TE Bvwg Beschluss 2020/1/8 W231 2211783-1

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Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W231 2211783-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.12.2018, Zl. XXXX beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers (künftig BF) stellten am 05.09.2016 persönlich einen Einreiseantrag gem. § 35 AsylG 2005 bei er Österreichischen Botschaft Islamabad. Dabei bezog sich dieser Antrag auf XXXX (den Ehemann bzw. Vater der BF) als Bezugsperson in Österreich, dem mit Bescheid vom 11.11.2004, Zl. XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt worden war.

Mit Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (künftig BFA) vom 05.04.2017 wurde die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten iSd §§ 35 Abs. 4 iVm 34 AsylG 2005 an die Mutter und die Geschwister des BF als wahrscheinlich prognostiziert. Den BF wurde die Einreise nach Österreich gestattet.

2. Die Mutter und die Geschwister des BF stellten am 27.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Rahmen einer am selben Tag durchgeführten Erstbefragung der Mutter des BF gab diese - unter Verwendung eines verkürzten Formulars für die Erstbefragung - an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe hätte (Protokollierung durch Ankreuzen einer im Formular möglichen vorgefertigten Antwort) und einen Antrag in Bezug auf XXXX (ihren Ehemann) stelle. Die mitgereisten Kinder hätten auch keine eigenen Fluchtgründe. Ebenfalls im Rahmen einer vorgefertigten Tickbox ist angekreuzt, dass die Mutter des BF mit einer Entscheidung der belangten Behörde auf Basis der gegebenen Angaben zufrieden sei und auf eine weitere Einvernahme verzichte.

3. Nach Durchführung des dargestellten Ermittlungsverfahrens wurden die gegenständlichen Anträge der Mutter und der Geschwister des BF auf internationalen Schutz mit im Spruch bezeichneten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Niederösterreich (in Folge: BFA), vom 09.10.2017, hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Anträgen bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG, wie auch § 8 Abs. 1 iVm. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben (Spruchpunkt II.) und den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 20.10.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

In den Bescheiden wurde begründend darauf hingewiesen, dass die Mutter und die Geschwister des BF für sich selbst keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht und keine Verfolgung ihrer Person oder eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne der GFK vorgebracht und angegeben hätten, als Familienangehörige nach Österreich gereist zu sein, um mit ihrem Mann bzw. Vater gemeinsam zu leben. Da keinem (anderen) Familienmitglied der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme (auch im Familienverfahren) eine Zuerkennung von Asyl nicht in Betracht.

4. Mit am 31.10.2017 beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhoben die Mutter und die Geschwister des BF dagegen die verfahrensgegenständlichen Beschwerden. Sie hätten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und seien im Rahmen der Erstbefragung nicht zu ihren Asylgründen befragt worden. Die Mutter des BF habe auf eine weitere Einvernahme gewartet, um ihre Fluchtgründe geltend zu machen. Sie brachte zusammengefasst vor, sie habe ihr Haus in Afghanistan nicht ohne Burka verlassen können, damit man sie nicht erkenne, weil die Menschen im Herkunftsort Gerüchte verbreitet hätten, dass ihr Ehemann westlich orientiert sei und seinen Glauben gewechselt habe und nicht mehr Muslim sei. Sie habe um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten müssen.

Schließlich wurde beantragt, den Beschwerden stattzugeben und die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, dass den antragstellenden Parteien der Status der Asylberechtigten zuerkannt werde.

5. Am 31.07.2018 wurde der BF zu gegenständlichem Verfahren als Sohn der XXXX , geb. XXXX und des XXXX , geb. XXXX , in Österreich nachgeboren. Am 09.08.2018 brachte die gesetzliche Vertretung einen Antrag auf Zuerkennung von internationalem Schutz ein.

6. Dieser Antrag (Pkt. 5) wurde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Antrag wurde bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG stattgegeben (Spruchpunkt II.) und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 20.10.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Für den BF seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden, sowohl seinem Vater als auch seiner Mutter sei (nur) der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, weshalb auch dem BF im Familienverfahren dieser Status zuzuerkennen sei.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.12.2019, Zl. W231 2175627-1/6E u.a., wurden die angefochtenen Bescheide in Erledigung der Beschwerden der Mutter und der Geschwister des BF hinsichtlich des jeweils angefochtenen Spruchpunktes I. gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A):

1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgt die Entscheidung und Anordnung durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 leg.cit.) handelt.

Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Materialien zum AsylG 2005 gehen davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP).

2. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die Mutter des BF ist die Ehefrau von XXXX , geb. XXXX , dem in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt; es liegt unbestritten ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vor.

Bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG 2005 ergibt sich, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen - anders als nach dem Asylerstreckungsverfahren nach dem AsylG 1997 in der Fassung BGBl. I 101/2003 - ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" gilt. Die Behörde hat somit bei einem Antrag eines Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen, also den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).

Im vorliegenden Fall stützte die belangte Behörde ihre Entscheidung bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung auch des BF ausschließlich auf die kurzen, formularhaften Angaben seiner Mutter in der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in dem sie mittels Ankreuzen einer standardisierten Antwort angab, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Davon ausgehend unterließ die belangte Behörde weitere Erhebungen zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Sachverhalt und sah insbesondere davon ab, die Mutter des BF selbst einzuvernehmen und zu allfälligen Fluchtgründen zu befragen.

Damit übersieht die belangte Behörde jedoch, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung "insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden [dient] und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen [hat]". Diese Regelung bezweckt den Schutz der Asylwerber davor, sich im direkten Anschluss an die Flucht aus ihrem Herkunftsstaat vor uniformierten Staatsorganen über traumatische Ereignisse verbreitern zu müssen, weil sie unter Umständen erst vor kurzem vor solchen geflohen sind (vgl. VfGH 27.06.2012, U 98/12, unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, RV 952 XXII. GP, S. 44). Daraus ergibt sich auch, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (vgl. VfGH 20.02.2014, U 1919/2013 ua.).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist es auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten der Erstbefragung zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 uva).

Vor diesem Hintergrund kann auch ein bloß formelhafter Verzicht der Mutter des BF auf eine weitere Einvernahme in der niederschriftlichen Erstbefragung das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht von seiner in § 19 Abs. 2 AsylG 2005 normierten Verpflichtung entbinden, die gebotene ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers - abgesehen von restriktiv auszulegenden Ausnahmen - nur auf der Grundlage einer Einvernahme durch die Behörde selbst vorzunehmen. Da weder ein Folgeantrag vorliegt (vgl. § 19 Abs. 1 dritter Satz AsylG 2005) noch in der Person der Mutter des BF gelegene Umstände erkennbar sind, aufgrund derer diese nicht in der Lage wäre, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. § 19 Abs. 2 letzter Satz iVm § 24 Abs. 3 AsylG 2005), hätte das BFA somit auch dann, wenn eigene Fluchtgründe in den von der Mutter gestellten Anträgen (noch) nicht enthalten waren, das allfällige Vorliegen solcher Gründe im Wege einer Einvernahme zu prüfen gehabt. Mangels Durchführung einer Einvernahme vor dem BFA wurde dem BF nicht mehr die Gelegenheit zu einem diesbezüglichen Vorbringen gegeben.

Im vorliegenden Fall tätigte das BFA daher nicht einmal ansatzweise Ermittlungen hinsichtlich des maßgebenden Sachverhalts im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb der angefochtene Bescheid im Ergebnis unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen die BF gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität leidet. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung der BF hinsichtlich der Frage der Gewährung des Status der Asylberechtigten daher als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhalts diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetztes liegen, v.a. unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde für die Ermittlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist- auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Das BFA wird im fortgesetzten Verfahren die Mutter des BF einzuvernehmen und sich mit ihrem Vorbringen zu allfälligen Fluchtgründen im Wege einer ganzheitlichen Würdigung auseinanderzusetzen haben.

Hinsichtlich des Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist der BF darauf hinzuweisen, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt - nämlich das Vorliegen von mangelhaften Ermittlungen zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt - durch die vorliegenden Bescheide unter Bedachtnahme auf die Beschwerden feststeht und daher auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden kann und der entsprechende Antrag in der Beschwerde abgewiesen wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Unter A) wurde ausführlich ausgeführt, dass im erstinstanzlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil hinsichtlich § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG die oben zitierte, einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt. Daher ist eine relevante Rechtsfrage nicht zu erkennen und die Revision somit unzulässig.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W231.2211783.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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