TE OGH 2020/5/12 12Os46/20m

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Veröffentlicht am 12.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen Przemyslaw P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 24. Jänner 2020, GZ 614 Hv 5/19w-54, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Przemyslaw P***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 14. Juni 2019 in W***** Lukasz O***** getötet, indem er ihm mit einem Klappmesser mehrere Stiche versetzte, wobei der Genannte an den im Bereich des Halses erlittenen Verletzungen aufgrund hochgradiger Bluteinatmung erstickte.

Die Geschworenen hatten die Hauptfrage 1./ nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB stimmeneinhellig bejaht. Die alternativ gefasste Zusatzfrage 1./ (§ 313 StPO) nach Notwehr (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB) und Putativnotwehr (§ 8 erster Satz iVm § 3 Abs 1 erster Satz StGB verneinten die Geschworenen stimmenmehrheitlich.

Die jeweils nach dem Frageschema nur im Fall der Bejahung der Zusatzfrage 1./ zu beantwortende Eventualfrage 1./ nach dem Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB infolge fahrlässiger Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt wurde stimmenmehrheitlich verneint, die nur bei Verneinung der Eventualfrage 1./ zu beantwortende Eventualfrage 2./ nach dem Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB infolge fahrlässig irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 zweiter Satz StGB) und die nur bei Verneinung der Eventualfrage 2./ zu beantwortende Eventualfrage 3./ nach dem Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB infolge fahrlässigem Putativnotwehrexzess aus asthenischem Affekt jeweils stimmeneinhellig verneint.

Hinzugefügt sei, dass die in den Ausfertigungen des Wahrspruchs ersichtlichen Durchstreichungen der Antworten der Geschworenen auf die Eventualfragen 1./ bis 3./ keine ausdrückliche Genehmigung durch eine vom Obmann der Geschworenen unterschriebene Bemerkung entsprechend dem letzten Satz des § 331 Abs 2 StPO aufweisen. Solcherart sind sie unbeachtlich (vgl Philipp, WK-StPO § 331 Rz 5).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 6, 9 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (§ 345 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 228 Abs 1 StPO) behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung, weil die Wiedereröffnung der Verhandlung am 24. Jänner 2020 um 16:16 Uhr stattgefunden habe, der Zugang zum Landesgericht für Strafsachen Wien ab 15:30 Uhr für die Öffentlichkeit jedoch nicht mehr möglich gewesen sei.

Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung vom 24. Jänner 2020 verkündete der Vorsitzende nach Wiedereröffnung der Verhandlung um 16:16 Uhr das Urteil (ON 53 S 33 f).

Laut der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs (ON 64) wurde seitens des Gerichts dafür Sorge getragen, dass die Zugangskontrolle zum Landesgericht für Strafsachen Wien am 24. Jänner 2020 bis 17:00 Uhr besetzt und der Zutritt der interessierten Öffentlichkeit demgemäß bis zu diesem Zeitpunkt gewährleistet war (vgl auch die Rechnung der H***** GmbH ON 63 iVm ON 45).

Solcherart hat das Erstgericht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um potentiellen Zuhörern während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung den Zutritt zum Verhandlungssaal zu ermöglichen. Die behauptete Nichtigkeit liegt daher nicht vor (vgl RIS-Justiz RS0117048 [insbesondere T3]).

Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und – im Fall dessen Bejahung – einen Schuldspruch wegen einer anklagedifformen gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Lässig, WK-StPO § 314 Rz 2). Bloß denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen können nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden (RIS-Justiz RS0102724, RS0100871 [insbesondere T12]).

Indem der Beschwerdeführer lediglich seine Verantwortung ins Treffen führt, er habe bloß „mit dem Messer herumgefuchtelt“ (ON 53 S 13 und 15) und zwei Mal „in die Richtung“ des Opfers gestochen (ON 6 S 61 iVm ON 53 S 32), ist nicht erkennbar, inwiefern solche Depositionen ein die begehrte Stellung einer

Eventualfrage nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 Abs 2 StGB) nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis darstellen sollten (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Gleiches gilt in Ansehung der ins Treffen geführten Erläuterung des Sachverständigen, wonach die zum Tod führende Verletzung im Halsbereich durch eine aktive kräftige Stichbewegung ohne massive Gewalt herbeigeführt worden sei (ON 53 S 30).

Dem Beschwerdevorbringen zuwider stellt die hier erfolgte überflüssige Verneinung einer gegenstandslosen Eventualfrage keinen Widerspruch im Sinn der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO dar (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 70; Philipp, WK-StPO § 332 Rz 8; Fabrizy, StPO13 § 345 Rz 15a).

Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16, T17]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490).

Soweit die Tatsachenrüge auf die Verantwortung des Angeklagten, er habe sich lediglich verteidigen wollen, hinweist, Zeugenaussagen einer eigenständigen Bewertung unterzieht und darauf verweist, dass das Tatopfer insgesamt größer und athletischer als der Angeklagte gewesen sei, vermag sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Soweit die Beschwerde darauf rekurriert, dass das Gutachten des Sachverständigen dem vom Angeklagten dargestellten Ablauf des Geschehens nicht widerspreche, verlässt sie den dargestellten Anfechtungsrahmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt demgemäß dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E128256

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00046.20M.0512.000

Im RIS seit

05.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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