TE Bvwg Beschluss 2020/5/13 W151 2218931-2

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

ASVG §410
ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §14
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W151 2218931-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über den Vorlageantrag vom 15.05.2019 des Beschwerdeführers XXXX , XXXX , vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG, Am Heumarkt 9/1/11, 1030 Wien in Verbindung mit der Beschwerde gegen die Beschwerdevorentscheidung der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse), vom 26.04.2019, GZ. XXXX , wegen § 67 Abs. 10 iVm. § 58 Abs. 5 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) und § 14 Veraltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) beschlossen:

A)

I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 26.04.2019 wird infolge Unzuständigkeit der Behörde gemäß § 28 Abs. 1 und § 14 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

II. Der Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse vom 24.05.2018, GZ. XXXX , wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Österreichische Gesundheitskasse zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Parteiengehör vom 21.12.2017 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF) mit, dass er als Geschäftsführer der Beitragskontoinhaberin XXXX (im Folgenden: Beitragsschuldnerin) für einen Beitragsrückstand in Höhe von ? 59.890,38 zzgl. Verzugszinsen aus dem Zeitraum März 2017 bis Juli 2017 hafte. Beigelegt war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG.

2. Mit Bescheid vom 24.05.2018 stellte die belangte Behörde fest, dass der BF als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG verpflichtet sei, die von dieser zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren im Betrage von ? 39.612,39 zzgl. Verzugszinsen zu bezahlen. Beigelegt war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG.

Begründend wurde ausgeführt, dass die ausgewiesenen Beiträge unbeglichen seien. Über das Vermögen der Beitragsschuldnerin sei ein Konkursverfahren eröffnet worden, die Beiträge seien somit uneinbringlich. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für zu entrichtenden Beiträge insofern haften, als diese infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden können. Der BF sei als Geschäftsführer zur Vertretung der Beitragsschuldnerin berufen und hätte dafür zu sorgen, dass Beiträge ordnungsgemäß entrichtet werden. Dies sei schuldhaft unterblieben.

3. In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 20.06.2018 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass über das Vermögen der Beitragsschuldnerin zu XXXX am 06.09.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, welches nach Bestätigung des Sanierungsplans mit einer Quote in Höhe von 35% am 16.03.2018 beendet worden sei. Die im Insolvenzverfahren ausgeschüttete Quote sei im Rückstandsausweis nicht berücksichtigt worden und ein im Rückstandsausweis inkludierter Betrag von EUR 20.000,00, der auf eine erfolgreiche Anfechtung im Insolvenzverfahren zurückzuführen sei, sei bereits vor Insolvenzeröffnung beglichen worden. Diesbezüglich liege keinesfalls ein schuldhaftes Handeln des BF vor. Die Zahlungsunfähigkeit des BF sei insbesondere dadurch verursacht worden, da sich der BF aufgrund einer unvorhergesehenen Erkrankung in der Zeit von 16.02.2017 bis 29.03.2017 in stationärer Behandlung befunden habe und sich unmittelbar nach Entlassung eine schwere Kopfverletzung zugezogen habe. Dadurch sei der BF in der Führung seiner Geschäfte eingeschränkt gewesen und sei der Betrieb deshalb in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Der IEF schulde dem zur Beitragseinhebung zuständigen Sozialversicherungsträger die Dienstnehmeranteile und sei eine seitens des IEF erfolgte Zahlung im Haftungsverfahren nicht berücksichtigt worden.

4. Mit Parteiengehör vom 14.11.2018 informierte die belangte Behörde, dass nach Rechtsprechung des VwGH Zahlungen, die erfolgreich angefochten wurden, bei der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht zu berücksichtigen seien. Der BF wurde ersucht, Nachweise der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit sämtlichen anderen Verbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin vorzulegen.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 26.04.2019, zugestellt am 02.05.2019, wies die belangte Behörde die Beschwerde des Beschwerdeführers ab. Begründend wurde ausgeführt, dass der Haftungsbescheid nur über die nach Abschluss des Sanierungsplans in Höhe von 35% restliche offene Forderung von 65% erfolgt ist. Nach Rechtsprechung des VwGH seien Zahlungen, die erfolgreich angefochten worden seien, bei der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht zu berücksichtigen. Der Dienstgeber habe darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen habe. Der BF habe keine Unterlagen vorgelegt, um die Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit sämtlichen anderen Verbindlichkeiten nachzuweisen.

6. Mit Schreiben vom 15.05.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 12.07.2019 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Behebung der Beschwerdevorentscheidung:

Der BF hat mit Schriftsatz vom 20.06.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben. In der Folge hat die belangte Behörde am 26.04.2019, zugestellt am 02.05.2019, einen als Beschwerdevorentscheidung bezeichneten und ausdrücklich auf § 14 VwGVG gestützten Bescheid erlassen. Die zweimonatige Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beginnt mit dem Einlangen der Beschwerde bei der Behörde. Gegenständlich wurde die Beschwerdevorentscheidung nicht innerhalb dieser Frist erlassen; zwischen Einlangen der Beschwerde und Erlassung des Bescheides liegt ein Zeitraum von knapp zehn Monaten. Die Behörde war zur Erlassung der der ergangenen Beschwerdevorentscheidung nicht mehr zuständig. Diese war daher von Amts wegen zu beheben.

Zur Behebung des Erstbescheides und Zurückverweisung:

Die Feststellungen gründen sich auf den im Verfahrensgang angeführten Sachverhalt.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von dieser Bestimmung erfasst.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

2.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2.3. Prüfungsumfang und Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts:

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: "Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1, 2 und 3 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

2.4. Zur Behebung der Berufungsvorentscheidung wegen Unzuständigkeit infolge von Verspätung:

Gemäß § 14 VwGVG steht es der Behörde frei, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung).

Gegenständlich hat der BF mit Schriftsatz vom 20.06.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben. In der Folge hat die belangte Behörde am 26.04.2019, zugestellt am 02.05.2019, einen als Beschwerdevorentscheidung bezeichneten und ausdrücklich auf § 14 VwGVG gestützten Bescheid erlassen.

Die zweimonatige Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beginnt mit dem Einlangen der Beschwerde bei der Behörde (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 14 VwGVG). Gegenständlich wurde jedoch die Beschwerdevorentscheidung nicht innerhalb dieser Frist erlassen; zwischen Einlangen der Beschwerde und Erlassung des Bescheides liegt ein Zeitraum von knapp zehn Monaten. Versäumt die Behörde die Frist für die Beschwerdevorentscheidung, so geht die Zuständigkeit zur Entscheidung ex lege auf das Verwaltungsgericht über. Eine nach Verstreichen der Zwei-Monats-Frist ergangene Beschwerdevorentscheidung ist daher mangels Zuständigkeit der Behörde rechtswidrig, sodass sie im Falle der Erhebung eines Vorlageantrages vom Verwaltungsgericht gemäß § 27 VwGVG von Amts wegen zu beheben ist.

Die Beschwerdevorentscheidung vom 26.04.2019 war sohin mangels Zuständigkeit der belangten Behörde ersatzlos zu beheben.

Im gegenständlichen Verfahren ist daher nur der Erstbescheid im Rechtsbestand und hat folglich das Bundesverwaltungsgericht nur über diesen zu entscheiden.

2.5. Zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

§ 67 Abs. 10 ASVG sanktioniert die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. Die Verletzung dieser Pflichten muss dafür kausal sein, dass Beiträge nicht entrichtet und später uneinbringlich wurden. Die Verletzung der genannten Pflichten muss schuldhaft erfolgt sein. Bei der Frage der schuldhaften Nichtentrichtung von Beiträgen kommt es auf das im Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Beiträge gesetzte Verhalten des Vertreters an. (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 107-115 zu § 67 Abs. 10 ASVG).

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Der Sorgfaltsmaßstab des § 58 Abs. 5 ASVG ist daher auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Zufolge VwGH 98/08/0191 ist eine für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zu prüfende Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auf die Fälle der §§ 111 und 114 Abs. 2 ASVG i.d.a.F. zu beschränken. Nur wenn Beiträge als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft begangenen Meldepflichtverletzung oder als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener DienstnehmerInnen-Beiträge uneinbringlich wurden, besteht für den hier zu prüfenden Beobachtungszeitraum Haftung im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG. Für diese Beiträge haftet der der Vertreter ohne Rücksicht auf eine Gläubigerbenachteiligung zur Gänze (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 89 zu § 67 Abs. 10 ASVG mit Verweis auf VwGH 2013/08/0006).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist die Haftung der in § 67 Abs. 10 ASVG genannten Personen nur dann gegeben, wenn erstens die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Gesellschaft feststeht, zweitens eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch die genannten Personen vorliegt und drittens die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf diese schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

2.5.1. Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden:

Die Uneinbringlichkeit der Abgaben liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (Hinweis E 8.11.1978, 1199/78; Hinweis Ritz, Kommentar zur BAO/2, Tz 5f zu § 9). Aus der Konkurseröffnung allein ergibt sich zwar noch nicht zwingend die Uneinbringlichkeit (Hinweis E 26.6.1996, 95/16/0077, VwSlg 7105 F/1996), diese ist aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht befriedigt werden kann; diesfalls ist daher kein Abwarten der vollständigen Abwicklung des Konkurses erforderlich (vgl. VwGH 22.09.1999, 96/15/0049 mwN).

Im Beschwerdefall ergibt sich aus den im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Unterlagen und dem Vorbringen des BF, dass über das Vermögen der Beitragsschuldnerin mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 06.09.2017 zu XXXX das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, welches durch rechtskräftige Bestätigung des angenommenen Sanierungsplans am 16.03.2018, mit welchem eine Quote in Höhe von 35% angeboten wurde, endete.

Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte steht damit die Uneinbringlichkeit der Abgaben fest.

2.5.2. Zur Höhe der rückständigen Beiträge:

Weitere Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass diese Beiträge der Höhe nach bestimmt sind.

Die belangte Behörde hat dem bekämpften Bescheid einen Rückstandsausweis vom 24.05.2018 zugrunde gelegt, wobei neben der Summe der Beiträge Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG (gerechnet bis 23.05.2018) auch Nebengebühren angegeben wurden. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. OGH RlS-Justiz RS0040429 mwN).

Die im Rückstandsausweis enthaltene Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen ist für das gegenständliche Verfahren hinreichend. Einer weiteren Klarstellung, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetzt, bedarf es nicht (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Die Höhe der rückständigen Beiträge steht somit fest.

2.5.3. Zur schuldhaften und rechtswidrigen Pflichtverletzung des Beschwerdeführers:

Die Behörde gründete die Haftung des BF nach § 67 Abs. 10 ASVG auf dessen Eigenschaft als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Die Eigenschaft des BF als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin steht als unstrittig fest.

a) Zur Frage der schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge:

Als weitere Voraussetzung für den Haftungseintritt muss auch eine für die Uneinbringlichkeit der Beiträge schuldhafte Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten vorliegen. Welche Pflichten den Geschäftsführer gegenüber dem zuständigen Krankenversicherungsträger treffen, ist in § 67 Abs. 10 ASVG nicht geregelt.

Von der Lehre und Rechtsprechung werden als schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG [i.V.m. § 58 Abs. 5 leg.cit] neben den hier nicht gegenständlichen Meldeverstößen im Sinne des § 111 leg.cit i.V.m. § 9 VStG (verst. Senat vom 12.12.2000, Zl. 98/08/0191, 0192 [Slg. Nr. 15528/A]) und die Ungleichbehandlung von Sozialversicherungsbeiträgen und das - hier gegenständliche -Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen angesehen.

Die Haftung des Vertreters gemäß § 67 Abs. 10 ASVG setzt somit voraus, dass dieser tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen hat. Zwar wäre es Aufgabe des BF, nachzuweisen, dass ihn kein Verschulden an der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung trifft. Damit dieser Beweis aber überhaupt angetreten werden kann, muss aber die Behörde die dem BF zur Last gelegte Pflichtverletzung in einer Weise spezifizieren, die das Antreten eines Gegenbeweises überhaupt ermöglicht. Die Beweislastregelung, wonach es Sache des Vertreters der Beitragsschuldnerin sei, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, betrifft lediglich das Verschulden, nicht aber das Vorliegen der Pflichtverletzung selbst.

Ob eine derartige Pflichtverletzung vorliegt, hat die belangte Behörde im Sinne des § 39 Abs. 2 AVG somit von Amts wegen zu prüfen (vgl. VwGH 14.04.2010, 2010/08/0001).

Der bekämpfte Bescheid stützt sich allein auf die Eigenschaft des BF als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Ein Ermittlungsverfahren mit Parteiengehör zu allfälligen Verschulden des BF ist dem Akt nicht zu entnehmen, sodass folglich der bekämpfte Bescheid dazu auch keine Feststellungen trifft. Die belangte Behörde hat somit nicht dargelegt, ob die Nichtabfuhr der einbehaltenen Dienstnehmerbeiträge dem BF schuldhaft zur Last gelegt werden kann.

Dies hat die belangte Behörde im nachfolgenden Verfahren nachzuholen und sodann dem BF im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit zu geben, Beweise zur Frage der Schuldhaftigkeit der unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu erbringen.

b) Zur Kausalität der Pflichtverletzung:

Schließlich wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, amtswegig ein Ermittlungsverfahren zu führen, zu prüfen und dann im Bescheid dazu Feststellungen zu treffen, ob die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf eine - falls festgestellt - schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist. Dies kann etwa durch Einsicht in den Firmen-/Konkursakt geschehen, Einvernahme des BF und sonstiger Unternehmensverantwortlicher, um sich ein Bild über die Geschäftslage im verfahrensrelevanten Zeitraum zu machen, Einvernahme von sonstigen mit der Geschäftsgebarung be- und vertrauten Personen (Steuerberater, Rechtsanwalt, Mitarbeiter), Prüfung der Unterlagen des Unternehmens, allenfalls durch Bestellung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen sowie - im Hinblick auf das gegenständliche Vorbringen zu allfälligen Erkrankungen des BF - in die verfügbaren medizinischen Unterlagen des BF. Die Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens sind dem BF ins Parteiengehör zu übermitteln. Danach ist ein neuer rechtskonformer und nachprüfbarer Bescheid zu erlassen.

2.6. Zulässigkeit der Zurückverweisung:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2015/04/0019 vom 24.06.2015 ausgesprochen hat, stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Das mit § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Indem die belangte Behörde den maßgebenden Sachverhalt im Hinblick auf die Voraussetzungen der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG in wesentlichen Punkten nicht oder nur ansatzweise ermittelt hat, hat sie im Ergebnis - auch - durch ihre Verfahrensführung und den angefochtenen Bescheid die wesentliche Ermittlungs- und Begründungstätigkeit unterlassen und damit an die Rechtsmittelinstanz delegiert (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063). Es ist in erster Linie die Aufgabe der Erstbehörde als Tatsacheninstanz zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sich sachgerecht mit dem Antrag auseinanderzusetzen, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig festzustellen, ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen und diese zentrale Aufgabe nicht an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren.

Eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht wäre im vorliegenden Fall auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen und wäre - insbesondere angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden.

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das hg. Erkenntnis hält sich an die darin zitierte Judikatur des VwGH.

Schlagworte

Beschwerdevorentscheidung Ermittlungspflicht Fristablauf Geschäftsführer Haftung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pflichtverletzung Unzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W151.2218931.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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