TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/27 W255 2221481-1

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Veröffentlicht am 27.09.2019
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Entscheidungsdatum

27.09.2019

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2

Spruch

W255 2221481-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2019, Zl. 821287808-180964586/BFA_OOE_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2019, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkte I., II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkte V., VI. und VII. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 Abs. 2 FPG 2005 iVm. § 9 Abs. 1 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.03.2000 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 20.11.2000, Zl. 00 03.114-BAL, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

1.3. Gegen den unter Punkt 1.2. genannten Bescheid erhob der BF fristgerecht Berufung.

1.4. Mit am 20.02.2002 mündlich verkündeten und am 17.12.2002 schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, GZ 220.153/7-I/02/02, wurde die Berufung des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Afghanistan nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 15 AsylG 1997 wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.02.2003 erteilt (Spruchpunkt III.).

1.5. Der BF stellte in weiterer Folge regelmäßig Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, denen vom Bundeasylamt bzw. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zunächst jeweils stattgegeben wurde.

1.6. Der BF stellte zuletzt am 03.09.2018 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

1.7. Am 22.10.2018 wurde der BF vor dem BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, ohne Beiziehung eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, dass ihm eine Einvernahme mit einem Dolmetscher lieber wäre. Er sei seit 2000 in Österreich und die Verständigung "gehe", er habe aber Bedenken, dass es Missverständnisse geben könnte.

1.8. Am 22.01.2019 wurde der BF eine Untersuchung durch den vom BFA beauftragten psychologischen Gutachter XXXX unterzogen.

1.9. Am 22.01.2019 übermittelte der Gutachter XXXX dem BFA ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 22.01.2019.

1.10. Mit Schreiben des BFA vom 11.02.2019 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen. Dem BF wurden in Einem Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt und der BF aufgefordert, zu 18 Fragen Stellung zu beziehen.

1.11. Mit Schreiben vom 26.02.2019 gab der BF ua an, dass er unter psychischen Problemen leide, Analphabet sei und in Afghanistan nur vier Jahre die Schule besucht habe. Er habe keine Berufsausbildung abgeschlossen. Der BF habe zu Afghanistan keine persönlichen Bindungen mehr. Seine Familienangehörigen würden in Australien leben. Er stehe telefonisch mit ihnen in Kontakt. In Afghanistan verfüge er über keine Angehörigen mehr. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er aufgrund der angespannten Sicherheitslage und seiner psychischen Probleme in eine lebensbedrohliche Lage geraten.

Der BF sei in Österreich das letzte Mal im Jahr 2018 bei einer Leasingfirma tätig gewesen. Derzeit sei er arbeitslos und beziehe Notstandshilfe. Er besuche derzeit keine Kurse. Er habe in Österreich keine Familienangehörigen. Er pflege Kontakt zu Freunden und Kollegen. Der BF spreche Deutsch, habe aber bisher keine Prüfungen absolviert.

Weiters nahm der BF zu den in das Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen Stellung und verwies insbesondere auf die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018.

1.12. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 17.06.2019, Zl. 821287808-180964586/BFA_OOE_AST_01, wurde der dem BF mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17.12.2002, Zl. 220.153/7-I/02/02 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 08.11.2016, Zl. 821287808-1549455, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Der Antrag des BF vom 03.09.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt III). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt IV.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VII.).

1.13. Gegen den unter Punkt 1.12. genannten Bescheid des BFA richtet sich die vom BF fristgerechte erhobene Beschwerde vom 15.07.2019.

1.14. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 19.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.15. Mit Schreiben vom 04.09.2019 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.16. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.09.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF, seines Vertreters und eines Vertreters des BFA eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, dass er Tabletten nehme, da er psychische Probleme habe. Durch die Tabletten würde er beruhigt. Er konsumierte täglich fünf bis sechs Mal Alkohol und sei alkoholsüchtig. Er fühle sich in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Er habe keine Verwandten, die in Afghanistan leben würden. Seine Mutter, einer seiner beiden Brüder und eine seiner beiden Schwestern würden in Australien leben. Seine Mutter sei Pensionistin, sein Bruder sei erwerbstätig. Er telefoniere einmal monatlich mit seiner in Australien lebenden Familie. Eine Schwester des BF lebe in Schweden, ein Bruder des BF im Iran. Der BF stehe auch mit seiner in Schweden lebenden Schwester und seinem im Iran lebenden Bruder in Kontakt. Die Brüder und Schwestern des BF seien verheiratet. Seine in Schweden lebende Schwester arbeite in einem Krankenhaus. Der im Iran lebende Bruder sei auch erwerbstätig. Dieser Bruder habe sechs Kinder, die als Schneider tätig wären. Die Familie des BF habe Afghanistan vor ihm verlassen. Er sei noch in Afghanistan geblieben und ca. einen Monat später ausgereist.

Der BF sei derzeit arbeitslos. Er habe das letzte Mal im Jahr 2011 gearbeitet. Er habe ua als Müllsortierer bei der Firma XXXX und als Produktionsmitarbeiter bei der Firma XXXX gearbeitet. Er habe auch Ladetätigkeiten verrichtet. Der BF habe in Österreich bisher keine Deutschprüfung absolviert. Er habe auch keine A1- und A2 Deutschkurse, sondern nur einen Alphabetisierungskurs besucht. Der BF habe keine Verwandten in Österreich. Er habe österreichische Freunde, mit denen er sich unterhalte und spazieren gehe. Alkohol konsumiere er alleine.

Der BF könne nicht in Afghanistan leben, da er 19 Jahre in Österreich verbracht und sich an die kulturellen Gegebenheiten gewöhnt habe. An welche kulturellen Gegebenheiten er sich gewöhnt habe, könne er nicht konkretisieren. Im Falle der Rückkehr würden ihn die Taliban töten.

Der BF wolle weiterhin in Österreich leben. Er wolle keine Therapie auf Grund seiner Alkoholsucht machen, da er ohne Alkohol nicht leben könne.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 10.03.2000, dem gegenständlich erhobenen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, der Erstbefragung und der Einvernahmen des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des (vormaligen) Bundesasylamtes und des (nunmehr zuständigen) BFA, insbesondere der Einvernahme des BF vom 22.10.2018, seiner schriftlichen Stellungnahme vom 26.02.2019, der Bescheide des Bundesasylamtes und des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 20.09.2019, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er wurde in der Stadt XXXX , in Afghanistan, geboren und ist dort aufgewachsen.

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.

2.1.3. Der BF besuchte in XXXX vier Jahre die Grundschule und arbeitete sieben Jahre als Kraftfahrzeugmechaniker. Der BF ist gemeinsam mit seinen Eltern, seinen beiden Schwestern und seinen beiden Brüdern aufgewachsen. Der Vater des BF ist zwei Jahre vor der Ausreise des BF aus Afghanistan eines natürlichen Todes verstorben. Der BF hat XXXX im Alter von ca. 25 bzw. 26 Jahren verlassen und ist nach Europa gereist.

2.1.4. Die Mutter, eine Schwester und ein Bruder des BF leben in Australien. Die Mutter des BF ist im Ruhestand. Der Bruder und die Schwester des BF sind verheiratet und erwerbstätig. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit ihnen.

2.1.5. Ein Bruder des BF lebt im Iran. Er ist verheiratet und hat sechs Kinder. Der Bruder des BF ist erwerbstägig; auch seine Kinder sind als Schneider erwerbstätig. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinem Bruder.

2.1.6. Eine Schwester des BF lebt in Schweden. Sie ist verheiratet und arbeitet in einem Krankenhaus. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Schwester.

2.1.7. Die Verwandten des BF gehen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und wären in der Lage, den BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen. Bisher kam es deshalb zu keiner finanziellen Unterstützung für den BF, da dieser in Österreich teils erwerbstätig war und teils Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezog und noch nie um finanzielle Unterstützung bei seinen Verwandten angesucht hat.

2.1.8. Der BF leidet an einer gegenwärtig remittierten rezidivierenden depressiven Störung, einem Zustand nach Alkoholhalluzinose und einem Alkoholabhängigkeitssyndrom. Der BF konsumiert seit vielen Jahren fünf bis sechs Bier täglich. Der BF nimmt derzeit Medikamente (Risperidon, Sertralin und Vitamin B1). Es ist nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit des Krankheitsbildes auszugehen. Die derzeit laufende neuroleptische Therapie mit Risperidon kann langsam über wenige Wochen ausgeschlichen werden. Der BF ist sowohl in der Lage, die Arbeiten des täglichen Lebens (wie z.B. Kochen, Waschen und Putzen) selbständig durchzuführen als auch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es bestehen keine Einschränkungen der kognitiven Leistungen oder der Exekutivfunktionen.

2.1.9. Der BF ist ledig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter.

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF hat in Österreich einen Deutsch-Alphabetisierungskurs besucht. Der BF hat in Österreich noch nie einen Deutschkurs auf A1-Niveau oder einem höheren Niveau besucht. Er hat in Österreich noch nie eine Deutschprüfung bestanden. Eine Unterhaltung mit dem BF in deutscher Sprache auf einfachem Niveau ist möglich.

2.2.2. Der BF war seit seiner Einreise in Österreich am 10.03.2000 zu folgenden Zeiten erwerbstätig:

* 17.08.2001 - 09.11.2001 als Arbeiter für die XXXX

* 01.12.2001 - 24.12.2001 als Arbeiter für die XXXX

* 22.08.2002 - 02.10.2003 als Arbeiter für die XXXX

* 03.11.2003 - 30.09.2004 als Arbeiter für die XXXX

* 01.10.2004 - 12.10.2004 als Arbeiter für die XXXX

* 25.01.2005 - 30.09.2005 als Arbeiter für die XXXX

* 05.12.2005 - 04.01.2006 als Arbeiter für die XXXX

* 11.04.2006 - 12.01.2007 als Arbeiter für die XXXX

* 12.02.2007 - 15.02.2007 als Arbeiter für die XXXX

* 03.04.2007 - 04.04.2007 als Arbeiter für die XXXX

* 19.04.2007 - 21.12.2010 als Arbeiter für die XXXX

* Zwischen 19.05.2015 - 24.08.2015 (mit Unterbrechungen) an 24 Tagen als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

* 25.07.2017 - 30.07.2017 als Arbeiter für die XXXX

* 24.07.2018 - 10.08.2018 als Arbeiter für die XXXX

Zum Aufgabenbereich des BF in seinen hier erwähnten Tätigkeiten, die sich zusammengezählt über sieben Jahre erstreckt haben, zählte ua das Müllsortieren, Produktionsmitarbeit und Ladetätigkeiten.

2.2.3. Von 03.10.2003 - 02.11.2003, 29.10.2004 - 31.12.2004, 01.01.2005 - 24.01.2005, 04.10.2ß005 - 04.12.2005, 07.01.2006 - 10.04.2006, 23.01.2007 - 11.02.2007, 05.04.2007 - 18.04.2007, 08.01.2011 - 10.04.2011, 13.04.2011 - 04.08.2011 und 12.08.2011 - 31.10.2011 bezog der BF Arbeitslosengeld.

2.2.4. Von 01.11.2011 - 21.08.2012, 01.09.2012 - 03.10.2012, 06.10.2012 - 09.01.2013, 12.01.2013 - 20.02.2013, 23.02.2013 - 15.01.2014, 18.01.2014 - 09.07.2014, 12.07.2014 - 23.07.2014, 25.07.2014 - 30.07.2014, 02.08.2014 - 06.08.2014, 09.08.2014 - 14.12.2016, 17.12.2016 - 25.01.2017, 28.01.2017 - 05.03.2017, 17.04.2017 - 24.07.2017, 31.07.2017 - 11.10.2017, 14.10.2017 - 22.04.2018, 30.06.2018 - 23.07.2018, 13.08.2018 - 07.11.2018, 22.11.2018 - 06.02.2019, 04.04.2019 - 10.04.2019 und seit 12.04.2019 bis laufend bezog bzw. bezieht der BF Notstandshilfe, Überbrückungshilfe. Der BF geht derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach.

2.2.5. Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keinen engen Freundeskreis. Alkohol konsumiert er in der Regel alleine. Feste und Feiertage verbringt er alleine. Er ist nicht Mitglied in einem Verein. Er engagiert sich nicht ehrenamtlich. Er hat keine sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.6. Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 12.06.2017, GZ VStV/917300895322/2017, wurde über den BF wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Störung der öffentlichen Ordnung eine Geldstrafe in Höhe von EUR 100,- verhängt.

2.2.7. Gegen den BF wurde wegen der Begehung eines Ladendiebstahls in einem Supermarkt am 18.02.2019 ermittelt und von der Staatsanwaltschaft Linz von der Verfolgung der Straftat für die Dauer von zwei Jahren vorläufig zurückgetreten worden (17 U 65/19b).

2.3. Zum Verfahrensgang:

2.3.1. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 10.03.2000 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.3.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 20.11.2000, Zl. 00 03.114-BAL, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

2.3.3. Mit am 20.02.2002 mündlich verkündeten und am 17.12.2002 schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, GZ 220.153/7-I/02/02, wurde die Berufung des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Afghanistan nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 15 AsylG 1997 wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.02.2003 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF bzw. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete der Unabhängige Bundesasylsenat mit der prekären wirtschaftlichen Situation und bedenklichen Sicherheitslage in XXXX sowie der mangelnden Unterstützung des BF durch Verwandte wie folgt:

Die Kampfhandlungen in XXXX zwischen Dostums Truppen und Truppen von Shura-e Nazzar seien zwar vorläufig beendet worden, trotz des Sturzes des Taliban Regimes hätten jedoch die Mujaheddin-Parteien ihre militärischen Formationen und es gebe gelegentlich Fraktionskämpe unter den Mujaheddin-Parteien, auch in XXXX . Solange die Mujaheddin-Parteien nicht entwaffnet würden, könne man weitere bewaffnete Kämpfe innerhalb der Mujaheddin-Parteien nicht ausschließen. Die wirtschaftliche und soziale Situation sei katastrophal. 70% der Afghanen seien von den internationalen Nahrungsmittellieferungen abhängig. Hinzu komme die Zerstörung der Infrastruktur im Laufe des Krieges, sodass die Rückkehrer vor dem Problem stünden, wo sie wohnen sollten. Es gebe nur für sehr hoch qualifizierte Personen im Rahmen des Wiederaufbauprogrammes der UNO und der internationalen Schutztruppe eventuelle Arbeitsmöglichkeiten, sonst sei es schwer, in Afghanistan eine Arbeit zu finden.

Durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg und Dürreperioden sei in Afghanistan eine wirtschaftliche und soziale Situation in Afghanistan hervorgerufen worden, die sich gegenwärtig vor allem auch durch die problematische Versorgungslage an Lebensmitteln für weite Teile der afghanischen Bevölkerung äußere. Für eine Person, die derzeit nach Afghanistan abgeschoben werde, würde dies regelmäßig eine derartige extreme Gefahrenlage bedeuten, durch die praktisch jeder, der in den Staat abgeschoben werde, in dem diese Gefahrenlage herrsche, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Dies stehe der Abschiebung nach Afghanistan entgegen. Mit den dem BF drohenden existenziellen Problemen mangels einer in seinem Herkunftsstaat bestehenden ausreichenden Lebensgrundlage würden sohin stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der BF konkret Gefahr liege, in Afghanistan einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Umstände, die dieser Beurteilung allenfalls entgegenstehen könnten (ausreichende Unterstützung durch familiäre Beziehungen, maßgebliche Vermögensverhältnisse, ...) seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

Seitens des Unabhängigen Bundesasylsenates wurden nicht festgestellt, dass der BF über Verwandte verfügt, mit denen er in Kontakt steht.

Seitens des Unabhängigen Bundesasylsenates wurden keine Feststellungen betreffend die Berufserfahrung des BF getroffen.

2.3.4. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 27.01.2003, 26.03.2003, 22.10.2003, Z09.09.2004, 04.10.2006, 03.10.2007, 30.09.2009, 01.10.2010, 30.09.2011, 01.10.2012, 30.09.2013, jeweils Zl. 00 03.114-BAL, bzw. des BFA vom 17.10.2014 und 08.11.2016, jeweils Zl. 821287808/1549455, wurde dem BF jeweils auf Antrag die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter verlängert.

2.3.5. Der BF stellte zuletzt am 03.09.2018 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

2.3.6. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 17.06.2019, Zl. 821287808-180964586/BFA_OOE_AST_01, wurde der dem BF mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17.12.2002, Zl. 220.153/7-I/02/02 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 08.11.2016, Zl. 821287808-1549455, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Der Antrag des BF vom 03.09.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt III). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt IV.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass die Gründe für die Zuerkennung nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei ledig, habe keine Kinder, verfüge über vierjährige Schulbildung und mehrjährige Berufserfahrung als Automechaniker und Arbeiter und sei arbeitsfähig. Die Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem BF subsidiärer Schutz gewährt worden sei, wesentlich geändert. Die Sicherheitslage in der Stadt XXXX sei ausreichend sicher und der BF könne diese Stadt sicher erreichen. Er sei ein arbeitsfähiger Mann, ohne finanzielle Verpflichtungen, der mit den Gegebenheiten und Gepflogenheiten in Afghanistan grundsätzlich vertraut sei. Er habe seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mehr als 19 Jahre persönliche als auch berufliche Erfahrungen dazugewonnen. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt sorgen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Lage geraten würde. Außerdem würde er in Afghanistan nicht Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können. Seine Erkrankung stelle kein Rückkehrhindernis dar.

Der Entscheidung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.06.2019 zugrunde gelegt.

2.4. Zur Situation des BF in Afghanistan:

2.4.1. Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsstadt XXXX würde dem BF kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

2.4.2. Der BF wäre im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsstadt XXXX keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.4.3. Der BF ist volljährig, anpassungsfähig, mobil, arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er verfügt über vierjährige Schulbildung und mehr als 14jährige Berufserfahrung (7 Jahre Berufserfahrung als Automechaniker in XXXX und 7 Jahre Berufserfahrung als Müllsortierer, Produktionsmitarbeiter und für Ladetätigkeiten Verantwortlicher in Österreich). Er wurde in XXXX in einer afghanischen Familie geboren und wurde durch eine afghanische Familie in einem afghanischen Umfeld erzogen. Der BF wuchs sohin in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Der BF hat ca. 25 bis 26 Jahre in XXXX gewohnt. Angesichts seiner Sprachkenntnisse und seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Ortskenntnisse könnte er sich in der Stadt XXXX eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in der Stadt XXXX eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF steht mit seinen im Iran, in Australien und in Schweden lebenden Verwandten, die allesamt regelmäßig erwerbstätig sind, in Kontakt und könnte auch durch diese in finanzieller Hinsicht unterstützt werden. In einer Gesamtbetrachtung ist XXXX für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und eine über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach XXXX ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr nach XXXX somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr nach XXXX grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.4.4. Im Falle der Rückkehr nach XXXX läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4.5. Im Falle des BF ist es in einer Gesamtschau zu einer nachhaltigen, maßgeblichen Verbesserung der subjektiven bzw. persönlichen Situation des BF im Fall der Rückkehr nach XXXX gekommen.

2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 04.06.2019:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019). Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b). Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019). Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

2.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

2.2. Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Ver

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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