Offen sei nämlich ua, ob die betroffene Person die Vermögenswerte nicht ohnehin anderweitig veranlagt habe.

2.3 Auch der Hinweis auf die von der Judikatur zu § 1424 Satz 2 ABGB entwickelte Beweiserleichterung begründet keine erhebliche Rechtsfrage. Diese Bestimmung regelt für die Zahlung einer Schuld an eine geschäftsunfähige Person, dass der Schuldner noch einmal zahlen muss, wenn das von ihm bereits Bezahlte nicht wirklich vorhanden oder zum Nutzen des Empfängers verwendet worden ist. Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung verbietet es die Schwierigkeit, die Erfüllung negativer Tatbestandsvoraussetzungen nachzuweisen, vom Geschäftsunfähigen bei der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 1424 Satz 2 ABGB den strikten Nachweis zu fordern, was vom Empfangenen nicht zu seinem Nutzen verwendet wurde. Hinreichend (aber notwendig) ist demnach die Widerlegung jener Umstände, die für die Erzielung eines Nutzens im Sinne des § 1424 Satz 2 ABGB sprechen. So könnte etwa der Beweispflicht dadurch genügt werden, dass ein großer Geldbetrag innerhalb eines kurzen Zeitraums ausgegeben wurde, ohne sich in Vermögenswerten oder einer erkennbaren Verbesserung der Lebensumstände des Betroffenen niedergeschlagen zu haben (RS0116399). Von der Rechtsprechung wurde aber klargestellt, dass es sich dabei nur um eine Beweiserleichterung, nicht aber um die Umkehr der Beweislast handelt. Der Geschäftsunfähige wird nur vom strikten Nachweis befreit, was vom Empfangenen nicht zu seinen Nutzen verwendet wurde. Letzteres deckt sich durchaus auch mit den Ausführungen in der Revision, dass von einem Geschäftsfähigen nicht im Detail verlangt werden könne, nachzuweisen, wie er einen ihm überlassenen Geldbetrag verwendet habe. Entgegen der Schlussfolgerung des Klägers ist aus der Judikatur aber gerade nicht abzuleiten, dass der Geschäftsunfähige von der grundsätzlichen Behauptungs- und Beweispflicht befreit wird (8 ObA 68/04i), sodass es daher zu keiner Umkehr der Behauptungs- und Beweislast kommt. Selbst wenn man die Judikatur zu § 1424 Satz 2 ABGB auch auf die Frage der Behauptungslast für den hier geltend gemachten Schadenersatzanspruch anwendet, wäre für den Kläger daher nichts gewonnen, weil er im Anlassfall gar nicht vorgebracht hat, dass die Behebungen des Beklagten nicht zu seinem Nutzen verwendet worden seien (8 ObA 68/04i). Damit fehlen aber im Sinne der vom Kläger selbst herangezogenen Rechtsprechung jegliche Behauptungen, mit denen jene Umstände widerlegt werden, die für die Erzielung eines Nutzens sprechen.

2.4 Bereits wegen der nicht unvertretbaren Ansicht, dass ein Schadenseintritt wegen einer möglichen Verwendung des Geldes zum Nutzen oder im Interesse des Klägers nicht schlüssig behauptet wurde, kommt es nicht mehr darauf an, ob die schlüssige Behauptung eines Schadens im Sinne des Berufungsgerichts zusätzlich auch deshalb verneint werden kann, weil die fehlende Eruierbarkeit des Verbleibes des Geldes etwa auch ein Vergessen, Verlegen oder Verstecken beinhaltet und diesfalls keine Vermögensverminderung des Klägers eingetreten wäre. Auch die in diesem Zusammenhang gerügte Mangelhaftigkeit wegen eines Verstoßes gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen (§ 182a ZPO) kann damit schon mangels Relevanz keine erhebliche Rechtsfrage begründen. Selbst wenn man sich nämlich hier dem Standpunkt des Klägers anschließt, dass er das Nichtvorhandensein des Geldes ausreichend vorgebracht hat, wäre für ihn nichts gewonnen, weil der Eintritt des Schadens auch bei einer (vom Vorbringen jedenfalls nicht ausgeschlossenen) vorteilhaften Verwendung der (dann ebenfalls nicht mehr vorhandenen) Beträge nicht schlüssig behauptet worden wäre.

2.5 Im Übrigen begründet die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts keine Nichtigkeit, sodass auch darauf die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gestützt werden kann (zB 9 ObA 78/18p mwN).

Textnummer

E128724

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00069.20Y.0615.000

Im RIS seit

03.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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