TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/28 G312 2205207-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2020
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Entscheidungsdatum

28.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G312 2205207-1/16E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Manuela WILD als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - Regionaldirektion XXXX - vom 23.08.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkte I.-III. als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt. XXXX, geb. XXXX wird der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. Die Spruchpunkte V. - VII. werden ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 23.08.2018, Zl. XXXX wurde der dem XXXX, geb. XXXX (in weiterer Folge: BF) mit Bescheid vom 22.11.2005, Zl. XXXX zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG wurde ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürgen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Irak gemäß § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VII.).

Begründet wurde die Aberkennung mit den strafrechtlichen Verurteilungen des BF.

2. Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der Vertreter des BF fristgerecht Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde wurde mit den maßgeblichen Verwaltungsakten am 07.09.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

3. Am 06.11.2019 wurde am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des BF und eines Vertreters der belangten Behörde durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum schiitisch muslimischen Glauben und gibt an, halb Kurde, halb Araber zu sein.

Der BF stammt aus XXXX und reiste am 07.11.2005 im Alter von 8 Jahren mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Österreich, wo er am 11.11.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre in Österreich aufhältig.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.11.2005, Zl. XXXX wurde dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.2. In Österreich leben die Eltern des BF und seine vier älteren Geschwister. Der Vater des BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, die anderen Familienmitglieder leben als Asylberechtigte in Österreich. Der BF lebt mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt.

Der BF führt eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen und ist Vater des gemeinsamen Kindes (geb. XXXX). Die Kindsmutter verfügt über die Obsorge der Tochter. Der BF hat mehrmals wöchentlich persönlichen Kontakt zu seiner Tochter und leistet monatliche Unterhaltszahlungen.

Der BF hat sehr gute Deutschkenntnisse und besuchte in Österreich die Volkschule, Hauptschule und anschließend das Polytechnikum. Der BF schloss das Unterrichtsfach "Deutsch" nicht positiv ab und absolvierte danach keine berufliche Ausbildung.

Der BF stand im November 2012 für 2 Wochen in geringfügiger Beschäftigung und war im Jahr 2013 bei drei verschiedenen Firmen insgesamt weniger als drei Monate als Arbeiter tätig. Im Zeitraum 2014 bis 2015 war er tage- bzw. wochenweise bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Dazwischen stand der BF im Zeitraum von 2013 bis 2016 mit Unterbrechungen in Bezug von Arbeitslosengeld. Im Jahr 2017 und im Jahr 2019 ging der BF einige Wochen einer Beschäftigung nach. Seit 23.01.2020 befindet sich der BF in einem Dienstverhältnis bei der Firma XXXX.

Der BF verfügt über mehrere Tätowierungen im Kopf- und Gesichtsbereich.

Der BF weist fünf strafgerichtliche Verurteilungen auf:

1) Mit Urteil des Landesgerichts XXXX, XXXX vom 11.10.2012 wurde erkannt, dass der BF das Vergehen der versuchten Körperverletzung gemäß §§ 15, 83 Abs. 1 StGB begangen hat. Der BF war schuldig, mit einem Mittäter im August 2011 einem anderen Faustschläge ins Gesicht versetzt zu haben und hierdurch versucht zu haben, diesen vorsätzlich am Körper zu verletzen. Gemäß § 13 JGG (Jugendstraftat) wurde von einem Ausspruch über die Strafe für die Dauer einer Probezeit von einem Jahr vorläufig abgesehen.

2) Mit Urteil des Landesgerichts XXXX, XXXX vom 21.01.2014 wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2, 148 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der BF war schuldig, im Zeitraum von Dezember 2012 bis Februar 2013 gewerbsmäßig und mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte einer Versandfirma durch Vortäuschung seiner Zahlungsunfähigkeit und Zahlungswilligkeit, indem er Bestellungen auf einen anderen Namen vornahm, zur Lieferung von Waren im Wert von EUR 4.687,38 zu veranlassen, wodurch diese Firma mit diesem Betrag geschädigt wurde. Bei der Strafzumessung mildernd wurde das Geständnis und die teilweise Schadensgutmachung und erschwerend der rasche Rückfall und das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet.

3) Mit Urteil des Landesgerichts XXXX, XXXX vom 14.07.2016 wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1, 1., 2. und 8. Fall, Abs. 2 SMG, des Vergehens der Nötigung nach § 105 StGB und des Vergehens der Bestimmung zur falschen Beweisaussage nach §§ 12 2. Fall, 288 Abs. 1 und 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der BF war schuldig, vorschriftswidrig von Anfang Oktober bis Ende 2015 eine unbekannte Menge Marihuana mit einem durchschnittlichen Reinheitsgrad von 6 % an andere Personen verkauft zu haben und Marihuana erworben und besessen zu haben. Weiters drohte er einem anderen mit einer Verletzung am Körper indem er diesem gegenüber äußerte: "wenn du deine Aussage gegen mich nicht änderst wird dir etwas passieren, ich kann dich auch gleich schlagen", und diesen dadurch zu einer falschen Beweisaussage nötigte. Weiters bestimmte der BF dadurch diese Person bei dessen förmlichen Vernehmung als Zeuge vor der Kriminalpolizei falsch auszusagen. Bei der Strafzumessung mildernd wurde das Teilgeständnis und das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, die Tatbegehung während laufender Ermittlungen sowie zwei Vorverurteilungen, gewertet. Die mit Urteil vom 21.01.2014 ausgesprochene Probezeit wurde auf 5 Jahre verlängert.

4) Mit Urteil des Landesgerichts XXXX, XXXX vom 22.11.2016 wurde der BF wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1, 4. Und 5. Fall SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1, 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG, des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 abs. 1, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Der BF war schuldig, im Zeitraum von September 2015 bis August 2016 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen zu haben, indem er insgesamt rund 1200 g Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 6 % und zumindest 1 g Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 30 % an andere Personen verkauft zu haben, anderen angeboten zu haben und weiters Cannabiskraut und Kokain zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen zu haben. Weiters versuchte der BF einen anderen durch gefährliche Drohung zur Weiterführung seiner Suchtgiftaktivitäten zu nötigen, indem er gegenüber dieser Person sinngemäß äußerte, dass er seinen Bruder und seine Freunde schicken werde, die ihm körperlichen Schaden zufügen sollten, ihn in ein Auto zerren, mit ihm in den Wald fahren und viele Sachen mit ihm anstellen würden. Weiters gebrauchte der BF eine falsche ausländische Urkunde, die durch Gesetz oder zwischenstaatlichen Vertrag inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, indem er zum Nachweis seiner gültigen Lenkerberechtigung einen total gefälschten italienischen Führerschein vorwies. Bei der Strafbemessung mildernd wurde die großteils geständige Verantwortung und der Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch blieben sowie das Alter unter 21 Jahren gewertet. Erschwerend wurden zwei einschlägige Vorverurteilungen, der rasche Rückfall und das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen zu werten. Mit diesem Urteil wurde die Nachsicht der mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 21.01.2014 verhängte Freiheitsstrafe von drei Monaten widerrufen. Aufgrund dieser Verurteilung befand sich der BF von 31.08.2016 bis 28.02.2017 in Haft. Es wurde Bewährungshilfe für die Dauer der Probezeit angeordnet und die mit Urteil vom 14.07.2016 ausgesprochene Probezeit auf 5 Jahre verlängert.

5) Mit Urteil des Landesgerichts XXXX, XXXX vom 17.05.2019 wurde der BF wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 5 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Der BF war schuldig, als junger Erwachsener im April 2017 in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern in verabredeter Verbindung einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt zu haben, in dem sie diesem mehrere Faustschläge versetzten, einer der Täter dessen Hände fixierte und mindestens einer der Täter mit seinem Fuß gegen den Kopf des zu Sturz gekommenen Opfers trat, wobei dieses in Form einer Kopfprellung und zahlreichen Hautabschürfungen im Gesicht verletzt wurde. Bei der Strafbemessung mildernd wurde das überwiegende Geständnis, als erschwerend wurden die einschlägigen Vorstrafen und der rasche Rückfall gewertet. Die mit Urteilen vom 14.07.2016 und 22.11.2016 ausgesprochene Probezeit wurde auf 5 Jahre verlängert. Aufgrund dieser Verurteilung befand sich der BF von 05.03.2019 bis 29.08.2019 in Haft und verbüßte den Rest der Freiheitstrafe im elektronisch überwachten Hausarrest, von wo er am 05.10.2019 entlassen wurde.

1.3. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Im Herkunftsstaat leben die Großmutter und der Onkel des BF, mit welchen der BF ein- bis zweimal pro Jahr in telefonischem Kontakt steht.

Der verfügt - abgesehen von der Schreibweise seines Namens - über keine Arabischkenntnisse.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat werden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak vom 20.11.2018 unter Beachtung der letzten Kurzinformation vom 30.10.2019 festgestellt:

KI vom 30.10.2019

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

Bagdad

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019 , von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

Quellen:

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddleeast-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview - Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast- 17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019

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Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://

www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrationssweep-iraq -191025171801458.html, Zugriff 28.10.2019

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Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew- 191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019

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Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone,

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Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https:// www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 28.10.2019

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Net Blocks (3.10.2019, update am 7.8.2019): Heavily censored internet briefly returns to Iraq 28 hours after nationwide blackout, https://netblocks.org/reports/heavily-censored-internetbriefly-returns-to-iraq-28-hours-after-nationwide-blackout-7yNG1w8q, Zugriff 28.10.2019

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PressTV (21.9.2019): Fifth phase of Will of Victory operation ends with cleansing areas near Saudi border, https://www.presstv.com/Detail/2019/09/21/606767/Fifth-phase-of-Will-of-Victory-operation-ends-with-cleansing-areas-near-Saudi-border-from-Daesh, Zugriff 18.10.2019

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Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsiblefor-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 30.10.2019

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Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan - Tasnim,

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Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State,

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Rudaw (24.8.2019): Fourth phase of 'Will of Victory' operation begins: Iraqi defense ministry, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/24082019, Zugriff 18.10.2019

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Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK,

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The Guardian (27.10.2019): Iraq clashes: at least 15 die as counter-terror police quell protests, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/26/six-killed-as-iraq-protests-continue-inbaghdad-and-nasiriyah, Zugriff 28.10.2019

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Xinhua (22.8.2019): 4 IS militants, 2 soldiers killed in clashes in eastern Iraq,

http://www.xinhuanet.com/english/2019-08/22/c_138329358.htm, Zugriff 2.10.2019

KI vom 25.07.2019

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019). Der IS vergrößerte so seine "Unterstützungszonen" [Anm. eine Kategorie des ISW für Gebiete, in denen der IS aktive und passive Unterstützung durch die lokale Bevölkerung lukrieren kann] im Irak und weitete seine Angriffe in bedeutenden Städten, wie Mossul und Fallujah, sowie im irakischen Kurdistan aus (ISW 19.4.2019). Neu wiederorganisierte IS-Zellen verstärkten ihre Operationen und Angriffe in den Gouvernements Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salahaddin (UNSC 2.5.2019). Das führte zu einem starken Anstieg der Angriffe in der zweiten Woche des Monats April. So erfolgten alleine in der zweiten Aprilwoche 41 der im gesamten Monat verzeichneten 97 sicherheitsrelevanten Vorfälle. Danach gingen die Vorfälle jedoch wieder auf das niedrige Niveau der Vormonate zurück (Joel Wing 3.5.2019). Für Mai 2019 wurden im Zuge der Frühjahrsoffensive des IS wieder die höchsten monatlichen Angriffszahlen seit Oktober 2018 verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Es gab tägliche Berichte über IS-Kämpfer, die Hit-and-Run- Angriffe auf Sicherheitspersonal und Infrastruktur sowie Entführungen und Tötungen von lokalen Beamten und Zivilisten in Gebieten mit massiven Sicherheitslücken durchführten - vor allem in den Wüstenregionen Anbars, nahe der Grenze zu Syrien, als auch in den umstrittenen Gebieten, in denen es "Lücken" zwischen den irakischen und kurdischen Truppen gibt (Rudaw 9.5.2019).

Irakische Einheiten führten wiederholt Operationen in Rückzugsgebieten des IS durch (Rudaw 9.5.2019). Beispielsweise am 11.4.2019 in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019) und am 5.5.2019 in den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa (Xinhua 6.5.2019). Solche Operationen hatten jedoch nur begrenzten Erfolg, da sie die Operationsmöglichkeiten des IS nur geringfügig einschränkten. Eine große Herausforderung für die irakischen Streitkräfte besteht in Versäumnissen ihrer Geheimdienste. Unzureichende Ausbildung, Finanzierung, schlechte Kommunikation zwischen den Behörden des Sicherheitsapparats und damit einhergehend die mangelnde Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu nutzen, behindern die Aufklärungsarbeit (Rudaw 9.5.2019).

Einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2019 zufolge kontrolliert der IS immer noch zwischen 14.000 und 18.000 Kämpfer im Irak und in Syrien (UNSC 1.2.2019). Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums, unter Berufung auf Geheimdienstquellen, verfügt der IS noch über 20.000 bis 30.000 Angehörige - Kämpfer, Anhänger und Unterstützer - im Irak und in Syrien (USDOD 7.5.2019).

Der IS hat seine Präsenz in den Gouvernements Ninewa und Anbar durch Kämpfer aus dem benachbarten Syrien erhöht. Auch das Gouvernement Diyala bleibt weiterhin ein Kerngebiet des IS, der sich auf Gebiete im Norden und Osten des Irak fokussiert. Vorfälle in Bagdad und im Süden bleiben sporadisch (Joel Wing 3.5.2019).

(...)

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats April 2019 99 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 105 Toten und 100 Verletzten verzeichnet. 36 Tote gingen auf Funde älterer Massengräber im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im April auf 69 reduziert werden kann. Die meisten Opfer gab es in den Gouvernements Diyala und Ninewa (Joel Wing 3.5.2019).

Im Mai 2019 verzeichnet Joel Wing 137 sicherheitsrelevante Vorfälle, von denen 136 auf den islamischen Staat (IS) zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019). Bei einem dieser Vorfälle handelte es sich um einen Raketenbeschuss der "Green Zone" in Bagdad durch eine mutmaßlich pro-iranische Gruppe (Joel Wing 5.6.2019; vgl. OS 19.5.2019). Insgesamt wurden im Mai 163 Todesfälle und 200 Verwundete registriert, wobei 35 Tote auf einen Massengräberfund im Bezirk Sinjar in Ninewa zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019).

Im Mai 2019 hat der Islamische Staat (IS) im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern zu erheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salahaddin - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und wegen lokalen Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung AI-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019).

Im Juni 2019 wurden von Joel Wing 99 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Da jedoch zwei Hauptquellen zur Sicherheitslage im Irak den gesamten Monat Juni über offline waren, kann es sein, dass es tatsächlich mehr Angriffe gab, als registriert wurden. Sechs Vorfälle werden pro- iranischen Gruppen zugeschrieben, die mutmaßlich wegen der Spannungen zwischen den USA und dem Iran ausgeführt wurden (Joel Wing 1.7.2019).

Das irakische Militär und die Koalitionstruppen [Anm. die Truppen der von den USA geführten Koalition westlicher Staaten im Irak] führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019) und in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019; Jane's 1.5.2019).

Bagdad

Laut Joel Wing ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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