TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/21 W182 2179951-1

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z6
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W182 2179955-1/9E

W182 2179951-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2017, Zlen. ad 1.) 742572010-170896745, und ad 2.) 742572206 - 170897199 gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 46 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 55 Abs. 1 - 3 FPG, § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des verhängten Einreiseverbotes auf zehn Jahre herabgesetzt wird. Gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG wird festgestellt, dass die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig waren.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), eine Mutter (BF1) und ihr minderjähriger Sohn (BF2), sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an, sind muslimischen Glaubens und stammen aus der Republik Tschetschenien. Sie reisten zusammen mit dem Bruder des BF2 am 23.12.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Asylantrag.

Die BF1 brachte beim Bundesasylamt als Fluchtgrund im Wesentlichen vor, dass ihr Gatte, der Arzt gewesen sei, unter den Vorwurf, verwundete Kämpfer medizinisch behandelt zu haben, im XXXX von föderalen Kräften verschleppt worden sei, wobei sie selbst bei dem Vorfall bedroht worden sei. Im XXXX 2002 habe die BF1 dann erfahren, dass ihr Gatte ermordet worden sei. Die BF1 habe seither Angst um ihr Leben sowie das ihrer Kinder. Die BF haben etwa im Oktober 2004 das Herkunftsland verlassen.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25.11.2005, Zlen. 04 25.720-BAG (BF1) und 04 25.722-BAG (BF2), wurde den Asylanträgen der BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 1997/76, stattgegeben und festgestellt, dass ihnen gemäß § 12 AsylG kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde ausgeführt, dass die BF einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht haben, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens entgegenstehen.

2.1. Aus Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) XXXX vom XXXX .2016 und XXXX .2017, Zl. XXXX , geht hervor, dass der begründete Verdacht vorliege, dass die BF sich einer terroristischen Vereinigung iSd § 278b StGB angeschlossen haben. Diesbezüglich wurde ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft XXXX unter der Zahl: XXXX anhängig.

Mit Aktenvermerk vom 01.08.2017 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) gegen die BF ein Aberkennungsverfahren iSd § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 betreffend ihren Status als Asylberechtigte sowie ein Entzugsverfahren hinsichtlich ihrer gültigen Konventionsreisepässe eingeleitet.

Mit gleichem Datum wurde bei einem Bezirksgericht die Bestellung eines Abwesenheitskurators für die BF angeregt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, Zl. XXXX , wurde ein Abwesenheitskurator für die BF1 als Vertreter bestellt. Hinsichtlich des BF2 wurde ausgeführt, dass für diesen kein Abwesenheitskurator zu bestellen sei, weil dieser aufgrund seiner Minderjährigkeit von der für ihn Obsorgeberechtigten vertreten werde.

Mit Schreiben des Bundesamtes vom 07.09.2017 wurden die BF sodann zu Handen Ihres Vertreters über die Einleitung des Aberkennungsverfahrens und die Einleitung eines Passentziehungsverfahrens in Kenntnis gesetzt und wurde ihnen eine vierwöchige Frist zur Stellungnahme ab Zustellung eingeräumt.

Im dem Schreiben des Bundesamtes wurde u.a. ausgeführt, dass die BF bis XXXX .2016 durchgehend meldeamtlich im Bundesgebiet erfasst seien. Die BF1 haben den Großteil Ihres Lebens in Tschetschenien verbracht, wobei die BF auch nach der Einreise in Österreich im Verbund der tschetschenischen Familie gelebt haben. Seit der Einreise in das Bundesgebiet sei die BF1 zu keiner Zeit einer geregelten, legalen Beschäftigung nachgegangen. Der BF2 habe die Schule besucht, und sei ab XXXX nicht mehr zum Unterricht erschienen, weshalb Strafanzeige nach dem Schulpflichtgesetz erstattet worden sei. Aus Berichten des LVT XXXX vom XXXX 2016 und XXXX .2017, Zl. XXXX , gehe hervor, dass der begründete Verdacht vorliege, dass sich die BF einer terroristischen Vereinigung iSd § 278b StGB angeschlossen haben. Den Berichten zufolge habe die BF1 ihren älteren Sohn dazu gedrängt, dass dieser im XXXX mit dem Ziel, sich nach Syrien zu begeben, ausgereist sei. Im XXXX sei dann die BF1 mit dem BF2 über XXXX nach Syrien gereist. Ziel sei es gewesen, sich nach Syrien zu begeben, um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Die BF1 habe Ihre beiden Söhne nach vorliegendem Ermittlungsergebnis dazu gedrängt, im Kampf endlich den "Status von richtigen Männern" zu erlangen. Im Juni 2016 sei sodann die Schwiegertochter und ein Enkelsohn XXXX gefolgt, um sich im Gebiet des sogenannten "Islamischen Staates" niederzulassen. Die BF seien mit XXXX .2016 von der zuletzt bekannten Meldeadresse amtlich abgemeldet worden. Der derzeitige genaue Aufenthaltsort der BF sei nicht bekannt. Aufgrund des Ermittlungsergebnisses sei davon auszugehen, dass sich die BF in einer syrischen oder nordirakischen Stadt im Operationsgebiet des "Islamischen Staates" aufhalten. Gerüchte, wonach der BF1 und sein Bruder bei Kampfhandlungen in XXXX oder XXXX gefallen seien, haben nicht verifiziert werden können. Die BF haben zusammen mit der gesamten Kernfamilie auch ihren Lebensmittelpunkt in das Operationsgebiet des sogenannten "Islamischen Staates", somit bereits im XXXX nach Syrien oder den Nordirak verlegt, womit auch der Tatbestand des § 7 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 erfüllt wäre. Die Behörde beabsichtige daher den BF den Asylstatus gem § 6 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen und eine Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat (Russische Föderation) zu erlassen. Es würden keine Hinweise vorliegen, wonach die russischen Behörden über das gegen die BF geführte Aberkennungsverfahren Kenntnis erlangen hätten können. Aufgrund der Gefährlichkeit der BF und des Umstandes, dass aufgrund der religiösen Indoktrinierung mit einer jihadistisch-salafistischen Ideologie nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden könne, werde beabsichtigt die Entscheidung zudem mit einem unbefristeten Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 3 Z 6 FPG zu verbinden. Dem Abwesenheitskurator der BF wurde die Gelegenheit gegeben, binnen vier Wochen zum Schreiben des Bundesamtes Stellung zu nehmen.

In einer Stellungnahme des Vertreters der BF vom 05.10.2017 machte dieser im Wesentlichen geltend, dass eine Kontaktaufnahme mit den BF nicht möglich gewesen sei. Das Bundesamt gehe davon aus, dass der Aufenthalt der BF nicht bekannt sei, sodass nicht zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass die BF überhaupt in ihr Heimatland zurückgekehrt seien, weshalb ein derartiges Verfahren einzustellen sei. Was die angebliche Mitgliedschaft bei einer terroristischen Vereinigung betreffe, sei davon auszugehen, dass grundsätzlich die Unschuldsvermutung gelte. Solange kein rechtskräftiges Urteil zu Lasten der Betroffenen vorliege, könnten keinesfalls die Konventionsreisepässe entzogen werden. In diesem Zusammenhang sei auch die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes nicht möglich. Ergänzend sei festzuhalten, dass das Leben der BF in der Russischen Föderation auf das gröbste gefährdet wäre. Allein die Asylantragstellung in Österreich und in weiterer Folge die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft würde jedenfalls ausreichen, um die BF bei einer zwangsweisen Rückkehr in ihr Herkunftsland umgehend festzunehmen und zu inhaftieren. Sollten die russischen Behörden auch zum Schluss kommen, dass durch den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz der russische Staat in Misskredit gebracht worden sei, müssten die BF mit drakonischen Strafen gegen ihre Person rechnen. In diesem Zusammenhang wurde der Antrag gestellt, das entsprechende Aberkennungsverfahren einzustellen und vom Entzug der Konventionsreisepässe und der Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes Abstand zu nehmen.

2.2. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes vom 02.11.2017 wurde der den BF mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25.11.2005, Zlen. 04 25.720-BAG (BF1) und 04 25.722-BAG (BF2), zuerkannte Status von Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. festgestellt, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG wurde gegen sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und mit Spruchpunkt VI. bestimmt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Zur Person der BF wurde im Wesentlichen festgestellt, dass sie Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen, Sunniten und in ihrem Heimatland nicht vorbestraft seien. Sie seien mit der tschetschenischen Sprache, der Kultur und den tschetschenischen Lebensgewohnheiten bestens vertraut. Zur Familie der BF würden noch der ältere Sohn der BF1, dessen Gattin sowie deren gemeinsames Kind gehören. Alle angeführten Angehörigen würden sich in Syrien oder dem Irak befinden. Die BF1 habe ihren Herkunftsstaat im Alter von XXXX Jahren verlassen, sei dort als XXXX ausgebildet worden und verfüge auch über einschlägige Berufserfahrung in XXXX . Der BF2 habe bis XXXX in Österreich die Schule besucht und habe auf diese Weise wertvolle Zusatzqualifikationen für den Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat erwerben können. Die BF würden an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigungen leiden. Ihr derzeitiger genauer Aufenthaltsort habe nicht festgestellt werden können. Aufgrund des Ermittlungsergebnisses sei davon auszugehen, dass sie sich derzeit in einer syrischen oder nordirakischen Stadt im Operationsgebiet des "Islamischen Staates" aufhalten. Fest stehe hingegen, dass sie seit ihrer amtlichen Abmeldung im XXXX 2016 über keine Meldeadresse mehr im Bundesgebiet verfügen würden.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Erlassung eines Einreiseverbotes wurde festgestellt, dass die BF einer radikalen jihadistisch-salafistischen Ideologie anhängen und den militärischen Jihad in Syrien und dem Nordirak befürworten würden. Ihre Familie sei hinsichtlich ihrer Glaubenspraxis zumindest dem weiteren Umfeld der XXXX zuzurechnen, aus deren XXXX sich bereits zahlreiche Personen der tschetschenischen Diaspora in den "Jihad" nach Syrien oder den Irak begeben haben. Die BF1 habe den BF2 und seinen Bruder (mit Familie) nicht nur ermutigt, sondern vielmehr dazu gedrängt, sich in das Kriegsgebiet Syrien bzw des Iraks zu begeben, um sich der dort operierenden Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Im Kampf würden ihre Söhne endlich den Status von "richtigen Männern" erlangen. Nachdem der ältere Bruder der BF2 bereits im XXXX sich mit dem Ziel sich nach Syrien zu begeben, in die Türkei ausgereist sei, seien die BF im XXXX ihm auf derselben Route gefolgt. Von der Türkei aus sei dann der Grenzübertritt nach Syrien erfolgt. Ziel sei es gewesen, sich nach Syrien zu begeben, um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Mit diesem Ziel haben sie auch ihren Lebensmittelpunkt nach Syrien bzw. den Irak verlegt.

Dazu wurden weiters Feststellungen zur terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) bzw. Islamischer Staat im Irak (ISI) bzw. "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (ISIS) getroffen, deren erklärtes Ziel die Errichtung eines nach salafistischen Prinzipien gestalteten Gottesstaates sei, der weder demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse herstellen soll noch auf die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten abziele. Dazu wurde weiters festgestellt, dass sohin der dringende Verdacht vorliege, dass die BF das Verbrechen der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 (§ 278 Abs 3, 3. Fall) StGB, sowie das Verbrechen der kriminellen Organisation gemäß § 278a (§ 278 Abs 3, 3. Fall) StGB begangen haben. Bei ihrer jihadistisch-salfistischen Ideologie handle es sich zweifellos um eine Grundeinstellung, die mit den Werten des demokratischen und pluralistischen Rechtsstaates und den freiheitlichen und humanitären Grundwerten der Gesellschaft nicht vereinbar sei, sondern diesen ablehnend begegne. Zudem sehen die BF es auch als ihre Pflicht an (dawa) durch Missionierung und allenfalls auch durch gewaltsamen bzw. militärischen Jihad "unislamische" Regime zu bekämpfen. Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr daher zweifellos eine schwerwiegende und nachhaltige Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen. Zudem habe im Verfahren auch festgestellt werden können, dass die BF in Tschetschenien familiäre Anknüpfungspunkte vorfinden würden, zumal die BF1 vor ihrer Ausreise ein Paket für sich nach Tschetschenien zu Verwandten schicken lassen habe wollen, in dem sich neben diversen Dokumenten und persönlichen Gegenständen auch Datenträger mit Bildern von einem gefallenen IS-Kämpfer und einem führenden IS-Kommandanten befunden haben. Beim zuvor genannten IS-Kämpfer handle es sich um ein ehemaliges aktives Mitglied der XXXX und den XXXX der mit dem älteren Bruder des BF2 eine gemeinsame Unterkunft im Gebiet des "IS" geteilt haben soll.

Im Fall einer Rückkehr der BF ins Herkunftsland könne nicht festgestellt werden, dass ihnen dort Verfolgung irgendeiner Art drohen würde bzw. ihnen die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre. Dazu wurde im Wesentlichen auf die diesbezüglichen Länderfeststellungen verwiesen und weiters ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die Gründe für die Aberkennung ihres Asylstatus oder ihre Ausreise in Richtung Syrien den russischen Behörden bekannt geworden sein könnte, noch dass sie hierdurch automatisch einer Überwachung der Behörden der Russischen Föderation unterliegen würden. Weiters seien im Verfahren auch zu keiner Zeit begründete oder konkrete Hinweise zu Tage getreten, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr nach Tschetschenien aktuell die reale Gefahr einer Verletzung Ihrer Rechte nach Art 2 und 3 EMRK, bzw. ihrer im 6. und 13. ZProt zur EMRK verbrieften Rechte drohen würden. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.11.2005 sei ihnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden. Als Fluchtgrund habe die BF1 damals vorgebracht, dass Ihr Mann verhaftet und verschleppt worden sei. Sie selbst habe aber niemals Probleme mit den russischen oder tschetschenischen Behörden gehabt, sei weder vorbestraft noch jemals im Gefängnis gewesen oder sei im Herkunftsstaat erkennungsdienstlich behandelt worden. Sie sei niemals Mitglied einer Partei und auch nicht bei einer bewaffneten Gruppierung in Tschetschenien gewesen. Für den BF2 habe sie angegeben, dass ihn keine eigenen Fluchtgründe betroffen hätten. Weder würden Hinweise vorliegen, dass das reale Risiko einer Verfolgung ihrer Person aktuell oder in Hinkunft vorliege, noch dass sich die allgemeine aktuelle Gefährdungslage in ihrer Person so verdichtet habe, dass ihnen die reale Gefahr der Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher Behandlung drohen würde. Sachliche, stichhaltige Gründe, die für die Annahme sprechen, dass die BF individuell einer solchen Gefährdung ausgesetzt wären, hätten im Verfahren nicht festgestellt werden können. Bei der BF1 handle es sich um eine gut ausgebildete Staatsangehörige der Russischen Föderation, die über Berufserfahrung im XXXX verfüge. Zudem habe sie den Großteil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht und dort ihre Sozialisierung und Schulbildung erhalten. Sie habe mehr als dreißig Jahre mit der Sprache und dem kulturellen Umfeld in ihrer Heimat verbracht und habe sie auch nach ihrer Einreise in Österreich innerhalb ihres tschetschenischen Familienverbundes gelebt. Beim BF2 handle es sich um einen jungen und grundsätzlich arbeitsfähigen Mann, der im Umfeld seiner tschetschenischen Familie aufgewachsen und sozialisiert worden sei. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Tschetschenien und sei seine oben angeführte Kernfamilie in gleichem Maße von einer Rückkehrentscheidung in die Russische Föderation betroffen. Seine in Österreich erhaltene Schulbildung stelle zweifellos eine Zusatzqualifikation dar, die seine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nach seiner Rückkehr zusätzlich begünstigen werde. Außerdem habe er bereits mit seiner Ausreise nach Syrien bzw. den Nordirak unter Beweis gestellt, dass er selbst in diesem kulturell nicht vertrauten Kriegsgebiet damit gerechnet habe, sich eine Existenz aufzubauen und seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es könnten daher keine Umstände festgestellt werden und seien solche auch nicht anderweitig zu Tage getreten, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten könnten. In der Russischen Föderation herrsche grundsätzlich Bewegungsfreiheit. Somit stehe Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Zum Privat- und Familienleben und dem Aufenthalt der BF in Österreich wurde festgestellt, dass alle in Österreich lebenden Angehörigen Österreich verlassen und ihren Lebensmittelpunkt nach Syrien bzw. in den Nordirak, in die Gebiete unter der Kontrolle des sogenannten "IS" verlegt haben. Weitere familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet würden nicht bestehen. Die BF1 sei zu keiner Zeit in Österreich einer geregelten und legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern habe ausschließlich von Leistungen aus der öffentlichen Hand gelebt. Bis zur Ausreise habe der BF2 XXXX die Schule besucht. Darüber hinaus haben keine maßgeblichen Integrationsbemühungen festgestellt werden können und seien solche auch nicht behauptet worden. Es sei auch davon auszugehen, dass eine fortgeschrittene Integration in die österreichische Gesellschaft bzw. der Willen hierzu, die BF von ihrem Entschluss die Terrororganisation "islamischer Staat" zu unterstützen, abgehalten hätte. Auch die antidemokratische und staatsfeindliche salafistische Ideologie der BF widerspreche der Annahme einer sozialen Verfestigung in Österreich. Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der BF in Österreich vorliege. Die BF seien in Österreich bisweilen strafrechtlich unbescholten. Gegen die BF1 bestehe aber seit 12.09.2016 eine Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft XXXX wegen des begründeten Verdachtes nach § 278b StGB und ein europäischer Haftbefehl. Durch ihren Entschluss Österreich in Richtung Syrien zu verlassen und ihren Lebensmittelpunkt in weiterer Folge dorthin zu verlegen, haben die BF klar zum Ausdruck gebracht, dass sie kein weiteres Interesse an ihrem weiteren Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet hätten.

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Feststellungen zweifelsfrei aus der Aktenlage (gesamter Akteninhalt des Verfahrensaktes zu IFA: 742572010, 742572206, und zur Kernfamilie, das Protokoll der Erstbefragung und niederschriftlichen Einvernahme der BF1 im Asylverfahren, die Bescheide des Bundesasylamtes vom 25.11.2005, Zl. 04 25.720-BAG und 04 25.722-BAG, die Mitteilung über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens vom 07.09.2017, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betr. Russische Föderation mit Stand 21.07.2017, die Berichte des LVT XXXX vom 06.09.2016 und 01.08.2017, die Registerabfragen Registerabfragen vom 01.08.2017 [Personenfahndung, Strafregister, KPA, ZMR, IZR,...], ein Sozialversicherungsdatenauszug vom 07.09.2017 sowie der Stellungnahme vom 05.10.2017) ergeben würden. Dazu wurde insbesondere ausgeführt:

"Die Feststellungen hinsichtlich des Umstandes und der Modalitäten Ihrer Ausreise und des hiermit zusammenhängenden Verdachtes der Verbrechen nach §§ 278a und 278b StGB, ergeben sich zweifelsfrei aus den detaillierten, sorgfältigen und auf eine Vielzahl von Quellen gestützten Ermittlungen des LVT XXXX und den diesbezüglichen Berichten vom 06.09.2016 bzw 01.08.2017, GZ: XXXX . Dass sie sich im Umfeld der XXXX radikalisiert haben geht nicht nur aus den zuvor genannten Berichten des LVT XXXX hervor, sondern auch aus Ihrer nachweislichen Nahebeziehung zu Personen aus dem näheren Umfeld dieser Moschee. Die von ihnen ausgehende Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich im Falle ihrer Rückkehr ergibt sich bereits eindeutig aus der diesbezüglichen Einschätzung des LVT, sowie aus den bereits zuvor angeführten Erwägungen hinsichtlich Ihrer destruktiven und extremistischen religiösen Überzeugungen. Ungeachtet, dass dieser Schluss durch das LVT als Grundlage für die Entscheidung der Behörde zu unterstellen ist, zumal das Landesamt für Verfassungsschutz als Spezialbehörde Zugang zu Informationen hat, die der entscheidenden Behörde verwehrt sind und logischerweise nicht davon auszugehen ist, dass derartige Informationen durch die Verfahrenspartei selbst dargetan werden, ist das Landesamt für Verfassungsschutz zur Überparteilichkeit, Objektivität, Angemessenheit, Konsequenz, Professionalität, Kompetenz und Transparenz und Kontrolle verpflichtet und werden zudem durch dieses sehr wohl strikte Beobachtungen der Vorgänge um religiöse Extremisten vorgenommen, und ist dieses auch mit anderen Geheimdiensten in der Informationsgewinnung eng vernetzt (vgl. BVwG vom 14.09.2017, W111 216931-1/3E). Daher ist die Heranziehung der Informationen des Landesamtes für Verfassungsschutz, die im Verfahren einem Gutachten durch die Behörde im Rahmen der Rechtshilfe beigegebene Sachverständige im Sinne des § 52 AVG gleichkommen, jedenfalls zulässig. Zumal Ihre staatsfeindliche Einstellung integraler Bestandteil Ihrer gelebten religiösen Überzeugung ist, war für die Behörde auch davon auszugehen, dass diese Gefährlichkeit jedenfalls auch in Hinkunft bestehen wird und keinesfalls von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden kann. Eine extrem negative Prognose in Bezug auf Ihren weiteren Aufenthalt in Österreich ist somit eindeutig ableitbar."

Mit Verfahrensanordnung vom 02.11.2017 wurde den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

2.3. Gegen die Bescheide wurde binnen offener Frist durch den Vertreter der BF Beschwerde erhoben. Darin wurden im Wesentlichen die Ausführungen in der Stellungnahme vom 05.10.2017 wiederholt. Dazu wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass aufgrund der in der österreichischen Strafprozessordnung verankerten Unschuldsvermutung ein gegen die BF1 eingeleitetes Ermittlungsverfahren dieser jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen könne. Solange kein rechtskräftiges Urteil zulasten der BF1 vorliege, könne der entsprechende Konventionspass nicht entzogen werden, geschweige denn über die BF ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt werden. Schon alleine unter dieser Prämisse stelle sich das bisher abgeführte Ermittlungsverfahren als mangelhaft dar, zumal bis zum heutigen Tage der genaue Aufenthaltsort der BF nicht eruierbar sei.

2.4. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 28.02.2020 wurde im Beisein des Vertreters der BF sowie eines Vertreters der belangten Behörde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Vom Vertreter der BF wurde im Wesentlichen dargetan, dass eine Kontaktaufnahme mit den BF, die im Bundesgebiet nach wie vor seit September 2016 nicht mehr gemeldet seien, nicht möglich gewesen sei. Er habe auch keine Kenntnis über Familienangehörige der BF im Bundesgebiet. Die Ermittlungsverfahren gegen die BF seien durch die Staatsanwaltschaft wegen unbekannten Aufenthaltes abgebrochen worden.

Seitens des Vertreters wurde insbesondere auf ein Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , verwiesen, wonach die "Mittäter der BF" u.a. wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB, des Verbrechens der kriminellen Organisation nach §278a StGB und wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, wobei zwei Jahre unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, rechtskräftig verurteilt wurden.

In dem in der Verhandlung dargetanen Urteil wurde u.a. festgestellt, dass beide Angeklagte im XXXX 2015 den abgesondert verfolgten älteren Bruder des BF2 mit dem Auto zum Flughafen XXXX transportiert haben, von wo dieser im XXXX 2015 in einer Linienmaschine in die Türkei geflogen sei, sich vor Ort seinen Kontaktpersonen angeschlossen und zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt an die Grenze zu Syrien gereist sei, von wo er schließlich mithilfe von Schleppern über die grüne Grenze nach Syrien in das von der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat kontrollierte Gebiet gelangt sei und seither für die terroristische Vereinigung Islamischer Staat kämpfe. Weiters wurde festgestellt, dass einer der Angeklagten in Begleitung der abgesondert verfolgten BF im XXXX 2016 zum Flughafen XXXX gefahren sei und mit den BF von dort in die Türkei geflogen sei, um nach Kontaktaufnahme mit dem abgesondert verfolgten Bruder des BF2 und mit Unterstützung von Schleppern über die grüne Grenze nach Syrien in das von XXXX kontrollierte Gebiet zu reisen und sich zur Stärkung der sozialen Infrastruktur im Herrschaftsgebiet dieser terroristischen Vereinigung anzusiedeln, wobei er sich aber noch in der Türkei von den BF getrennt habe und nach Österreich zurückgekehrt sei.

In der Beweiswürdigung wurde ausgeführt, dass die Beklagten sämtliche ihnen zur Last gelegten Tathandlungen zur Gänze zugegeben haben.

Weiters wurde seitens des Behördenvertreters auf Informationen verwiesen, wonach russische Staatsangehörige, die ebenso Gegenstand des Berichtes des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) XXXX vom XXXX 2016 gewesen seien, gleichfalls geplant haben, nach Syrien auszureisen um eine terroristische Organisation zu unterstützen, jedoch drei von diesen Personen beim versuchten Grenzübertritt von türkischen Sicherheitskräften festgenommen und in die Russische Föderation abgeschoben worden seien. In der Russischen Föderation wären sie aufgrund der Unterstützung einer terroristischen Organisation in Haft genommen worden, mittlerweile aus der Strafhaft entlassen worden und haben sich zumindest im Mai 2019 in der Russischen Föderation in XXXX aufhalten können.

In der Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Situation im Herkunftsland zu Kenntnis gebracht.

2.5. In einer Stellungnahme des Bundesamtes vom 24.02.2020 wurde auf einen beigeschlossenen Bericht des LVT XXXX vom XXXX .2020 verwiesen, demnach sich die BF1 laut Mitteilung einer nicht genannten Quelle vom XXXX in einem Flüchtlingslager in Nord-Syrien aufhalten würde. Trotz mehrfacher Urgenz hätten bis dato keine weiteren Erkenntnisse zur BF1 in Erfahrung gebracht werden können. Zum Verbleib des BF2 gebe es keine aktuellen Erkenntnisse. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens seien unbestätigte Gerüchte aufgekommen, wonach der BF2 im XXXX 2017 bei Kämpfen im Irak verstorben sein soll. Der Tod des Bruders des BF2 bei Kämpfen in Syrien im XXXX 2016 habe hingegen mehrfach bestätigt werden können. Weiters wurde auf den bereits in der Beschwerdeverhandlung erörterten Fall von russischen Staatsangehörigen, die der tschetschenischen Volksgruppe angehören, hingewiesen, die nach einem vergeblichen Versuch nach Syrien einzureisen und sich einer terroristischen Organisation anzuschließen von türkischen Behörden ins Herkunftsland abgeschoben worden seien, hingewiesen und dazu ein anonymisierter Bericht des LVT XXXX vom XXXX 2019 beigelegt. Dem Bericht zufolge seien die russischen Staatsangehörigen aus Tschetschenien nach der Abschiebung in die Russische Föderation dort teils für wenige Tage teils für einige Monate angehalten worden. Angaben eine Schwester von Betroffenen in einer Einvernahme beim LVT im Mai 2019 zufolge, würden diese sich unter der Auflage, XXXX für 8 Jahre nicht verlassen zu dürfen und sich immer wieder bei der Polizei zu melden, dort ohne Probleme bei Verwandten aufhalten können.

2.6. Mit Beschluss der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX .2018 wurde das Strafverfahren gegen den BF2 wegen §§ 278b Abs. 2, 278a StGB mangels vorliegender inländischer Gerichtsbarkeit gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF2 bereits vor Eintritt der Strafmündigkeit das Bundesgebiet verlassen habe und sich nach Eintritt der Strafmündigkeit dauerhaft außerhalb des österreichischen Bundesgebietes (vermutlich) in Syrien oder im Irak aufhalte, weshalb keine inländische Zuständigkeit gemäß § 62 StGB (strafbare Handlung im Inland) bestehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die BF, eine Mutter und ihr minderjähriger Sohn, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an, sind Muslime und stammen aus Tschetschenien.

Sie reisten am 23.12.2004 gemeinsam illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Asylantrag. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25.11.2005, Zlen. 04 25.720-BAG (BF1) und 04 25.722-BAG (BF2), wurden den Asylanträgen der BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 1997/76, stattgegeben und festgestellt, dass ihnen gemäß § 12 AsylG kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dies wurde im Wesentlichen mit dem Vorbringen der BF1 begründet, dass ihr Gatte im XXXX , weil er als Arzt tschetschenische Kämpfer behandelt habe, von föderalen Kräften verschleppt und getötet worden sei, wobei die BF2 bei diesem Vorfall bedroht worden sei.

Es kann aktuell im Herkunftsstaat keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer diesbezüglichen Verfolgung oder auch sonst einer maßgeblichen Gefährdung der BF im Herkunftsstaat mehr festgestellt werden.

Die BF sind seit XXXX 2016 nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie im XXXX 2016 aus dem Bundesgebiet in die Türkei ausgereist sind, um nach Syrien in das vom IS kontrollierte Gebiet zu reisen, um sich der terroristischen Vereinigung dort anzuschließen und diese zu unterstützen.

Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass die Behörden des Herkunftsstaates von diesem Umstand Kenntnis erlangt haben.

Der aktuelle Aufenthaltsort der BF kann nicht festgestellt werden. Sie wurden im XXXX 2016 von ihrer letzten Meldeadresse im Bundesgebiet abgemeldet, seither ist keine Meldung im Bundesgebiet mehr erfolgt.

Es halten sich keine Familienangehörigen der BF im Bundesgebiet auf.

Die BF verfügen über Verwandte im Herkunftsland.

Die BF1 verfügt über eine Berufsausbildung als XXXX und über entsprechende Berufspraxis im Herkunftsland. Der BF hat in Österreich die Schule besucht.

2. 1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel. Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 5.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

- Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

- ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 30.9.2019

- OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 6.8.2019

- Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

- Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

- Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute "föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

- GKS - Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019, https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

- Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 6.8.2019

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

- BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

- Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ?Wilajat Kavkaz', eine ?Provinz Kaukasus', als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ?Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleichsweise höchsten Anzahl an extremistischen Kämpfern. Die Art des Aufstands hat sich jedoch geändert: aus großen kampferprobten Gruppierungen wurden kleinere, im Verborgenen agierende Gruppen (ÖB Moskau 12.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2018).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan im vergangenen Jahr die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz. Im gesamten Nordkaukasus sind von Jänner bis Juni 2019 mindestens 31 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen. Das ist fast die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als es mindestens 63 Opfer waren. In der ersten Jahreshälfte 2019 umfasste die Zahl der Konfliktopfer 23 Tote und acht Verletzte. Zu den Opfern gehören 22 mutmaßliche Aufständische und eine Exekutivkraft. Verwundet wurden sieben Exekutivkräfte und ein Zivilist. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag Kabardino-Balkarien mit der Zahl der erfassten Opfer, neun Tote und ein Verletzter, an der Spitze. Als nächstes folgt Dagestan mit mindestens neun Toten, danach Tschetschenien mit zwei getöteten Personen und vier Verletzten. In Inguschetien wurde eine Person getötet und drei verletzt; im Gebiet Stawropol wurden zwei Personen getötet. Dagestan ist führend in der Anzahl der bewaffneten Vorfälle - mindestens vier bewaffnete Zusammenstöße fanden in dieser Republik in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 statt. Im gleichen Zeitraum wurden in Kabardino-Balkarien drei bewaffnete Vorfälle registriert, zwei in Tschetschenien, einer in Inguschetien und im Gebiet Stawropol. Seit Anfang dieses Jahres gab es in Karatschai-Tscherkessien und in Nordossetien keine Konfliktopfer und bewaffneten Zwischenfälle mehr (Caucasian Knot 30.8.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 3.9.2019

- Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

- DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 3.9.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3%. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurden in Tschetschenien zwei Personen getötet und vier verletzt (Caucasian Knot 30.8.2019). Seit Jahren ist im Nordkaukasus nicht mehr Tschetschenien Hauptkonfliktzone, sondern Dagestan (ÖB Moskau 12.2018).

Quellen:

- Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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