TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/15 W146 2017740-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W146 2017740-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2020, Zl. 831270907/191306550, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 30.12.2004 gemeinsam mit seiner Mutter XXXX und seiner Schwester XXXX illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, nachdem er bereits zuvor am 21.12.2004 in Polen einen Asylantrag eingebracht hatte.

Mit Bescheid vom 24.01.2005, Fz. 04 26.132-EAST West, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Polen gemäß Art. 13 iVm 16 (1) c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

Dagegen wurde fristgerecht Berufung erhoben.

Am 15.03.2005 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Mutter und seiner Schwester durch. Nach Schluss der Verhandlung wurde der mündliche Bescheid verkündet, wonach die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 5, 5a AsylG 1997 idgF abgewiesen wurde. Am XXXX .03.2005 erfolgte die schriftliche Ausfertigung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates zur Zahl XXXX .

Mit Schreiben an das Bundesasylamt vom 08.04.2005 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens gemäß § 69 AVG, begründet mit der psychischen Traumatisierung seiner Mutter und dem Umstand, dass diese Traumatisierung erst nach Abschluss des Verfahrens ohne Verschulden der Beschwerdeführer hervorgekommen sei.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.07.2005 wurde das mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX .03.2005 rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren des Beschwerdeführers gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG "vom 08.04.2005" von Amts wegen wiederaufgenommen. Weiters wurde gemäß § 32a Abs. 1 AsylG der Berufung "vom XXXX .03.2005" gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.01.2005, Zl. "04 26.129", stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Am 12.08.2005 wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers zugelassen und dem Beschwerdeführer eine vorläufige Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 36 AsylG übermittelt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.02.2006 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte die Identität und Nationalität des Beschwerdeführers fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers, seine Heimat wegen der allgemeinen Kriegssituation verlassen zu haben, seien glaubhaft, aber nicht asylrelevant. Eine aktive Teilnahme an Kampfhandlungen oder Begehungen von Kriegsverbrechen habe der Beschwerdeführer nicht behauptet.

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 14.02.2006 fristgerecht Berufung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben.

Laut Aktenvermerk des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.10.2006 wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt, da er nicht mehr im Melderegister aufscheine und sein Aufenthaltsort unbekannt sei.

Mit Schreiben vom 24.11.2006 ersuchte das Flüchtlingsreferat des Amtes der Kärntner Landesregierung um Wiederaufnahme des Verfahrens des Beschwerdeführers und legte einen aktuellen Meldezettel des Beschwerdeführers bei.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 29.12.2010 (Rechtskraft: 04.01.2011), XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 15, 127, 129 Z 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten, Probezeit drei Jahre, verurteilt.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX .09.2011 wurde die Beschwerde gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG 1997 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14.12.2011, Zl. U 2131/11-3, abgelehnt.

Der Beschwerdeführer wurde am 10.10.2011 einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. In weiterer Folge wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt und er wurde in das Polizeianhaltezentrum XXXX eingeliefert. Am 20.01.2012 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.02.2012 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 20.01.2012 gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und in Spruchpunkt II. des Bescheides der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 22.02.2012 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX .04.2012 wurde die Beschwerde gem. § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylgerichtshof in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zu dem Schluss komme, dass der Beschwerdeführer bereits in seinem ersten Asylverfahren sämtliche Gründe vollständig habe schildern können warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe und dass das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren jedenfalls keine Sachverhaltsänderung bewirke die asylrelevant wäre und einen glaubhaften asylrelevanten Kern aufweise.

Am 03.09.2013 brachte der Beschwerdeführer den dritten Antrag auf internationalen Schutz ein. Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 20.05.2013 in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Weitere EURODAC Treffer ergaben, dass der Beschwerdeführer bereits am 22.12.2004 in Polen, sowie am 30.12.2004 und am 20.01.2012 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz stellte.

Das Bundesasylamt richtete am 10.09.2013 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an die Schweiz. Mit einem am 17.09.2013 eingelangten Schreiben stimmte die Schweiz dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ausdrücklich zu.

Bei der Einvernahme durch das Bundesasylamt, EAST-Ost, am 23.10.2013, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass seine Familie dreieinhalb Jahre in der Schweiz gewesen sei.

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.12.2013 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der VO Nr. 343/2003 (EG) des Rates (Dublin II-VO) die Schweiz für die Prüfung dieses Antrages zuständig ist und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz ausgewiesen wird. Es wurde festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Schweiz gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig ist.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX vom 23.01.2014 (RK 23.01.2014), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 164 (2), 164 (4) 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 9 Monate bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt.

Mit Schriftsatz vom 03.03.2014 brachte der Beschwerdeführer in Ergänzung seiner Beschwerde im Wesentlichen vor, dass mit Erkenntnis des BVwG vom 20.01.2014 die bekämpften Bescheide der weiteren Familienmitglieder des Beschwerdeführers behoben worden seien. Dies da entsprechende Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand der Mutter des Beschwerdeführers unter der notwendigen einzelfallbezogenen Betrachtung seitens der 1. Instanz nicht im notwendigen Ausmaß erfolgt seien. Dieses Erkenntnis vom 20.01.2014 sei auch für das Verfahren des Beschwerdeführers zumindest mittelbar von Entscheidungsrelevanz.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2014 wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG idF BGBL I 144/2013 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Mit Eingabe vom 17.10.2014 wurde durch den Beschwerdeführer bekanntgegeben, dass den Eltern des Beschwerdeführers mit Bescheiden vom 10.10.2014 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre. Hingewiesen wurde auf das zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter bestehende Abhängigkeits- bzw. Pflegeverhältnis.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.09.2013 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ebenfalls abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers festgesetzt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zusammenfassend erwogen, der Beschwerdeführer habe im Asylverfahren keine asylrelevante Verfolgung in Zusammenhang mit der behaupteten Unterstützung von Widerstandskämpfern glaubhaft machen können; er habe im gegenständlichen Verfahren keine weiteren asylrelevanten Gründe vorgebracht und es habe sich kein neuer Sachverhalt ergeben. Unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers könne nicht festgestellt werden, dass diesem in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde. Der Beschwerdeführer habe seine Angaben aus den Vorverfahren aufrecht erhalten und ergänzend vorgebracht, dass Widerstandskämpfer nach ihm suchen würden.

Auch eine sonstige Bedrohungssituation des Beschwerdeführers, welcher in Tschetschenien über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge, habe nicht festgestellt werden können.

In Österreich würden die Eltern des Beschwerdeführers leben, seine Mutter leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, LWS-Syndrom und Tramadolabhängigkeit. Nicht festgestellt werden könne, dass sich die Anwesenheit des Beschwerdeführers in Österreich als unabdingbar für die Pflege seiner Mutter erweise. Der Beschwerdeführer sei nicht selbsterhaltungsfähig, verfüge über keine sozialen Kontakte in Österreich und sei im Bundesgebiet mehrfach straffällig geworden.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.05.2016 (RK 07.09.2016), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 83 (2), 84 (2) StGB, § 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.12.2017 (RK 14.02.2018), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 84 (4) StGB, § 15 StGB, § 144 (1) StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten verurteilt.

Am 29.10.2018 fand zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer, eine Dolmetscherin für die russische Sprache sowie die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers als Zeugen teilgenommen haben.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF: Nein.

R: Bitte schildern Sie mir Ihr Privat- und Familienleben in Österreich.

BF: Ich habe mit meiner Freundin in der XXXX gewohnt. Sie ist nach Serbien gefahren, sie ist eine Serbin. Sie ist immer noch meine Freundin, sie ist in Serbien und sie kommt wieder zurück.

R: Wann hat sie Sie das letzte Mal besucht?

BF: Sie wurde nicht reingelassen, das hat meine Mutter gesagt.

R: Wann war das?

BF: Als ich hier in XXXX gesessen habe. Nachgefragt, ungefähr vor acht Monaten. Nachgefragt, ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört.

R: Bitte schildern Sie mir Ihr Familienleben in Österreich bzw. Ihre familiären Bindungen.

BF: Meine Eltern leben hier. Ich hatte ein Problem, ich bin auf der Autobahn gefahren und ich wurde aufgehalten von der Polizei und deshalb hatte ich eine Gerichtsverhandlung und ich habe damals drei Jahre und zehn Monate bedingt bekommen. Sie haben selber dann nach zwei Jahren das berufen. Dann haben sich mich wieder festgenommen, sie haben von Schutzgeld (auf Deutsch) und Erpressung (auf Deutsch) gesprochen und es war deshalb auch eine Gerichtsverhandlung. Bei dieser Gerichtsverhandlung ist diese Person gekommen, der gesagt hat, dass er mich noch nie gesehen hat. Angeblich hat er etwas in einer Disko einen Konflikt mit jemanden gehabt, ich wurde auch an diesen Abend kontrolliert und sie haben mich beschuldigt, dass ich ihn geschlagen hätte. Dann hat diese Person gesagt, er hat mich noch nie gesehen. Dann so ähnlich war diese Geschichte mit Schutzgelder. Nachgefragt gebe ich an, ein Jahr sollte ich absitzen, weil ich Probleme mit der österreichischen Polizei hatte. Die beiden letzten Verurteilung geschah zu Unrecht, die Verurteilungen Schutzgeld und Erpressung. Nachgefragt gebe ich ebenfalls an, dass ich in Österreich ungerechtfertigt verurteilt wurde, jedoch auch in Österreich um Asyl ansuche, weil man mich in Russland umbringen kann.

R: Bitte schildern Sie mir Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern, insbesondere über die Zeit, vor Ihrer Inhaftierung.

BF: Normal.

R: Waren Ihre Eltern speziell auf Sie angewiesen?

BF: Nein. Ich habe einmal gesagt, ich sollte Vormund von meiner Mutter werden, weil sie krank ist.

R: Sie haben gerade angegeben, dass Ihre Eltern nicht speziell auf Sie angewiesen werden?

BF: Nein, sind sie nicht.

R: In der Beschwerdeschrift ist von einem "besonders tiefgreifenden emotionellen Abhängigkeitsverhältnis" die Rede.

BF: Meine Eltern haben sich so lange um mich gekümmert und haben mir alles gegeben, d. h., jetzt, wenn ich entlassen werde, werde ich mich um sie kümmern. Ich muss das zurückgegeben, was sie mir gegeben haben.

R: Haben Sie sich vor Ihrer Inhaftierung, speziell um Ihre Eltern gekümmert?

BF: Ja, ich habe sie regelmäßig besucht und habe für sie eingekauft. Wenn sie etwas gebraucht haben und mich angerufen haben, habe ich das natürlich erledigt.

R: Wer kümmert sich jetzt um Ihre Eltern?

BF: Jetzt, meine Schwester.

R: Haben Sie je mit Ihrem Eltern in Österreich unter einem Dach gewohnt?

BF: Nein, nur hin und wieder habe ich bei ihnen übernachtet.

...

R: Sind Sie je einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen?

BF: Ja, bei der Apfelernte, es waren mehreren Saisonen hindurch.

R: Haben Sie in Österreich Schulen besucht?

BF: Nein.

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

BF: Ich möchte, wenn ich dann freigelassen werde, hier leben, heiraten, Familie gründen und meinen Eltern helfen.

Zeugin, Mutter des Beschwerdeführer:

...

R: Bitte schildern Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn.

Z3: Sehr gut, ein sehr gutes Verhältnis. Nachgefragt, wie es üblich ist, von Mutter zu Sohn. Nachgefragt, ich wurde immer von meinem Sohn betreut. Dort, zu Hause und hier auch. Wenn ich krank war, ist er gekommen, auch als ich im Krankenhaus war. Er ist nach XXXX gekommen, obwohl es für ihn schwer war.

R: Wurden Sie jemals durch Ihren Sohn gepflegt oder war ein Pflegebedarf gegeben?

Z3: Ja, als ich im Krankenhaus war, ist er jeden Tag zu mir gekommen, er hat mich jeden Tag besucht.

R: Da wurden Sie durch das Krankenhauspersonal gepflegt, hat er Sie jemals zu Hause gepflegt?

Z3: Ja, natürlich bis zu seinem 18. Lebensjahr hat er bei uns gewohnt.

R: Von wem werden Sie jetzt betreut?

Z3: Mein Ehemann und meine Tochter.

Zeuge, Vater des Beschwerdeführers:

...

R an Z1: Sind Sie pflegebedürftig?

Z1: Nein, noch nicht, aber der Sohn soll bei uns sein, die Mutter ist sehr krank.

BF gibt an, weiterhin keine Fragen zu haben.

Die Zeugeneinvernahme des Z1 ist um 11:33 Uhr beendet.

Auf eine Vernehmung der Z2, Schwester des BF, wird verzichtet.

Der BF retourniert wieder das Länderinformationsblatt und wird keine Stellungnahme abgeben bzw. verzichtet auch auf die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme. (...)"

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.05.2019 wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat: "Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt."

Begründend wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt habe keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden können.

Ebenfalls nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer leide an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten; er sei eigenen Angaben zufolge gesund.

Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Der Beschwerdeführer habe seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung sowie im Rahmen des Strafvollzugs bestritten und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer habe sich während seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet (Dezember 2004 bis April 2012 sowie neuerlich ab September 2013) keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet und habe auch sonst keine maßgeblichen Integrationsbemühungen dargetan. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2009 als Saisonarbeiter bei der Apfelernte geholfen, darüberhinausgehende Aspekte einer Integration seien nicht ersichtlich. Den Eltern des Beschwerdeführers sei in Österreich im Oktober 2014 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, es könne jedoch nicht erkannt werden, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Eltern zu irgendeinem Zeitpunkt ein Pflege- oder Abhängigkeitsverhältnis vorgelegen habe. Der Beschwerdeführer befinde sich seit August 2017 in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft, habe mit seinen Eltern demnach zuletzt in keinem gemeinsamen Haushalt gelebt und diesen keine Unterstützung geleistet. Des Weiteren halte sich im Bundesgebiet eine Schwester des Beschwerdeführers auf, welche die Eltern unterstütze und zu der der Beschwerdeführer ebenfalls in keinem besonderen Naheverhältnis stehe. Der Beschwerdeführer habe eigenen Angaben zufolge eine Freundin, welche serbische Staatsangehörige sei und zu welcher er zum Entscheidungszeitpunkt seit Monaten keinen Kontakt mehr gehabt habe. In Österreich verfüge der Beschwerdeführer darüber hinaus über keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte.

Da der Beschwerdeführer keine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende aktuelle Bedrohung durch Verfolgungshandlungen habe glaubhaft machen können, liege die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl nicht vor, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe.

Weder aus den Angaben des Beschwerdeführers zu den Gründen, die für seine Ausreise aus seinem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens sei im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen.

Im Bundesgebiet würden die Eltern des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigte leben, außerdem halte sich eine Schwester des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der volljährige Beschwerdeführer habe anlässlich der zuletzt abgehaltenen Beschwerdeverhandlung ausdrücklich hervorgehoben, dass zu seinen im Bundegebiet aufhältigen Angehörigen kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis bestehe und seine Mutter auch nicht auf Pflege durch seine Person angewiesen sei.

Gehe man im vorliegenden Fall - angesichts der mehrjährigen Aufenthaltsdauer - von einem bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich aus, falle die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen habe, zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

Allfälligen privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet stehe zudem insbesondere sein mehrfach straffälliges Verhalten entgegen, welches sich in seiner Intensität zuletzt deutlich gesteigert habe. Der Beschwerdeführer sei während seiner Aufenthalte im Bundesgebiet wegen der Begehung eines Einbruchsdiebstahls, Hehlerei sowie zuletzt zweimal aufgrund schwerwiegender Körperverletzungsdelikte sowie wegen Erpressung zu nicht unerheblichen unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden.

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat sei gegeben, da nach den getroffenen Länderfeststellungen keine Gründe vorliegen würden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergebe.

Zum gegenständlichen Verfahren:

Mit Schreiben des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 23.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Parteiengehör bezüglich eines Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem befristeten Einreiseverbot und zur Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung, zur Stellungnahme in die Justizanstalt Stein übermittelt.

Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers erfolgte nicht.

Mit Bescheid des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe. Er sei volljährig und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer leide aktenkundig an keinen schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankungen und sei eigenen Angaben zufolge gesund.

Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Der Beschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung sowie im Rahmen des Strafvollzugs und sei nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer habe sich während seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet (Dezember 2004 bis April 2012 sowie neuerlich ab September 2013) keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet und habe auch sonst keine maßgeblichen Integrationsbemühungen dargetan.

Den Eltern des Beschwerdeführers sei in Österreich im Oktober 2014 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, es könne jedoch nicht erkannt werden, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Eltern zu irgendeinem Zeitpunkt ein Pflege- oder Abhängigkeitsverhältnis vorgelegen habe.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit August 2017 in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft, habe mit seinen Eltern demnach zuletzt in keinem gemeinsamen Haushalt gelebt und diesen keine Unterstützung geleistet. Des Weiteren halte sich im Bundesgebiet eine Schwester des Beschwerdeführers auf, welche die Eltern unterstütze und zu der der Beschwerdeführer ebenfalls in keinem besonderen Naheverhältnis stehe.

Im Strafregister der Republik Österreich würden vier Verurteilungen aufscheinen.

Die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet sei wegen der Schwere der vom Beschwerdeführer über viele Jahre begangener Straftaten einem geordneten Fremdenwesen unterzuordnen. Die Tatbegehungen, nämlich massive Verstöße gegen die körperliche Integrität und das Privateigentum anderer würden die Annahme rechtfertigen, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv. Eine positive Zukunftsprognose müsse im Fall des Beschwerdeführers vehement verneint werden. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot sei somit zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen dringendst geboten.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Geltend gemacht werde die Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Entscheidung sowie deren Rechtswidrigkeit infolge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften.

Erstens sei anzuführen, dass keine Einvernahme des Beschwerdeführers erfolgt sei. Auch sei der Beschwerdeführer nicht vom Ergebnis der Beweisaufnahme schriftlich verständigt und auch nicht aufgefordert worden, sich dazu schriftlich zu äußern. Dadurch sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden.

Es wäre insbesondere zur Erstellung einer Gefährdungsprognose und der Beurteilung der tiefgreifenden familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers zu seiner Familie, die in Österreich aufhältig sei, erforderlich gewesen, dass sich die belangte Behörde ein persönliches Bild vom Beschwerdeführer mache.

Hinsichtlich des Unterbleibens einer Einvernahme im Verfahren sei auf die einschlägige Judikatur des VwGH verwiesen. Im durchgeführten Verfahren sei der Beschwerdeführer keinerlei persönlichen Befragung unterzogen worden, was in Anbetracht des vorgebrachten Familienlebens des Beschwerdeführers einen gravierenden Ermittlungsmangel darstelle.

Umso erstaunlicher seien die Feststellungen der Behörde, dass kein Naheverhältnis zu den Familienangehörigen bestehen würde. Da die Behörde es verabsäumt habe, ihrer Ermittlungspflicht nachzukommen, seien diese Feststellungen letztlich unbegründet geblieben.

Mangels persönlicher Einvernahme des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde auch bezüglich der bei Erlassung des Einreiseverbotes vorzunehmenden Gefährdungsprognose einen wesentlichen Ermittlungsschritt unterlassen, indem sie sich nicht einen persönlichen Eindruck verschafft habe, sondern bloß aufgrund der - für sich unzureichenden - Aktenlage entschieden habe. So habe es die Behörde beispielweise unterlassen festzustellen, wie sich der Kontakt zu seiner Familie gestalte, ob er mittlerweile eine Therapie begonnen habe, wie er sich in der Haft verhalte.

Im vorliegenden Fall stütze sich das BFA bei der Erlassung des Einreiseverbotes zudem ausschließlich auf die Verurteilungen des Beschwerdeführers. Das BFA habe es jedoch unterlassen zu prüfen, ob ein Privat- und Familienleben in Österreich tatsächlich bestehe sowie eine individualisierte Gefährlichkeitsprognose zu treffen. Diesbezüglich sei abermals anzumerken, dass keine Einvernahme des Beschwerdeführers stattgefunden habe. Auch sei der Beschwerdeführer nicht vom Ergebnis der Beweisaufnahme schriftlich verständigt worden. Der Beschwerdeführer habe daher auch keine Möglichkeit gehabt, sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern.

Das BFA stütze die Erlassung des Einreiseverbotes auf die Verurteilung des Beschwerdeführers und meine, die Begehung dieser Straftat rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährde. Das BFA berücksichtige im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht, dass der mögliche Strafrahmen (5 Jahre bei einer Verurteilung nach § 84 Abs. 4 StGB) nicht voll ausgeschöpft worden sei. Die belangte Behörde habe bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes jedoch keine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen, sodass nicht nachvollziehbar sei, aufgrund welcher Annahme das BFA zum Ergebnis komme, dass die Dauer von 10 Jahren angebracht sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und dem islamischen Glauben zugehörig. Er reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester erstmals im Dezember 2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.12.2004 einen ersten Asylantrag. Dieses Verfahren auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX .09.2011 rechtskräftig abgeschlossen, wobei der Asylantrag abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung seiner Person in die Russische Föderation für zulässig erklärt und die Ausweisung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat verfügt wurde.

Am 20.01.2012 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Das diesbezügliche Verfahren wurde mit rechtskräftiger Entscheidung des Asylgerichtshofes vom XXXX .04.2012 mit welcher die zu beurteilende Beschwerde gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen wurde, abgeschlossen.

Der Beschwerdeführer wurde am 06.04.2012 auf dem Luftweg in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.

In der Folge reiste der Beschwerdeführer neuerlich aus dem Herkunftsstaat in Europa ein und stellte am 10.05.2013 in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz. Nachdem über den dortigen Antrag eine abweisende Entscheidung getroffen worden war, begab sich der Beschwerdeführer abermals illegal nach Österreich und stellte am 03.09.2013 den dritten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten; er ist eigenen Angaben zufolge gesund. In der Russischen Föderation (Tschetschenien) besteht im Übrigen eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger gesundheitlicher Leiden auch im Herkunftsstaat ausreichend behandelt werden könnte.

Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

1.) LG für Strafsachen XXXX XXXX vom 29.12.2010 (RK 04.01.2011)

§§ 15, 127, 129 Abs. 2 StGB

Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

2.) LG für Strafsachen XXXX XXXX vom 23.01.2014 (RK 23.01.2014)

§§ 164 Abs. 2 und 4 2. Fall StGB

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 9 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

3.) LG XXXX XXXX vom 17.05.2016 (RK 07.09.2016)

§§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 StGB

§ 15 StGB § 269 Abs. 1 1. Fall StGB

Freiheitsstrafe 1 Jahr

4.) LG XXXX XXXX vom 06.12.2017 (RK 14.02.2018)

§§ 83 Abs. 4 StGB

§ 15 StGB § 144 Abs. 1 StGB

Freiheitsstrafe 30 Monate

Im Kriminalpolizeilichen Akt des Beschwerdeführers befinden sich insgesamt 14 Einträge, darunter Entwendung, Diebstahl durch Einbruch, gewerbsmäßiger Diebstahl, mehrmaliger Suchtmittelbesitz, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, Raub und Gebrauch fremder Ausweise.

Mit Bescheid der LPD XXXX vom 17.07.2017 wurde über den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Waffenverbot verhängt.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Der Beschwerdeführer bestritt seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung sowie im Rahmen des Strafvollzugs und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer eignete sich während seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet (Dezember 2004 bis April 2012 sowie neuerlich ab September 2013) keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse an und hat auch sonst keine maßgeblichen Integrationsbemühungen dargetan. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2009 als Saisonarbeiter bei der Apfelernte geholfen, darüberhinausgehende Aspekte einer Integration sind nicht ersichtlich. Den Eltern des Beschwerdeführers wurde in Österreich im Oktober 2014 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, es kann jedoch nicht erkannt werden, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Eltern zu irgendeinem Zeitpunkt ein Pflege- oder Abhängigkeitsverhältnis vorgelegen hat. Der Beschwerdeführer befindet sich seit August 2017 in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft, hat mit seinen Eltern demnach zuletzt in keinem gemeinsamen Haushalt gelebt und diesen keine Unterstützung geleistet. Weiters hält sich im Bundesgebiet eine Schwester des Beschwerdeführers auf, welche die Eltern unterstützt und zu der der Beschwerdeführer ebenfalls in keinem besonderen Naheverhältnis steht. Der Beschwerdeführer hatte eigenen Angaben zufolge eine Freundin, welche serbische Staatsangehörige ist und zu welcher er nunmehr seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer darüber hinaus über keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte. In Tschetschenien verfügt der Beschwerdeführer über mehrere entfernte Verwandte, zudem hat er soziale Bezugspersonen in Inguschetien. Dem Beschwerdeführer ist es als jungem gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter, welcher Russisch und Tschetschenisch spricht, möglich, seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation selbständig zu bestreiten.

Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers werden die folgenden Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel.

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https:// www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/ publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff

5.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

- Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

- ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019

- OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 6.8.2019

- Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

- Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

- Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute "föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- GKS - Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019, https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

- Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 6.8.2019

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

- BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

- Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ?Wilajat Kavkaz', eine ?Provinz Kaukasus', als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ?Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des AntiTerrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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