TE OGH 2020/5/14 8Ob5/20y

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Veröffentlicht am 14.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** M*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei W***** S*****, vertreten durch Dr. Sandra Wehinger, Rechtsanwältin in Dornbirn, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 C 26/12d des Bezirksgerichts Bregenz, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 24. Oktober 2019, GZ 2 R 234/19f-15, mit dem infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 14. September 2019, GZ 11 C 6/19x-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des zu 1 C 26/12d des Erstgerichts geführten Verfahrens, in dem die Ehe der Streitteile mit rechtskräftigem Urteil vom 4. 5. 2013 aus dem Alleinverschulden des Wiederaufnahmsklägers (in der Folge: Kläger) geschieden wurde. Den maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen dieses Urteils lag die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Klägers im Verfahren 40 Hv 7/13g des Landesgerichts Feldkirch zugrunde.

Mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 30. 4. 2018, 37 Ns 5/17s, wurde die Wiederaufnahme des genannten Strafverfahrens bewilligt. Nach Durchführung weiterer Ermittlungshandlungen stellte die Staatsanwaltschaft Feldkirch das Verfahren schließlich gemäß § 190 StPO mit der Begründung ein, dass kein Schuldnachweis und damit kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des Klägers bestehe. Die Benachrichtigung über die Einstellung des Verfahrens wurde seinem Verteidiger am 10. 5. 2019 zugestellt. Die Beklagte beantragte fristgerecht die Fortführung des Strafverfahrens gemäß § 195 StGB.

Das Erstgericht wies die am 29. 5. 2019 eingebrachte, auf den Grund des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage unter Berufung auf § 538 ZPO zurück. Die Wiederaufnahmsklage sei verfrüht eingebracht worden, weil der staatsanwaltliche Einstellungsbeschluss wegen des anhängigen rechtzeitigen Fortführungsantrags noch keine endgültige Sperrwirkung entfalte.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf.

Die prozessuale Notfrist für die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage nach § 534 Abs 2 Z 3 ZPO beginne mit dem Tag, an dem das strafgerichtliche Urteil oder der die Einstellung eines Strafverfahrens aussprechende Beschluss in Rechtskraft erwachsen sei. Wäre der Wiederaufnahmskläger verpflichtet, zunächst auch noch das ungenützte Verstreichen der Frist für einen Fortführungsantrag nach § 194 StPO abzuwarten, die bei unterbliebener Verständigung des Opfers bis zu drei Monaten betrage, könnte nach ihrem ungenutzten Verstreichen die Klagefrist nach § 534 Abs 2 Z 3 ZPO bereits abgelaufen sein. Die Klage sei daher nicht verfrüht eingebracht worden.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Entscheidung eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO betreffe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts anstrebt. Der Kläger hat eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der aufgeworfenen Rechtsfragen zulässig, aber nicht berechtigt.

Gemäß § 530 Abs 1 Z 5 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf welches die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist.

Das strafgerichtliche Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 23. 8. 2013, 40 Hv 7/13g, das dem Urteil im wiederaufzunehmenden Verfahren zugrundelag, wurde nach den Feststellungen durch die Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch vom 30. 4. 2018, 37 Ns 5/17s, mit dem rechtskräftig die Wiederaufnahme des Strafverfahrens bewilligt wurde, aufgehoben.

Nach § 358 Abs 1 StPO wird das frühere Urteil in den Fällen der §§ 353 bis 356 StPO durch die Bewilligung der Wiederaufnahme insoweit für aufgehoben erklärt, als es die Straftat betrifft, hinsichtlich der die Wiederaufnahme bewilligt wird. Die gesetzlichen Folgen der im ersten Urteil ausgesprochenen Verurteilung bleiben bis zur neuerlichen Entscheidung aufrecht.

Nach herrschender Auffassung ist für die Bewilligung der Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO nicht bereits die Aufhebung des verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses durch die Bewilligung der Wiederaufnahme entscheidend, sondern erst die mit materieller Rechtskraftwirkung ausgestattete Beendigung der Strafverfolgung hinsichtlich jenes Straftatbestands, der dem wiederaufzunehmenden Zivilverfahren zugrundegelegt wurde. Danach besteht die Bindung des Zivilgerichts an das Straferkenntnis so lange, als es nicht nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu dessen rechtskräftiger Einstellung oder einem rechtskräftigen Freispruch gekommen ist (RIS-Justiz RS0044637 [T1]; Jelinek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 530 ZPO Rz 104 f).

Diese Bindung des Zivilgerichts über die Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens hinaus wird in der Judikatur mit der in § 358 Abs 1 StPO angeordneten Fortdauer der gesetzlichen Urteilsfolgen begründet.

Von einer „Rechtsfolge der Verurteilung“ spricht man im strafrechtlichen Sinn dann, wenn das Gesetz selbst mit dem rechtskräftigen Strafurteil eine Konsequenz verknüpft, die unabhängig vom Willen oder einer Entscheidung des Gerichts eintreten soll (ua Ratz in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 27 Rz 1). Rechtsfolgen im Sinn des § 358 Abs 1 Satz 2 StPO sind etwa der Amtsverlust (§ 27 StGB) oder die Aufnahme in das Strafregister (Lewisch in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 358 Rz 20).

Allerdings ist auch bei der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 190 Abs 2 StPO, die in Ansehung eines Wiederaufnahmsgrundes von der herrschenden Auffassung einem rechtskräftigen freisprechenden Urteil gleichgehalten wird, auch das Entscheidungsorgan selbst nicht endgültig daran gebunden (§ 193 Abs 2 und § 195 Abs 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft kann ein nach § 190 StPO eingestelltes Ermittlungsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen selbstständig und auch unabhängig von einem Antrag eines Opfers nach § 195 StPO fortführen. Die Einstellung nach § 190 StPO stellt insoweit keine endgültige Beendigung der Strafverfolgung mit materieller Rechtskraftwirkung dar.

Festzuhalten ist also, dass die Einstellung nach § 190 StPO eine Entscheidung ist, gegen die zwar kein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist, die aber eine Fortführung des Verfahrens nach § 193 Abs 2 Z 2 StPO innerhalb der Verjährungsfrist nicht hindert, ohne dass diese Möglichkeit nach der Rechtsprechung etwas an der Eignung der Einstellung als Wiederaufnahmegrund ändert. Die Möglichkeit eines erfolgreichen Fortführungsantrags nach § 195 StPO tritt zu dieser Möglichkeit nur hinzu und verhindert die Geltendmachung der Einstellung als Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ebenfalls nicht. Die endgültige Beseitigung jenes Urteils, dessen Bindungswirkung im wiederaufzunehmenden Verfahren noch angenommen wurde, bleibt in jedem Fall aufrecht. Zutreffend hat das Rekursgericht auch auf die doch sehr erhebliche und vor allem unberechenbare zeitliche Verzögerung hingewiesen, die andernfalls im Wiederaufnahmeverfahren eintreten könnte.

Das Rekursgericht ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass die formalen Voraussetzungen für eine auf den Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO gestützte Klage bereits vor der Entscheidung des Landesgerichts über den erhobenen Fortführungsantrag erfüllt waren und sie nicht als „verfrüht“ zu behandeln war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO (vgl RS0035879).

Textnummer

E128195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00005.20Y.0514.000

Im RIS seit

26.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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