TE OGH 2020/3/17 10Ob44/19x

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Veröffentlicht am 17.03.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat MMag. Matzka sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DS, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P***** GmbH & Co KG Zweigniederlassung *****, 2. V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.989,58 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. April 2019, GZ 3 R 12/19h-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. Dezember 2018, GZ 4 Cg 126/17t-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?

Text

Begründung:

A. Sachverhalt

Die Zweitbeklagte stellt Fahrzeuge her; die Erstbeklagte ist eine unabhängiger Vertragshändlerin der Zweitbeklagten. Der Kläger, ein Verbraucher, kaufte am 21. 12. 2013 von der Erstbeklagten einen von der Zweitbeklagten hergestellten Personenkraftwagen. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) 715/2007. Es ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 der Abgasklasse EU5 ausgestattet. Bei diesem Motor erfolgte eine Abgasrückführung aufgrund einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen Software nach zwei Betriebsmodi („Umschaltlogik“). Im ersten Modus, der nur im Emissionsprüfungsverfahren unter Laborbedingungen zum Einsatz kam, war die Abgasrückführungsrate höher als im zweiten Modus, der unter normalen Fahrbedingungen zur Anwendung gelangte. Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp wurde vom zuständigen deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (künftig: KBA) die EG-Typengenehmigung erteilt. Die „Umschaltlogik“ war der Typengenehmigungsbehörde gegenüber nicht offengelegt. Wäre dem KBA die „Umschaltlogik“ bekannt gewesen, wäre die EG-Typengenehmigung nicht erteilt worden.

Der Kläger hätte das Fahrzeug auch in Kenntnis der „Manipulationssoftware“ gekauft.

Am 15. 10. 2015 verhängte das KBA gegenüber der Zweitbeklagten eine „Nachträgliche Anordnung einer Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung“ gemäß § 25 Abs 2 (deutsche) EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV), mit der es (unter anderem) anordnete, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate des Typs EA189 EU5 die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen. Mit Schreiben vom 20. 12. 2016 teilte das KBA der Zweitbeklagten mit, es werde bestätigt, dass die vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen. Die EG-Typengenehmigung des hier betroffenen Fahrzeugtyps wurde in der Folge nicht widerrufen oder zurückgenommen.

Der Kläger ließ am 15. 2. 2017 das in dieser Mitteilung angesprochene „Software-Update“ am Fahrzeug durchführen. Dieses ersetzte die „Umschaltlogik“ durch eine Programmierung, nach der der emissionsmindernde Modus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz gelangt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist („Thermofenster“).

B. Vorbringen der Parteien

Der Kläger macht Ansprüche aus Schadenersatz, Gewährleistung und Vertragsanfechtung wegen Willensmangels gegenüber der Erstbeklagten und aus Schadenersatz gegenüber der Zweitbeklagten geltend. Er begehrt die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise Preisminderung, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil die „Umschaltlogik“ eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 sei. Das Software-Update habe den Mangel nicht behoben. Es drohten zukünftiger Wertverlust und Folgeschäden durch das Software-Update.

Die Beklagten vertraten die Ansicht, weder die „Umschaltlogik“ noch das „Thermofenster“ seien als Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 Z 10 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren und daher auch nicht verboten. Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof gestehen sie zu, dass es sich beim „Thermofenster“ um eine Abschalteinrichtung handelt. Diese sei aber nach Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 zulässig, was auch vom KBA so beurteilt worden sei.

C. Bisheriges Verfahren

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs, weil der Kläger aufgrund der Durchführung des Updates nicht mit einem Entzug der Nutzungsbewilligung durch die Behörde rechnen müsse. Ein allenfalls ursprünglich vorhandener Mangel sei durch das Software-Update behoben worden. Die Technik, mit der die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius zurückgenommen werde, sei nach Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 zulässig, weil sie erforderlich sei, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat über eine Revision des Klägers zu entscheiden, mit der dieser die Klagestattgebung anstrebt.

D. Relevante Normen

Art 3 Z 10 VO (EG) 715/2007 definiert den Begriff der „Abschalteinrichtung“ im Sinn der Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen wie folgt:

„ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

Art 5 Abs 1 und 2 VO (EG) 715/2007 lauten (auszugsweise):

(1) Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

(2) Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; ...“.

Art 3 Z 9 Unterabsatz 3 VO (EG) 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der VO (EG) 715/2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 199/1 vom 28. 7. 2008) lautet:

„Darüber hinaus macht der Hersteller der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen.“

Art 2 Abs 1 Richtlinie 1999/44/EG lautet:

„Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern.“

Art 2 Abs 2 Richtlinie 1999/44/EG lautet (auszugsweise):

„Es wird vermutet, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie ...

d) eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden.“

Art 3 Abs 6 Richtlinie 1999/44/EG lautet:

„Bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung.“

§ 922 Abs 1 (österreichisches) ABGB lautet:

„Wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr, dass sie dem Vertrag entspricht. Er haftet also dafür, dass die Sache die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat, dass sie seiner Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und dass sie der Natur des Geschäftes oder der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann.“

§ 932 Abs 1 ABGB lautet:

„Der Übernehmer kann wegen eines Mangels die Verbesserung (Nachbesserung oder Nachtrag des Fehlenden), den Austausch der Sache, eine angemessene Minderung des Entgelts (Preisminderung) oder die Aufhebung des Vertrags (Wandlung) fordern.“

§ 932 Abs 4 Satz 1 ABGB lautet:

„Sind sowohl die Verbesserung als auch der Austausch unmöglich oder für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, so hat der Übernehmer das Recht auf Preisminderung oder, sofern es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, das Recht auf Wandlung.“

§ 25 Abs 2 (deutsche) Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, EG-FGV) lautet:

(2) Das Kraftfahrt-Bundesamt kann zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge, selbstständiger technischer Einheiten oder Bauteile nachträglich Nebenbestimmungen anordnen.“

E. Begründung der Vorlage

1.1. Der Oberste Gerichtshof prüft das Vorliegen eines Mangels des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs im Übergabezeitpunkt und die Behebung dieses Mangels, sowie den Eintritt eines von der Zweitbeklagten verursachten Schadens des Klägers.

1.2. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Die Verbesserung hat den vertragsgemäßen Zustand herzustellen (RS0120246 [T1] ECLI:AT:OGH0002:2005:RS0120246). Um den Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen,
muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat (2 Ob 34/11f ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00034.11F.0329.000).

1.3. Eine Mangelhaftigkeit der Leistung im Sinn des § 922 ABGB liegt dann vor, wenn diese qualitativ oder quantitativ hinter den gewöhnlich vorausgesetzten oder den zugesicherten Eigenschaften zurückbleibt (RS0018547 ECLI:AT:OGH0002:1990:RS0018547).

1.4. Bei einem Pkw geht die österreichische Rechtsprechung davon aus, dass die für die Benützung
im Straßenverkehr erforderlichen behördlichen Genehmigungen vorliegen müssen (3 Ob 5/07t ECLI:AT:OGH0002:2007:0030OB00005.07T.0222.000).

2.1. Nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs ist die im Zeitpunkt der Übergabe des Kaufgegenstands an den Kläger vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Nr 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren (vgl den Hinweisbeschluss des BGH vom 8. 1. 2019, VIII ZR 225/17, ECLI:DE:BGH:2019:080119BVIIIZR225.17.0, Rz 9 ff). Dies ergibt sich daraus, dass es sich um einen Konstruktionsteil handelt, der jene Parameter ermittelt, aus denen sich ergibt, ob das Fahrzeug im Prüfstandsbetrieb oder im realen Fahrbetrieb eingesetzt ist, und ausgehend davon entweder den Betriebsmodus mit hoher oder jenen mit geringer Abgasrückführung aktiviert. Darin liegt eine Einwirkung auf die Abgasrückführung, sohin einen Teil des Emissionskontrollsystems. Die Aktivierung eines Betriebsmodus mit niedrigerer Abgasrückführung für den Echtbetrieb des Fahrzeugs verringert auch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftiger Weise zu erwarten sind (vgl Art 3 Z 10 VO [EG] 715/2007). Umstände, aufgrund derer eine Ausnahme vom Verbot der Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 in Betracht kämen, hat die Beklagte hinsichtlich der „Umschaltlogik“ gar nicht behauptet.

2.2. Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug jedenfalls deshalb mangelhaft im Sinn des § 922 ABGB war, weil die unzulässige Abschalteinrichtung gegenüber der für die Erteilung der EG-Typengenehmigung zuständigen Behörde nicht offen gelegt wurde, was die mangelnde Rechtsbeständigkeit der erteilten Typengenehmigung nach sich zog. Dies manifestierte sich in der Anordnung von Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung durch das KBA.

2.3. Ob das Kfz darüber hinaus einen Mangel aufwies, weil die Erstbeklagte ein Fahrzeug schuldete, das nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 iVm Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet war, ist Gegenstand der ersten Vorlagefrage. Sollte sich dies ergeben, wäre zu prüfen, ob nach Durchführung des „Software-Update“ weiter eine unzulässige Abschalteinrichtung vorlag. Darauf bezieht sich die zweite Vorlagefrage. Die dritte Frage betrifft die Rechtsfolgen einer auch nach Durchführung des „Software-Update“ vorliegenden Mangelhaftigkeit.

2.4. Die Beurteilung der Vertragswidrigkeit ist auch für die Beurteilung der Haftung der Zweitbeklagten relevant, weil der Kläger seinen Schaden im Wesentlichen aus dem Erwerb eines nicht dem Vertragsinhalt entsprechenden Fahrzeugs und dem Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ableitet.

Zur Frage 1:

3.1. Die Frage, ob die von der zuständigen EG-Typengenehmigungsbehörde zum Ausdruck gebrachte Billigung des Software-Updates allein bereits die Verbesserung der Kaufsache herbeigeführt hat, hängt von der Beurteilung ab, was der Übergeber aus dem Kaufvertrag schuldete.

3.2. Nach der Rechtsansicht des Klägers ist nach dem Kaufvertrag nicht nur das Vorliegen der EG-Typengenehmigung geschuldet, sondern auch die Freiheit des Fahrzeugs von einer nach Art 3 Z 10 iVm Art 5 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung.

4.1. Art 2 Abs 2 Richtlinie 1999/44/EG regelt die Voraussetzungen, unter denen vermutet wird, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind. Dies wird in der Literatur dahin verstanden, dass die Richtlinie eine Vermutung in Bezug auf den Inhalt der vertraglichen Einigung über die Sollbeschaffenheit der verkauften Sache ausspricht (vgl Welser/Jud, die neue Gewährleistung [2001] §§ 922, 923 ABGB Rz 26), sodass dann, wenn die Sache hinter den in der Richtlinie genannten Anforderungen zurückbleibt, angenommen werden kann, dass eine Vertragswidrigkeit vorliegt. Der Übergeber müsste dann beweisen, dass in Wirklichkeit anderes vereinbart war. Das laufe gegenüber der Konzeption des ABGB, nach der der Übernehmer nicht nur das Abweichen der Sache vom vertraglich geschuldeten, sondern auch den Vertragsinhalt zu beweisen habe, auf eine Beweiserleichterung für den Erwerber hinaus (W. Faber, Handbuch zum neuen Gewährleistungsrecht [2001] 56, 58).

4.2. Mit dem Tatbestandsmerkmal der „vernünftiger Weise erwarteten“ Qualität und Leistung soll auf das europäische Verbraucherleitbild abgestellt werden (W. Faber, Handbuch 69).

4.3. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte dies dahin verstanden werden, dass dem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH 8. 4. 2003, C-44/01, Pippig Augenoptik, ECLI:EU:C:2003:205, Rz 55; EuGH 8. 2. 2017, C-562/15, Carrefour Hypermarchés, ECLI:EU:C:2017:95, Rz 31) bei einem Produkt wie einem Kraftfahrzeug, von dem bekannt ist, dass es normativen Vorgaben genügen muss, auch unterstellt werden muss, dass er die Einhaltung dieser Vorgaben erwartet. Es erscheint nämlich naheliegend, dass die Bindung an die Rechtsordnung insofern Bestandteil der vernünftigen Erwartungen des Verbrauchers ist. Der Umstand, dass die Fahrzeugtypen einen Genehmigungsprozess durchlaufen müssen, steht dem dargestellten Verständnis des Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG nicht notwendiger Weise entgegen. Ob das Nicht-Vorhandensein einer Software wie der „Umschaltlogik“ für den Käufer subjektiv von Bedeutung war, wäre demnach ebenfalls nicht ausschlaggebend.

4.4. Konsequenz einer derartigen Auslegung wäre, dass der Verkäufer eines Kfz nicht nur für das Vorliegen der für den gewöhnlich vorausgesetzten Gebrauch im Sinn des § 922 ABGB erforderlichen Typengenehmigung Gewähr leisten müsste, sondern auch dafür, dass dieses keine unzulässigen Konstruktionsteile enthält.

Zur Frage 2:

5.1. Sofern die Frage 1 verneint wird, ist davon auszugehen, dass die Erstbeklagte die Übergabe eines Fahrzeugs schuldete, das nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 iVm Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet war. Diesfalls wäre der Verbesserungsanspruch des Klägers nach § 932 Abs 1 ABGB darauf gerichtet, diesen Zustand herzustellen.

5.2. Der durchgeführte Verbesserungsversuch durch Installation des „Software-Updates“ wäre dann nicht schon deshalb erfolgreich, weil das KBA die erteilte EG-Typengenehmigung nicht widerrufen oder zurückgenommen hat. Es wäre vielmehr zu beurteilen, ob beim gekauften Fahrzeug nach wie vor eine gemäß Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt oder nicht.

5.3. Dafür ist im vorliegenden Fall entscheidend, ob die vorhandene Programmierung, die ein „Thermofenster“ beinhaltet, unter den von den Beklagten in Anspruch genommenen Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a VO (EG) 715/2007 fallen kann oder ob dies von vornherein ausgeschlossen ist, wie der Kläger meint. Der Kläger leitet dies daraus ab, dass das „Thermofenster“ einen derart extensiven Einsatz der Abschalteinrichtung bewirke, dass dadurch das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 umgekehrt würde.

6.1. Ziel der Schaffung einheitlicher technischer Vorschriften für die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen mit der VO (EG) 715/2007 ist – neben der Gewährleistung des Binnenmarkts – die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (Erwägungsgrund 1 VO [EG] 715/2007). Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte wird eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen als erforderlich angesehen (Erwägungsgrund 6 VO [EG] 715/2007).

6.2. Diese Ziele sprechen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts dafür, die in Art 5 Abs 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007 normierten Ausnahmetatbestände eng auszulegen.

6.3. Nach Art 3 Z 9 Unterabsatz 3 VO (EG) 692/2008 macht der Hersteller der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführsystems einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen. Dieser Bestimmung ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs zu entnehmen, dass allein das Vorherrschen „niedriger“ Temperaturen nicht vom Erfordernis des Funktionierens des Abgasrückführsystems entbindet.

6.4. Die Technik des „Thermofensters“ bewirkt, dass die Abgasrückführung derart gesteuert wird, dass der emissionsmindernde Modus nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist.

6.5. Es ist offenkundig, dass in einem Teil der Europäischen Union, so etwa in Österreich, die Durchschnittstemperaturen während mehrerer Monate im Jahr unter 15 Grad Celsius liegen (vgl etwa https://www.wien.gv.at/statistik/lebensraum/tabellen/lufttemperatur.html, abgerufen am 17. 3. 2020, wonach in Wien im Jahr 2018 in sechs von zwölf Monaten Durchschnittstemperaturen unter 15 Grad Celsius vorherrschten). Jene Außentemperaturen, bei denen die Abgasrückführung bei einem Fahrzeugtyp wie dem hier streitgegenständlichen voll wirksam ist, werden daher in einem beträchtlichen Teil des Jahres im Durchschnitt gar nicht erreicht. Die Beklagten nehmen daher für sich in Anspruch, gestützt auf eine Ausnahmebestimmung (Art 5 Abs 2 lit a VO [EG] 715/2007) in rund der Hälfte des Jahres vom Verbot der Verwendung einer Abschalteinrichtung abweichen zu dürfen.

6.6. Der Grundsatz, dass Ausnahmen stets eng auszulegen sind (vgl EuGH 11. 12. 2014, C-212/13, Ryneš, ECLI:EU:C:2014:2428, Rz 29; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 20. 6. 2013, C-309/12, Gomes Viana Novo ua, ECLI:EU:C:2013:419, Rz 26) und der mit der VO (EG) 715/2007 verfolgte Zweck der Verringerung von Stickstoffoxidemissionen könnten dafür sprechen, dass einer derart weitgehend zum Einsatz kommenden Abschalteinrichtung die Rechtfertigung nach einem der Ausnahmetatbestände des Art 5 Abs 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007 schlechthin nicht offensteht.

Zur Frage 3:

7.1. Nach österreichischer Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob ein die Wandlung ausschließender geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB vorliegt, eine auf den konkreten Vertrag und die Umstände des Einzelfalls bezogene objektive Abwägung der Interessen der Vertragspartner vorzunehmen (RS0119978 ECLI:AT:OGH0002:2005:RS0119978).

7.2. Frage 3 zielt darauf ab, dass in der Literatur zu § 932 Abs 4 Satz 1 ABGB die Meinung vertreten wird, ein Mangel sei (nur) dann geringfügig, wenn der Übernehmer den Vertrag in Kenntnis des Mangels (hier: Vorhandensein einer Abschalteinrichtung und deren Auswirkung) abgeschlossen hätte, sei es auch zu anderen Konditionen (Zöchling-Jud in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 932 Rz 66; Klete?ka, Gewährleistung neu [2001] § 932 ABGB Rz 19).

Der Wortlaut des Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht so eindeutig, dass ein acte clair vorliegt.

Schlagworte

Manipulationssoftware,

Textnummer

E127681

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00044.19X.0317.000

Im RIS seit

01.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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